Protocol of the Session on November 15, 2019

Arbeitsrechtler fordern hier schon lange mehr unbestimmte Rechtsbegriffe statt starrer Regeln.

(Beifall Werner Kalinka [CDU])

Aus Sicht des SSW sollte sich ein Bundesarbeitsminister genau auf diesen Weg machen. Am Ende müssen neben mehr Flexibilität natürlich auch weiterhin ganz klare Grenzen definiert werden, um den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen. - Yo tak.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf einmal kurz meine Rolle wechseln und zu Ihnen als Arbeitswissenschaftler sprechen. Wie auch schon von den Kollegen Midyatli und Meyer ausgeführt, muss man bei den Formulierungen der bayerischen Entschließung hellhörig werden. Wenn wir über längere Arbeitszeiten lesen, kürzere Ruhezeiten, starre Ruhezeiten und Flexibilität, dann meint man etwas anderes als es damit positiv zu verbinden. Es geht nicht um ein modernes Arbeitszeitgesetz, es geht um Angriffe auf Arbeitnehmerrechte und auf gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse.

(Beifall SPD)

An der einen oder anderen Stelle ist man an KAPOVAZ - die Älteren kennen das noch, die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit - erinnert. Das meint den Einsatz der Arbeitenden zu betrieblich definierten Arbeitszeiten. Worum es gehen müsste ist: um Zeitsouveränität, um die souveränen Entscheidungen der Arbeitenden über Zeit. Das ist etwas ganz anderes.

Ich möchte Ihnen nur einige der gut erforschten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse in Erinnerung rufen, die als Leitplanken dienen, und an denen auch Sie, liebe Kollegen Kilian und Richert, nicht vorbeikommen. Man nennt das „gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse“. Das finden Sie in vielen bundesdeutschen Gesetzen.

Erstens. Acht Stunden als regelhafte Arbeitszeit aus gesundheitlichen und betrieblichen Gründen haben sich bewährt.

Zweitens. Je länger eine Person am Stück arbeitet, desto anstrengender und erschöpfender wird diese.

Drittens. Nach acht Stunden nehmen Effektivität und Konzentration deutlich ab. Unfallgefahr und Unfallrisiko steigen.

Viertens. Wer über eine längere Zeit dauerhaft mehr als 40 Stunden arbeitet, hat nachweislich häufiger Probleme mit dem Bewegungsapparat, Kopfschmerzen, psychosomatische Beschwerden und Ähnliches.

Fünftens. Häufigere Pausen während der Arbeit sind dringend notwendig für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit und sind Teil der Arbeit und nicht irgendwann zwischendurch und außerhalb.

Sechstens. Wechselschichten, insbesondere mit Nachtarbeit, beeinträchtigen die körperliche und psychische Gesundheit, sie führen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und manifesten Erschöpfungszuständen. Auch der frühe Beginn einer Schicht deutlich vor 6 Uhr, das heißt, dass man in der Regel um 4 Uhr aufstehen muss, beeinträchtigt die Gesundheit.

Schließlich spreche ich aus eigener Erfahrung: Wenn beide Elternteile - wie immer üblicher in Vollzeit - arbeiten, gelingt die Vereinbarkeit von Familie, Kinder und Beruf nicht durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, nicht durch Digitalisierung, sondern durch eine deutliche Reduktion der Arbeitszeit von beiden Elternteilen.

(Beifall SPD - Wortmeldungen Kay Richert [FDP] und Lukas Kilian [CDU])

(Flemming Meyer)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Abgeordneten Richert und später des Abgeordneten Kilian?

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Dunckel, das, was Sie da sagen, das unterschreibe ich, das sehe ich auch so. Ich frage mich, wo Sie in der Verlautbarung über die Bundesratsentschließung oder in unserem Alternativantrag dazu Gegenteiliges lesen? Das habe ich nicht gefunden. Könnten Sie mir das kurz erläutern?

- Lesen Sie es einfach noch einmal. Wenn in der Entschließung der bayerischen Landesregierung steht: längere Arbeitszeiten, starre Ruhezeiten, Verkürzung der Ruhezeiten - was ist denn das anderes als ein Aufweichen der schon etablierten Erkenntnisse? Was lesen Sie denn daraus?

(Beifall SPD)

Gestatten Sie eine Nachfrage, Herr Abgeordneter?

Ich würde das, was Sie beschreiben, durchaus als Entgrenzung der Arbeit bezeichnen, was dann zu befürchten wäre. Diese Entgrenzung der Arbeit wird ausdrücklich in unserem Antrag genannt. Warum haben Sie die Befürchtung, dass es trotzdem dazu kommen könnte?

- Weil es da steht. Wenn wir uns beide darauf einigen, dass Sie diese Art der Entgrenzung nicht wollen, sondern diese gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse weiterhin berücksichtigen, wäre ich schon beruhigt. Ich habe diese Erklärung nur noch nicht genau so von Ihnen gehört.

- Dann hätten Sie bei mir zuhören müssen.

(Zurufe Serpil Midyatli [SPD] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir führen hier bitte keine Dialoge. - Der Abgeordnete Kilian hat das Wort.

Herr Dr. Dunckel, ich habe eine Frage, die in die gleiche Richtung geht. Wenn man sich die Entschließung des Bundesrates, den Antrag aus Bayern, durchliest, dann findet man unter anderem den Satz: Mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht muss ermöglicht werden.

„Dies muss aber unter sorgfältiger Abwägung der Interessen beider Seiten gerade auch mit Blick auf die Gesunderhaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Sicherheit erfolgen. Lösungen müssen daher stets einen zeitnahen und adäquaten Ausgleich für längere Arbeitszeiten oder verkürzte Ruhezeiten vorsehen.“

Wo genau halten Sie den Antrag aus Bayern für unausgewogen? Alles, was Sie bislang vorgetragen haben, wäre tatsächlich unausgewogen, steht aber überhaupt nicht in dem Antrag.

Auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Es steht dort: längere Arbeitszeiten, starre Ruhezeiten, Verkürzung der Ruhezeiten. Schauen Sie im ersten Absatz nach. Wir können beide auch noch einmal exegetisch schauen, aber ich habe es relativ gut im Kopf.

Viel wichtiger ist mir: Sie sagen, beide Seiten und Ausgleich. Schauen Sie einmal bitte ins Gesetz. Was steht beim Zweck des Arbeitszeitgesetzes? Das haben Sie hoffentlich im Kopf, aber ich möchte es Ihnen gern in Erinnerung bringen. Da steht erstens, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, und zweitens, Verbesserung der flexiblen Arbeitszeit. Aber das Erste, was enthalten ist, ist Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer. Und das Zweite finden Sie in allen Arbeitsschutzgesetzen das Primat der Sicherung der Gesundheit der Arbeitnehmer.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist im Arbeitszeitgesetz enthalten. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Wortmeldung Dr. Ralf Stegner [SPD])

Was Sie hier tun, ist die Aufweichung - beide Seiten müssen interessiert werden, man muss sich die Flexibilität anschauen, längere Arbeitszeiten. Ich sage Ihnen, das dient der Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und der eigentlichen Zwecke.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie zunächst noch eine Nachfrage des Abgeordneten Kilian und dann eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Dr. Stegner?

Ich erlaube mir die Bemerkung, dass ich diese Bundesratsinitiative aus Bayern direkt vor der Nase habe. Das ist möglicherweise etwas unfair. Ich erlaube mir die Bemerkung, dass ich sie im Gegensatz zu Ihnen offensichtlich auch gelesen habe. Sämtliche Vorwürfe, die zu dieser Bundesratsinitiative von Ihnen gemacht werden, stehen in der Bundesratsinitiative ausdrücklich so nicht drin. Es wird ausdrücklich auch immer wieder auf Arbeitnehmerschutz verwiesen; es wird sogar auf eine Stärkung des Arbeitnehmerschutzes verwiesen in den Bereichen, in denen man nicht auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber ist. Deshalb halte ich Ihre Rede für vollkommen aus der Zeit gefallen und am Thema vorbei.

(Beifall Kay Richert [FDP] - Wolfgang Baasch [SPD]: Das sagt der Richtige!)

Es wäre schön, wenn Sie den wissenschaftlichen Unterstrich, den Sie machen, auf Fakten basieren würden und diese Initiative durchgelesen hätten.

- Der Unterschied zwischen uns beiden ist: Sie haben sie vor sich, ich habe sie im Kopf. Das ist der kleine Unterschied.

(Heiterkeit Birte Pauls [SPD])

Ich beschäftige mich ja nicht erst seit heute damit, sondern schon seit längerer Zeit. Ich weiß ziemlich genau, worüber ich rede. Bei Ihnen bin ich mir nicht sicher.

(Heiterkeit Birte Pauls [SPD] - Beifall SPD)

Lieber Herr Kollege Dunckel, anders als beim Kollegen Kilian weiß ich, dass das bei Ihnen so ist. Deswegen würde ich gern folgende Frage stellen:

Ist es nicht so, dass dann, wenn man als einen Zweck der Gesetzesänderung - das soll ja die Bundesratsinitiative bewirken - Ruhepausen verkürzen will, alle freundlichen Worte und Maßnahmen, die da sonst noch

geäußert werden, genau das konterkarieren, sodass die konsequente Anwendung dieses Prinzips doch dann darauf hinauslaufen müsste, diese Initiative abzulehnen, zumal das, was jetzt schon durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeberseite und Betriebsräten möglich ist, im Rahmen des gegenwärtigen Arbeitszeitgesetzes erfolgt?