Protocol of the Session on March 6, 2019

Aufgrund dieses Einzelfalls nun Gesetzesänderungen zu fordern, erscheint aus unserer Sicht erst einmal nicht notwendig. Schließlich ist das Problem ja gelöst worden, und Vollverschleierung ist in Deutschland so selten, dass Ihnen selbst bei der Lektüre von Artikeln über Vollverschleierung im

(Christopher Vogt)

Internet immer wieder die gleichen Porträts präsentiert werden, einmal die Frau mit den grünen Augen im schwarzen Niqab und einmal das Foto von zwei Frauen, die eine in schwarz und die andere in blau verschleiert. Wahrscheinlich wissen Sie genau, welche Bilder ich meine. So viele Beispiele scheint es in Deutschland also nicht zu geben.

Wenn wir derartige Bekleidungsvorschriften gesetzlich festschreiben wollten, müssten wir sicher sein, wo wir anfangen und wo wir aufhören wollen. Geht es tatsächlich darum, dass man das Gesicht sehen können muss? Wenn wir in andere EU-Länder schauen, die da schon einen Schritt weiter sind, sehen wir verschiedene Lösungen. In Frankreich gibt es seit 2011 ein Verbot für Vollverschleierung und Burkinis an den Stränden von Nizza - allerdings auch nur dort. In den Niederlanden gilt seit Ende 2016 ein Burka-, Niqab- und - man höre - Motorradhelmverbot in öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern, Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder schauen Sie nach Norden. In Dänemark gilt seit letztem Jahr ein Verbot, das neben Ganzkörperund Gesichtsschleiern auch Sturmhauben, Skimasken, falsche Bärte sowie weitere gesichtsbedeckende Masken umfasst,

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

und das gerade zum Karneval. In allen drei Ländern fallen mindestens Bußgelder an, wenn jemand zuwiderhandelt. Auch wenn sich die Verfassungslage in den genannten Ländern durchaus von unserer rechtlichen Lage unterscheidet, wäre es wohl auch bei uns möglich, ähnlich zu verfahren. Die Frage ist allerdings, ob wir das wollen, nur weil eine Person unter 2,9 Millionen Einwohnern aufgefallen ist.

Rechtlich könnten wir auch in Schleswig-Holstein für ein stellenweites Verbot von Ganzkörper- und Gesichtsschleiern sorgen. Hessen hat ein derartiges Verbot 2011 für den öffentlichen Dienst erlassen, Niedersachen 2017 für Schulen und Bayern 2018 für Schulen und Kindergärten. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof und der Bundesgerichtshof haben solcherlei Regelungen bestätigt. Darauf baut das Verbot der Uni auf.

Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2017 auf die Klage zweier Belgierinnen hin entschieden, dass Verhüllungsverbote zulässig sind. Dies wurde damit begründet, dass derartige Restriktionen gegebenenfalls in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein könnten, da sie ich zitiere - „Bedingungen des Zusammenlebens garantieren und die Rechte und Freiheiten anderer schützen können.“

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten festgehalten, dass zwar ein generelles Verbot, Burka oder Niqab zu tragen, verfassungswidrig sei und gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes verstoße, im Einzelfall Verbote jedoch zulässig seien. Die Entscheidung, ob Vollverschleierung akzeptiert werde, wird vom Europäischen Gerichtshof als eine Entscheidung der Gesellschaft dargestellt.

Darum müssen wir uns vielleicht eher darüber Gedanken machen als über rechtliche Fragen. Was wären die Konsequenzen für unsere Gesellschaft, wenn wir ein solches Verbot aussprächen? Das Gesicht spielt in unserer Kommunikation in der Regel eine große Rolle. Wir schreiben ihm sogar in unseren Redensarten hohes Gewicht zu. Wenn Sie in einem Konflikt ihr Gesicht wahren, behalten Sie Ihr Ansehen. Wenn Sie Ihr Gesicht verlieren, machen Sie sich lächerlich. Werden Sie schwer gekränkt, ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Wenn Sie mir Ihr wahres Gesicht zeigen, dann weiß ich, woran ich bin. Es gibt aber auch viele Situationen im Leben, in denen ich das Gesicht meines Gegenübers nicht erkennen kann und trotzdem kein Unwohlsein aufkommt, sei es die verspielte Sonnenbrille, der Mundschutz, die Mütze, tief in die Stirn gezogen, oder der Schal bis über die Nase, weil es zu kalt ist. So etwas will, glaube ich, niemand verbieten.

Deshalb ist es uns als SSW wichtig, dass wir diese Debatte überlegt führen und nicht nach Impulsen einfach Fakten schaffen. Vielleicht ist daher eine offen gestaltete Anhörung zu den Grundrechtsaspekten gar kein schlechter Schachzug. Allerdings dürfte sich der Diskurs dann nicht nur auf den Bildungsbereich beziehen.

Ich möchte noch einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen, der leider allzu oft eine geringe Rolle spielt. Die Muslime in Deutschland stehen seit Jahren in einem permanenten Rechtfertigungszwang. Ständig müssen sich die Muslime für ihren Glauben und ihre Kultur rechtfertigen, weil sie immer wieder mit den radikalen Ausprägungen des politischen Islamismus gleichgesetzt werden. Genau das Gleiche geschieht gerade wieder in Schleswig-Holstein. Wieder müssen sich die Muslime für eine radikale Ausdrucksform - siehe den Niqab kollektiv rechtfertigen, und das ist nicht gerecht. Die weit überwiegende Mehrzahl der Muslime ist offen, gesetzestreu und hat keine radikalen Ansichten, genauso wie alle anderen im Übrigen auch. Genauso wie alle anderen auch wollen sie nicht für Fehler oder radikale Einstellungen anderer in Kollektivhaftung genommen werden.

(Lars Harms)

Deshalb noch einmal, meine Damen und Herren: Niqab, Burka oder andere Vollverschleierung haben nichts mit der muslimischen Religion zu tun. Wenn wir also heute über Vollverschleierung reden, sollten wir dies ohne ideologischen oder zeitlichen Druck tun. Wir haben kein drängendes Problem hier in unserem Land. Ich will deshalb weder, dass ein solcher Einzelfall von rechts instrumentalisiert wird, noch will ich, dass sich Salafisten ins Fäustchen lachen, weil wir sie in ihrem Zulauf stärken, und ganz bestimmt will ich nicht, dass wir aus scheinbarer Toleranz einen Hebel nicht nutzen, mit dem wir Frauen in Unterdrückungsverhältnissen helfen können. Deshalb müssen wir alle Für und Wider abwägen und genau überlegen, wie weit wir mit möglichen Vorschriften gehen wollen.

Deshalb gilt für uns als SSW abschließend: Gesetzliche Änderungen als schnelle Reaktion auf einen Einzelfall sehen wir extrem kritisch. Die gesellschaftliche Debatte an sich muss geführt werden. Es ist schlau, das im Ausschuss zu beginnen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und FDP)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein paar Worte zur Klarstellung. Herr Kollege Petersdotter, natürlich nehmen wir die Wünsche und Forderungen der Christian-Albrechts-Universität ernst, obwohl wir eine Änderung des Hochschulgesetzes nicht für eine angemessene Antwort halten. Sicherlich müssen wir Regelungen finden - diese Frage gilt es zu diskutieren -, wie wir die Autonomie der Hochschule auch in dieser Frage stärken können, wenn sie nicht schon hinreichend gestärkt ist.

Ich bin kein Jurist, aber ich bin mir aufgrund meiner Berufserfahrung relativ sicher, dass die berühmte Freiheit von Forschung und Lehre auch die Themen umfasst, die wir hier diskutieren. Ich glaube, dass die Hochschullehrer und Dozenten das in der Hochschule sehr wohl selbst klären können und in bestimmten Bereichen auch klären müssen.

(Beifall SPD)

Kollege Petersdotter, wir müssen ehrlich sein: In den Hochschulen gibt es sehr viel seminaristischen Unterricht. Man kann nicht sagen, wir machen so

wieso nur Vorlesungen, deswegen merkt das keiner. Wir haben in den Hochschulen und Fachhochschulen sehr viel seminaristischen und Laborunterricht, wo es eine andere Situation gibt. Das müssen wir fairerweise sagen.

Kollege Loose, wenn wir anfangen, Burka und Niqab in die Nähe von Salafismus und Extremismus zu packen, hat die Studentin ein Ziel schon erreicht. Das halte ich für sehr gefährlich; das sollten wir nicht tun.

(Zurufe CDU: Das hat sie selbst gesagt!)

- Er hat es aber wiederholt.

(Lukas Kilian [CDU]: Redeverbot oder wie? - Weitere Zurufe)

- Er hat das in die Nähe gestellt; so habe ich das herausgehört. Sollte ich das falsch verstanden haben, kann er es ja korrigieren. Ich halte das für sehr gefährlich.

Ich möchte an den Geschäftsführer der niedersächsischen GEW erinnern, der vor drei Jahren bei einem ähnlichen Fall sinngemäß Folgendes formuliert hat - ich glaube, das gilt auch für uns, und das meine ich damit, dass wir das Problem souverän und zurückhaltend behandeln sollten -: Die Debatte um Burka und Niqab ist künstlich hochgezogen. Sie wird geführt, um rechtspopulistischen Parteien wie der AfD Stimmen abzujagen. Wir halten die Diskussion für gefährlich. - Vielen Dank.

(Beifall SPD - Claus Schaffer [AfD]: Sie ha- ben das selbst beantragt!)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

(Unruhe)

Sehr geehrte Präsidentin! Ich halte mich kurz. Zur Frage, ob man Salafismus in Zusammenhang mit Niqab stellen kann - ich glaube schon, dass man das kann. Ich kenne keine liberale Ausdeutung des Islams, die einen Niqab fordert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Nichtsdestotrotz muss man immer überlegen, wie man Debatten über Themen führt, die einem unangenehm sind und die man nicht gut findet; darauf gehe ich gleich ein.

(Lars Harms)

Zur Frage der Freiwilligkeit - Kollege Vogt hat das angesprochen -, wie man das überprüfen kann. Das ist gerade die Krux: Unterdrückung und Ausbeutungsverhältnisse lassen sich nicht von draußen messen, sondern entwickeln sich erst in Kontexten. Deswegen ist ein pauschales Verbot nicht in der Lage, dort zu differenzieren, geschweige denn auf Unterdrückung, die existiert, zu reagieren, sondern es rückt nur das Symbol der Unterdrückung aus dem eigenen Blickwinkel, löst aber das Problem nicht, und das ist ein Teil unserer Kritik.

Sie haben davon gesprochen, dass das auf andere Radikalisierungsformen nicht übertragbar sei. Ja, Nazis dürfen studieren; dagegen sagt keiner etwas. Insofern halte ich das nicht für übertragbar. Die Frage von Herrn Loose, ob das Ganze im Islam begründet sei, wird auch mir häufig gestellt: Lasse, siehst du das wirklich im Islam begründet?

Wir sind als Politiker nicht dazu geschaffen, theologische Entscheidungen zu treffen; das ist nicht unsere Aufgabe.

(Tobias Loose [CDU]: Habe ich auch nicht!)

Wenn Sie einen Iman zitieren, der sagt, das sei nicht so sehr niedergeschrieben - ich kenne Tausende Pastoren, die sagen, der Papst sei nicht notwendig. Da gibt es eben unterschiedliche Ausdeutungen.

(Tobias Loose [CDU]: Ich habe eine Islam- wissenschaftlerin zitiert!)

- Auch eine Islamwissenschaftlerin macht keine theologischen Ausdeutungen, sondern stellt die gesellschaftlichen Zusammenhänge dar.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Christopher Vogt?

Sehr gern.

Herr Kollege, Sie haben gesagt, Nazis dürften studieren, da gebe es keine Gesinnungsprüfung, auch Salafisten, auch der Ehemann - ich weiß nicht, wen genau Sie gemeint haben; ich glaube, den haben Sie gemeint - dürfe studieren. - Es geht ja um die Symbole, die an der Universität getragen werden.

Sie kennen sicherlich die Diskussion gerade an ostdeutschen Hochschulen - in Greifswald

war das lange ein Thema -, dass man dort nicht mit rechtsextremen Symbolen auftreten darf. Die Hochschulen dort hatten das Problem und wollten das untersagen. Da ging es auch um die Frage - wenn ich es richtig erinnere -, ob man eine Änderung des Hochschulgesetzes braucht. Da ging es zum Beispiel um Thor-Steinar-Klamotten, mit denen junge Rechtsextreme an den Hochschulen provozieren wollten. Das wurde - aus meiner Sicht zu Recht - unterbunden. Denn es ging darum, Rechtsextremismus an der Hochschule vorzuführen. Dass man das unterbindet, halte ich für vollkommen richtig. In der Logik halte ich es für richtig, dass man auch Burka oder Niqab verbietet.

- Ich kann das Argument nachvollziehen. Auch ich kenne den Fall des ehemaligen Professors für Bürgerliches Recht, der mit Thor-Steinar-Klamotten ankam. Später wurde er Abgeordneter der AfD aber das nur am Rande.

Ja, da wurden Diskussionen geführt. Solche Diskussionen über politische Symbole und politische Vereinnahmung kann man führen. Wenn man den Niqab als rein politisches Symbol betrachtet, wäre die Diskussion sicherlich eine andere, aber der Niqab ist nicht nur ein rein politisches Symbol, er ist auch ein religiöses Symbol. Da kann man natürlich sagen, das habe mit Religion gar nichts zu tun, sondern es gehe nur um Politik. Das sehen viele Rechtsgelehrte in Saudi-Arabien aber anders, mit denen wir ansonsten scheinbar wenig Probleme haben, und auch die saudische Kulturpolitik hat bisher zu keinen diplomatischen Verwerfungen mit Deutschland geführt. Es gibt die religiöse Überzeugung, dass das religiös notwendig sei.

Ich als Politiker bin nicht in der Position, eine theologische Bewertung darüber vorzunehmen, ob das richtig oder falsch ist. Das sind andere Debatten. Das ist etwas, was letztendlich nur vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden kann, was kein Parlament entscheidet, ob es an einer Universität beispielsweise angemessen ist, wenn ein Dozierender ein Kreuz trägt, wenn ein Dozierender nicht eine Verpflichtung gegenüber dem deutschen Staat, sondern gegenüber dem vatikanischen Staat hat. Solche Diskussionen führen wir ja nicht politisch, sondern das sind theologische Debatten in der Notwendigkeit religiöser Riten und Traditionen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner?