Herr Kollege Petersdotter, was mich an dem, was Sie gerade vorgetragen, nicht ganz überzeugt, ist, dass das - wenn man das in seiner Konsequenz durchdenkt, was Sie gerade gesagt haben hieße, dass man überhaupt nichts tun kann, es sei denn, es gebe ein Gerichtsurteil. Ich glaube, de facto ist es anders: Bei uns entscheidet das Gericht für Verfassungsrecht in der Regel darüber, ob Eingriffe in die religiöse Freiheit tolerabel sind. Mit anderen Worten: Wenn eine Hausordnung oder die Maßnahme von irgendjemandem besagt, man dürfe dieses oder jenes nicht tun, und man sich dagegen wendet, weil man die Grundrechte für verletzt hält, dann wird das abgewogen.
Das Bundesverfassungsgericht wägt sehr differenziert ab, was es als Eingriff in die Religionsfreiheit ansieht. Das sehen wir beim Thema Schulpflicht oft, wo es widerstreitende Interessen zwischen Religionsfreiheit und anderen Vorschriften, die wir haben, zum Beispiel Schulpflicht, gibt. Da ist die Abwägung, die das Bundesverfassungsgericht vornimmt, in der Regel außerordentlich differenziert.
Das heißt, es kann ja nicht so sein, dass wir sagen, weil wir nicht genau wissen, wie das ist, dürfen wir nicht handeln. Der Staat darf handeln, Hochschulen dürfen handeln, und am Ende wird nach unserer Verfassungsordnung überprüft, und zwar nach Maßstäben der deutschen Verfassungsordnung und der Grundrechte, zu denen die Religionsfreiheit gehört, ob der Eingriff zulässig ist oder nicht.
Das halte ich für eine richtige Funktionsweise. Das funktioniert in Deutschland eigentlich ganz gut, und wir haben da gar kein Problem.
- Ja, und das Bundesverfassungsgericht beurteilt, ob etwas von der Religionsfreiheit abgedeckt ist oder nicht, immer dann, wenn jemand ein Schutzrecht geltend machen möchte. Diesen Fall haben wir jetzt gerade. Durch das Verbot an der CAU und die öffentliche Debatte, die sich darum entwickelt hat, ist der Studentin die Möglichkeit gegeben, direkt zum
Bundesverfassungsgericht zu gehen. Das hat sie angekündigt. Da wird dann letztendlich entschieden, ob das Tragen des Niqab unter die Religionsfreiheit fällt.
Mir ist nur wichtig darzustellen, dass die Frage, was ein legitimes religiöses Symbol ist, nicht allein von Parlamenten entschieden wird, sondern Teil theologischer Debatten ist, wie bei allen anderen Religionen auch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner?
Das Problem, das ich mit dieser Schlussfolgerung habe, ist, dass bei uns über die Frage, was geschieht, nicht durch theologische Debatten entschieden wird. Es wird durch Hochschulen in ihrer Freiheit entschieden, durch Gesetzgeber mit dem, was sie regeln, durch Regierungen oder wen auch immer. So ist es in unserer demokratischen Ordnung vorgesehen und nicht wie in anderen Staaten durch theologische Auslegungen.
Das Verfassungsgericht überprüft auch nicht die theologischen Auslegungen, sondern es überprüft im Kontext unserer Verfassungsordnung, ob der Eingriff in die Freiheit einer Person unseren Grundrechten entspricht oder das zu weit geht. Das überprüft das Gericht, nichts anderes.
Folgten wir Ihnen, wären wir praktisch in der Logik von Diskursen, wie wir Religion interpretieren. Aber das ist weder die Aufgabe der Hochschule, noch ist es die Aufgabe des Parlaments.
- Absolut. Genau darum geht es mir, dass wir eben nicht in die Rolle kommen zu fragen, wie Religion zu interpretieren ist, nämlich immer dann, wenn sie die Freiheit anderer begrenzt und beschränkt. Dann wird insbesondere eine politische Debatte daraus. Dass das Bundesverfassungsgericht keine theologische Debatte führt, ist mir völlig klar. Genau deswegen wollen wir juristische Fragen bereits im Vorfeld in einer Anhörung debattieren. Wir wollen die unterschiedlichen Grundrechtsartikel daraufhin abklopfen, ob das unter bestimmten Aspekten oder in
diesem Kontext zu berücksichtigen ist. Unbenommen, es ist nicht nur das Bundesverfassungsgericht, das Entscheidungen trifft. Hierfür bedarf es der politischen Debatte, die wir durch die Anhörung ermöglichen möchten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Frank Brodehl?
Vielen Dank für die Genehmigung einer Zwischenfrage. - Ich habe eine Frage. Sie haben eben sehr engagiert dargestellt, dass es eben nicht leicht zu entscheiden ist, ob eine Frau freiwillig oder unfreiwillig - des sozialen Druckes wegen Niqab oder Burka trägt. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass, wenn wir hier keine gesetzlichen Regelungen schaffen, der Raum in der Universität in Lehre und Prüfungsbetrieb geöffnet wird, dass Frauen auch dort diesem sozialen Druck ausgesetzt werden?
- Ich sehe das umgekehrt. Es ist wichtiger, dass wir die Universität nicht für unterdrückte Frauen versperren. Gerade Universitäten sind doch die Räume, zu denen unterdrückte Frauen Zugang bekommen müssen, um sich von der Unterdrückung zu emanzipieren. Wir würden damit Räume für unterdrückte Frauen öffnen. Genau darum muss es doch gehen, dass wir Menschen die Möglichkeit geben, sich durch Bildung aus solchen Situationen zu befreien.
(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Claus Schaffer [AfD]: Das wür- de das noch legitimieren!)
Weil eben das Wegdrücken, das Verbieten, das Wegsehen die Probleme nicht löst, müssen unsere Strategien gegen Salafismus sinnvoller sein als Kleiderverbote. In einem können wir uns sicher sein: Ein Zutrittsverbot zu staatlichen Bildungseinrichtungen hat keine deradikalisierende Wirkung. Es stärkt die salafistische Erzählung und stützt die saudische Kulturpolitik, denn genau darauf wartet die salafistische Szene. Sie provoziert genau diese sprunghaften Handlungen und überschlagenden öffentlichen Debatten. Es hilft ihr, aus einer pubertären, radikal-islamischen Phase zu einer handfesten Ideologie zu wachsen und die Menschen weiter dazu zu animieren. Genau diese Aspekte müssen wir in der Anhörung wissenschaftlich betrachten.
Die Niqab ist in vielen pubertär-radikalisierenden Gruppierungen das letzte Zeichen zur größtmöglichen Rebellion und zur größtmöglichen Provokation, das nach außen hin sichtbar ist. Dieses Verbot geht eben auf die Provokation ein. Das ist eine der großen Gefahren im Zusammenhang mit der Radikalisierung und die Frage, ob wir über jedes Stöckchen der Salafisten springen müssen.
Eine individuelle, für alle tragbare Lösung, wie sie an anderen Hochschulen praktiziert wird, nimmt genau diesen Wind aus den Segeln der Salafisten. Genau deshalb wäre das die bessere Möglichkeit. Wir brauchen einen besonnenen und souveränen Umgang mit der salafistischen Szene in SchleswigHolstein. Ein Einzelfall, anhand dessen nun eine Gesetzesänderung erfolgen soll, die für alle Geltung hat, ist nicht besonders besonnen, ist nicht besonders konsequent und hilft auch nicht, über nachfolgende Fälle individuell entscheiden zu können.
Ein Bildungsverbot hat eben keine deradikalisierende Wirkung. Genau diese Deradikalisierung muss eigentlich das Ziel unserer Politik sein. - Vielen Dank.
Bevor wir fortfahren, begrüßen Sie mit mir bitte auf der Besuchertribüne grüne Neumitglieder. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Wo wir gerade beim Thema sind: Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Eka von Kalben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nein, nicht deshalb, Herr Habersaat, aber trotzdem gern. - Die Debatte war ein Vorgeschmack auf das, was wir im Ausschuss erleben werden, nämlich eine Vielfalt von Positionen und ein weites Feld - zugegebenermaßen wegen einer Person, die provoziert hat. Dennoch ist das ein Thema, das auch vorher schon viele Menschen umgetrieben hat und auch in anderen Ländern schon diskutiert wurde.
Lars Harms in seiner Rede genannt hat, nämlich dass wir uns mit Provokationen sowohl von rechts als auch mit Salafisten auseinandersetzen müssen. Über diese Stöckchen können wir springen oder auch nicht.
Wir reden davon, dass wir unsere liberale Grundordnung vor anderen Gesellschaftsmodellen retten wollen, gerade auch vor dem des radikalen Islam. Wir überlegen, unsere Liberalität durch Verbote zu retten. Das erscheint mir unsinnig zu sein. Wir engen uns immer weiter ein, wir verbieten bestimmte politische Symbole, wir verbieten bestimmte religiöse Symbole,
um uns zu wehren und sagen: Damit schaffen wir einen Schutz für unsere liberale Grundordnung. Nein, ich glaube, das ist falsch.
Es gibt Menschen, die wollen unsere Gesellschaft verändern. Ich möchte das nicht. Ich möchte gern die Gesellschaft erhalten, in der ich groß geworden bin, eine freiheitlich-liberale Gesellschaft.
Das kann ich am allerbesten, indem ich keine Verbote erteile und indem ich die Freiheit und die Liberalität rette. Erstens.
Zweiter Punkt: frauenpolitische Debatten. Wir haben in den letzten Wochen auch bei uns Grünen und in allen möglichen Bereichen frauenpolitisch diskutiert. Natürlich sind die Niqab und die Burka ganz klar auch ein Ausdruck von Frauenfeindlichkeit und Unterdrückung. Das ist gar keine Frage. Den Frauen, die sagen: „Ich möchte das aber tragen, ich möchte mich voll verschleiern“, entgegnen wir: „Wir verbieten das aber“. - Wir haben jetzt ungefähr eine Stunde diskutiert, und vor mir haben ausschließlich Männer darüber gesprochen, wie man Frauen von einer Unterdrückung befreien soll, obwohl die Frau, um die es geht, ausdrücklich sagt, sie möchte diesen Schleier tragen.
Mir ist das auch unangenehm. Ich finde das auch nicht schön. Dann kommt immer die Argumentation: „Du sagst, das ist nur eine, und morgen können es hundert sein“. Ich finde es auch schöner, wenn ich Menschen, mit denen ich rede, ins Gesicht schauen kann.
Ich finde aber auch vieles andere unangenehm. Wenn ich in Ostdeutschland, wo meine Eltern wohnen, in die Kneipe gehe, sitzen an fünf Stammtischen offensichtlich Menschen, die wie Nazis aussehen. Das ist mir auch unangenehm. Das finde ich
Hier geht es um das Recht für Bildung für diese Frau. Bisher sind keine Grundrechte genannt worden, die wir abwägen -
Ja. - Es sind keine Grundrechte genannt worden, sondern es ist immer von Unbehagen, Unwohlsein und Ähnlichem gesprochen worden. Das ist für mich kein Grund, das Grundrecht auf Religionsfreiheit einzuschränken.