Ein Geburtsfehler bei der gesetzlichen Kammergründung war allerdings die zu geringe finanzielle Anschubfinanzierung dieser neuen Körperschaft. Dies hatte die Konsequenz, dass die Kammer zu Lasten der Mitglieder schon mit einem deutlichen Schuldenberg startete. Das hätte man damals schon anders machen müssen, vielleicht wäre dann die Stimmung jetzt auch anders.
Wenn der Schleswig-Holsteinische Landtag eine Kammer als öffentliche Körperschaft wollte, hätte die Küstenkoalition auch die bedarfsgerechte Anschubfinanzierung sicherstellen müssen. Hierfür hat Jamaika nun der Kammer eine Möglichkeit mit 3 Millionen € nachträglicher Anschubfinanzierung eröffnet. Dies ist allerdings an eine Vollbefragung aller Pflichtmitglieder zu Beginn nächsten Jahres über die Zukunft der Pflegeberufe gekoppelt, um die Situation zu befrieden.
Wir machen es nämlich nicht mit, eine Institution dauerhaft am Leben zu erhalten, wenn tatsächlich eine Mehrheit derjenigen, für die sie geschaffen wurde, wiederkehrend dagegen demonstriert und diese ablehnt.
- Frau Raudies, genau das ist die Frage: Ist es denn eine Mehrheit? Deswegen ist es wichtig, dass wir das nicht hier unter 73 Abgeordneten besprechen, sondern die 27.000 Pflegekräfte darüber entscheiden. Wenn sich die 27.000 Pflegekräfte mehrheitlich für die Kammer aussprechen, bin ich der Letzte, der dann noch dagegenspricht.
- Ja, das ist ein Wort. Herr Stegner, ich hoffe, auch Sie. Das werden wir ja sehen. Eine Vollbefragung hätte die höchste Legitimität, was die Kammer angeht.
Damit das so kommt, muss die Kammerversammlung am 30. Januar 2020 noch einen Beschluss fassen; bisher haben die 40 Kammerdelegierten das nicht gemacht. Wir hoffen, dass sich das Präsidium und die Kammerversammlung nicht gegen die mehreren Tausend Demonstranten stellen werden. Die Proteste werden sonst sicherlich nicht kleiner und nicht weniger.
Die Situation der Pflege würde es auch nicht verbessern, wenn das weiter in der Luft schwebt und die nächsten Monate so weitergeht. Das wäre keine werbende Maßnahme, den Pflegeberuf in Schleswig-Holstein aufzunehmen. Deswegen ist es uns wichtig, dass die Vollbefragung stattfindet - mit einem gewissen Abstand, damit man auf allen Seiten über das Für und Wider einer Kammer sachlich diskutieren kann.
Der Gesetzentwurf der AfD ist überwiegend das Modell der Bayerischen Landesregierung. Bei der Variante der freiwilligen Mitgliedschaft und einer beständigen Finanzierung durch das Land bin ich ziemlich skeptisch, ob diese Vereinigung dauerhaft, autonom und ohne externen politischen Einfluss agieren kann. Ich glaube das nicht. Das haben auch viele Vorredner gesagt.
Das größte Problem, das ich mit dem Gesetzentwurf habe, ist der zeitliche Ablauf. Der Landtag hat im Dezember gerade erst ein Verfahren auf den Weg gebracht, dass es 2021 zur Vollbefragung kommen soll.
Für mich wäre es politisch unredlich, diesen Prozess, der zu einem objektiven Meinungsbild der Betroffenen führen wird, zu untergraben. Wer so versucht, die Vollbefragung aller Pflichtmitglieder zu torpedieren, verpasst den Demonstrierenden einen Schlag ins Gesicht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frage, ob Pflegefachkräfte eine eigene Interessenvertretung brauchen, wird bekanntlich seit Jahren heiß diskutiert. Wir sagen Ja. Denn die Pflege im Gesundheitswesen hat bis heute nicht den Stellenwert, der ihr zusteht.
Es ist kein Geheimnis, dass der SSW traditionell skeptisch gegenüber der Kammeridee ist. Wir können uns auch eine Gesellschaft ohne Kammern vorstellen.
Aber wir leben in einem Land, in dem es Kammern gibt. Deshalb sehen wir bei den unterschiedlichen Ansätzen, die im Verlauf diskutiert wurden, durchaus die jeweiligen Vor- und Nachteile.
Für viele dreht sich hier alles nur noch um einen Punkt, und zwar den, ob eine Mitgliedschaft Pflicht oder freiwillig sein soll. Nach langer interner Diskussion haben wir die Entscheidung für eine Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer mitgetragen. Die Art, wie mit Worten Politik gemacht wird, dass einige „Pflicht“ durch „Zwang“ ersetzen, ist nur Stimmungsmache.
Überleg mal, ob solche Leute auch von „Wehrzwang“ reden würden oder „Schulzwang“! Das ist reine Stimmungsmache.
Wir haben trotzdem volles Verständnis dafür, dass auch ein relativ niedriger Beitrag im Portemonnaie schmerzen kann. Denn das Lohnniveau in der Pflege ist zu gering. Deshalb haben wir uns gleichzeitig immer dafür starkgemacht, dass der Beitrag niedrig bleibt. Das ist ein wichtiger Punkt, und wir werden uns natürlich auch weiter für angemessene Beiträge einsetzen.
Es geht aber um weit mehr als nur um Pflicht oder Freiwilligkeit. Es gibt eine Frage, die für uns viel grundlegender ist, und zwar die Frage der Unabhängigkeit einer solchen Institution. Die ist für den SSW die absolute Grundvoraussetzung. Nur wenn
ein Zusammenschluss der Pflegekräfte ausschließlich den eigenen Interessen verpflichtet ist, macht die Einrichtung Sinn. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht dagegen eine freiwillige Vereinigung vor, die ausschließlich nach Maßgabe des Landeshaushalts finanziert wird. Damit ist die Unabhängigkeit gerade nicht gegeben.
Ich will noch an einen Punkt erinnern: Dass wir in Schleswig-Holstein eine Pflegekammer haben, ist weder Willkür noch Zufallsprodukt. Der Wunsch nach genau dieser Art von Interessenvertretung kam aus der Pflege selbst.
Wir haben dieses Anliegen gemeinsam mit SPD und Grünen aufgenommen und uns mit den Betroffenen ausgetauscht. Unsere Küstenkoalition hat Arbeitsgruppen eingerichtet und umfassende Anhörungen mit fast 50 Verbänden, Gewerkschaften, Kammern und Institutionen durchgeführt. In einer viel zitierten, aber - wie wir auch heute wieder gehört haben - auch viel kritisierten repräsentativen Umfrage stimmten letztlich 51 % für die Kammergründung, 24 % stimmten dagegen. Aber all diese Fakten werden bei der Entstehungsgeschichte gern unterschlagen.
Gerade weil manche Akteure immer wieder den Eindruck vermitteln, eine Kammer diene nur dazu, Pflegekräfte zu quälen, will ich eines klarmachen: Unser Anliegen mit der Errichtung war, dass die Kammer dazu beiträgt, dem Pflegeberuf im Gesundheitswesen mehr Gehör und Respekt zu verschaffen. Das hilft letztendlich auch der Gewerkschaft, effektive und für die Pflegekräfte erfolgreiche Tarifverhandlungen zu führen.
Außerdem erwarten und sehen wir, dass die Kammer ihre Mitglieder rechtssicher berät und auf lange Sicht die Arbeitsbedingungen aller Pflegenden verbessert. Wir gehen davon aus, dass sich der geleistete Kammerbeitrag mittelfristig in Form von besseren Arbeitsbedingungen und Tarifen rentiert.
Auch diese Fragen wurden immer wieder von der verkürzten Diskussion über die Beiträge überlagert. Deshalb haben wir bekanntlich im Rahmen der
Haushaltsberatungen gefordert, die Erhebung dieser Beiträge für drei Jahre auszusetzen. Damit soll die Diskussion über die Pflichtbeiträge von der Diskussion über Sinn oder Unsinn einer Pflegekammer getrennt werden. So erhält sie die Ruhe zu arbeiten, muss aber natürlich auch Ergebnisse für die Pflegenden bringen. Erst wurde diese Idee zwar als Karnevalsscherz verrissen, letztlich aber doch von der Jamaika-Koalition zum Teil übernommen. Darüber freuen wir uns, und das nicht aus Häme, sondern weil es im Sinne der Kammer und damit im Interesse der Pflegekräfte ist.
Ja. - Wir sollten der Pflegekammer jetzt wirklich die Möglichkeit geben, ihren Wert unter Beweis zu stellen. Weitere stumpfe Ablehnung oder die Forderung nach anderen Maßnahmen sind hier vollkommen überflüssig. - Jo tak.
Für die Landesregierung hat jetzt der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, das Wort. - Oh, Entschuldigung. Vorher hat noch der Abgeordnete Schaffer das Wort zu einem Kurzbeitrag.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte kurz auf zwei, drei Kritikpunkte eingehen, die in überwiegender Form Gott sei Dank sachlich vorgetragen wurden. Auf die völlig haltlosen und unterirdischen Anwürfe von Ihnen muss ich nicht eingehen, Frau Pauls. Es lohnt sich nicht, sich damit zu beschäftigen.
- Sie müssen uns nicht immer sagen, was wir bezwecken wollen; es reicht, wenn Sie den Text erfassen; damit scheint es bei Ihnen aber durchaus Probleme zu geben.