Protocol of the Session on July 5, 2018

geräumt - Eins! Der etwas ältere Alexander nennt den Holocaust einen „Vogelschiss“ und vergleicht die Bundeskanzlerin mit Hitler. Allerdings sitzt seine Hundekrawatte tadellos, und er trägt auch häufig ein Tweed-Jackett - auch Eins! Nicht so gut sieht es hier im Landtag aus, meine Damen und Herren. Doris ist zwar immer adrett angezogen und stört selten, fehlt aber unentschuldigt in Fraktions- und Ausschusssitzungen und kassiert trotzdem die vollen Diäten - leider Sechs!

Das Sozialverhalten durch Ziffernnoten zu bewerten, ist ein Ansatz, der eigentlich aus der Zeit gefallen ist und von vor 40 Jahren stammt. Das abgeschafft zu haben, ist ein Verdienst der von Ihnen oft geschmähten 68er. Es gab einmal einen Relaunch in Nordrhein-Westfalen. Schülervertretungen liefen Sturm. Es hieß, es gebe jetzt Schleimnoten in Nordrhein-Westfalen. Kritische Nachfragen wurden als Insubordination und Disziplinlosigkeit gewertet, und zu guter Letzt wurden diese Noten 2010 auch wieder abgeschafft.

Natürlich muss es Rückmeldungen über das Sozialverhalten und über die Entwicklung von Schülerinnen und Schülern geben. Das ist nicht der strittige Punkt. Die Frage ist, ob und in welchen Kategorien man das misst und ob das überhaupt in Noten darstellbar ist. Es waren die christlichen Kirchen, die in Nordrhein-Westfalen gerichtlich durchgesetzt haben, keine Kopfnoten an ihren Schulen geben zu müssen, weil es mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar sei, Persönlichkeit in Noten darzustellen. Saubere Fingernägel und Melden durch Handaufheben - das kann doch wirklich nicht das sein, was Ihnen wichtig ist, wenn es um die Erziehung junger Menschen geht! Mein lieber Gott!

Wenn wir einmal beim Christentum bleiben: Wie wäre es mit Glaube, Liebe, Hoffnung? Wenn wir zum Buddhismus schauen: Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Güte? Nun gibt es allerdings auch das chinesische Sprichwort: „Narren wissen nie etwas von Barmherzigkeit.“ Darüber kann jeder einmal in den Ferien nachdenken.

Was ist mit Weisheit und Besonnenheit? Was ist mit Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität? Das sind alles Werte, die hoffentlich den jungen Menschen an unseren Schulen nahegebracht werden, die aber sicherlich nicht benotet werden können.

Meine Damen und Herren, ich wollte eigentlich damit enden, dass ich mich freue, dass Sie zumindest nicht Schönschrift mit in Ihren Kanon aufgenommen haben, weil mir meine Fraktionsmitarbeiter da häufig schlechte Noten ausstellen würden.

(Serpil Midyatli [SPD]: Ralf auch!)

Aber dann bin ich im Internet auf viel Erschreckenderes gestoßen. Ich bin gestern nicht so ausführlich darauf eingegangen. Wir informieren uns auf unterschiedlichen Foren: Die AfD verfolgt die Leserbriefspalte bei „queer.de“ sehr aufmerksam, habe ich gelernt. Ich verfolge „News for teachers“ sehr aufmerksam. Da sorgt ein Artikel mit dem Zitat eines AfD-Bundestagskandidaten für Furore, nämlich von Dubravko Mandic, der kürzlich bei Facebook schrieb:

„Mit Merkel zusammen müssen auch etwa 870.000 Kollaborateure aus den Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften entsorgt werden.“

Das macht den Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland Sorge. Das darf niemals passieren. Deshalb, meine Damen und Herren: Wehret den Anfängen! - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Volker Schnurrbusch [AfD]: Das hat mit dem Antrag nichts zu tun!)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Ines Strehlau.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wirklich froh, dass wir Grüne und alle demokratischen Parteien in diesem Haus Bildungspolitik für das 21. Jahrhundert machen. Zu guter Bildungspolitik gehört, dass die Schule jungen Menschen kulturelle und gesellschaftliche Orientierung gibt. Dazu gehört, dass die Schule dazu ermuntert, „eigenständig zu denken und vermeintliche Gewissheiten und gesellschaftliche Strukturen auch kritisch zu überdenken“. Dazu gehört, dass die Schule die „Bereitschaft zur Empathie“ und die Fähigkeit fördert, das „eigene Weltbild infrage zu stellen und Unsicherheiten selbstvertrauend auszuhalten“. So steht es in unserem Schulgesetz, und es ist ein gutes Schulgesetz.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und Peter Lehnert [CDU])

Die Schule legt also den Grundstein für selbstbewusste, kritische Menschen, die sich kein X für ein U vormachen lassen, für Menschen, die falsche Fakten von tatsächlichen Fakten unterscheiden können. Die Schule fördert, dass die Schülerinnen und

(Martin Habersaat)

Schüler ihre Positionen kritisch hinterfragen, und die Schule gibt den Schülerinnen und Schülern das Rüstzeug mit, populistische Meinungen mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen zu entlarven. Das ist heute wichtiger denn je.

Dies alles leisten unsere Schulen in hervorragender Weise. Unsere Schulen vermitteln die Werte einer toleranten, weltoffenen Demokratie, und das ganz ohne Kopfnoten. Es gibt auch nur wenige Bundesländer, die Kopfnoten verteilen. Sogar Bayern hat sie abgeschafft. Auch in Schleswig-Holstein gibt es aus gutem Grund keine Kopfnoten, sondern einige Sätze zum allgemeinen Lern- und Sozialverhalten. Schülerinnen und Schülern sowie Eltern soll damit eine differenzierte und kontinuierliche Rückmeldung über die Verhaltensaspekte gegeben werden, die für den Lernerfolg relevant sind. Ausdrückliche Absicht ist auch, eine insgesamt positive Entwicklung anzustoßen. So steht es im Leitfaden zur Zeugnisgestaltung. Das zeigt: Wir setzen an unseren Schulen auf Pädagogik und nicht auf Druck.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die AfD nun meint, die Wertevermittlung ginge nur mit Kopfnoten, ist sie auf dem Holzweg. Das Gegenteil ist der Fall. Wir Grüne sehen Noten insgesamt kritisch.

(Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Die Leistungen werden durch Noten nicht besser, Noten sind subjektiv, vielfach demotivierend. Wer schlechte Noten bekommt, geht meist nicht gern zur Schule. Wir wollen aber eine motivierende, vertrauensvolle Atmosphäre an unseren Schulen.

Da sind Noten in den Fächern, zumal für jüngere Schülerinnen und Schüler, für uns schon nicht die optimale Form der Rückmeldung. Kopfnoten sind völlig kontraproduktiv. Kopfnoten sind willkürlich und verschärfen den Leistungsdruck. Welche Kopfnote bekäme ein Schüler oder eine Schülerin, die den Mund aufmacht, ihre Meinung sagt, die unbequeme Fragen stellt? Ist das Betragen Eins oder Sechs? - Es ist völlig abhängig von der Lehrkraft und ihren eigenen Maßstäben, welche Note sie gibt. Wie ist es mit einem Kind, das Schwierigkeiten hat, seine sieben Sachen zusammenzuhalten, sei es, weil es unkonzentriert ist oder weil es Probleme zu Hause hat? Bekommt es eine Fünf? Und bekommt es damit gesagt, dass es beim Punkt Ordnung versagt hat? Welche Note bekommt das stille, schüchterne Kind, das seine Aufgaben erledigt, sich aber im Unterricht kaum meldet? Bekommt es eine Fünf und so den Eindruck, dass sein Verhalten falsch ist?

Wir wollen alle Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Charakteren annehmen und fördern. Wir wollen keine verängstigten Schülerinnen und Schüler, die aus Angst vor schlechten Kopfnoten lieber den Mund halten, als ihre Meinung zu sagen. Das mag das Ziel der AfD sein, unseres ist es nicht. Wir wollen keine Duckmäuser, wir wollen Schülerinnen und Schüler mit Rückgrat. Deshalb lehnen wir den Antrag der AfD ab. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor uns liegt ein AfD-Antrag aus der bildungspädagogischen Steinzeit. Kopfnoten sind antiquiert und werden dem individuellen Leistungsstand eines Schülers nicht gerecht, weder seiner Entwicklung noch seinen sozialen Kompetenzen. Das ist offensichtlich, und es bedarf eigentlich keiner weiteren Worte.

Die eigentliche Absurdität dieses Antrags liegt aber darin, dass Sie glauben, mit Kopfnoten Werte vermitteln zu können. Was Sie mit Kopfnoten erreichen, sind im schlimmsten Fall Unterwürfigkeit und ein Ende des kritischen Denkens. Wir befürchten, dass Schülerinnen und Schüler mit unbequemen Meinungen schnell mit schlechten Noten abgestraft werden. Das wollen wir nicht. Das will niemand in diesem Haus.

(Beifall FDP)

Werte vermittelt man, indem man sie lebt und als Vorbild dient. Die AfD zeigt jeden Tag aufs Neue, dass sie für diese Form der Wertevermittlung nicht infrage kommt. Leitmotive ihres Handelns scheinen Intoleranz und Ignoranz zu sein. Im Gegensatz dazu leben aber jeden Tag Tausende Schüler die Werte der Toleranz, des Respekts und des Miteinanders.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das machen sie ganz ohne schulmeisterliche Belehrungen und ohne, dass sie mit Sanktionen zu konformem Verhalten gezwungen werden. Wir wollen kritische Schüler - auch, damit sie den Populismus à la AfD durchschauen und befähigt werden, für die eigenen, positiven Werte einzustehen.

(Ines Strehlau)

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ja auch keineswegs so, als spielte das Verhalten der Schüler in Schleswig-Holstein keine Rolle. Die Schulen und Lehrer wissen um ihre Verantwortung für eine umfassende auch soziale Bildung junger Menschen. Sie wissen, dass es um mehr geht als nur um das Eintrichtern von Lernstoff. Diese Verantwortung schlägt sich auch in den Zeugnissen nieder. Bis zum Ende der Sekundarstufe I wird in Berichtsform erwähnt, wie teamfähig Schüler sind oder wie sie sich in Konfliktsituationen verhalten Punkte also, die im klassischen Kopfnotensystem, wo es etwa um das „Betragen“ geht, keine Rolle spielen. Das Sozialverhalten der Schüler wird im Übrigen in Textform eingeschätzt. Dadurch wird dem individuellen Entwicklungsstand eines jeden Genüge getan.

Diejenigen, deren Sozialverhalten ausbaufähig ist, müssen Unterstützung und Orientierung bekommen, keine schlechten Noten. Die Gründe, aus denen sich Kinder und Jugendliche verhaltensauffällig zeigen können, sind schließlich vielfältig. Mit engagierten Lehrern und multiprofessionellen Teams erreicht man in jedem Fall mehr als mit schlechten Kopfnoten.

Eine der Zukunft zugewandte, konstruktive und lösungsorientierte Bildungspolitik sieht anders aus als das, was die AfD hier anbietet. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab. - Ich wünsche Ihnen trotzdem eine schöne Sommerzeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Laut AfD muss die Wertevermittlung an unseren Schulen offenbar dringend gestärkt werden. Auch hier in Schleswig-Holstein will man der Disziplinlosigkeit den Kampf ansagen. Nicht nur diese, sondern auch die mangelnde Lernbereitschaft wird in ihren Programmen häufiger beklagt.

Durch eine Verschärfung der Zeugnisverordnung soll nun aber alles besser werden. In Zukunft sollen Lehrkräfte Verhaltensweisen wie Betragen, Mitarbeit, Fleiß und Ordnung mit Ziffernoten von 1 bis 6

bewerten. Noch dazu sind diese im Kopfteil des Zeugnisses aufzuführen. In letzter Konsequenz will die AfD mit ihrer Initiative nicht weniger erreichen als ein besseres gesellschaftliches Miteinander. Wenn ich ehrlich bin, kann ich wirklich nur verwundert den Kopf schütteln - als hätten unsere Schulen keine anderen Probleme.

Natürlich spielen Themen wie Sozialkompetenz und Lernverhalten eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur in der Bildung, sondern weit darüber hinaus. Aus diesem Grund setzt sich der SSW zum Beispiel dafür ein, dass diese Fähigkeiten schon in der frühkindlichen Bildung intensiv gefördert werden. Die Vermittlung von Werten und Verhaltensweisen hat nicht nur hier, sondern auch im Schulbereich längst höchste Priorität. Diese Dinge werden zwar nicht mit Ziffernoten beurteilt, aber sie sind selbstverständlich Teil der Zeugnisse. Es gibt also wirklich Wichtigeres, was man mit Landtagsanträgen anstoßen kann.

(Zuruf: Ja!)

Auch aufgrund meiner langjährigen Erfahrungen als Lehrerin muss ich eines deutlich sagen: In kaum einem Fach ist die starre Benotung nach Ziffern wirklich angemessen. Die Realität ist fast immer viel facettenreicher. In nahezu allen Unterrichtsfächern stellt sich damit die Frage der Validität und der Vergleichbarkeit der Noten. Gerade die Eigenschaften, die die AfD in dieses Raster pressen will, sind in höchstem Maße subjektiv. Deshalb ist die Beurteilung in Textform gerade für die genannten Kategorien der absolut richtige Weg. Wenn es nach mir geht, sollte man nicht nur nach Leistung mit 1 bis 6, sondern eher in Textform bewerten.

Es gibt genug Baustellen in der Bildung. Verschärfungen oder Grenzsetzungen für unsere Schülerinnen und Schüler gehören nicht dazu. Wir haben wirklich andere Probleme. Im internationalen Bereich hinken wir zum Beispiel bei den Gesamtausgaben für Bildung noch immer hinterher. Bei den Pro-Kopf-Ausgaben liegt Schleswig-Holstein auch im Ländervergleich im unteren Drittel. Außerdem haben soziale Herkunft und das Portemonnaie der Eltern auch heute noch einen viel zu großen Einfluss auf den Bildungserfolg.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Skandal!)

Diese Beispiele sagen doch vor allem eines: Wir müssen uns dringend um gute Rahmenbedingungen für unsere Schulen und unsere Lehrkräfte kümmern, statt uns hier mit irgendwelchen Pseudoproblemen zu beschäftigen. - In diesem Sinne wünsche

(Anita Klahn)

ich allen Schülerinnen und Schülern, allen Lehrerinnen und Lehrern und natürlich auch den Abgeordneten und Mitarbeitern in diesem Hohen Hause wunderschöne, erholsame Sommerferien. Auf ein gutes Danach!

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)