Protocol of the Session on September 21, 2017

Das Wort für die AfD-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Jörg Nobis.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Stegner - er ist leider nicht mehr da -, Sie möchten, dass der Landtag heute beschließt, dass sich Europa wieder auf ein solidarisches Miteinander besinnt. Sie streben die europäische Sozialunion an und wollen den europäischen Mitgliedstaaten die deutsche Flüchtlingspolitik quasi aufzwingen. Par ordre du mufti wird das sicherlich nicht gelingen, Herr Dr. Stegner, weder durch Beschluss hier in Kiel noch durch das Agieren von Angela Merkel in Berlin.

Glauben Sie etwa, dass sich die anderen Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Asylrecht einlassen, wie es Ihnen vorschwebt? Die Polen und Ungarn pfeifen schon heute auf Ihr Ansinnen, Europa weiterhin mit Millionen von Flüchtlingen zu fluten.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Oh Manno!)

Die Briten haben aufgrund der Großen Koalition und Ihrer Flüchtlingspolitik die blauen EU-Fahnen

gleich ganz eingeholt. Damit geht der Brexit zum Teil auf das Konto von Frau Merkel.

(Hartmut Hamerich [CDU]: Das hat über- haupt nichts damit zu tun!)

Haben Sie noch immer nicht begriffen, dass sich europäische Staaten verstärkt von der EU abwenden und die überbordende Brüsseler Bürokratie sowie die deutsche Hegemonie ablehnen?

Die europäische Idee ist in der Tat in ein schwieriges Wasser geraten. Ich bedaure das auch. Aber es ist durch und durch ein hausgemachtes, ein Brüsseler Problem.

Viele Staaten beanspruchen gern diverse Fördergelder aus den vielen EU-Töpfen, aber pfeifen auf Ihre SPD-Träume von grenzenloser Solidarität. Deutschland ist mittlerweile doch nichts weiter als lieb gewonnener Nettozahler.

Wegen der deutschen Politik der offenen Grenzen erklärt uns mittlerweile die halbe Welt für bescheuert

(Christopher Vogt [FDP]: Die AfD!)

oder schüttelt zumindest den Kopf. Rund zwei Drittel aller Asylanträge wurden in Deutschland gestellt, nur ein Drittel in den übrigen 27 Staaten. Nach geltender Rechtslage hätte kaum ein Antrag hier auch nur gestellt werden dürfen. Lesen Sie doch einmal das Grundgesetz!

Unsere Nachbarn in Dänemark führen strikte Grenzkontrollen durch und bilden nun auch reguläre Soldaten für den Grenzschutz aus. Die Dänen machen nämlich bei Ihren Träumereien einer grenzenlosen und solidarischen Welt nicht mit.

Die Griechen hängen am Geldtropf und sind so süchtig nach Geldspritzen wie Drogenabhängige nach Heroinspritzen.

(Widerspruch SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da fällt die Flüchtlingskrise schon nicht mehr ins Gewicht.

Und die Italiener? - Die Italiener freuen sich über Draghis Geldpolitik, aber erwarten, dass alle aus Seenot geretteten Personen möglichst schnell den Brenner Richtung Norden passieren. Nur die erkaufte Rücksicht auf Frau Merkel und die Bundestagswahl motiviert Italien derzeit zur Zurückhaltung bei der Weiterschleusung.

In Österreich regt sich zwar derweil Protest, aber solange die Flüchtlinge direkt nach Bayern weiter

(Vizepräsident Oliver Kumbartzky)

reisen können, scheint die österreichische Welt noch einigermaßen in Ordnung.

Ein Blick in die europäische Runde, und Sie merken: Die EU gleicht im Süden eher einem Schlepper- und Schleuserkartell. Ich frage mich, wie lange Italien dieses Spiel noch mitmacht, bevor es seine Häfen für NGO-Fluchthelfer-Wassertaxis schließt. Beschäftigen Sie sich bitte einmal mit dem internationalen Seerecht! Danach sind wir zwar zur Seenotrettung verpflichtet - das sage ich ganz ausdrücklich -, aber es gibt keine rechtliche Verpflichtung, aus Seenot gerettete Personen nach Italien zu verschiffen und in Europa aufzunehmen.

Ihr Wunsch, die Flüchtlinge innerhalb der EU solidarisch zu verteilen, wird nur ein Wunsch bleiben, weil andere Staaten nicht mitziehen werden. Da können wir hier in Kiel beschließen, was wir wollen. Alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben noch nie ihre nationalstaatlichen Interessen aus den Augen verloren. Nur die ganz große Koalition der deutschen Selbstaufgabe von CDU über SPD bis hin zu den Grünen möchte, dass Deutschland komplett in Europa aufgeht.

(Dennys Bornhöft [FDP]: Ja!)

Liebend gerne würden Sie auch die Finanzhoheit Deutschlands nach Brüssel übertragen und den Bundestag zu einer Einrichtung werden lassen, die nur noch EU-Vorgaben in deutsche Gesetze umsetzt. Aber das wollen die Bürger nicht, und wir lehnen das aus Überzeugung ab.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Was wir wirklich brauchen, ist eine Reform und Verschlankung des EU-Beamtenapparats. Der Brexit sollte Ihnen doch allen Warnung genug gewesen sein. Bevor Sie nun eine europäische Sozial- und Finanzunion fordern, letztlich zulasten der deutschen Steuerzahler, sollten Sie vielleicht bestrebt sein, die EU von innen heraus zu stabilisieren und zu reformieren. Versuchen Sie doch, die EU zu verschlanken, sie überhaupt zusammenzuhalten, und fordern Sie nicht noch eine Erhöhung der Rotationsgeschwindigkeit. Die Fliehkräfte sind schon jetzt hoch genug.

Weniger Zentralismus, weniger Bürokratie, weniger Bevormundung, dafür mehr Verantwortung in den Nationalstaaten und in den Regionen, die näher an den Bürgern sind, als es Brüssel jemals sein könnte.

All das ist kein Widerspruch zur Kooperation auf wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher

Ebene. Es ist vielmehr das Fundament der europäischen Friedensordnung, bevor zentralistische Großmachtsfantasien in Brüssel die im Wesentlichen guten Ansätze europäischer Zusammenarbeit in Projekten der Europäischen Union ausgehebelt haben. Aber wir haben uns ja auch schon daran gewöhnt, dass Sie die EU immer mit Europa gleichsetzen. Europa ist jedoch viel mehr als die Europäische Union. Zu Europa gehören immerhin 23 Staaten, die bislang noch nicht Mitglied der EU sind und es teils nicht einmal werden wollen.

Was ist mit Russland? - Auch Moskau ist eine europäische Metropole. Zu Russland lese ich nichts in Ihrem Antrag. Dabei ist gerade für Deutschland eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland von großer Bedeutung.

Wir lehnen den SPD-Antrag klar ab.

(Beifall AfD - Zuruf: Unglaublich!)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Jette Waldinger-Thiering das Wort.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Ich glaube, es ist selten, dass wir eine solch lebendige Debatte zu Europa in diesem Plenarsaal haben. Das mag vielleicht dem Umstand geschuldet sein, dass unsere ehemalige Europaministerin Anke Spoorendonk heute 70 Jahre alt wird. Tillykke, kære Anke!

(Beifall)

Es ist kein Geheimnis, dass die EU derzeit vor enormen Herausforderungen steht: der Ausstieg eines Mitglieds aus der Union, der Streit um die Aufnahme von Geflüchteten, die Frage nach der Sicherheit, nach sozialen Standards und Wohlstand. Sie alle kennen diese Herausforderungen. Schleswig-Holstein steht in Bezug auf die genannten Herausforderungen nicht außen vor. Im Gegenteil, wir sind mittendrin.

Von daher ist es richtig, dass wir uns als Parlament dieses Landes heute dieser Debatte widmen. Ja, Europa muss sich immer wieder auf sein solidarisches Miteinander besinnen. Dies gilt heute genauso wie zur Gründungszeit der Europäischen Union. Es gilt abermals, die Gräben zuzuschütten. Die Gräben mögen nun nicht mehr so sehr zwischen Frankreich und Deutschland bestehen, sondern heute sind es vielmehr die Gräben zwischen West- und Ostbeziehungsweise Mitteleuropa, die es zuzuschütten

(Jörg Nobis)

gilt. Dies kann nur funktionieren, wenn sich die jeweiligen Mitgliedstaaten auf Augenhöhe begegnen können. Es ist daher auch unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass diese Augenhöhe innerhalb der Union nicht abhandenkommt. Dies verstehe ich persönlich auch als Aufgabe der Landesregierung.

Was wir als SSW zudem als Aufgabe der Landesregierung verstehen, ist, für einen offenen SchengenRaum zu werben und für diesen offenen SchengenRaum auch einzustehen. Denn klar ist: Das Schengen-Abkommen wird derzeit ganz klar herausgefordert. Aus unserer Sicht wäre es wirklich bedauerlich, wenn wir als Schleswig-Holsteiner einfach nur dabei zusehen würden, wie sich das Abkommen immer weiter aufweicht, bis nur noch ein Gerippe übrig bleibt.

Was in Bezug auf den Antrag ebenfalls zu begrüßen ist, ist, den sozialen Aspekt stärker zu berücksichtigen, wenn wir über die Politik der Europäischen Union sprechen. Ja, auch wir wollen, dass die EU sozialer wird. Die Liberalisierung der Märkte und des Arbeitsmarktes und die Rechte der Arbeitnehmer müssen in allen EU-Staaten gesichert werden. Innereuropäisches Lohndumping muss eingedämmt werden, und die Jugendarbeitslosigkeit in der EU muss endlich thematisiert und mit gezielten Maßnahmen bekämpft werden.

Wenn wir aber schon bei der sozialen Fragestellung innerhalb der EU sind, dann ist es ganz sicher das Thema Minderheitenrechte. Dieses vermissen wir. Dabei denke ich besonders an die Roma und Sinti. Rund 10 Millionen bis 12 Millionen von ihnen leben in Europa und stehen massiver sozialer Ausgrenzung gegenüber. Sie leben oft als Randgruppe unter äußerst prekären sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen.

Auch wenn es inzwischen eine von der EU beschlossene Roma-Strategie gibt, so bleibt diese Thematik doch weiterhin die vielleicht größte soziale Herausforderung dieser Zeit. Auch wir in Schleswig-Holstein sollten uns in dieser Hinsicht einbringen und vor allem die vom Land unterstützten Projekte auf dem Balkan auch in Zukunft fortführen und sogar noch vertiefen.

(Beifall SSW)

Wir als SSW werden in dieser Hinsicht das Handeln der Landesregierung mit Argusaugen beobachten.

Wir stehen dem im Antrag genannten Punkt zur Wirtschafts- und Währungsunion, einem gemeinsamen Finanzbudget der Europäischen Union sehr

kritisch gegenüber. Ein gemeinsames Finanzbudget und eine Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum werden nicht zur Akzeptanz der Menschen beitragen. Deutschland kann solche Lücken im Besteuerungssystem schon jetzt schließen. Dazu braucht es im Prinzip keine supranationale Körperschaft. Um es mit Junckers Worten zu sagen: Die Europäische Union ist kein Staat, und sie darf auch nie ein Staat werden.

(Beifall SSW)

Es ist sicher richtig, dass sich die EU immer wieder weiterentwickeln muss, und von daher ist es auch richtig, dass jetzt neue Reformen diskutiert werden. Für anstehende gemeinsame Aufgaben, die uns alle betreffen, müssen wir eine gemeinsame Lösung finden. Dies darf aber niemals über die Köpfe der Mitgliedstaaten hinweg und niemals durch eine weitere Zentralisierung geschehen.

Für den SSW gilt: Wir wollen keinen gesamteuropäischen Staat mit einer zentralen europäischen Regierung, sondern eine kooperierende EU, in der nationalstaatliche und regionale Besonderheiten angemessen und gleichberechtigt Berücksichtigung finden. Wir wollen eine Europäische Union der Regionen.