Protocol of the Session on May 15, 2019

Abstimmung, Ablehnung des Antrages..... 1884

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne unsere heutige Landtagssitzung. Es ist die 28. Sitzung der laufenden Legislaturperiode.

Wir haben heute ein umfangreiches Programm mit Gesetzen und politischen Anträgen. Seitens der Landesregierung darf ich Herrn Minister Klaus Bouillon für die heutige Sitzung entschuldigen.

Im Einvernehmen mit dem Erweiterten Präsidium habe ich den Landtag zu seiner heutigen Sitzung für 09.00 Uhr einberufen. Wir haben die Ihnen vorliegende Tagesordnung festgesetzt.

Zur Tagesordnung noch einige geschäftsleitende Anmerkungen. Die Fraktion DIE LINKE hat zwischenzeitlich einen eigenen Gesetzentwurf zur Stärkung der Beteiligung junger Saarländerinnen und Saarländer als Drucksache 16/847 eingebracht. Wer dafür ist, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/ 847 als Punkt 18 in die Tagesordnung aufgenommen und gemeinsam mit Punkt 1 beraten wird, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit verfahren wir so.

Die Mitglieder des Erweiterten Präsidiums sind einvernehmlich übereingekommen, unmittelbar nach den Gesetzen abweichend von der bisherigen Systematik das Schwerpunktthema Klimaschutz zu beraten. Das betrifft die Tagesordnungspunkte 5, 6 und 7 unserer heutigen Tagesordnung. Wir haben vereinbart, dass auch dazu eine gemeinsame Aussprache stattfinden soll. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. - Dann verfahren wir auch hier so.

Außerdem haben wir uns im Erweiterten Präsidium darauf verständigt, dass die von der AfD-Landtagsfraktion eingebrachten Tagesordnungspunkte 15, 16 und 17 zum Ende der heutigen Landtagssitzung behandelt werden sollen, weil deren Themen in den letzten Monaten bereits mehrfach Gegenstand der Beratungen im Plenum waren.

Wir freuen uns immer, wenn Besuchergruppen unsere Plenarsitzung verfolgen. Auch heute haben wir Besuchergruppen, an der Zahl zwei. Ich begrüße ganz herzlich Vertreterinnen und Vertreter der Senioren von Verdi aus den Kreisen Saarlouis und Merzig-Wadern unter Leitung von Frau Ilse Kollmann. Und wir haben Besucher des Tageszentrums Saarbrücken unter der Leitung von Herrn Hans Simon. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall des Hauses.)

Wir beginnen dann mit unserer Tagesordnung. Ich rufe die Punkte 1 und 18 auf:

Erste Lesung des von der AfD-Landtagsfraktion eingebrachten Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Saarlandes (SVerf), des Saarländischen Landtagswahlgesetzes (LWG), des Saarländischen Kommunalwahlgesetzes (KWG) und des Saarländischen Kommunalselbstverwaltungsgesetzes (KSVG) (Drucksa- che 16/828)

Erste Lesung des von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Gesetzes zur Stärkung der Beteiligung junger Saarländerinnen und Saarländer (Drucksache 16/847)

Zur Begründung des Gesetzentwurfs der AfD-Landtagsfraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzendem Josef Dörr das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Saarländerinnen und Saarländer! Der Landtag des Saarlandes hat kürzlich in einer Sondersitzung ein Gesetz verabschiedet, das es Menschen, für die ein Gericht eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet hat, sowie Straftätern, die wegen Schuldunfähigkeit in ei

nem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, erlaubt, an Wahlen teilzunehmen, wenn sie einen Antrag stellen. Bisher waren sie vom Wahlrecht ausgeschlossen. Es handelt sich im Saarland um rund 850 Personen. Hier ist es vielleicht erhellend, was ein anerkannter Wissenschaftler zu dieser Angelegenheit meint.

Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, Herrn Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins. Er ist auch noch Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren ist er überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger. Ich zitiere: „Beide BVerfG-Entscheidungen“ - die vom Januar und die vom April - „beziehen sich aber nicht auf ‚betreute‘ behinderte Personen, sondern auf den wesentlich kleineren Personenkreis der unter Totalbetreuung Stehenden, deren kognitive, soziale und alltagspraktische Kompetenzen also so eingeschränkt sind, dass eine alle Lebensbereiche umfassende gesetzliche Vollbetreuung erforderlich wurde.“

Ich zitiere weiter: „Wenn ein Sprecher vom Verein Lebenshilfe (…) im Deutschlandfunk kürzlich äußerte, dass es für die Betroffenen ‚sehr schade‘ wäre, könnten sie bei der Europawahl nicht mitwählen, muss man dem aus nüchterner, vielleicht etwas kaltherzig wirkender medizinisch-psychiatrischer Sicht schlicht entgegenhalten: Nein, das trifft nicht zu. Denn die allermeisten von ihnen kriegen entweder überhaupt nicht mit, dass eine Europawahl ansteht, oder aber sie können mit dem Begriff ‚Wahl‘ oder gar ‚Europawahl‘ nichts anfangen - auch wenn die pädagogischen Mitarbeiter sich vielleicht noch so abmühen, ihnen das zu verklickern.“

Ich habe beim letzten Mal schon ausgeführt, dass durch das, was wir hier beschlossen haben, vielleicht auch die Gefahr besteht, dass das Wahlrecht, das über Jahrhunderte erkämpft worden ist, doch etwas abgewertet wird, wenn jeder wählen kann, ganz unabhängig von seiner geistigen Verfassung. Aber der Landtag des Saarlandes hat das in der letzten Sondersitzung so beschlossen. Wenn also nach der neuen Gesetzeslage praktisch alle wählen können, dann stellt sich auch für uns, für die AfD, die Frage nach dem Wahlrecht für 16-Jährige neu.

Hier möchte ich jetzt einmal etwas erklären. Wir haben in unseren Antrag wortwörtlich den Text des Antrags der Fraktion DIE LINKE übernommen, die ihn vor einem Jahr gestellt hat. Wir haben den damals unter anderen Voraussetzungen noch abgelehnt. Wir wollten, dass in der heutigen Sitzung zumindest einmal die LINKE ihrem damaligen eigenen Antrag auch zustimmt. Die LINKE hat aber gestern noch einen eigenen Antrag dazu eingebracht. Ich habe den heute Morgen gesehen, habe dann die beiden Anträge verglichen und festgestellt, die sind praktisch identisch. Auf der ersten Seite gibt es nur einen

(Präsident Toscani)

nicht zur Sache gehörigen Einschub, dass etwas gestrichen werden muss, was sowieso klar ist, wenn etwas Neues dazukommt, und auf der Seite 2 sind nur Umstellungen - dreimal im Satz - in der Art wie „Ich gehe in die Schule“ und „In die Schule gehe ich“.

(Vereinzelte Zurufe.)

Das sind also praktisch zwei identische Anträge, mit denen wir es hier zu tun haben. Das will ich auch der Offenheit und Ehrlichkeit halber sagen, nicht dass noch einer sagt, die machen da etwas nach. Das ist so. Wir haben das so gemacht und wir haben es aus dem Grund gemacht, den ich eben angeführt habe.

Jetzt noch einmal zur Sache. Tatsache ist nämlich auch jetzt: Weiterhin nicht wählen darf der Ihnen von mir in der letzten Landtagssitzung vorgestellte Abiturient, der am 27. Mai 18 Jahre alt wird - einen Tag zu spät -, aber ein anderer, ein schwerstbehinderter Mensch, der einen Tag früher geboren ist, vielleicht sogar als Sieben-Monats-Kind, der darf wählen.

(Lautes Sprechen. - Abg. Spaniol (DIE LINKE) : Aus der Nummer kommt er nicht mehr raus!)

Das ist eine Sache, die man den Leuten draußen nicht erklären kann. Das habe ich gemerkt, weil ich auch von Leuten angesprochen werde. Da zitiere ich nicht mich selber. Es gibt also sehr viele Leute, die für diese Sache kein Verständnis haben. Bei uns hat das dazu geführt, dass wir wirklich der Ansicht sind, wenn also alle diese Leute wählen dürfen, dann muss man sich überlegen, auch den 16-Jährigen eine Möglichkeit zu geben, wählen zu können.

Neben der Benachteiligung ist ein anderes Hauptargument für ein Wahlrecht ab 16 Jahren, dass sich Jugendliche durch eine frühere Beteiligung an der Politik stärker für diese interessieren. Es wird ihnen früh vermittelt, wie sie sich an demokratischen Prozessen beteiligen können.

Es ist kein Grund ersichtlich, der einer Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten auf 16- und 17Jährige entgegenstehen würde. Denn genauso, wie Jugendliche ab 17 Jahren eine Ausbildung beginnen können und Steuern zahlen oder strafmündig sind, sollten sie auch das Recht bekommen, ihre Zukunft durch Wahlen mitzubestimmen.

Ich selbst war schon sehr früh politisch interessiert und tätig. Ich habe im Alter von 14 Jahren, ich erinnere mich noch ganz genau, am 30. November 1952 Flugblätter der Regierenden - es war damals ja eine Diktatur - eingesammelt. Wir selbst hatten nichts, um die Leute zu informieren. Wir haben diese Flugblätter also eingesammelt und sind entsprechend damit verfahren. Das war mit 14. Mit 17 Jahren habe ich mit einem Kameraden zusammen im Lehrerseminar Lebach, wo ich Schüler war, ein paar Tage

vor der entscheidenden Saarabstimmung verbotenerweise die Bundesflagge gehisst. Mir persönlich hat es sehr leidgetan, dass ich an diesem 23. Oktober 1955 nicht selbst wählen durfte.

Inzwischen haben auch andere umgedacht. So hat zum Beispiel der Kreistag in St. Wendel eine einstimmige Resolution verfasst und an die Landtagsfraktionen geschickt, auch an uns. Wenn ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, daraus zitieren darf. Die Resolution heißt „Einführung Wahlalter 16“, in ihr wird der Landtag gebeten, das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, allerdings erst ab der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres zu gewähren. Es heißt dort: „Der Kreistag berücksichtigt dabei, dass viele junge Menschen, die jünger als 18 Jahre alt sind, sich politisch, gesellschaftlich und sozial engagieren beziehungsweise in Parteien, Hilfsorganisationen, Vereinen und Verbänden tätig sind.“ - So weit das Zitat.

Wir hoffen, dass zumindest die LINKE für ihren Antrag stimmt. Wir hoffen auch, dass die SPD, die ja immer das Mündchen spitzt, heute auch pfeift. Wenn es mehrheitsmäßig nicht geht, kann man vieles fordern, man hat dann ja immer das Alibi, dass keine Mehrheit dafür vorhanden sei. Heute ist sie vielleicht da. - Herzlichen Dank.

(Beifall von der AfD.)

Wir kommen nun zum Gesetzentwurf der DIE LINKE-Landtagsfraktion. - Zur Begründung erteile ich Herrn Abgeordneten Dennis Lander das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr stellte sich der Abgeordnete Müller hier hin und sagte: „Die Jugend ist ein Leiden, das täglich der Heilung entgegenstrebt.“ Damals gab Herr Müller auch zu bedenken, dass „die Jugend ganz einfach leichter manipulierbar ist, egal aus welcher Richtung. Das weiß man aus allen möglichen Diktaturen. Auch ist die politische Kompetenz ganz einfach noch nicht gereift. (...) Man sollte auch die Jugend mit politischer Verantwortung nicht übermäßig belasten.“ - Heute stellt sich diese Diebesbande hier hin und bringt genau denselben Gesetzentwurf wieder ein.

(Empörte Zurufe von der AfD.)

Meine Damen und Herren, das ist wirklich lächerlich.

(Beifall von der LINKEN.)

Denselben Gesetzentwurf, dem Sie damals nicht zustimmen wollten, bringen Sie heute wieder ein. Solche Schwankungen passieren innerhalb der AfD ja nicht zum ersten Mal.

(Abg. Dörr (AfD) )

(Abg. Renner (SPD) : Täglich!)

Glücklicherweise erkennen die Wählerinnen und Wähler ein solches Verhalten und strafen es in den Umfragen ab, wie wir zuletzt gesehen haben. Viele wissen auch gar nicht mehr, wofür die Saar-AfD überhaupt eintritt. Ich bin mir sicher, Sie wissen es inzwischen selbst nicht mehr.

(Zuruf des Abgeordneten Müller (AfD).)

Die Begründungen für Ihren Sinneswandel sind wirklich eine Schande. Sie sagen, dass jetzt sogar Menschen mit Behinderungen wählen dürfen und deshalb auch die Jugendlichen Wahlrecht bekommen müssen. Dadurch, dass gehandicapte Menschen jetzt wählen dürfen, sehen Sie wohl eine Art Entwertung des Wahlprivilegs.

(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Müller (AfD).)

Es ist unglaublich, dass Sie Jugendliche auf diese Art und Weise instrumentalisieren, um gegen Menschen mit Behinderungen zu hetzen.

(Beifall von der LINKEN und bei den Regierungs- fraktionen. - Erregter Zuruf des Abgeordneten Pauluhn (SPD). - Gegenrufe von der AfD.)

Ich sage Ihnen, das sagt mehr über Sie aus als über die Menschen, die Sie letztendlich angreifen.

(Abg. Müller (AfD) : Über Sie auch! Abg. Pauluhn (SPD): Wenn der Müller so weitermacht, brauchen wir mal einen Ordnungsruf!)

Außerdem verkennen Sie auch völlig den zweiten Teil unseres Gesetzentwurfs. Wir wollen nicht nur Menschen mit 16 das Wahlrecht geben, wir wollen auch Gemeinden dazu verpflichten, dass sie Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, beteiligen. Wir wollen Jugendliche dazu ermächtigen, dass sie Jugendvertretungen beantragen können. Dabei orientieren wir uns an dem Gesetz in Baden-Württemberg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dieses alberne Spiel der AfD nicht mitspielen. Erst sind Sie gegen unseren Entwurf, dann schreiben Sie ihn ab. Das ist einfach nur peinlich und deswegen werden wir uns an der Abstimmung über unseren abgekupferten Antrag auch nicht beteiligen.