Protocol of the Session on January 26, 2018

Im Unterschied zu Ihren Kollegen in den anderen Bundesländern ist Ihr Antrag sprachlich geschickter formuliert. Sie haben einige Dinge, die in SachsenAnhalt gesagt wurden, einfach weggelassen. Die Intention ist aber genau die Gleiche: Sie suggerieren, dass das Sozialversicherungsabkommen türkische Mitbürger gegenüber Deutschen bevorteile. Dies ist aber nicht so und wurde schon oft erwidert, auch eben gerade.

Im Abkommen ist festgehalten, dass der in der Türkei lebende Familienangehörige eines in Deutschland krankenversicherten Beitragszahlers im Krankheitsfall die Kosten für eine Behandlung in der Türkei erstattet bekommt. Wenn man das fiskalische Argument ernst nimmt, stellt man fest, dass das Verfahren im Endeffekt viel kostengünstiger ist, als wenn es anders geregelt würde.

(Serpil Midyatli [SPD]: Familiennachzug!)

- Genau! Der vereinbarte Monatspauschalbetrag wird je Familie bezahlt, unabhängig von der Zahl der versicherten Familienangehörigen. Das ist wichtig, denn es ist weitaus weniger, als bei uns eine Familienversicherung je mitversicherte Person kostet. Es gibt also nicht einmal eine Besserstellung oder Überbevorteilung gegenüber Versicherten, die in Deutschland die Leistungen in Anspruch nehmen. Ihr Ungerechtigkeitsvorwurf gegenüber Deut

schen läuft komplett ins Leere. Es ist plumpe, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Wieder einmal haben Sie sich eine Gruppe herausgegriffen, stilisieren etwas hoch und verbreiten es auf Ihren Kanälen.

Die neue Qualität dabei ist aber, dass Sie sich eine Gruppe herausnehmen, die schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, ja sogar Leute, die eine tragende Säule unseres wirtschaftlichen Erfolgs sind. Sie wollen spalten. Herr Schaffer, wenn irgendetwas aus der Zeit gefallen ist, dann ist das an dieser Stelle Ihre Partei.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das ist eigentlich ziemlich traurig. Den Menschen in diesem Land oder vielleicht auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern, den 18.000 Leuten in Schleswig-Holstein, die Ihnen ihr Vertrauen gegeben haben, helfen Sie damit nicht.

Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es sich nicht gerade um einen Notfall handelt, sollte erst einmal eine gründliche Diagnose gestellt werden, eine gründliche Eruierung der Lage vor Ort, und dann eine gezielte Therapie erfolgen. Jetzt gucken wir uns den Antrag, den Sie hier vorgelegt haben und den auch andere aus Ihren Reihen vorgelegt haben, einmal genau an.

Falls irgendjemand auf die Idee käme, diesen Antrag hier umzusetzen, würde es dann irgendeinem Patienten besser gehen? - Nein. Falls irgendjemand auf die Idee käme, diesen Antrag umzusetzen, wäre das besser für die Krankenversicherung? - Nein. Falls irgendjemand auf die Idee käme, diesen Antrag umzusetzen, was meinen Sie, was mit deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Ausland passiert? Das ist ein bilaterales Abkommen. Sie sind hier auf einem totalen Holzweg. Das funktioniert überhaupt nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

(Tobias von Pein)

Die Familienangehörigen sind dort mitversichert. Das Abkommen stammt - das ist eben gesagt worden - aus dem Jahr 1964. Ich bin sehr dafür, dass wir uns als Rechtsstaat an diese Abkommen halten. Im Übrigen gibt es solche Abkommen nicht nur mit der Türkei; es gibt sie mit vielen anderen Ländern. Es ist gut und richtig, dass wir diese Abkommen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal ein bisschen genauer, was der Kollege Marcus Rossa gestern in seiner Rede gesagt hat: der Wolf im Schafspelz. Seit dieser Landtagstagung ist völlig klar, wes Geistes Kind Sie sind. Sie geben sich konservativ, aber was wirklich dahintersteckt, gucken wir uns einmal genau an.

2011 hat die NPD - die NPD! - eine Petition an den Bundestag gestellt, genau mit diesen Ideen, die dahinterstecken. Erst die NPD, dann die AfD, dann ist mir alles klar, was bei Ihnen dahintersteckt. Vielen Dank für das Gespräch! Sie wollen nur Verschlechterung, und Sie merken es noch nicht einmal.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kenne das Gesundheitswesen und die Probleme wirklich ganz genau. Ich beschäftige mich seit Jahren damit. Eines ist klar - Tobias von Pein hat es eben deutlich gemacht -: Sie wollen gar keine Verbesserung im Gesundheitswesen, sonst würden Sie bei ganz anderen Punkten ansetzen. Alles, was Sie wollen, ist: spalten, Ängste schüren und die Patienten gegeneinander ausspielen.

Mit diesem Antrag ist niemandem geholfen. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten der FDP - - Mir ist hier nicht aufgeschrieben worden, dass natürlich auch die FDP dazu redet. - Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste ich mich nur hier hinstellen und sagen, wir lehnen das ab, und wieder gehen. Das wäre bei diesem Antrag sachgerecht.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aber ein paar Gedanken möchte ich schon dazu äußern und das so nicht stehen lassen.

Beim allerersten Blick auf die Tagesordnung denkt man: AfD, Sozialversicherung, Mensch, vielleicht einmal ein gehaltvoller Antrag, der unser Gesundheitssystem ein bisschen beleuchtet und andere Ideen bringt. Aber falsch gedacht, es ist doch wieder nur ein Antrag aus dem AfD-Franchise-Baukasten, der seit Jahren durch die Parlamente geistert und Mittwoch in Bremen dran gewesen wäre.

Ein paar Fakten, auch wenn sie schon ein Stück weit genannt wurden. Um die Jahrtausendwende, vor 17, 18 Jahren, gab es noch knapp 40.000 Personen, deren Familien in der Türkei Leistungen nach dem Abkommen erhalten haben. Vor zwei Jahren waren es nur noch knapp 10.000. Sie sehen, die Tendenz sinkt. Das liegt auch daran, dass das türkische Sozialversicherungssystem besser wird und man dann aus dem Leistungsbezug hier herausfällt.

Eine Regierungsbefragung Ihrer neuen Bundestagsfraktion ergab, dass in den Jahren 2013 und 2014 das sind die letzten Jahre, für die es Zahlen gibt die GKV für dieses Abkommen 4 Millionen € bis 5 Millionen € über die Pauschalzahlungen gegenüber türkischen Angehörigen ausgegeben hat. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben der GKV betrugen im selben Jahr knapp 200 Milliarden € - 4 Millionen bis 5 Millionen € gegenüber 200 Milliarden €! Die Abrechnung erfolgt über eine Pauschale. Das bedeutet, dass es für uns prinzipiell völlig egal ist, ob ein Kind dabei ist, ob sieben Kinder dabei sind, Ehegatte, Eltern. Es ist für uns finanztechnisch total egal, wie groß die Familie ist; es gibt immer 40,90 €, wie schon erwähnt wurde, als Pauschale.

Der AfD-Abgeordnete im Landtag von SachsenAnhalt sagte zu den Kosten:

„Die Schätzungen liegen irgendwo bei 10 bis 12 Millionen €, mal bei mehreren 100 Millionen € Kosten für unser Solidarsystem.“

- Fake News, völlig haltlose Behauptungen und Vorwürfe aus Ihrer Partei-DNA. Mir platzt da wirklich langsam der Kragen. Immer so etwas rauszuhauen, durch die Lande zu schicken, ohne Begründung.

Die Ausgaben für Leistungen der Krankenversicherung, welche aus dem Abkommen herrühren, entsprechen 0,002 % - ungefähr der gleiche Anteil, wie Ihre Bundestagsfraktion bisher mit sachlichen Wortmeldungen aufgefallen ist.

(Beifall FDP)

(Dr. Marret Bohn)

Herr Abgeordneter Bornhöft, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schaffer?

Herr Bornhöft, von welcher Zahl habe ich in meiner Rede gesprochen? Welche Kosten sind aufgelaufen?

- Sie nicht. Ich spreche davon, dass Ihre Partei diesen Antrag momentan in mehreren Landesparlamenten eingebracht hat. Ich habe mich auf Ihren sachsen-anhaltinischen Kollegen bezogen.

(Christopher Vogt [FDP]: Sie sind noch Par- teimitglied, oder nicht mehr? - Claus Schaf- fer [AfD]: Ich bin nicht verantwortlich für das, was andere sagen! - Weitere Zurufe)

- Sie sind aber verantwortlich dafür, dass Sie gleichlautende Anträge stellen. Da müssen Sie sich doch nicht wundern, dass man Ihnen das zurechnet.

(Christopher Vogt [FDP]: Wenn Sie von den Leuten die Anträge kopieren! - Weitere Zu- rufe)

Nun hat der Abgeordnete Bornhöft wieder das Wort.

Es wird hier so getan, als würden türkische Senioren brandschatzend in unsere Sozialversicherungssysteme eingreifen. Das ist schon zahlenmäßig völlig daneben. Sie verkennen auch vollkommen, dass es nicht „türkisches Sozialversicherungsabkommen“ heißt, sondern „deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen“. Warum heißt das so? Weil das eine beidseitige Geschichte ist. Von diesem Abkommen profitieren auch deutsche Arbeitnehmer, die in der Türkei leben, und deren Angehörige. Das ist eine beidseitige Geschichte. Stellen Sie sich also nicht hin und behaupten, das sei eine Schlechterstellung unserer Bürger, sondern es ist etwas Beidseitiges. Ich habe gerade erwähnt, dass die fiskalischen Auswirkungen bei den Eltern keinen Unterschied machen.

Darüber hinaus wäre die Aufkündigung dieses Abkommens eines der konsequentesten Familiennachzugsprogramme, welche in den letzten Monaten diskutiert werden. Es hatte ja einen Grund, dass

man das Abkommen bezüglich der türkischen Gastarbeiter damals geschlossen hat. Deutschland hatte damals ein Interesse daran, dass die Gastarbeiter nicht gänzlich ihre Familien mit nach Deutschland nehmen, wie es sonst passiert wäre. Da müsste Ihr Parteiherz - ob es am rechten Fleck ist oder nicht doch eigentlich höherschlagen, dass mit diesem Abkommen dafür gesorgt wurde, dass nicht noch mehr Nichtdeutsche in dieses Land gekommen sind.

Ein weiterer Aspekt kommt hinzu, von Ihrer Bundestagsfraktion. Tut mir leid, dass ich schon wieder darauf Bezug nehmen muss. Bei der Klimadebatte letzte Woche im Bundestag hat sich die AfD an die Speerspitze der Klimadebatte gestellt. Der AfDBundestagsabgeordnete Kraft berichtete, dass die Massenmigration zu deutlich höheren Kohlendioxidausstößen in Europa führe und nicht nur die deutschen Klimaziele, sondern das Klima generell gefährde.

(Beate Raudies [SPD]: Das ist ein ganz neuer Aspekt!)

- Ganz neuer Aspekt, genau, dass Leute, die nach Deutschland kommen, natürlich das Klima schädigen. Wenn wir uns vorstellen, es gäbe dieses Abkommen nicht und wir müssten die türkischen Angehörigen jedes Mal zur Behandlung nach Deutschland fliegen, was gäbe das für einen CO2-Ausstoß!

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Es gibt doch gar keinen Klimawandel!)

Ich habe noch eine Frage an Sie: Warum nur das Abkommen mit der Türkei? Wissen Sie, wie alt das jüngste Abkommen ist, das Deutschland geschlossen hat, und mit wem? Es ist Albanien, und dieses Abkommen ist keine zwei Monate alt. Wo war da Ihr Aufschrei? Das ist aktuell, und wir müssen da nicht etwas behandeln, was 50 Jahre alt ist.