Eine sachliche Befassung mit dieser Problematik sieht meines Erachtens anders aus. Sie verschweigen, dass wir in der Jamaika-Koalition endlich für einen rechtmäßigen Vollzug der Abschiebehaft sorgen, was Sie in der Vergangenheit schlicht versäumt haben. Der Haftvollzug zu Zeiten der Küstenkoalition, dies ist heute hinreichend Thema gewesen, war unter europarechtlichen, aber auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten hochproblematisch, und das sollten Sie nicht so beharrlich leugnen. Sie haben kein Haftvollzugsgesetz angewendet, obwohl Sie Menschen in Abschiebehaft genommen haben. Sie haben das Justizvollzugsgesetz angewendet, und das ist hochproblematisch, Herr Dr. Stegner. Das sollte man hier auch einmal festhalten.
Sie haben, bis Sie durch den EuGH eines besseren belehrt wurden, schlicht ignoriert, dass Häftlinge in Abschiebehaft in spezielle Hafteinrichtungen kommen. Das steht in der EU-Richtlinie. Das hätte man auch ohne EuGH-Urteil schaffen können.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gewohnt, für meine Überzeugungen zu streiten und mich für das kritisieren zu lassen, was ich sage. Sie haben mich für ganz viel kritisiert, was ich hier nicht gesagt habe. Deswegen lassen Sie mich erstens feststellen, Frau Ostmeier: Ich habe den demokratischen Fraktionen hier in diesem Saal mitnichten Fremdenfeindlichkeit unterstellt. Das unterstelle ich den Rechtspopulisten hier im Haus. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
Es gibt eine Gemeinsamkeit der Demokraten. Wir streiten über die humanitären Spielräume. Darüber streiten wir. Kritisieren Sie mich also bitte für so etwas, aber diffamieren Sie nicht das, was ich hier sage. Das ist der erste Punkt.
Frau Kollegin Touré, ein zweiter Punkt, den ich sagen möchte: Sie haben auf die Planungen des Innenministers hingewiesen. Ich habe das vorhin schon einmal beantwortet. Zu Ihrer Aussage, die SPD hätte das auch gemacht, sage ich: Es tut mir leid, aus jedem Ihrer Sätze hier spricht das schlechte Gewissen Ihrer Fraktion. Nehmen Sie uns dafür auch noch in Anspruch. Wir hätten das nicht gemacht, um das hier ganz deutlich zu sagen.
Dritte Bemerkung: Herr Kollege Vogt, wenn man das Argument, anderswo sei es noch schlechter, als Begründung dafür nimmt, man müsse solche Einrichtungen schaffen, dann müssten wir auch geschlossene Jugendeinrichtungen in Hülle und Fülle schaffen; denn es gibt in der Tat noch schlechtere Dinge in dieser Republik. Dann kann ja wohl nicht Maßstab sein, um das zu rechtfertigen.
Was mich wirklich ärgert, Herr Kollege Vogt, ist, wenn Sie allen Ernstes sagen, Sie übten Verantwortung aus und wir nicht. Das lasse ich mir von Ihnen wirklich nicht sagen. Ich habe mich in der gesamten Zeit, seit ich in und für Schleswig-Holstein Politik
mache, auch als Innenminister - ein schwieriges Gebiet, in dem man sich auch intensiv mit dem Bundesrecht auseinandersetzen muss -, sehr oft mit der Bundesebene angelegt. Dabei ging es auch um die Härtefallkommission und um Abschiebestopps, die ich verhängt habe. Ich war bereit, mich dafür rügen zu lassen, weil mich der Einsatz dafür, dass die humanitären Spielräume soweit wie möglich maximiert werden, geleitet hat. Das gilt auch für meine Fraktion und meine Partei. Das ist das Motiv, mit dem wir hier im Hause handeln. Das ist Ausdruck unserer Verantwortung. Das können Sie kritisieren. Aber versuchen Sie nicht, es lächerlich zu machen.
Ausdruck von Verantwortung ist es auch, sich an Diskursen zu beteiligen, die nicht risikofrei sind. Auch der Mainstream in Deutschland bewegt sich von der Mitte weg, wie wir in den letzten Tagen leider erleben mussten. Es gibt Leute, die behaupten, man könne doch wieder fröhlich nach Afghanistan abschieben. Die Lage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Dorthin sollten wir Straftäter und Gefährder abschieben, aber doch bitte nicht Familien mit Kindern! Das bleibt meine Position, egal wie die Lage von anderen beurteilt wird. Diese Position vertrete ich auch hier. Sie haben vorhin von „Klamauk“ und Ähnlichem geredet. Ernsthaftigkeit sollten wir uns wechselseitig unterstellen.
Worüber wir hier als Demokraten streiten, ist, wie weit wir beim Ausnutzen der humanitären Spielräume gehen können.
Ich stelle fest: Die Mehrheit, die wir mit der Küstenkoalition in diesem Punkt hatten, haben wir in diesem Landtag leider nicht mehr. Das darf ich hier feststellen. Viele Ihrer Einlassungen zeigen doch, dass die Grünen eher ein schlechtes Gewissen haben.
Sie von der FDP versuchen, auf anderen Wegen zu polemisieren. Kollege Rossa hat absurde Behauptungen aufgestellt; denn zu dem Rechtssystem habe ich mich überhaupt nicht geäußert.
Herr Kollege Dr. Stegner, ich könnte vieles dazu sagen, will aber nur eines klarstellen, damit kein falscher Eindruck entsteht. Sie haben soeben auch über das Thema Afghanistan gesprochen. Ich habe mich dafür ausgesprochen wie übrigens auch der zuständige FDP-Minister in Nordrhein-Westfalen -, keine Familien nach Afghanistan abzuschieben. Das ist eine Gemeinsamkeit, die wir haben. Ich würde mich freuen, wenn wir zu dem Grundkonsens über eine humanitäre Flüchtlingspolitik zurückkehren könnten, anstatt künstlich Gegensätze aufzubauen.
- Herr Kollege Vogt, ich habe in meiner ersten Bemerkung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich keinen grundsätzlichen Unterschied sehe in der Frage, wie wir uns mit Rechtspopulisten, die leider auch in diesem Haus sitzen, die gegen andere hetzen und mit deren Grundwerten wir nichts gemein haben, auseinandersetzen sollten.
Insoweit gibt es eine große Gemeinsamkeit der demokratischen Fraktionen in diesem Hause, zu denen die SPD gehört, der SSW übrigens auch.
Trotzdem muss es manchmal sein - das haben wir an dieser Stelle gemacht -, auf Unterschiede bei der Nutzung von Spielräumen hinweisen. Wir haben immer gesagt, dass wir sozusagen der Vorposten dessen sind, was geht. Dafür sind wir in diesem Hause übrigens kritisiert worden, und dafür habe ich mich auch kritisieren lassen. Bei einigen Kolleginnen und Kollegen hat sich die Position anscheinend geändert. Nicht wir haben unsere Position verlassen, sondern wir vertreten die Position, die wir seit Jahren vertreten, noch heute. Ich finde, das Festhalten an Grundsätzen ist nicht etwas, wofür man kritisiert werden sollte, noch dazu in der Art und Weise, wie Sie es getan haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung machen: Vielleicht hätte man diese Debatte nicht an
einem Tag wie dem heutigen führen sollen. Wir haben heute nämlich leider Grund, über ganz andere Entwicklungen zu reden haben. Ich verweise auf die Diskurse, die wir in Italien, Österreich, Ungarn, Polen und anderswo erleben.
Wir müssen uns gegen diese Entwicklungen zur Wehr setzen. Ich sage Ihnen aber auch: Der Parlamentarismus ist stark genug und kann damit umgehen. Die demokratischen Fraktionen sind in der Lage, über Probleme leidenschaftlich und in der Sache leidenschaftlich miteinander zu streiten und trotzdem deutlich zu machen, dass man sich von denen da drüben komplett absetzt. Mit denen haben wir nichts am Hut. Wir streiten untereinander. Das muss möglich sein. Wir haben unsere Position beibehalten.
Wir haben vor der Wahl gesagt, was wir tun wollen, und wir tun nach der Wahl, was wir vor der Wahl gesagt haben.
(Beifall SPD - Volker Schnurrbusch [AfD]: Die SPD in Frankreich und Italien ist weg! Diese Arroganz - woher nehmen Sie die nur?)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der SPD, die moralische Inbrunst Ihres Tones ist für mich nur sehr schwer erträglich. Ich war in der vergangenen Wahlperiode im Landesbeirat der Abschiebehaftanstalt vertreten und weiß, dass die Schließung im Jahr 2014 im Wesentlichen von sehr, sehr glücklichen Umständen geprägt war. Die Zahl an Flüchtlingen war bis 2013 in einem Maße zurückgegangen, wie wir es uns gar nicht mehr vorstellen kön
nen. Im Jahr 2010 waren es nur noch 1.300 Flüchtlinge im Land, im Jahr 2013 ungefähr 3.000. Im Jahr 2015 waren es 35.000! Das ist eine ganz andere Zahl, von der wir reden.
Zu dieser Frage gab es zwei Urteile. Das eine erging durch den EuGH. Das haben Sie gesagt, aber Sie haben das Urteil falsch interpretiert. Der EuGH hat nicht entschieden, dass Abschiebehaft grundsätzlich nicht möglich sei. Er hat nur verlangt, dass es eine Trennung gibt.
Viel entscheidender war die Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Darin heißt es, dass Abschiebehaft bei Dublin-Rückführungsfällen grundsätzlich nicht möglich ist. In Rendsburg handelte es sich zu 90 % um Dublin-Fälle. Dies führte dazu, dass in der dortigen Einrichtung im Jahr 2014 monatelang nur zwei bis drei Häftlinge saßen. Frau Spoorendonk, die damalige Justizministerin, hatte absolut keinen Bock mehr, 20 AVDler, die sie in der JVA Kiel unbedingt brauchte, für die Bewachung von zwei, drei Leuten in Rendsburg einzusetzen. Das - nur das! war der Grund, warum wir in dieser Situation sagen konnten: Machen wir den Laden dicht! Das war eine Kosten-Nutzen-Abwägung und nicht eine hochmoralische Entscheidung.
Wenn die Verhältnisse damals so gewesen wären, wie sie heute sind, hätten wir diesen Koalitionsvertrag nicht umsetzen können. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt.