Protocol of the Session on June 15, 2018

Herr Habersaat, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, müssen Sie auch stehenbleiben und die Antwort abwarten. Ich habe das noch nicht als Antwort wahrgenommen. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, erwarte ich von Ihnen, dass Sie die Antwort abwarten. Die Kollegin Touré hat jetzt die Möglichkeit, darauf zu antworten. Alle anderen hören ihr bitte zu.

Ich erkenne an, dass Sie das kritisiert haben. Ich bin mir aber zu 250 % sicher, dass wir diese Debatte in dieser Legislaturperiode geführt hätten, auch wenn wir als Koalition hier gestanden hätten. Da bin ich mir sicher.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Widerspruch und Zurufe SPD)

Was nicht an mir abprallt, ist dieses Gesetz, das wir als Grüne mittragen. Es ist kein Zufall, dass wir von „Kompromiss mittragen“ sprechen, weil wir uns nicht davon freikaufen können und einen Teil dazu beitragen, dass eine Abschiebehafteinrichtung hier entsteht. Das ist unsere politische und moralische Verantwortung.

Wenn ich zu dem realen Handlungsspielraum komme, gebe ich die geteilte Verantwortung wieder in Ihre Hände. Ich habe mich in den letzten Wochen ernsthaft gefragt, ob es der SPD nicht bewusst ist, dass die Grundlagen für ein Abschiebehaftvollzugsgesetz und eine Abschiebehafteinrichtung im Bundesgesetz - daran seid ihr beteiligt - und auf europäischer Ebene festgeschrieben sind.

Der Hauptpunkt der Debatte, die Inhaftierung von Minderjährigen und Familien, findet sich im Aufenthaltsgesetz § 62 Absatz 1 Satz 3 wieder. Dort steht nämlich geschrieben, dass Kinder, Minderjährige und Familien in Ausnahmefällen inhaftiert werden können. Genau dieser eine Satz ermöglicht es uns eben nicht, auf Landesebene Bundesrecht zu brechen

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

und in unser Gesetz hineinzuformulieren, dass wir das schlichtweg nicht tun werden. Ich sage Ihnen auch, warum: Selbst wenn wir uns über das Bundesrecht hinwegsetzen würden, ist es nicht das Parlament, das über eine Inhaftierung entscheidet, sondern es sind Richterinnen und Richter, die darüber entscheiden. Sie werden sich am Ende des Tages an das Bundesrecht halten.

(Barbara Ostmeier)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Die Hauptdebatte, die wir hier führen sollten, ist: Was kann das Land tun? Deshalb haben wir in den Gesetzentwurf hineinformuliert, dass die Inhaftierung von Kindern und Minderjährigen nur unter den restriktiven Maßgaben des eben erwähnten Paragrafen stattfinden kann. Punkt eins.

Punkt zwei: Wir haben bereits vereinbart, dass wir nicht hinter die Regelungen des heute geltenden Erlasses fallen wollen, der sagt, dass die Ausländerbehörden möglichst nicht anordnen sollen, dass Kinder, Schwangere und Familien inhaftiert werden sollen. Diesen Spielraum nutzen wir. Das ist eine Realität.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und Volker Schnurrbusch [AfD])

Wir Grüne haben durchgesetzt - da haben wir hart verhandelt, und daran können wir alle uns noch gut erinnern -, dass soziale Beratung, Rückführungsberatung, medizinische Betreuung und die freie Beweglichkeit in der Einrichtung möglich sein werden. Ich bin froh, dass wir als CDU, FDP und Grüne zu diesem Kompromiss gekommen sind.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich möchte noch mal auf den Punkt kommen, welchen Spielraum wir tatsächlich haben. Ich hatte schon die eine oder andere schlaflose Nacht, seitdem wir diesen Kompromiss im Koalitionsvertrag geschlossen haben. Ich habe mir mehr als einmal die Frage gestellt, was wir als Grüne hätten verhindern können.

Da fängt das Problem schon an. In der letzten Legislaturperiode - das habe ich vorhin in meiner Zwischenfrage schon gesagt, und das merke ich sehr selbstkritisch an - haben wir kommuniziert, dass wir keine Einrichtung haben. Wir haben aber die Plätze anderer Bundesländer mitgenutzt. Da soll mir jemand erklären - die Frage haben Sie mir nicht beantwortet, Herr Stegner -, inwiefern es für Muhammed oder Ermine besser sein soll, wenn sie in Brandenburg untergebracht werden und nicht in Schleswig-Holstein. Eisenhüttenstadt, die Einrichtung, die wir sonst mitgenutzt haben, wurde geschlossen, weil sie desaströs war.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP - Zuruf CDU: Genau!)

Wir konnten bislang schön sagen, wir haben das Problem nicht vor Ort, sondern weit weg. Das ist eine ähnliche Debatte, wie man sie über Fluchtursachen führt. Deshalb haben wir Grüne entschieden, diesen Kompromiss mitzutragen, solange - das ist der entscheidende und wichtige Punkt - die bundespolitischen Vorgaben bestehen. Es ist das kleinere Übel, eine Unterkunft nach unseren Bedingungen hier zu bauen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Es sind nicht meine schlaflosen Nächte, die Abschiebehafteinrichtungen verhindern. Herr Stegner, Sie sind stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, Sie sind sich über Ihre diskursive Macht und Ihre Einflussmöglichkeiten absolut im Klaren. Wenn Sie sagen, Sie wollten keine Einrichtung und Sie wollten nicht, dass Kinder und Minderjährige inhaftiert werden, dann machen Sie sich doch gemeinsam mit uns Grünen auf Landes- und Bundesebene auf den Weg und streichen diese Regelung aus dem Aufenthaltsgesetz. Dort werden nämlich im Gegensatz zu Ihrer in der Presse verlautbarten Position die Grundlagen für Abschiebehafteinrichtungen und Inhaftierungen von Kindern und Minderjährigen geschaffen - und nicht im Land.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Noch etwas Grundsätzliches zu Rückführungen: Das wirksamste Mittel - das ist die Position, die wir als Koalition vertreten - für Rückführung ist die freiwillige Rückführung. Darauf richtet unsere Koalition ihr Hauptaugenmerk. Deshalb haben wir dafür extrem viel mehr Geld in den letzten Haushalt eingestellt. Wir alle sind uns, glaube ich, im Hause einig darüber, dass das der sinnvollste und menschenwürdigste Weg ist, um ein Schiff zurückzuführen, nicht aber eine Abschiebehafteinrichtung für 20 Personen. Damit müssen wir uns befassen, und dafür stehen wir. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Aminata Touré)

„Wir wollen eine humanitäre Flüchtlingspolitik und eine geregelte Zuwanderung. Aber das funktioniert nur, wenn auf der anderen Seite der Rechtsstaat handlungsfähig und durchsetzungsstark ist. Das heißt auch, dass abgelehnte Asylbewerber konsequent zurückgeführt werden in ihre Heimat. Da müssen auf Worte auch Taten folgen.“

Das sind nicht meine Worte, Herr Dr. Stegner, sondern das sind die Worte der SPD-Partei und Fraktionsvorsitzenden auf Bundesebene Andrea Nahles. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das, was Sie hier abliefern, ist wirklich eine auch schon von meiner Kollegin Touré angesprochene Bigotterie, weil Sie auf der einen Seite anders handeln als Sie hier reden.

Meine Fraktion teilt die Position der SPD-Bundespartei. Man hätte es auch anders formulieren können. Wir alle wissen, dass die FDP-Landtagsfraktion seit jeher für eine humanitäre Flüchtlingspolitik einsteht. Sie dient den Menschen, die vor Krieg und Verfolgung zu uns flüchten müssen. Das war auch immer Konsens in diesem Hohen Hause zwischen den - ich sage mal - staatstragenden Parteien.

Wir setzen uns zudem für ein modernes Zuwanderungsrecht mit klaren Kriterien und fairen Chancen ein, übrigens auch für die Menschen, Herr Dr. Stegner, und ihre Familien, die seit Jahren gut integriert hier leben und die nach aktueller Gesetzeslage kein dauerhaftes Bleiberecht haben. Das ist für viele gut integrierte Menschen eine Zumutung, was wir hier momentan an Gesetzeslage haben, und eine verpasste Chance für unser Land.

(Beifall FDP)

Was in dieser Debatte auch eine Rolle spielt, das ist der sogenannte Spurwechsel, von dem in der gestrigen Debatte schon mehrfach die Rede war.

Wir setzen uns auch für verstärkte Integrationsmaßnahmen ein. Dieses verstärken wir auch im Rahmen dieser Koalition hier noch einmal. Wir sehen aber eben auch, dass sich in unserem Land viele Menschen aufhalten, die kein Bleiberecht haben.

Wir bevorzugen selbstverständlich die freiwillige Ausreise; auch darüber sind wir uns einig. Das ist in diesen Fällen für alle Beteiligten der bessere Weg. Allerdings reisen viele Menschen, die kein Bleiberecht haben, eben nicht freiwillig aus. Nicht wenige Ausreisepflichtige entziehen sich auch konsequent der von Gerichten angeordneten Abschiebung.

Ich habe wirklich Verständnis für diese menschlichen Schicksale. Der Rechtsstaat muss sich aber auch hier durchsetzen. Es sind ja keine willkürlichen Maßnahmen, um die es hier geht, sondern das sind die Entscheidungen von Richtern, die sich an deutsche Gesetze halten.

(Beifall FDP und CDU)

Es gab hier zwischen den wirklich staatstragenden Parteien in der Vergangenheit immer einen Grundkonsens, was eine humanitäre Flüchtlingspolitik angeht.

Herr Dr. Stegner, Sie arbeiten sich nun schon seit einem Jahr konsequent an den Grünen ab. Sie führen hier so eine Art Rosenkrieg.

(Zuruf SPD)

- Frau Kollegin, ich meine es wirklich ernst. Aus meiner Sicht ist diese Debatte für Kaspereien ein bisschen zu ernst. Wir sollten uns also wirklich ernsthaft über diese Thematik unterhalten.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach der bisherigen Debatte muss ich feststellen: Nicht die Grünen haben den bisherigen Konsens verlassen, sondern Ihre Fraktion hat den Grundkonsens verlassen, indem sie so tut, als wenn Sie die einzigen moralischen Menschen in diesem Raum wären, während alle anderen hier Unmenschen sind, die geflüchteten Menschen etwas Böses antun wollen.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schauen Sie sich den Antrag, den Sie uns hier vorgelegt haben, doch einmal genau an. Wenn die SPD-Fraktion ernsthaft formuliert, dass eine Abschiebehaftanstalt generell inhuman sei und den Grundsätzen einer freiheitlichen Gesellschaft widerspricht, dann frage ich mich, ob Sie sich wirklich überlegt haben, was Sie da aufgeschrieben und uns hier vorgelegt haben. Ich frage mich wirklich, ob das Ihr Ernst ist. Sie müssen der Öffentlichkeit doch auch einmal erklären, Herr Dr. Stegner, wie Sie das denn umsetzen wollen. Sie haben in dieser Debatte ja schon genügend Fragen beantwortet. Aber Sie müssen uns jetzt endlich auch einmal erklären, wie Sie denn das Bundesrecht umsetzen würden, das Sie nicht ändern. Sie haben doch Ihre Unterschrift unter den Koalitionsvertrag in Berlin gesetzt. Nicht ich, auch nicht Frau Touré, hat das gemacht, sondern Sie haben das gemacht. Jetzt

(Christopher Vogt)

müssen Sie uns einmal erklären, wie Sie das eigentlich umsetzen wollen.

Sie haben in der Vergangenheit mehrfach gesagt, Sie wollten keine Abschiebehaftanstalt in Schleswig-Holstein, und die in Rendsburg haben wir geschlossen, übrigens deshalb, weil wir das quasi mussten. Aber Sie müssen uns nun einmal erklären, wie Sie das Recht umsetzen wollen. Sie reden von wenigen Einzelfällen. Auch hier geht es doch um Einzelfälle, selbstverständlich. Es geht nicht darum, dass Leute, die einen Ablehnungsbescheid haben, automatisch nach Glückstadt kommen. Nein, es ist Quatsch, was Sie hier behauptet haben. Es geht nach wie vor um Einzelfälle. Wir jedoch kommen unserer Verantwortung nach, anders als Sie.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind von Ihnen ja schon viel gewohnt. Auf Herrn Studt sind Sie ja schon eingegangen. Das ist ja dann wahrscheinlich auch ein inhumaner Innenminister der SPD gewesen. Aber der hat eben erkannt, dass es besser ist, eine eigene Abschiebehaftanstalt zu betreiben als das baufällige Ding in Eisenhüttenstadt, das Sie genutzt haben. Das ist seit etwa einem Jahr geschlossen. Das war nun Ihre humane Flüchtlingspolitik, der Sie hier das Wort reden, oder was meinen Sie?

Sie sind einfach darüber hinweggegangen. Sie müssen doch auch einmal sehen, dass sich die Stadt Hamburg beteiligt, wo Rot-Grün regiert, dass sich auch das Land Mecklenburg-Vorpommern beteiligt, das von Rot-Schwarz regiert wird. Das sind nun auch alles inhumane Politiker und Menschen, die einer freiheitlichen Gesellschaft widersprechen? Das glauben Sie doch selber nicht, Herr Dr. Stegner.