Protocol of the Session on March 7, 2019

Zum einen möchten wir die Ungleichbehandlung gleicher Tätigkeiten beenden. Medizinische Handgriffe, egal ob sie ambulant oder stationär erfolgen, sollen zukünftig aus der Krankenversicherung bestritten werden, nicht mehr aus der Pflegeversicherung, wie es bisher im stationären Bereich der Fall ist. Das ist eine Ungleichbehandlung gleicher Tätigkeiten. Das funktioniert so nicht.

Um die Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen zu deckeln oder sie vielleicht auch zu reduzieren, wollen wir den allgemeinen Steuerhaushalt für die fünfte Säule der Sozialversicherung öffnen. Wer diese vorliegende Forderung von uns, die Pflegeversicherung mit Steuermitteln zu stützen, als wesensfremd bezeichnet, dem möchte ich zwei Punkte vor

(Dr. Marret Bohn)

halten: Erstens. Die gesetzliche ebenfalls umlagefinanzierte Rentenversicherung wird derzeit schon zu fast einem Drittel mit allgemeinen Steuermitteln am Leben erhalten, schlichtweg weil die Anzahl der Erwerbstätigen und deren Umlagen zur Rentenausschüttung an die Rentenberechtigten nicht ausreichen.

Zweitens: Wo sich Pflegebedürftige und Angehörige die Eigenanteile nicht leisten können, wird die Hilfe zur Pflege aus dem SGB XII herangezogen. Diese wird - wie die Grundsicherung selbst - aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Somit ist indirekt schon heute eine nicht unerhebliche Querfinanzierung der Pflege in Deutschland aus dem allgemeinen Haushalt gegeben.

Eingeführt zum Jahr 1995 braucht die Pflegegesetzgebung ein weitreichendes Update, um heute und vor allem auch morgen finanziell auf festem Boden zu stehen. Durch den demografischen Wandel wird es nicht machbar sein, die laufenden Versicherungsbeiträge einfach hochzuschrauben, um die Löcher zu stopfen, ganz zu schweigen davon, dass es die junge Generation auch überlasten würde. Als Freier Demokrat sind mir die Generationengerechtigkeit sowie eine faire Lastenverteilung zwischen den Altersgruppen besonders wichtig.

(Beifall FDP)

Mit dem Älterwerden der Babyboomer wird der Bedarf an Pflegeleistungen weiter ansteigen. Da leider - die wenigsten eine Pflegezusatzversicherung haben, werden auch hier perspektivisch hohe Eigenbeteiligungen abgerufen, welche auch von den jeweiligen Kindern eingefordert werden können. Daneben gelten laut Bertelsmann Stiftung von 2018 Kinderkriegen und -großziehen statistisch gesehen als finanzielles Armutsrisiko.

Blicken wir auf diejenigen in der Gesellschaft, die Mitte 30 bis Mitte 50 sind: auf der einen Seite die eigenen Kinder noch nicht aus dem Haus oder gerade in Ausbildung oder Studium, auf der anderen Seite Mutter oder Vater mit geringem Rentenanspruch, die in die stationäre Pflege müssen. Damit die eigene Familie nicht zum finanziellen Damoklesschwert wird, werden wir gemeinsam einen Weg aufzeigen und diesen auch forcieren. Über die Begrenzung der Heranziehung von Angehörigen bei den Pflegeeigenbeiträgen haben wir in diesem Landtag in diesem Jahr bereits gesprochen und eine Initiative gestartet. Mit der heutigen - gemeinsamen - Initiative zeigen wir der Bundesregierung einen Weg auf, die Pflege nachhaltiger und auskömmli

cher zu finanzieren und somit auch insgesamt die Pflege besser zu machen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ich bedanke mich ausdrücklich bei unserem Sozialminister Heiner Garg, der dies bereits im Bundesrat auf den Weg gebracht hat. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir dazu einen gemeinsamen Antrag gefunden haben, sodass wir ein breites Votum über den Bundesrat nach Berlin geben können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Schaffer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Wir debattieren nicht zum ersten Mal über das Thema Pflege, den Pflegenotstand, die Pflegefachkräfte, die Pflegeausbildung oder auch die Pflegeversicherung. Pflege und Pflegeversicherung fallen in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers; das wissen wir. Dennoch müssen auch wir Verantwortung übernehmen und dazu offenkundige Probleme ansprechen sowie Lösungen auf Bundesebene anschieben.

Pflege in Deutschland ist chronisch unterfinanziert; das ist ein seit Jahrzehnten absehbares und aufwachsendes Problem. So wurde bereits bei der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung kritisiert, dass diese lediglich als Teilversicherung konzipiert worden ist. Dies wurde - und wird weiterhin - für Menschen der unteren und mittleren Einkommensschichten spürbar. Nicht selten müssen staatliche Hilfen zur Pflege beantragt werden, um Pflegeleistungen oder Heimunterbringung irgendwie zu schultern.

Verschärft wird die Situation auch durch eine demografische Entwicklung, in deren Folge immer weniger jüngere Menschen auf immer mehr ältere Menschen kommen. Dieser Trend wird sich nicht von allein und schon gar nicht kurzfristig umkehren lassen. Die aktuelle Situation geht dann auch klar zulasten der Qualität der Pflege.

Im Bereich der häuslichen und familiären Pflege führt die Pflegebedürftigkeit betroffene Familien nicht selten in Armut. Über 70 % der Pflege findet im häuslichen Umfeld statt. Es wird Zeit, dass den Menschen, die sich ehrenamtlich um ihre Angehöri

(Dennys Bornhöft)

gen kümmern und sich ihrer annehmen, endlich die finanzielle Unterstützung zukommt, die ihnen zusteht.

(Beifall AfD)

Auch dies ist eine Form der gesellschaftlichen Anerkennung, die den pflegenden Angehörigen allemal gebührt.

Die Situation ist aber nun einmal, wie sie ist. Eine Reform der Finanzierung ist hier mehr als notwendig. Es widerspricht dem Prinzip einer echten Solidarität, Kostensteigerungen im Pflegewesen im Wesentlichen Arbeitnehmern und Rentnern aufzuerlegen. In einer solidarischen Pflegeversicherung, in die alle entsprechend ihrem Einkommen einzahlen und die alle Pflege- und medizinischen Kosten trägt, sehen wir einen Lösungsansatz. Auch nach Ansicht des Sozialverbandes Deutschland muss die Beitragsbemessung auf eine breitere Basis gestellt werden, etwa durch Einbeziehung von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Kapitaleinkünften - und durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze; auch dies wird nach unserer Auffassung sorgfältig zu prüfen sein.

Ob die Einführung eines Bundeszuschusses, wie hier und auch vom GKV-Spitzenverband gefordert, der richtige Weg ist, sollten wir im Ausschuss besprechen. Letztlich entfernen wir uns damit immer weiter von einem System der Beitragsfinanzierung und gelangen hin zu einem System der Steuerfinanzierung, und das zulasten des Steuerzahlers.

Dass die Kosten für medizinische Behandlungspflege von Heimbewohnern aus der Krankenversicherung finanziert werden, findet unsere Zustimmung. Eine Deckelung des Eigenanteils für stationäre und ambulante Pflege halten wir aber für den falschen Ansatz. Eine auskömmliche Finanzierung der Pflegebedürftigkeit im Alter wird damit gerade nicht sichergestellt. Solche Leistungsversprechen müssen auch solide gegenfinanziert werden; denn die wegen der Deckelung des Eigenanteils notwendigen Beitragserhöhungen bedeuten eine erhebliche Mehrbelastung der Arbeitnehmer, unter dem Strich massiv steigende Lohnnebenkosten und damit am Ende weniger Netto vom Brutto.

Derzeit werden Pflegeleistungen teilweise selbst getragen. Wer das nicht leisten kann, wird vom Staat unterstützt. Das ist grundsätzlich gut so. Wir jedoch wollen vor allem, dass die unteren Einkommensschichten und deren Angehörige entlastet werden. Die Deckelung des Eigenanteils setzt nach unserer Auffassung Fehlanreize, die zu einem Sog in die professionelle und zumeist heimgebundene

Pflege führen würden. Das wiederum führt zu einer Benachteiligung der familiären und häuslichen Pflege, die für unsere Gesellschaft so wichtig ist. Die Bereitschaft und die Verantwortung der Familie würden in der Folge abnehmen und die gesellschaftliche Vereinzelung fördern. Das kann nicht unser Ziel sein.

Die Pflegesätze für Pflegedienste in allen Pflegestufen sind wesentlichen höher als bei einer Pflege durch die Angehörigen, obwohl gerade diese den Großteil der Pflege schultern. Hier sind die Rahmenbedingungen der Pflege so zu gestalten, dass sich erwachsene Kinder bewusst für die Pflege der Eltern entscheiden können.

Als Grundlage für die häusliche Pflege sind die Pflegesätze schrittweise an die Leistungen der Pflegedienstleister anzugleichen. Auch die Höhe des Pflegegeldes muss neu berechnet werden, um keine ungedeckten Bedarfe entstehen zu lassen.

Auch wir sehen Handlungsbedarf bei der privaten Vorsorge. Die private Pflegetage- oder Pflegemonatsgeldversicherung sollte staatlich stärker gefördert werden, um mehr Anreize für eine private Vorsorge zu schaffen. Auch dies dient letztlich der Stärkung der häuslichen Pflege.

Sie sehen: viel Stoff für eine Beratung im Ausschuss, die ich hiermit beantrage. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sich überhaupt erst einmal einzugestehen, dass der Partner oder Familienangehörige gepflegt werden muss, fällt vielen Menschen schwer. Die Entscheidung, hierfür fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist für viele sogar noch viel schwerer; das weiß ich Gott weiß aus eigener Erfahrung.

Aber die Tatsache, dass Pflegebedürftigkeit in unserer Gesellschaft auch noch zur Armutsfalle wird, ist nicht nur vor diesem Hintergrund ganz einfach beschämend. Deshalb ist die gemeinsame Zielsetzung der demokratischen Parteien hier im Haus, Armut durch Pflege zu vermeiden, so wichtig.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt CDU)

(Claus Schaffer)

Ganz ohne Frage ist die aktuelle Entwicklung, in der steigende Kosten für qualifiziertes Personal in der stationären Pflege auf die Bewohner umgelegt werden, nicht hinnehmbar; denn damit stehen noch mehr Menschen vor der Frage, wie sie die Unterbringung in einem Pflegeheim überhaupt finanzieren sollen. In vielen Fällen übersteigen die Heimkosten längst die Rente und die Leistungen der Pflegeversicherung. Eine Deckelung der Eigenanteile kann die Betroffenen und ihre Angehörigen kurzfristig entlasten und ist richtig. Den aktuellen Vorstoß Richtung Bund, den Anteil für Unterkunft, Verpflegung und persönlichen Bedarf zu begrenzen, können wir daher nur unterstützen.

Aber wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir schon lange, dass die Pflege viele Menschen arm macht. Ich habe deshalb weiterhin meine Zweifel, ob diese Maßnahme allein ausreicht; aber es ist ein richtiger und wichtiger Vorstoß.

Pflege wirklich fair und solidarisch zu organisieren, ist eine Riesenherausforderung. Über drei Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Fast alle Betroffenen wollen möglichst lange im häuslichen Umfeld versorgt werden. Drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden entsprechend zu Hause gepflegt. Hier ist die Unterstützung durch ambulante Dienste zwar unheimlich wichtig; aber sie macht nur einen Bruchteil der Pflege aus. Wenn wir über dieses Thema reden, dann reden wir also auch und vor allem über die Angehörigen. Sie leisten hier einen enormen Kraftakt und sind damit eine wichtige - oder sogar die wichtigste - Säule der Pflegelandschaft. Ich glaube, wir alle müssen uns bei ihnen für ihren Einsatz bedanken.

(Beifall im ganzen Haus)

Es ist Fakt, dass Pflegebedürftige weit überwiegend durch ihre Familie versorgt werden. Dieser Einsatz entlastet den Staat um viele Milliarden. Trotzdem können wir seit Jahren sehen, dass das Geld für Pflegeleistungen knapp ist. Noch dazu verdienen Pflegekräfte eindeutig zu wenig, und Betroffene oder Angehörige müssen längst immer höhere Beträge zuzahlen. Vor diesem Hintergrund stellt sich doch die Frage, ob uns als Gesellschaft Pflege wirklich genug wert ist.

(Beifall SSW)

Wenn ich sehe, dass das Geld der Menschen oft nicht für die stationäre Unterbringung reicht, wenn ich sehe, wie schlecht bezahlt viele Pflegekräfte sind und dass Angehörige durch die Pflege eines Familienmitglieds in Hartz IV rutschen oder eine Minirente bekommen, dann kann ich diese Frage

doch nur mit Nein beantworten. Wenn wir ehrlich sind, dann muss die Finanzierung der Pflege grundlegend reformiert werden. Es kann nicht angehen, dass heute schon jeder sechste Heimbewohner auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen ist. Noch dazu weiß jeder, dass der Bedarf an Pflege und die Kosten hierfür absehbar weiter steigen werden. Ob nun stationär oder familiär, Pflege muss endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkannt und auch finanziert werden. Aus Sicht des SSW ist nach wie vor die rein steuerfinanzierte Pflege die sauberste Lösung.

(Beifall SSW)

So wäre sichergestellt, dass Menschen, die viel besitzen, auch entsprechend viel zu einer funktionierenden Pflege beitragen, und es wäre sichergestellt, dass Menschen, die wenig haben, menschenwürdig gepflegt werden, ohne dabei zu verarmen.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Aber ich will hier nicht zu naiv daherkommen. Wahrscheinlich ist die Aufstockung der Pflegeversicherung durch Steuermittel zurzeit das Höchste der Gefühle. Ich warne allerdings davor, nur in Notfällen oder nach Kassenlage zu diesem Mittel zu greifen. Der Minister hat recht, wenn er einen dynamisch steigenden und damit eben dauerhaften Steuerzuschuss fordert. Eine feste steuerfinanzierte Säule kann die Pflegeversicherung zumindest stabilisieren, und sie kann vor allem verhindern, dass Pflegekosten in die Armut führen. - Jo tak.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags Schüler und Schülerinnen des Johann-Heinrich-Voß-Gymnasiums aus Eutin. - Herzlich willkommen im Landtag!