Protocol of the Session on September 28, 2018

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Justizvollzug den Rücken stärken, menschenwürdigen Strafvollzug sichern“ - so lautet der Antrag der AfD-Fraktion. Einer solchen Aufforderung, das haben mehrere Vorredner bereits eindrucksvoll deutlich gemacht, hätte es aber zum heutigen Zeitpunkt überhaupt nicht mehr bedurft; denn sowohl das Justizministerium als auch die regierungstragenden Fraktionen haben die Problematik erkannt und befassen sich mit dieser. Was also bitte soll Ihr Antrag? Das würde ich als Jurist wohl „Erledigung vor Rechtshängigkeit“ nennen. Also völlig überflüssig!

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da uns aber die Menschen wichtig sind, die im Strafvollzug sind, und auch die, die in unseren Strafvollzugsanstalten arbeiten, ist dieses Thema bereits Gegenstand unseres Koalitionsvertrags geworden. Die Personalbedarfsanalyse, auf die wir uns damals geeinigt haben, ist mittlerweile ausgeschrieben und in Auftrag gegeben worden. Gemeinsam mit den Anstalten wird ein renommiertes Beratungsunternehmen untersuchen, welchen Stellenbedarf wir in den Justizvollzugsanstalten vor dem

Hintergrund der gesetzlich geregelten Aufgaben haben.

Unabhängig davon haben wir uns mit der Frage beschäftigt - insoweit dürfte ebenfalls große Einigkeit mit dem Justizministerium bestehen -, woher wir eigentlich das Personal bekommen wollen, das wir in den Justizvollzugsanstalten so dringend benötigen. Auf diese Problematik, den Fachkräftemangel, der selbstverständlich vor dem öffentlichen Dienst nicht haltmacht, haben wir Anfang August aufmerksam gemacht. Die daraufhin folgende Berichterstattung in den Medien, aber auch die Reaktion der GdP zeigen, dass dieser Aspekt richtig und wichtig ist. Der Justizvollzugsdienst muss unter deutlich schwierigeren Bedingungen auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern um geeignete Fachkräfte bestehen. Das liegt nicht nur am demografischen Wandel, sondern in besonders hohem Maße an den Beschäftigungsbedingungen, die hier bereits eindrucksvoll geschildert wurden, und den sich daraus ergebenden persönlichen Anforderungen, die wir im Justizvollzug an die Bediensteten stellen müssen, um einen geordneten und sicheren Strafvollzug gewährleisten zu können.

Schulabgänger erfüllen im Regelfall die Voraussetzungen nicht, um in den Strafvollzugsdienst einzutreten; sie sind schlicht zu jung und zu unerfahren. Gebraucht werden Männer und Frauen, die bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und über Berufserfahrung verfügen. Wir brauchen also gestandene und gefestigte Persönlichkeiten mit Lebenserfahrung, die den täglichen Herausforderungen im Strafvollzug tatsächlich gewachsen sind. Es ist eine besondere Herausforderung, in einem immer schwieriger werdenden Arbeitsmarkt die notwendigen Fachkräfte zu finden, die in der Regel einen Rückschritt im Einkommen und am Anfang äußerst niedrige Anwärterbezüge hinnehmen müssen. Das ist nicht wirklich attraktiv und erleichtert nicht das Anwerben von Personal. Es gehört schon viel Idealismus dazu, wenn sich ein Mann oder eine Frau trotzdem für eine Laufbahn im Strafvollzug entscheidet.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Erschwert wird die Fachkräftegewinnung durch den demografischen Wandel. Das liegt so offen auf der Hand, dass wir in diesem Sommer verstärkte Anstrengungen bei der Anwerbung von Fachkräften gefordert haben. Hier besteht ebenfalls kein Dissens zwischen Justizministerium und Fraktionen.

(Burkhard Peters)

Warum die AfD ihren Antrag in dieser Situation stellt, obgleich alle verantwortlichen Stellen bereits aktiv an der Problemlösung arbeiten, erschließt sich mir nicht.

Auch medial war das Thema eigentlich abgearbeitet. Die AfD erweist sich als schlichter und äußerst fantasieloser Trittbrettfahrer. Nun ja. Das wird uns aber nicht aufhalten, die Arbeit an der Personalbedarfsanalyse und die Personalanwerbestrategie des Justizministeriums konstruktiv zu begleiten. Wir werden anschließend die Ergebnisse bewerten und daraus unsere Schlüsse ziehen, wie der Strafvollzug in Schleswig-Holstein zukünftig ausgestaltet werden muss, damit wir mit dem uns tatsächlich und prognostisch zur Verfügung stehenden Personal die gesetzlichen Aufgaben erfüllen können. Gegebenenfalls werden wir diese Aufgaben den tatsächlichen Gegebenheiten und den personellen Möglichkeiten anpassen müssen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Dabei muss aber immer beachtet werden, dass wir die Bediensteten in unseren Strafvollzugseinrichtungen nicht überfordern. Wir brauchen sie. Deshalb ist es eine vordringliche Aufgabe, frühzeitig auf einen sich abzeichnenden Personalmangel zu reagieren. Dazu gehört es auch, realistische Aufgaben für den Strafvollzug zu definieren. Es gibt also mehrere Stellschrauben, um unsere Beamten vor Überforderung zu schützen. Wir werden davon keine einzige Stellschraube ausblenden.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Hier hat der Staat Fürsorgepflichten. Wenn wir die Beschäftigungsbedingungen verbessern, wird es uns auch leichterfallen, das nötige Personal zu gewinnen. Das eine bedingt das andere. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. Den AfD-Antrag aber können wir getrost ablehnen, da er sich als überholt erwiesen hat. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Birgit Herdejürgen [SPD])

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Vorsitzenden Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwei Jahren wurde der Strafvollzug bei uns im Land reformiert. Vorangegangen ist eine umfassende Beratungsphase. Hier hat man sich die

aktuelle Situation ganz genau angesehen und analysiert. Darüber haben wir auch mehrfach im Parlament beraten. Dabei wurde deutlich, dass die Belastung der Justiz in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Das gilt insbesondere für den ohnehin sehr sensiblen Arbeitsbereich im Vollzug.

Herausgekommen ist dabei eine Neuauflage des Strafvollzugsgesetzes. Es zählt zu den modernsten Strafvollzugsgesetzen der Republik und hat zudem das Bundesgesetz von 1977 abgelöst.

Dieser Paradigmenwechsel kommt nicht von ungefähr. Das Gesetz baut auf bewährten Inhalten auf und bietet gleichzeitig eine Grundlage für künftige Entwicklungen, in denen die Resozialisierung einen zentralen Stellenwert bekommen hat. Wir sollten uns dabei immer wieder vor Augen führen, dass ein Vollzug nicht per se dafür da ist, um Vergeltung auszuüben.

Bei der Neuauflage des Gesetzes stand der Mensch im Fokus. Dabei wurde gleichermaßen an diejenigen gedacht, die in Haft sind, und an diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort tätig sind. Dabei wurde die Anhebung der Besoldungsgruppen ebenso berücksichtigt wie die Nutzung neuer Medien, um Kontakt nach draußen gesetzessicher zu regeln.

Zudem hat man hier ganz klar einen Schwerpunkt auf die Familien gelegt. Ungefähr jeder zweite Strafgefangene hat Statistiken zufolge minderjährige Kinder. Dies ist ein Punkt, den man bei der Beratung in Bezug auf das Gesetz nicht einfach links liegen lassen wollte. Auch hier galt es, Regelungen zum Wohle von Gefangenen zu schaffen, aber eben auch, um den Alltag in den Justizvollzugsanstalten ganz klar zu strukturieren, klare Vorgaben zu machen und es so auch den Beschäftigten zu erleichtern.

Ebenso hat man die Erweiterung des therapeutischen Angebots vorangebracht. Im Allgemeinen gilt, dass man in den letzten sechs Jahren das Thema „Gesundheit“ stärker in den Fokus gerückt hat, und zwar sowohl bei den Gefangenen als auch bei den Beschäftigten, und wieder einmal für Gefangene und Mitarbeiter die gesundheitlichen Rahmenbedingungen verbessert hat.

All dies ist quasi nebenbei gelaufen. Auch wenn nicht alle Maßnahmen im Gesetz verankert worden sind, so dienen sie doch der inhaltlichen Ergänzung zum Strafvollzugsgesetz. Es wurden also verschiedene Verbesserungen auf den Weg gebracht, um dem Justizvollzug tatsächlich den Rücken zu stär

(Jan Marcus Rossa)

ken. Gleichzeitig sollte eben auch ein menschenwürdiger Strafvollzug forciert werden.

Ebenfalls nebenbei sind die Renovierung oder die Erweiterung der Haftanstalten sowie das Bestreben gelaufen, die Personalsituation verbessern zu wollen. Zur Erinnerung: Durch die Schließung der Abschiebehafteinrichtung in Rendsburg hat man in der Vergangenheit die frei gewordenen Stellen in den allgemeinen Justizvollzugsdienst eingegliedert. Weitere Stellen wurden zur Durchführung der Großprozesse, die in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, genutzt und können Stück für Stück wieder in die Anstalten zurückgeführt werden. All dies ist natürlich nach und nach geschehen, um die bisweilen angespannte Arbeitssituation in den JVA im Land zu entlasten.

Wir haben also gemeinsam schon sehr viel getan. Alles in allem lässt sich feststellen, dass das Land in puncto Strafvollzug vor allem in den letzten Jahren vieles bewegt hat, sowohl im Personalbereich als auch in der Modernisierung des Strafvollzugsgesetzes. Es gab viele Bereiche, die seinerzeit nicht zufriedenstellend waren. Die mag es auch heute vereinzelt geben. Das wird hier niemand abstreiten. Deswegen würden wir uns immer noch freuen, wenn weitere geplante Stellenstreichungen zurückgenommen werden. Es stehen noch einige im Haushalt.

Ganz wichtig ist: Am Ende lässt sich feststellen, wir haben ein modernes Strafvollzugsgesetz, auf das wir richtig stolz sein können. Es ist wirklich klasse, was wir da erarbeitet haben. Wir haben mehr Stellen zur Verfügung gestellt. Wir haben eine bessere Bezahlung durchgesetzt. Auch jetzt wird noch ein Gesetzentwurf beraten, in dem es um eine bessere Bezahlung unter anderem für die Justizvollzugsbeschäftigten geht. Man kann also sagen, dass in den letzten Jahren richtig viel geschehen ist. Genau da sollten wir in den nächsten Jahren weitermachen. Dafür bedarf es aber keiner Änderung des Strafvollzugsgesetzes. Wir glauben immer noch, dass dies wirklich ein klasse Gesetz ist und wir eher die Personalstrukturen an das Gesetz anpassen müssen als das Gesetz auszuhöhlen, nur weil wir kein Personal haben. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass unser Antrag für Sie Anlass genug ist, um sich ein wenig selbst zu feiern. Das ist sehr schön. Wie in meiner Rede vorhin räume ich tatsächlich ein, dass sich schon einiges bewegt hat. Nichtsdestoweniger gibt es aber die Aussagen auch aus der JVA Lübeck noch vom August dieses Jahres. Das ist also eine ganz akute Problematik. Ich will dabei kurz auf ein bis zwei Einzelpunkte eingehen.

Zum einen betrifft es, wie ich schon ausgeführt habe, die psychosoziale Betreuung und die medizinische Betreuung auch von psychisch erkrankten Gefangenen in der JVA Lübeck. Diese können aufgrund einer angespannten Personalsituation teilweise keiner medizinischen Betreuung zugeführt werden. Meine Damen und Herren, das ist ein akuter Zustand, der ganz unmittelbar Einfluss auf die Frage hat, ob Gefangene dort menschenwürdig untergebracht sind. Das hier einfach mit den Worten: „Wir haben alles getan“, abzutun, greift mir zu kurz.

Zum anderen betrifft es die psychosoziale Thematik im Bereich der Bediensteten selbst. Hier wurde unter anderem der Sport angesprochen. Selbstverständlich haben die Bediensteten rein rechtlich gesehen die Möglichkeit, Sport zu machen. Faktisch ist das in der Regel nicht der Fall, weil die Personal- und Dienstpläne viel zu straff ausgestaltet sind. Man kann sich dort gar nicht aus dem Dienstgeschäft lösen, um wirklich Sport zu machen. Das sind Aussagen, die ich erhalten habe.

Die Personalbedarfsanalyse, auf die wir warten ein Beschluss, den auch wir hier im Hause am 17. November des vergangenen Jahres sehr wohl und sehr gerne mitgetragen haben -, muss irgendwann einmal zu dem Ergebnis führen, dass diese Problematiken abgeschlossen werden.

(Beifall Dr. Frank Brodehl [AfD] und Jörg Nobis [AfD])

Bei einem Teil ist das bereits geschehen. Aber wie ich gerade ausführte, habe ich von meinen Bekannten dort die ganz aktuelle Mitteilung erhalten, dass dem eben nicht abschließend abgeholfen wurde. Wir reden hier also nicht von Schnellschüssen. Wir reden von zwei Jahren Versäumnissen. Wir sind nicht bereit, ein weiteres Jahr zuzuschauen.

(Beifall AfD)

Ich habe hier Begriffe wie „angeblicher Personalmangel“ gehört. Es wird also unterstellt, dass die

(Lars Harms)

dort aufgeworfenen Hinweise zum Personalmangel nur „angeblich“ sind. Ich muss wirklich sagen, das geht ein bisschen zu weit.

Herr Rossa, Sie mögen unseren Antrag für überflüssig erachten. Allein die Tatsache, dass wir hier darüber diskutieren, zeigt, dass er das nicht ist. Auch wenn Sie der Meinung sind, das medial abgearbeitet zu haben, wie Sie sagen, muss ich mit Verweis auf Ihre Pressemitteilung eher konstatieren, dass Sie das medial abgebügelt haben. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Frau Dr. Sütterlin-Waack, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich immer über politische Auseinandersetzungen. Die Opposition muss fordern, das ist klar. Kenner der Materie, und davon gibt es einige hier in diesem Hohen Haus, haben aber längst erkannt, dass viele Forderungen dieses AfD-Antrags bereits erfüllt worden sind.

Ja, der Justizvollzug hat immer schwierige Aufgaben zu bewältigen. Das liegt sozusagen in der Natur der Sache. Zu den bestehenden Anforderungen hat Herr Peters gerade wortgewaltig ausgeführt. Es sind zahlreiche neue Herausforderungen erkennbar: mehr Gefangene mit Migrationshintergrund, mehr psychisch auffällige Gefangene. Aber, die JamaikaKoalition stellt sich diesen Aufgaben. Natürlich müssen wir uns fragen, ob wir genug Personal in unseren JVAen haben. Das untersuchen wir gerade wissenschaftlich basiert. Der Landtag, wir haben es gehört, hat im November 2017 einstimmig beschlossen, für den Justizvollzug eine landesweit extern begleitete Personalbedarfsanalyse durchzuführen. Zum Zeitablauf: Wir mussten EU-weit ausschreiben. PricewaterhouseCoopers hat den Zuschlag im Juni 2018 erhalten und sofort angefangen zu arbeiten.

Es gab schon im Jahr 2016 eine Überprüfung in der JVA Lübeck. Damals hat man bestehende Dienstposten untersucht. Jetzt setzt PwC bei den Aufgaben an und bemisst, wie viel Personal zum Erfüllen dieser Aufgaben erforderlich ist. Die Dienstposten werden erst am Ende der Berechnung stehen.

Ab nächster Woche werden in Workshops mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Anstalten das ist mir ganz wichtig - alle Aufgaben in allen Anstalten aufgelistet. Bis Ende März 2019 erfolgt die Erhebung der Ist-Situation. Dann wird untersucht, wie viel Zeit man für die jeweiligen Aufgaben benötigt. Anschließend wird man sich natürlich fragen, ob neue Aufgaben hinzukommen, die den Bedarf verändern können. Die Berechnung des Personalbedarfs soll bis Ende 2019 abgeschlossen sein. Diese Zeit ist erforderlich, da alle Bediensteten sozusagen als Justizvollzugsexperten in den Prozess der Personalbedarfsanalyse einbezogen werden.