Protocol of the Session on January 23, 2020

- Sie müssen uns nicht immer sagen, was wir bezwecken wollen; es reicht, wenn Sie den Text erfassen; damit scheint es bei Ihnen aber durchaus Probleme zu geben.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Ich möchte noch einmal kurz erklären, warum wir den jetzigen Zeitpunkt gewählt haben. Herr Bornhöft, Ihre Kritik scheint an der Stelle zunächst sach

(Flemming Meyer)

lich begründet zu sein. Ich will die Arbeit und Kritik an der Pflegeberufekammer begleiten. Es ist wichtig, auch von den Pflegefachkräften zu erfahren, was sie letztlich wollen.

Die Pflegeberufekräfte beraten sich bis Anfang 2021. Dann muss die Beratung über das Pflegekräftegesetz noch nicht abgeschlossen sein. Das wissen wir aus anderen Gesetzentwürfen, die von unserer Seite aus schon länger auf Halde liegen. Wir können an der Stelle wirklich abwarten und sehen, was bis dahin passiert. Wir haben aber bereits jetzt Signale aus der Pflegeberufekammer selbst, die besagen: Diese Anschubfinanzierung ist nicht ausreichend.

Sie selbst haben vorhin die Frage aufgeworfen: Was ist, wenn sich die Delegierten dagegen aussprechen? Wie machen wir dann weiter? Dann treffen wir uns möglicherweise hier wieder, und dann haben wir als Alternativvorschlag eben den Vorschlag der Alternative auf dem Tisch liegen.

(Jörg Nobis [AfD]: So ist das!)

Lassen Sie uns gern darüber reden. Ich freue mich über die Fachdiskussion, denn auch eine Vereinigung, wie sie uns vorschwebt, wird sich in diesem ganzen Wettbewerb erst beweisen müssen. Sie wird zeigen müssen, ob sie diese Möglichkeiten und Anforderungen erfüllen kann. Also lassen Sie uns das gern parallel bearbeiten und begleiten. Den Vorwurf der Unredlichkeit und des Timings weise ich an der Stelle deutlich zurück. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Pflegekammern oder Pflegeberufekammern sind in ganz Deutschland noch relativ junge Einrichtungen. Ich korrigiere ungern, aber es war Rheinland-Pfalz, das als erstes Bundesland an den Start gegangen ist, fast gleichzeitig mit -

(Zuruf Birte Pauls [SPD] - Martin Habersaat [SPD]: Wir wollen nicht kleinlich sein!)

Fast gleichzeitig mit Niedersachsen wurde die Pflegeberufekammer im August 2018 in Schleswig

Holstein eingeführt, und in Nordrhein-Westfalen läuft derzeit ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist sich hier im Parlament ausreichend ausgetauscht worden.

Über die Frage der Mitgliedschaft und die Frage der Finanzierung gab es in allen Bundesländern von Anfang an einen sehr ähnlichen Streit. Das war bei uns in Schleswig-Holstein nicht anders. Ich habe dies in der vergangenen Legislaturperiode aus der Rolle der Opposition heraus auch immer wieder massiv kritisiert. Ich habe immer wieder auf die Unterschiede hingewiesen und die Frage gestellt, ob man eine vor allem aus abhängig Beschäftigten bestehende Berufsgruppe verkammern sollte.

Allerdings sage ich auch: Eine wirklich unabhängige starke Stimme eines Berufsstandes, der für die Pflege und die Versorgung von Menschen genauso unerlässlich ist wie beispielsweise der der Ärztinnen und Ärzte, ist grundsätzlich ein Mehrwert.

(Vereinzelt Beifall SSW und Beifall Martin Habersaat [SPD])

Ausgangspunkt für die Einführung der Pflegeberufekammer war eine Umfrage des Forschungsinstituts TNS Infratest im Jahr 2013. Ja, 51 % der Befragten haben damals für die Einführung einer solchen Kammer gestimmt. Richtig ist aber auch - darauf hat die Abgeordnete Rathje-Hoffmann hingewiesen -: Das kann man machen. Es wurde mit Ja gestimmt. 17 % der 51 % wären aber nicht bereit gewesen, Beiträge zu leisten. Das ist ein bisschen das heutige Legitimationsproblem. Da beißt die Maus keinen Faden ab. 2014 legte die damalige Koalition aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW einen ersten Gesetzentwurf vor. 2015 folgte dann der Landtagsbeschluss zur Errichtung der Kammer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines will ich an der Stelle ganz klar und unabhängig davon, wie man zur Einrichtung der Kammer steht, festhalten. Wir haben das damals aus der Opposition heraus nicht nur ausgesprochen kritisch beobachtet, sondern uns auch sehr kritisch eingebracht. Das ist ein demokratischer Beschluss dieses Landtages mit Mehrheit gewesen. So zu tun, als ob das irgendwie eine undemokratische Nacht-und-Nebel-Aktion gewesen sei, finde ich ausgesprochen problematisch. Man darf demokratische Mehrheitsentscheidungen kritisieren. Man darf Alternativen aufzeigen. Sie aber so darzustellen, als seien sie undemokratisch, damit habe ich ein Problem, denn es ist das Grundwesen der Demokratie, dass demokratische Mehr

(Claus Schaffer)

heitsentscheidungen vom Ort der höchsten Willensbildung aus, und das ist dieser Landtag für Schleswig-Holstein, getroffen werden und wurden.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Anschließend wurde der Errichtungsausschuss bestellt, der sich um die Errichtung der Kammer kümmerte, und zwar durch die Registrierung der Mitglieder, den Aufbau einer Infrastruktur und die Vorbereitung der Kammerwahlen. Im März 2018 fanden dann bei einer Wahlbeteiligung von rund 20 % die ersten Wahlen statt. Im April folgte die erste konstituierende Sitzung der Kammer.

Die heutige Streitfrage der Pflichtmitgliedschaft sorgte bereits während der Errichtung der Kammer, also während der vergangenen Legislaturperiode, immer wieder für teils heftige Widerstände der Berufsangehörigen der Pflege. Die Hauptkritikpunkte an der Pflegeberufekammer haben wir mit dem Landtagsbeschluss im Dezember konstruktiv und demokratisch aufgegriffen. Das sage ich in allem Ernst und meine es genauso deutlich wie das, was ich gerade zur Frage der demokratischen Legitimation gesagt habe.

Die Pflegeberufekammer kann demnach eine erweiterte Anschubfinanzierung von 3 Millionen € erhalten. Im ersten Quartal 2021 sollen dann alle Mitglieder in einer Urabstimmung über die Zukunft der Kammer entscheiden. Dieses Ergebnis wäre für die Landesregierung bindend. Ich sage Ihnen: „Das wäre auch ein einmaliges Verfahren in Deutschland“, und ich sagen Ihnen: „Ich finde, das ist ein faires Kompromissangebot in beide Richtungen“.

(Beifall FDP, SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um es ganz deutlich zu sagen, ich kann es schlicht nicht beurteilen: Sind es 1.000 Pflegerinnen und Pfleger, die zutiefst unzufrieden sind? Ich sage, das wären 1.000 zu viel, denn wir brauchen jede und jeden von ihnen. Sind es aber 1.000 von über 27.000, dann braucht sich die Pflegeberufekammer vor einer Urabstimmung überhaupt keine Sorgen um ihre Existenz zu machen. Oder es ist eine große Mehrheit? Dann hätte die Pflege, dann hätten auch wir ein Problem damit.

Deswegen appelliere ich heute von hier aus noch einmal, diesen Kompromiss anzunehmen. Möglicherweise müssen sich nicht nur die ehrenamtlichen, sondern auch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Frage der Existenz der Pflegeberufekammer gar keine Sorgen machen,

weil sie überzeugend in die Pflege hineinwirkt. Diese Chance besteht, und diese Chance sollten beide Seiten in einem fairen und konstruktiven Prozess nutzen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem vorliegenden Gesetzentwurf verlieren. Es macht ja bei den Gesetzentwürfen der AfD manchmal Spaß, sie genauer anzugucken. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich weiß nicht, wie genau alle diesen AfD-Antrag gelesen haben. Es lohnt sich, einen Blick hineinzuwerfen, denn er enthält doch die eine oder andere Paradoxie, falsche Bezeichnungen und fehlerhafte Bezüge. Offenbar handelt es sich, sagen wir es einmal freundlich, um eine fehlerhafte Zusammenstellung eines Gesetzes aus Bayern und des hiesigen Pflegekammergesetzes.

Ich verspreche Ihnen, es lohnt sich. Aus Bayern wurde übernommen, dass die Mitgliedschaft grundsätzlich freiwillig ist. Zur Frage, wer Mitglied sein darf, wurde der Passus der Pflichtmitgliedschaft aus dem hiesigen Pflegeberufekammergesetz abgeschrieben. Diese Kombination der Gesetze führt zu der Kuriosität, dass zunächst bestimmt wird, die Mitgliedschaft in der Vereinigung sei grundsätzlich freiwillig, danach wird die Zugangsberechtigung für Pflegefachpersonen definiert, und anschließend wird erklärt: Bestimmte weitere Berufsangehörige können der Vereinigung freiwillig beitreten. Diese können also freiwillig einer grundsätzlich freiwilligen Vereinigung beitreten. Potzblitz, da hat jemand sehr intensiv, aber nicht ganz richtig das Notwendige zusammengebracht.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann zu geschlechtergerechter Sprache stehen, wie man will. Es ist aber ein Treppenwitz, dass Sie bei einer Berufsgruppe, die zu über 80 % aus Frauen besteht, darüber hinweggehen und ausschließlich männliche Bezeichnungen wählen. Das sollte selbst Ihnen zu denken geben. Was soll das denn für ein Signal an die Frauen in der Pflege sein?

Sie wollen die doch vertreten beziehungsweise Sie behaupten, dass Sie die vertreten wollen, legen sich aber mit denen an. Ich glaube nicht, dass sich Frauen vertreten fühlen, wenn Sie einfach in Gesetzentwürfen von anderen die weiblichen Formen ausradieren.

(Minister Dr. Heiner Garg)

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich habe mir vorgenommen, bei diesem Tagesordnungspunkt nicht zu lange zu überziehen. Aber eines muss ich doch noch sagen, weil es hier um etwas Fachliches geht. Es ist wirklich schade, weil Schleswig-Holstein hier richtig gute Arbeit geleistet hat. Dieser Entwurf ignoriert komplett die neuen Berufsbezeichnungen Pflegefachfrau und Pflegefachmann.

Wir haben jetzt eine Generalistik am Start. Seit Jahresbeginn gelten nämlich selbstverständlich auch für die Pflegeberufekammer die neuen Bezeichnungen. Zugleich gilt für die Pflegehilfeberufe die kürzlich in Schleswig-Holstein in Kraft getretene Verordnung über die Alten- und Krankenpflegehilfe. Ihr Entwurf aber orientiert sich an den alten Rechtsverordnungen.

Wenn Sie hier schon einen Vorratsbeschluss fassen lassen wollen, sozusagen nach dem Motto: Mal gucken, ob die Urabstimmung stattfindet oder nicht, im Zweifel gibt es ja dann noch die Hilfe der AfD die, glaube ich, hier in Wahrheit kein Mensch braucht -, also wenn Sie das schon machen wollen, dann sollte ein Vorratsbeschluss wenigstens die neuen fachpolitischen Entwicklungen mitdenken.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ein Letztes noch, Herr Schaffer, weil ich weiß, Sie sind immer dankbar für konstruktive Hinweise: Der Verweis aus § 1 Absatz 3, Berufsangehörige im Sinne von Absatz 1 Nummer 1 aus Ihrem Gesetzentwurf, passt nur zur Quelle, nämlich dem Pflegeberufekammergesetz. Im Gesetzentwurf der AfD bezieht sich der Verweis auf einen Absatz, der aus dem bayerischen Gesetz abgeschrieben wurde, der allerdings überhaupt keine Nummerierung enthält.

Insofern sage ich: Nachsitzen, wenn Sie hier wirklich etwas bewirken wollen. Gucken Sie sich das Ganze noch einmal an.

Ich glaube, wir haben eine vernünftige Alternative eingebracht. In allem Ernst: Ich wünsche mir in diesem Jahr eine konstruktive Debatte mit allen Pflegekräften, auch mit denen, die vehement auf die Straße gegangen sind. Wir brauchen nicht die Auseinandersetzung um Pflichtmitgliedschaft, ja oder nein, sondern wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen für die Frauen und Männer in der Pflege. Herzlichen Dank.

(Starker Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 19/1914 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen worden.

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne des Landtags Schüler und Schülerinnen der Gemeinschaftsschule Nortorf. - Herzlich willkommen hier heute im Landtag!

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 A auf: