Kolleginnen und Kollegen, wir treten nun etwas verspätet in die Mittagspause ein. Wir treffen uns hier wieder um 14.40 Uhr.
Beschlussfassung über den von der AfDLandtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Bestellung von Wahlbetreuern für die nun zugelassene Wählergruppe der Menschen, für die ein Gericht eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet hat, sowie Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind (Drucksache 16/832)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident hat den gesamten Titel des Antrages vorgelesen. Warum dieser Antrag? - Seit der Sondersitzung ist eine neue Situation entstanden. Es gibt im Saarland eine Bevölkerungsgruppe von ungefähr 850 Menschen, die schwerstbehindert sind und die deshalb eine vollumfängliche Betreuung in allen Lebensbereichen brauchen. Diese Betreuung brauchen sie natürlich auch, wenn sie wählen gehen.
Wir haben beschlossen, dass sie einen Antrag stellen müssen, aber die Anforderungen dafür sind sehr gering. Die Frist ist nun bald abgelaufen, deswegen wird man bald wissen, um wie viele Menschen es sich wirklich handelt. Es werden eher weniger sein. Wenn man draußen ist und darüber gesprochen wird, dann kommt schon einmal das Thema des Wahlmissbrauchs auf. Das ist nicht neu, dieses Thema haben wir schon seit vielen Jahren bei der Briefwahl. Es wird immer gesagt, es ist alles in Ordnung, aber in dem einen oder anderen Fall sollte man schon vorsichtig sein, damit es bei der Wahl kein Geschmäckle gibt. Aus diesem Grund sind wir der Ansicht, dass Wahlbetreuer eingestellt werden sollen. Es ist kein hauptamtlicher Beruf, sondern sie sollen nur bei dieser Gelegenheit tätig werden, damit gewährleistet ist, dass die Sache absolut ordentlich verläuft. Sonst ist es weiter nichts. Es ist auch nicht weiter zu begründen. Das ist der Antrag. - Herzlichen Dank.
Ich danke Ihnen. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat für die CDU-Landtagsfraktion Frau Abgeordnete Dagmar Heib.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben gerade gehört, wie Herr Dörr als Fraktionsvorsitzender den Antrag der AfD-Landtagsfraktion eingebracht hat. Er hat in seiner Begründung aufgenommen und auch ich habe es heute Morgen schon gesagt, dass wir vor knapp drei Wochen hier im Hohen Hause die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen haben, dass die Betreuten in allen Angelegenheiten sowie die Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, an der Europawahl wie auch an der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 teilnehmen können.
Wir haben ein Antragsverfahren auf den Weg gebracht. Das ist in Form eines gesetzlichen Verfahrens erfolgt. Die Grundlagen für unsere Entscheidung waren die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Januar und vom April. Wir haben dann in genannter Sondersitzung in Erster und Zweiter Lesung ein Gesetz auf den Weg gebracht. Das war für uns zeitlich ein ambitioniertes Verfahren, das ist auch bei Ihnen angeklungen, denn es ging darum, dass Anträge gestellt und die Wählerverzeichnisse abgeändert werden können, damit die Teilnahme an den Wahlen möglich ist. Ich sagte bereits, dass dies im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens mit Erster und Zweiter Lesung erfolgt ist. Wir haben es hier mit dem Wahlrecht zu tun. Auch der Antrag, den Sie formuliert haben, geht in das Wahlrecht hinein.
Das Wahlrecht ist - ich denke, das ist uns allen bekannt - Teil des Staatsrechts. Dazu gehört das Staatsorganisationsrecht, wovon das Wahlrecht ein Bestandteil ist. Das Staatsrecht wiederum ist ein Teil des öffentlichen Rechts. Es regelt die Organisation des Staates, die Zusammensetzung der Befugnisse der Staatsorgane, das Verhältnis des Staates zu den natürlichen und juristischen Personen genauso wie das Verhältnis der Staaten untereinander. Das Wahlrecht, meine Damen und Herren, ist bei uns Gesetz. Von daher sind alle Änderungen, die das Wahlrecht betreffen, auf Grundlage eines Gesetzes zu erarbeiten und zu erlassen und nicht auf Grundlage eines unbestimmten Antrags.
Sie haben in Ihrem Antrag noch nicht einmal eine Ausführung dahingehend, dass der Landtag beschließen möge, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. - Nein, Sie negieren das vollkommen, Sie sprechen von einer Prüfung der Wahlfähigkeit. Auch dieser Begriff ist unklar. Sie sprechen von einer Gruppe
von qualifizierten Wahlbetreuern, Sie machen aber keinerlei Aussage dazu, wann ein Wahlbetreuer überhaupt qualifiziert ist, welche Qualifikationen er mitbringen soll, wie diese Gruppe aussehen soll, wie sie miteinander arbeiten soll und ob es eine Kommission oder sonst etwas sein soll. Es ist also völlig unbestimmt. Dann - das ist für mich das i-Tüpfelchen - benutzen Sie das Wort „sicherstellen“. Dieses Wort ist für mich und meine Fraktion und für alle anderen hier im Zusammenhang mit Wahlrecht ein Ding der Unmöglichkeit.
Herr Kollege Pauluhn hat heute Morgen gesagt, es seien elf Tage vor der Wahl, ich sage zehn, wir brauchen darüber aber nicht zu streiten, denn es kommt darauf an, ob man bis Samstag oder Sonntag zählt. In dieser knappen Zeit vor der Wahl wollen Sie hier einen Impuls, einen Input geben im Hinblick auf die Wahlrechtsausgestaltung? Da brauche ich noch nicht einmal die bekannte Venedig-Kommission heranzuziehen, die wir alle kennen und zur Begründung genannt wird. Es wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass Wahlrechtsänderungen ein Jahr vor einem Wahltermin erfolgen sollen. Es geht Ihnen an dieser Stelle also ganz allein um Effekte. Sie sind nicht eine Sekunde lang daran interessiert, konstruktive parlamentarische Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu machen. Das ist für mich das Allerschlimmste, dafür sind wir nicht gewählt!
Wir hatten - auch das hatte ich in der Aussprache zum Gesetzgebungsverfahren vor knapp drei Wochen angesprochen - im Bundestag eine Erste Lesung der Wahlrechtsänderung. Man hat sich dort ganz bewusst gegen typisierende Wahlrechtsausschlüsse entschieden. Diese wären nach dem Verfassungsgerichtsurteil aus dem Januar durchaus zulässig, man hat sich aber in der Entwicklung des Gesetzentwurfes dagegen entschieden. Die Begründung ist, dass in diesem Fall die Abgrenzung sehr schwer geworden wäre. Es wäre in diesem Fall schwer geworden, dies gesetzlich zu formulieren und zu regeln. Ich finde, das ist nachvollziehbar. Von daher begrüße ich, dass man sich davon distanziert hat.
Im Vorfeld des Gesetzgebungsentwurfes, bei seiner Erarbeitung hat man durchaus eine individuelle, anlassbezogene Überprüfung der Assistenzfähigkeit durch Betreuungsgerichte diskutiert. Dazu muss man aber sagen, dass dieses Verfahren einen wahnsinnig hohen Aufwand bedeuten würde, der meines Erachtens auch nicht mehr verhältnismäßig ist. Es ist wichtig zu erwähnen, dass man hier an Betreuungsgerichte gedacht hat. Das haben Sie in Ihrem Antrag nicht aufgenommen. Ich wiederhole, was auch beim letzten Mal schon genannt wurde:
Gerade die saarländischen Betreuungsgerichte, die Richterinnen und Richter, gehen mit unserem Betreuungsrecht sehr vorsichtig und engmaschig um und machen sich Gedanken darum. Denn einem Menschen das Wahlrecht wegzunehmen, ist eine hohe Hürde und eine sehr große Entscheidung. Deshalb ist es richtig zu sagen: Wenn überhaupt jemand dafür zuständig ist, dann die Betreuungsgerichte. So ist es auch gesetzlich festgelegt. Die Betreuungsgerichte haben die Aufgabe, darüber zu entscheiden, wann ein Mensch unter Betreuung gestellt werden soll.
Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich Ihnen die Bundestagsdrucksache zitiere - ich weiß nicht, ob Sie sie gelesen haben. Dort sind ganz wichtige Änderungen und Ausführungen im neuen § 14 Abs. 4: „Eine Ausübung des Wahlrechts durch einen Vertreter anstelle des Wahlberechtigten ist unzulässig.“ Das ist also festgeschrieben. Im folgenden Absatz 5 wird das Assistenzverfahren festgelegt. Es wird eingefügt, dass ein Wahlberechtigter, der des Lesens unkundig oder wegen einer Behinderung an der Abgabe seiner Stimme gehindert ist, sich zur Stimmabgabe der Hilfe einer anderen Person bedienen kann, die Hilfeleistung auf technische Hilfe bei der Kundgabe einer vom Wahlberechtigten selbst getroffenen und geäußerten Wahlentscheidung beschränkt ist und eine Hilfeleistung unzulässig ist, die unter missbräuchlicher Einflussnahme erfolgt, die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung des Wahlberechtigten ersetzt oder verändert oder wenn ein Interessenkonflikt der Hilfsperson besteht. - Ich glaube, das ist ganz deutlich. Hier werden die Grenzen einer assistierten Wahlentscheidung geregelt.
Im Folgenden wird § 107a Strafgesetzbuch konkretisiert, in dem die Geltung dieser Regelung sichergestellt wird. Heute und auch in Zukunft gilt: Wahlfälschung ist und bleibt strafbar.
Dafür gibt es dieses Gesetzgebungsverfahren. Ich sagte bereits vor drei Wochen, ich bin gespannt auf das eigentliche Gesetzgebungsverfahren und die Anhörung. Ich glaube, es ist eine gute Grundlage. Es sind gute Vorgaben erarbeitet worden, wie wir mit dieser Fragestellung in Zukunft umgehen können. Eines ist sicher: Wenn es bundesgesetzlich andere Regelungen gibt, ist es an uns, hier im Saarland die Wahlgesetze - die Kommunal- und Landtagswahlgesetze - zu ändern, damit im größtmöglichen Umfang garantiert ist, dass die Wahl stattfinden kann, also die Personen weiterhin wählen können. - Vielen Dank.
Ich danke der Frau Abgeordneten und rufe auf für die Fraktion DIE LINKE Herrn Abgeordneten Ralf Georgi.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es ganz kurz machen. Die LINKE lehnt den Antrag ab, weil er absolut keinen Sinn ergibt. Die Kollegin Heib hat es gerade vorgetragen: Es geht um Menschen, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten zur Seite gestellt bekommen oder die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, um Menschen also, die bereits betreut werden. Wir haben das Thema in der Sondersitzung ausführlich diskutiert.
Für diese Menschen will die AfD nun eine Gruppe von qualifizierten Wahlbetreuern bestimmen, ohne dass klar wäre, wie diese Qualifizierung aussehen sollte. Diese irgendwie qualifizierten Wahlbetreuer sollen dann laut Antrag die Wahlfähigkeit prüfen. Das hat nichts mit einem inklusiven Wahlrecht zu tun. Es hat nichts zu tun mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es ist der durchschaubare Versuch der AfD, eine Entscheidung, die ihr nicht gefällt, durch die Hintertür aufzuweichen und das Wahlrecht für Menschen mit Betreuung irgendwie doch noch teilweise aufzuhalten.
Hier machen wir nicht mit. Der pauschale Ausschluss dieser Menschen vom Wahlrecht war und ist verfassungswidrig. Und ihnen nun pauschal weitere Betreuer zur Seite zu stellen, die ihr Wahlrecht noch einmal infrage stellen, ist es sicherlich auch. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. - Vielen Dank.
Danke, Herr Abgeordneter. - Für die SPD-Landtagsfraktion rufe ich auf Frau Kollegin Elke Eder-Hippler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass auch die SPD-Fraktion diesen Antrag ablehnen wird, kann ich jetzt schon voraussagen.
Als wir am 29.04. diese Gesetzesänderung beschlossen haben, hat die AfD dagegen gestimmt, zumindest zu zwei Dritteln. Auch wir sehen in diesem Antrag heute den Versuch, mit Wahlbetreuern was immer das sein mag - zusätzliche Hürden für Behinderte aufzustellen. Ich wollte eigentlich an dieser Stelle die Saarbrücker Zeitung vom 13. Mai zitieren, obwohl man sich damit natürlich bei der AfD immer in die Gefahr begibt, dass sie sagen, das, was
in der Lügenpresse steht, stimmt ja so gar nicht. Aber ich muss gar nicht mehr zitieren, denn Herr Dörr hat das schon heute Morgen bei seinem Antrag zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 genauso gesagt, wie es am 13.05. in der Zeitung stand, nämlich dass die AfD zur Erkenntnis gekommen ist, dass man 16-Jährigen das Wahlrecht nicht verwehren kann, wenn schon Behinderte wählen dürfen.
Ja, wir können jetzt um jedes einzelne Wort streiten. Wesentlich ist, dass dieser Antrag aus meiner Sicht nur ein Ausfluss dessen ist, was für ein menschenverachtendes Bild von Behinderten die AfD zeichnet und leider Gottes wohl auch verinnerlicht hat. Diese Aussagen von heute Morgen entlarven ebenso diese menschenverachtende Einstellung der AfD wie die ewig wiederkehrenden Murmeltier-Anträge zum Thema Abschaffung der Inklusion.
Wie die Kollegin Fretter heute Morgen festgestellt hat, wird das Wetter trotzdem nicht besser, auch wenn man Murmeltier-Anträge stellt.
Ja, das Murmeltier, das ewig grüßt. - Ich muss sagen, mir drängt sich die Frage auf, wie man sich mit einer solchen Einstellung gegenüber behinderten Menschen immer wieder damit rühmen kann, eine Förderschule aufgebaut und geleitet zu haben. Ich weiß nicht, wie es an dieser Schule zuging, wenn man so eine Einstellung gegenüber Behinderten hat. Meine Herren von der AfD, vielleicht sollten Sie einmal den Antrag stellen, dass ihrer Fraktion eine Gruppe von qualifizierten Antragsbetreuern zur Seite gestellt wird. - Vielen Dank.
Danke, Frau Abgeordnete. - Es liegt eine Wortmeldung vor vom Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Herrn Abgeordneten Dörr.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Präsident! Ich muss doch noch kurz das Wort ergreifen, um Frau Eder-Hippler eine kurze Antwort zu geben. Ich weiß nicht, was Sie alles in Ihrem Leben schon für Behinderte gemacht haben. Aber bei mir ist es ganz einfach. Sie können dort hingehen, wo ich war. Ich war 14 Jahre in Illingen und 23 Jahre in Saarlouis
und habe jeweils eine Schule geleitet. Diese Schulen waren nachweislich Musterschulen. In diesen Schulen ist sehr viel für behinderte Menschen gemacht worden zu einer Zeit, als die vielen anderen Menschen, die jetzt vorgeben, etwas für die Behinderten machen zu wollen, noch gar nicht daran gedacht haben. Es sind über 1.000 Schüler, die ich gehabt habe. Sehr viele Lehrpersonen leben hier im Saarland. Die können Sie fragen.
Sie können einen Aufruf machen. Sie können nach Saarlouis gehen. Dort können Sie ganze Generationen fragen: War Herr Dörr Ihr Schulleiter? War er Ihr Lehrer? Was hat er gemacht? Dann kommen Sie bitte wieder hierher und sagen, welche Antwort Sie gekriegt haben.