Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umgang mit der Sozialstudie erinnert mich an den Witz über die beiden Staatsoberhäupter, die um die Wette laufen. Der eine belegt einen hervorragenden zweiten Platz, während der andere als zweitletzter ins Ziel kommt. Dieser Witz mag in diesem Zusammenhang ein bisschen makaber anmuten, aber die Diskussion über die Armutsstudie - das ist sie in meinen Augen - erinnert mich schon ein wenig daran.
Die sogenannte Sozialstudie offenbart bei näherem Hinschauen einige Missstände, die man hier einmal nennen sollte. Ich möchte eine Gruppe herausgreifen. Es sind die Frauen, die Hälfte unserer Bevölkerung. Sie ist in meinen Augen überproportional betroffen, gerade von Altersarbeitslosigkeit. Speziell möchte ich auf Frauen im Niedriglohnsektor hinweisen. Die größte Gruppe im Niedriglohnsektor sind Frauen. Sie macht einen Riesenanteil aus; bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind es 75 Prozent. In Zahlen sind das 53.600 betroffene Frauen. Um sich das vorzustellen, muss man überlegen, dass ein ganzer Landkreis wie St. Wendel 91.000 Menschen hat oder Merzig-Wadern 105.000. Also die Hälfte der Menschen, die dort leben, würde in diesem Niedriglohnsektor als Frau arbeiten. Die 25 Prozent Männer sind hier noch gar nicht dabei. Die Zahlen halte ich für eine Katastrophe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man da nicht endlich etwas dagegen tun möchte.
Das nächste Problem stellt sich genau für diese Gruppe in dem Moment, in dem die Konjunktur wieder anspringt. Zuerst bekommt nämlich nicht gerade die Mehrheit der Frauen einen Arbeitsplatz, sondern in erster Linie die Männer und die Frauen sind wieder die Benachteiligten. Die Rückkehr in ein Arbeitsverhältnis stellt sich also auch hier als großes Problem dar. Perspektivisch bedeutet dies, dass die Frauen in Zukunft unter erheblicher Altersarmut leiden werden. Wir haben es also auch hier bei der Altersarmut gerade mit Frauen zu tun. Man sagt auch: Die Altersarmut hat ein weibliches Gesicht.
Eine weitere Gruppe, die hier genannt werden muss und nur wenig zur Geltung kam, sind die Migrantinnen und Migranten. Bereits im Kindergarten und in der Ausbildung sind sie schlechter gestellt. Wir haben in unseren Förderschulen einen wesentlich höheren Satz an Migrantinnen und Migranten, als dies laut Statistik normalerweise üblich sein dürfte. Mit anderen Worten gesagt: Da es normalerweise im Durchschnitt nicht mehr förderbedürftige Kinder unter den Migrantinnen und Migranten geben kann, sind zu viele Kinder in Schulen mit Förderbedarf. Das heißt, sie sind wahrscheinlich wegen sprachlicher Probleme dorthin zurückversetzt worden.
Im weiteren Ausbildungsverlauf zeigt sich in den Familien mit Migrationshintergrund eine deutlich geringere Qualität bei den Ausbildungsabschlüssen. Also auch beruflich setzt sich dieses Problem fort. Dies gipfelt in den Arbeitslosenzahlen. Hier sind Migrantinnen und Migranten überdurchschnittlich stark von der Arbeitslosigkeit betroffen. Halten wir uns vor Augen, dass im Bundesdurchschnitt jedes vierte Kind, das zur Welt kommt, einen Migrationshintergrund hat, so lässt sich daran schon erkennen, was hier an Problemen auf uns zukommt.
Ich möchte einen weiteren Punkt beleuchten, der auch auf diese Sozialstudie zurückgeht. Wir haben in der Sozialstudie keine direkte Auswertung von Hartz-4-Betroffenen, weil es noch zu wenig genaue Ergebnisse gibt. Es gibt einzelne Befragungen in dem Bereich. Da zeigen sich einige Missstände. Betroffene beklagen sich über die Ablehnung von Bescheiden. Das gibt es im Sozialbericht insbesondere an einer Stelle, die ich gerne zitieren möchte. „Problematisch ist es, ein Darlehen der Arge zur Finanzierung teurer Haushaltsgeräte oder Möbel“ - gemeint sind hier Bügeleiseisen oder ein kleiner Kühlschrank - „zu erhalten. Hierzu ist häufig ein Widerspruch erforderlich. Diese Verwaltungspraxis wird auch von den Mitarbeitern der GWA häufig beobachtet.“ Da dies neueren Untersuchungen zufolge gängige Praxis ist, dass diese Anträge erst einmal abgelehnt werden, muss die Frage nach der Redlichkeit im Umgang mit Menschen und deren Anliegen hinterfragt werden.
Hier schließt sich der Kreis. Vor allem Alleinerziehende sind hiervon betroffen und tragen das größte Armutsrisiko. Hier muss Abhilfe geschaffen werden. Hier muss man nicht nur wollen, hier muss man endlich einmal anpacken und etwas tun. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Hoffmann-Bethscheider, ich möchte die Bemerkung aufgreifen, die Sie bezüglich des wirtschaftlichen Engagements von Christoph Hartmann getätigt haben. Würde er sich im Saarland engagieren, dann würden Sie ihm Klientelpolitik vorwerfen oder - wie wir es heute Morgen gehört haben - er wäre ein windiger Unternehmer. Man sollte einfach hinnehmen, dass er sich engagiert.
Frau Kollegin Spaniol, die 100 Euro, die Sie beim Schulstarterpaket angesprochen haben, mögen für Sie Peanuts sein. Dann gehören Sie vielleicht zu den Reichen. Für viele Familien ist es aber eine Entlastung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, quer durch alle Fraktionen besteht Konsens, dass Armut eine Schande für unsere Gesellschaft ist. Das haben wir bei den Vorrednern erfahren. Wir sind uns auch einig, dass Armut bekämpft werden muss. Aber wir sind uns auch einig, dass wir unterschiedliche Wege beschreiten werden und wollen. Das geht auch aus den Anträgen hervor. Aber das Ziel muss sein, dass wir bei der Armutsbekämpfung letztendlich gemeinsam weiterkommen.
Die angesprochene Sozialstudie, die seit 14 Tagen vorliegt und die hier in den einzelnen Bereichen bereits sehr dezidiert erörtert wurde, zeigt, dass wir auf einem richtigen Weg sind: Das Saarland ist nicht mehr das Armenhaus der Nation, auch wenn es noch oft herbeigeredet wird. Manche hoffen, dass es so ist, um noch etwas mehr Zündstoff in die Debatte bringen zu können. Aber die Studie zeigt auch ganz deutlich, dass wir keinen Grund haben, die Hände in den Schoß zu legen.
Armut kann jeden treffen. Armut kann unterschiedliche Ursachen haben. Sie können im ökonomischen, materiellen, familiären, sozialen oder auch im gesundheitlichen Bereich liegen. Deshalb ist Armutsbekämpfung eine Querschnittsaufgabe, auch, weil viele Armutsfälle aus Mehrfachbelastungen resultieren. Wir müssen deshalb die vielen Einzelprojekte aus den unterschiedlichen Bereichen besser miteinander vernetzen. Das heißt, wir müssen sämtliche Hilfen und Projekte so optimieren, dass Parallelstrukturen abgebaut und lokale wie regionale Hilfssysteme zu kompletten Netzwerken verbunden werden. Hier ist schon häufiger das Projekt „Keiner fällt durch’s Netz“ genannt worden. Dieses Projekt muss man hier noch einmal herausstellen.
Die Studie zeigt weiter, dass die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Kinder- und Altersarmut nach wie vor hohe Priorität hat. Das bedeutet, wir müssen möglichst vielen Menschen die Teilhabe am Erwerbsleben ermöglichen und dafür sorgen, dass Familie und Beruf vereinbar sind. Gerade Alleinerziehende sind oft von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ausgeschlossen. Wobei man da differenzieren muss: Auch Alleinerziehende haben teilweise nur den Anspruch, in einem nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis arbei
ten zu wollen. Die Ausgeschlossenheit von diesen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen erhöht nicht nur das Risiko der Armut der alleinerziehenden Mütter oder Väter - das gibt es immer stärker -, sie erhöht auch das Armutsrisiko der Kinder und das Risiko der Altersarmut der Betroffenen.
Abhilfe kann hier ein umfassendes Betreuungsangebot für Kinder schaffen, das für die Vereinbarkeit von Kind und Beruf sorgt. Durch Kinderarmut darf kein Kind von einem kindgerechten Leben ausgeschlossen oder seine Bildungschancen geschmälert werden. Auch das ist Konsens. Die gezahlten SGB-IIRegelsätze für Kinder, die von den ErwachsenenRegelsätzen abgeleitet werden, sind eindeutig zu niedrig und müssen schnellstmöglich dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Die gegenwärtigen Regelsätze gehen jedoch weit an der Realität vorbei. Ich denke, da herrscht Konsens im ganzen Parlament.
Diskussionsbedarf sehen wir jedoch bei der Höhe und bei der Frage, wie wir sicherstellen wollen, dass das Geld auch bei den Kindern ankommt. Bevor wir uns aber über die Höhe der Regelsätze unterhalten, sollten wir das noch ausstehende diesbezügliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten.
Zu dem Antrag der SPD. Sie fordern einen Reichtumsbericht. Ich weiß nicht, welche Einsichten er uns für das Saarland bringen soll. Dass wir zu wenige, zu viele oder zu arme Reiche haben?
Ich sage: Wenn ich Reichtum habe, fahre ich zum Teil auf den Oberlimberg. Und wenn man sich die Studie ansieht -
Ich komme aus Saarlouis; ich fahre öfters dort oben vorbei. Das hat jetzt nichts mit einem Herrn zu tun, der dort oben gewohnt hat.
Oder dient es ganz einfach dazu, dass man als Mitglied der LINKE-Fraktion sagen kann, man liege mit seinem Nettoeinkommen unter der Grenze des Reichtums, und damit man Solidarität zeigen kann?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Bekämpfung der Armut und insbesondere der Kinderarmut wollen wir über den Bundesrat eine bedarfsgerechte Erhöhung der SGB-II-Regelsätze für Kinder und Jugendliche und eine beschleunigte Aktualisierung der Regelsätze für Erwachsene erreichen. Wir fordern weiterhin, die Sozialberichterstattung kontinuierlich fortzusetzen und - wie es auch im Ko
alitionsvertrag festgeschrieben ist - um den Bereich „Kinderarmut“ zu ergänzen. Weil Armutsbekämpfung eine so vielschichtige Aufgabe ist, brauchen wir eine weitere Vernetzung sämtlicher diesbezüglicher Maßnahmen. In unserem Antrag fordern wir deshalb einen Aktionsplan, der Kinderarmutsprojekte, Hilfsstrukturen, Arbeitsmarktprogramme und Betreuungsstrukturen ausbaut und aufeinander abstimmt. Nur so können wir Armut nachhaltig bekämpfen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Auch ich von der Fraktion der FDP biete Ihnen hier ein Gespräch an. Wir können in den Ausschüssen zusammenarbeiten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Herr Prof. Dr. Heinz Bierbaum von der Fraktion DIE LINKE. Sie wissen, dass Sie nur noch eine ganz kurze Redezeit haben.
Das ist mir bekannt. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um eines ganz deutlich zu machen: Die Sozialstudie ist für uns alle ein Auftrag zum Handeln. Ich halte wenig davon, verschiedene Rankings gegenüberzustellen. Wir sollten uns nicht zwischen den Polen „Armenhaus auf der einen Seite, Aufsteigerland auf der anderen Seite“ bewegen; das trifft die Problematik nicht. Es gibt vielmehr eine ganze Menge an Defiziten, die wir anpacken müssen. Eine Bemerkung muss ich allerdings doch machen: Manchmal wird mit bestimmten Indikatoren schon sehr unverantwortlich umgegangen. So ist es zum Beispiel wissenschaftlich völlig falsch, den Ländermedian anzulegen. Für den Bundesvergleich braucht man vielmehr den Bundesmedian. Man sollte also die Probleme weder verharmlosen noch beschönigen, sondern wirklich beim Namen nennen.
Ich bin der Auffassung, dass wir all diese Maßnahmen, die in den verschiedenen Anträgen enthalten sind, aufgreifen sollten.
Ich bin sofort fertig. - Was wir allerdings auch brauchen, ist ein grundsätzlicher Kurswechsel, der weit über die unmittelbaren Defizite hinausgeht. Das heißt, wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die auf die Schaffung guter Arbeit ausgerichtet ist. Wir brauchen zusätzlich einen öffentlichen Beschäftigungssektor, und wir brauchen eine Umkehr im Denken. In diese Richtung müssen wir vorwärtsgehen. Deswegen sehe ich die Sozialstudie in diesem übergreifenden Zusammenhang. Es war mir wichtig, dies hier noch einmal dargestellt zu haben. Ich bitte Sie da
her, unserem Antrag zuzustimmen. Wir stimmen dem Antrag der SPD zu und werden den Antrag der Regierungskoalition ablehnen, weil er uns nicht weit genug geht.
Die CDU-Fraktion überträgt ihre Redezeit an die Fraktion DIE GRÜNEN. Deshalb gebe ich nun der Abgeordneten Claudia Willger-Lambert das Wort. Sie haben noch sechs Minuten und vier Sekunden.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin für die letzten Worte von Herrn Professor Bierbaum ausdrücklich dankbar. Es geht bei der Sozialberichterstattung einfach darum genau festzustellen, an welchen Punkten Handlungsbedarf besteht. Es geht darum, Probleme aufzudecken. Dies ist die Aufgabe einer derartigen Studie und etwas, das wir seit langem gefordert haben. Wir sind froh, dass es jetzt vorgelegt wurde, nachdem es ja schon im Jahr 2008 in Auftrag gegeben worden war. Es ist nunmehr unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Sozialberichterstattung in ihrer Komplexität weitergeführt wird und dass Sozialpolitik immer wieder ausgewertet wird. Dazu gehört auch die Frage, was greift und was nicht. Es ist einfach die Grundlage unserer Handlungskonzepte, und ich denke, es hilft wirklich niemandem in unserem Land, wenn versucht wird, alles Mögliche in einen Topf zu werfen, wenn jetzt auf einmal auch jede Teilzeitbeschäftigung ein Problem darstellt und so getan wird, als müssten wir auch sie generell verbieten. Es gibt für alles bestimmte Gründe.
Als saarländischer Landtag haben wir vor allem die Aufgabe, noch einmal genau festzulegen, welche Möglichkeiten und Handlungskompetenzen wir als Land haben. Wir müssen mit bundespolitischen Gegebenheiten umgehen, wenn wir sie nicht verändern können. Wir müssen aber auch die Aufgabe wahrnehmen, bestimmte Dinge anzustoßen und zu koordinieren. Von daher, denke ich, wird mit dem vorliegenden Antrag noch einmal deutlich, dass der Aktionsplan „Armutsbekämpfung“ folgen muss, dass er eine notwendige Konsequenz ist. Die Voraussetzungen dafür, wie bestimmte Dinge weiterevaluiert werden, um noch passgenauere Angebote formulieren zu können, sind ja hier dargestellt worden.
Ich habe zu Beginn meiner Rede bereits ausgeführt, dass es wichtig ist, dass sich nicht jeder in die Verantwortungslosigkeit flüchtet und zunächst einmal auf eine mögliche Zuständigkeit von jemand anderem pocht. Hier ist es wichtig, dass ein gesellschaftlicher Grundkonsens herrscht, dass Projekte miteinander vernetzt werden und dass Projekte und Strukturen, die sich jetzt aufgrund der Sozialstudie als ef