Protocol of the Session on June 20, 2019

Sowohl die FDP-Bundestagsfraktion als auch meine Jungen Liberalen Schleswig-Holstein haben ähnliche Beschlusslagen wie die nun vorliegende Initiative. Daher begrüße ich diese grundsätzliche Ausrichtung des Antrags ausdrücklich. Ich möchte aber noch gern im Sozialausschuss ein paar Fragen erörtern, so zum Beispiel, wie viele Personen in Schleswig-Holstein in den Kreisen und kreisfreien Städten in welchem Maße bisher von dieser Anrechnung konkret betroffen sind und von welchen Summen wir im Endeffekt sprechen. Voraussichtlich wird hier die Konnexität zu prüfen sein und auch die Frage, wie dann die Gegenfinanzierung aussehen müsste.

Eine weitere Frage ist, ob eine vollständige Außerachtlassung des Einkommens sinnhaft ist oder ob wir dadurch rechtlich oder sozialpolitisch ein Ungleichgewicht im Verhältnis zu anderen jungen Menschen schaffen würden, die beispielsweise im SGB-II-Bezug sind, denn auch Kinder im familiären Hartz-IV-Bezug werden leider zur Sozialbedarfsdeckung herangezogen.

Eine vermeintliche Ungleichbehandlung kann man schon rechnerisch feststellen: Wenn man zum Beispiel 200 € im Monat für das Einräumen von Regalen im Supermarkt bekommt, dann verbleiben einem Jugendlichen im Hartz-IV-Bezug 120 €, dem Pflegekind verbleiben, wie wir gerade besprechen, nur 50 €. Das ist schon ein sehr großer Unterschied. Das müssen wir in jedem Fall gemeinsam erörtern.

Vor allem für junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen ist es wichtig, dass wir untermauern, dass es sich immer lohnt, seinen eigenen Lebensunterhalt durch eigene Beschäftigung zu bestreiten.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Daher ist es hoffentlich unser gemeinsames Ziel, für jeden Heranwachsenden den Einstieg ins Berufsleben so einfach wie möglich zu gestalten und ihm oder ihr möglichst keine zusätzlichen Hindernisse in den Weg zu legen. Ich freue mich wirklich sehr über die Beratungen im Sozialausschuss zu diesem Thema. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion der AfD hat Herr Abgeordneter Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Derzeit leben rund 81.000 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien und weitere 100.000 Kinder und Jugendliche in Heimen. Das ist eine Steigerung um rund 30 % in den letzten zehn Jahren. Das liegt nicht allein daran, dass die Sensibilität in der Gesellschaft für Fälle von Verwahrlosung bis hin zum Missbrauch gestiegen ist und in der Folge Gesellschaft und Behörden jetzt genauer hinsehen; das ist tatsächlich sehr zu begrüßen. Hier wirken aber auch Aspekte der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung im Staat selbst mit hinein. Gerade für Heim- und Pflegekinder sollten wir etwas tun - wir können auch etwas tun -, damit sich die Spaltung der Gesellschaft nicht noch weiter vertieft.

Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können, müssen wir ein sicheres Zuhause und Perspektiven für ihr weiteres Leben bieten. So schreiben die gesetzlichen Regelungen vor, dass Kinder und Jugendliche, die über die Jugendhilfe voll- oder teilstationär untergebracht sind, eine Beteiligung an den Kosten der Jugendhilfe zu entrichten haben. Erwirtschaften Jugendliche ein eigenes Einkommen, werden sie selbst zur Kostenerstattung herangezogen. Diese Regelung betrifft Pflegekinder wie auch junge Menschen, die in der Heimerziehung leben.

Die Jugendlichen müssen bis zu 75 % ihres Nettoeinkommens, welches sie im Rahmen ihrer Ausbildung oder eines Nebenjobs verdienen, an das Jugendamt zahlen. Hier sollte, nein, hier muss es zu einer Reduzierung kommen. Lassen Sie uns im Ausschuss über die Möglichkeiten sprechen, in welcher Größenordnung eine Entlastung angemes

(Dennys Bornhöft)

sen und tatsächlich machbar ist. Denn junge Menschen lernen mit der Aufnahme einer Ausbildung oder einer Erwerbstätigkeit, Eigenverantwortung für sich und die eigene Zukunft zu übernehmen. Hierzu gehört der Lernprozess, für den eigenen Lebensunterhalt auch aufkommen zu müssen. Insofern ist es wichtig, dass es bei einer substanziellen Kostenbeteiligung der Jugendlichen bleibt.

Bei der Aufnahme einer sozialen oder kulturellen Tätigkeit findet auch eine Kostensenkung statt. Aber dies wird der Situation der Kinder und Jugendlichen nicht gerecht. Es gibt keinen einheitlichen Katalog für die Kategorisierung derjenigen Tätigkeiten, die eine Kostensenkung rechtfertigen. Somit kommt es zu erheblichen Unterschieden bei der Bewertung durch die Ämter. Die Einzelfallprüfung führt zudem zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand. Hier besteht sicherlich mehr Spielraum für eine Kostensenkung, gerade weil es sich um Tätigkeiten im kulturellen oder sozialen Bereich handelt.

Meine Damen und Herren, das Elternhaus oder die Lebenssituation eines jungen Menschen darf nicht allein bestimmen, welche Chancen er oder sie im Leben hat. Damit sich die jungen Menschen nicht nur beruflich, sondern auch sozial und kulturell gut entwickeln können, muss das Netzwerk der Beratungsstellen, beispielsweise die Erziehungs- und die Lebensberatungsstellen, weiter ausgebaut und unterstützt werden. Gerade sie bieten Familien in Not enorme Hilfe. Zu diesem breiten Beratungs- und Unterstützungsspektrum gehören auch die Beratungs- und Freizeitangebote im kommunalen wie im kirchlichen Bereich. An dieser Stelle sind zudem die wirklich wichtige und gute Arbeit der Jugendämter wie auch die der Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche bei der Bürgerbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein zu nennen.

Der Antrag der SPD-Fraktion geht - das haben wir schon mehrmals gehört - tatsächlich in die richtige Richtung. Er ist aus unserer Sicht unterstützenswert, durch die Quotierung von 50 % aus unserer Sicht aber zu starr und zu eindimensional. Er bietet aber eine Arbeitsgrundlage. Aus diesem Grund haben wir einen Alternativantrag verfasst, der diesen Ball aufnimmt und das Feld um weitere Aspekte erweitert. Wir beantragen für die AfD-Fraktion daher die zusätzliche Überweisung in den Sozialausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben uns im Landtag aus gutem Grund sehr intensiv mit der Situation von Heimkindern beschäftigt. Ich will hier nur an die Untersuchungen zu dem Thema Friesenhof sowie an die Aufarbeitung von Zwangsarbeit und Medikamentenversuchen erinnern. Natürlich sind das ganz krasse Beispiele. Glücklicherweise machen die wenigsten untergebrachten Kinder und Jugendlichen solche Erfahrungen. Und doch kann man wohl festhalten, dass viele Pflegekinder und Heimkinder einen vergleichsweise schweren Start ins Leben haben. Ich denke, wenn die SPD hier und heute fordert, diese Kinder zumindest finanziell zu entlasten, kann kaum jemand etwas dagegen haben.

Um ehrlich zu sein, halte ich die geltende Praxis bei der sogenannten Kostenheranziehung für sehr problematisch. Das Achte Sozialgesetzbuch - Kinderund Jugendhilfe - sieht in § 94 aber tatsächlich vor, dass junge Menschen bei vollstationären Leistungen grundsätzlich 75 % ihres Einkommens als Kostenbeitrag einsetzen müssen. Sie werden schlicht als Leistungsempfänger behandelt. Aus meiner Sicht ist das pures Gift für die Motivation dieser jungen Leute. Spätestens, wenn damit der Anreiz für den Beginn einer Ausbildung genommen wird, ist diese Regelung kontraproduktiv und absurd.

(Beifall SSW und Aminata Touré [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Nach Auffassung des SSW ist hier deutlich mehr Augenmaß gefordert. Mir ist durchaus bewusst, dass es nicht allein um die Refinanzierung der Platzkosten geht. Eine gewisse finanzielle Beteiligung - beispielsweise an der Einrichtung des eigenen Zimmers - kann pädagogisch durchaus geboten sein. Für viele untergebrachte Kinder und Jugendliche ist das ein sinnvoller Teil der Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben in der eigenen Wohnung. Bei manchen werden damit auch Muster und Gewohnheiten durchbrochen, wenn sie zum Beispiel davon ausgehen, dass im Zweifel doch immer „das Amt“ bezahlt. Der zu leistende Beitrag darf aber nicht unverhältnismäßig sein. Aus meiner Sicht sind 75 % des Einkommens eindeutig zu viel. Das schießt genauso über das Ziel hinaus wie die Tatsache, dass auch die Einnahmen aus Schülerjobs, Praktika und Ferienjobs herangezogen werden.

(Claus Schaffer)

Wir sollten uns aber auch grundsätzlich Gedanken darüber machen, ob wir neben Pflege- und Heimkindern nicht auch andere Jugendliche und junge Erwachsene entlasten müssen. Als Beispiele will ich nur einmal an Jugendliche in Bedarfsgemeinschaften oder an Menschen mit Behinderung erinnern. Auch sie sind mitunter in der Situation, dass sie von ihrem erarbeiteten Geld nur einen gewissen Teil behalten können. Das kann auch für ihre Motivation und ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben von Nachteil sein, beispielsweise dann, wenn ihnen die Möglichkeit genommen wird, selbst etwas anzusparen, um Ziele zu verwirklichen. Wir meinen, dass wir auch an diese Menschen denken müssen, wenn wir Lösungen suchen.

Mit Blick auf den Antrag und die hier erwähnten Kinder und Jugendlichen, die vollstationär in einer Familie oder Einrichtung betreut werden, ist eines klar: Sie sind oftmals schon benachteiligt genug, nicht zuletzt finanziell. Deshalb darf es für sie nicht noch weitere finanzielle Hürden auf dem Weg in die Selbstständigkeit geben.

Ich halte die Kostenheranziehung in der heutigen Form sogar für diskriminierend; denn im Extremfall verhindert sie die Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung. Es ist aber unheimlich wichtig, junge Menschen an den Arbeitsmarkt anzubinden. Regelungen, die dieses Ziel gefährden, müssen abgeschafft oder zumindest abgemildert werden. Deshalb können wir dem Antrag der SPD nur zustimmen.

(Beifall SPD)

Neben einer finanziellen Entlastung brauchen Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien und Heimen aber insgesamt bessere Startbedingungen. Sie brauchen vor allem einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung. Hier haben wir mit der Schulgesetzänderung zur Erweiterung der Schulpflicht eine wichtige Verbesserung gefordert. Leider ist dies von der Mehrheit abgelehnt worden. Wir sind aber unverändert der Meinung, dass eine klare gesetzliche Regelung her muss, um Heimkindern bessere Startchancen zu sichern. Hier werden wir weiter dranbleiben. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und Aminata Touré [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Herr Abgeordneter Meyer hat gerade darauf hingewiesen: § 94 des Sozialgesetzbuches VIII sieht vor, dass Pflege- und Heimkinder einen finanziellen Beitrag erbringen müssen, wenn sie in einer Pflegefamilie oder einer Pflegeeinrichtung vollstationär betreut werden.

Ich will sehr deutlich sagen: Diese Kinder sind unverschuldet in diese Situation geraten und deshalb auf besondere Betreuung angewiesen. Genau deswegen verdienen diese Kinder unsere besondere Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Dabei ist vollkommen klar, dass die Aufwendungen für eine gute Unterbringung der Kinder ganz erheblich sind. Ich halte es auch grundsätzlich für berechtigt, dass sie sich mit einem angemessenen Anteil an den Kosten beteiligen.

Ich hatte vor wenigen Wochen die Chance, mit solchen Jugendlichen zu sprechen. Das Spannende ist: Auch sie sehen das so. Sie sagen nicht, dass sie alles behalten wollen. Aber sie sehen sich dadurch, dass sie 75 % dessen, was sie sich hart erarbeitet haben, abgeben müssen, massiv diskriminiert.

Wenn man die Chance hat, im Sozialausschuss darüber zu diskutieren, würde es sich lohnen, direkt mit den Betroffenen, die in dieser Situation leben, darüber zu reden, wie sie ihre Perspektive sehen. Dass junge Menschen nach der aktuellen Rechtslage - das haben verschiedene Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht - bis zu 75 % ihres Verdienstes an eine Einrichtung abgeben müssen, halte ich für nicht zielführend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht in dieser Diskussion um mehr als um eine finanzielle Entlastung. Es geht grundsätzlich um die Frage, welche Werte wir vermitteln. Wir wollen Kindern und Jugendlichen doch vermitteln, dass es sich lohnt, sich für etwas anzustrengen, sich zu engagieren. Die Kinder und Jugendlichen sollen die besten Chancen haben, starke und selbstbewusste Persönlichkeiten und Teil unserer Gesellschaft zu werden, in der es sich lohnt, sich anzustrengen. Man muss sie nicht belohnen, man muss ihnen schlicht die Früchte ihrer Anstrengungen belassen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Flemming Meyer)

Dazu gehört die wichtige Erfahrung: Es lohnt sich zu arbeiten. Das Ausbildungsgehalt oder der Verdienst einer Nebentätigkeit vergrößern die eigene Freiheit, machen ein Stück unabhängiger. Damit kann man sich eigene Wünsche erfüllen. Ich bin mir sicher - der Abgeordnete Bornhöft hat es angeschnitten -, dass sich viele von uns noch daran erinnern, wie schön es war, als man sich vom ersten mühsam erarbeiteten Geld - beispielsweise eines Ferienjobs - einen Wunsch erstmals selbst erfüllen konnte. Dass diese Kinder und Jugendlichen bis zu 75 % des mühsam erarbeiteten Geldes abgeben müssen, dürfte für ihre Motivation wenig zuträglich sein.

Die Konsequenz wäre, dass weniger Ferienjobs oder Nebentätigkeiten ausgeübt werden, die aber gerade für die Ausbildung eigener Interessen und die berufliche Orientierung wichtig sein können. Auch die Teilnahme am öffentlichen Leben wird potenziell erschwert, wenn die Betroffenen das nötige Geld für Aktivitäten in der Freizeit nicht haben.

Das aktuelle Gesetz bietet Ausnahmeregelungen auch darauf ist hingewiesen worden. Kinder und Jugendliche dürfen ihr hart verdientes Geld teilweise oder ganz behalten, wenn ihre Tätigkeit soziales oder kulturelles Engagement beinhaltet, da dies die Integration fördere.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt für die Jugendämter einen großen Ermessensspielraum, welche Einkünfte Kinder und Jugendliche behalten dürfen. Was ist soziales oder kulturelles Engagement? Das wird im Einzelfall entschieden. Genau das kann bei Kindern und Jugendlichen das Gefühl der Willkür aufkommen lassen.

(Vereinzelter Beifall)

Es ist nur schwer nachzuvollziehen, erst recht im Auge der Betroffenen - ich sage noch einmal: es lohnt sich, mit den Betroffenen zu reden -, dass Jugendliche an einem Standort einen Großteil ihrer Einkünfte abgeben müssen, während sie an einem anderen Ort für die gleiche Tätigkeit das Gros Ihres Verdienstes behalten dürfen.

Die Einschränkung auf bestimmte Bereiche sollte aus meiner Sicht dringend überprüft werden. Kinder sollten aus verschiedensten Tätigkeiten einen größeren Teil ihres Verdienstes behalten dürfen. Wir sollten jungen Menschen nicht die Motivation nehmen, ihre Ziele durch eigene Anstrengungen erreichen zu wollen.

Arbeit ist immer auch mit finanzieller Anerkennung verbunden. Für ihre spätere Lebenssituation können

sie erst recht nicht vorsorgen, wenn ein Großteil ihrer Einkünfte einbehalten wird.

(Beifall FDP, CDU und SSW)

Auch die Höhe des Abzugs ist zu prüfen.

Herr von Pein hat sich für die SPD gewünscht, dass die Landesregierung Druck macht. Ich mache schon länger Druck, was die Reform des Sozialgesetzbuchs VIII anbelangt. Diese Landesregierung hätte es ausgesprochen begrüßt, auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Legislaturperiode, wenn bereits in der vergangenen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ein reformiertes Sozialgesetzbuch VIII verabschiedet worden wäre.