Protocol of the Session on January 26, 2018

Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag, Drucksache 19/446, durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Da keine Anträge gestellt worden sind, ist der Tagesordnungspunkt damit erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Deutsch-türkisches Sozialversicherungsabkommen aufkündigen

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/452

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der AfD hat der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Ende 1965 in Kraft getretene deutsch-türkische Sozialversicherungsabkommen

regelt, wer unter welchen Umständen Leistungen aus der Krankenversicherung erhält. Inhaltlich sieht das Abkommen vor, dass in der Türkei lebende Familienangehörige des in Deutschland krankenversicherten Arbeitnehmers mitversichert sind. So weit, so gut.

Als Familienangehörige gelten hierbei nicht nur Ehepartner und Kinder, wie es in unserem Land gesetzlich geregelt ist, sondern auch die Eltern des hier lebenden Arbeitnehmers. Hiermit kam man seinerzeit der türkischen Rechtsauffassung von Familie und auch ein wenig der soziokulturellen Ausprägung des türkischen Familienbegriffs entgegen. Letztlich geschah dies auch, um nicht das gesamte Abkommen zu gefährden.

Heute, mehr als 50 Jahre später und in einer Zeit, in der viele der damals sogenannten Gastarbeiter längst bei uns heimisch geworden sind, stellt das, was damals seinen guten Grund hatte, sich als Ungleichbehandlung dar. Diese Ungleichbehandlung wurde in der Vergangenheit wiederholt kritisiert. Natürlich könnten Gründe vorliegen, die eine solche Regelung rechtfertigen. So wird von den Befürwortern der noch immer geltenden Regelung argumentiert, dass die Behandlung in der Türkei kostengünstiger wäre, als wenn die Angehörigen sich in Deutschland behandeln ließen. Dies gelte umso mehr, als die Kosten mit einer überschaubar hohen Pauschale abgegolten würden.

Dieses Argument ist aber unzutreffend, denn der Gedankengang setzt voraus, dass entweder jeder kranke Betroffene aus der Türkei nach Deutschland fliegt, um sich behandeln zu lassen, oder aber, dass sämtliche Angehörige nur wegen der Mitversicherung in der Türkei bleiben und andernfalls nach Deutschland kommen dürften und wollten, wenn es diese Möglichkeit der Mitversicherung eben nicht gäbe.

Beide Fälle sind konstruiert und unsinnig, unter anderem deshalb, weil ein Personenkreis - die Eltern gar nicht mehr unter ein zukünftiges Abkommen fiele, weder in der Türkei, noch in Deutschland. Auch bei Wohnsitznahme in Deutschland würden sie nicht unter die Familienversicherung fallen. Das Argument läuft also auch hier ins Leere.

Die Aufenthaltsdauer der türkischen Arbeitnehmer war damals auf zwei Jahre beschränkt. Das strenge Rotationsprinzip wurde bereits 1964 nach Verhandlungen wieder aufgehoben. Doch die damals geschlossene Vereinbarung ergibt für beide Seiten nur dann Sinn, wenn es sich um zeitlich befristete Aufenthalte oder Arbeitsverhältnisse handelt. Heute,

über 50 Jahre später, fällt diese Reglung schlicht aus der Zeit, denn sie behandelt türkische und einheimische Versicherungsnehmer beziehungsweise Familienversicherte ungleich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das, was früher für Deutschland und für die Türkei sinnvoll war, heute als überkommenes Relikt zu bewerten ist. Die Problematik ist schon seit längerer Zeit klar. Im Jahr 2003 wurden hierzu sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene kritische Kleine Anfragen an die Regierungen gestellt.

(Zuruf Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Es erfolgte beide Male aus den Reihen der CDU in ihrer damaligen Rolle als Oppositionspartei. Es waren Kleine Anfragen wohlgemerkt, zuhören bitte!

Selbst an der Regierung, wurde die Sache allerdings nicht weiter verfolgt. Das mag damit begründet worden sein, dass es finanziell gesehen insgesamt um eher kleinere Beträge gehen dürfte. Offen blieb - und bleibt bis heute -, um welches Gesamtvolumen es tatsächlich geht. Die AfD-Fraktionen nehmen daher die unerledigte Arbeit von einst wieder auf - auch hier in Kiel. Es geht vordergründig nicht um die Finanzen, sondern um die Bereinigung oder Aktualisierung des Sozialversicherungsabkommens mit dem Ziel, Ungleichbehandlungen zu beseitigen.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ums Schüren von Ressentiments geht es Ihnen, um nichts anderes!)

Dies gilt übrigens auch für die gleichgerichteten Vereinbarungen, die mit anderen Staaten getroffen worden sind und die heute ebenso aus der Zeit fallen.

Wir bitten daher um Überweisung unseres Antrages in den Finanz- und in den Sozialausschuss. Dort können konkrete Schritte dazu beraten werden, die zu Regelungen führen sollen, die den heutigen Bedürfnissen aller Vertragsstaaten gerecht werden. Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtages Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer der Wirtschaftsakademie SchleswigHolstein aus Neumünster und Justizobersekretäran

(Claus Schaffer)

wärterinnen und -anwärter des Landgerichts Lübeck. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal richte ich herzliche Grüße vom erkrankten Kollegen Werner Kalinka aus, für den ich heute die Rede hier halte.

Vor uns liegt dieser Antrag der AfD. Es ist wieder so ein fadenscheiniger Versuch, Deutsche und Türken, Deutsche und Ausländer in Konkurrenz zu bringen, was wir ablehnen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ein fast identischer Antrag wurde vor einiger Zeit von der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt gestellt. Worum geht es hier? - Nähern wir uns einmal ganz sachlich dem Hintergrund und versuchen wir, den Hintergrund dieses Antrages zu beleuchten. 1965, in Zeiten des Wirtschaftswunders, brauchte die junge Bundesrepublik Deutschland dringend Arbeitskräfte. Um den in Deutschland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - den sogenannten Gastarbeitern - und deren Familien einen Sozialversicherungsschutz zu ermöglichen, wurde 1964 ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen geschlossen.

Meine Damen und Herren, bei der gestrigen Debatte, die wir uns hier - ebenfalls von der AfD - zum § 219 a StGB anhören mussten, haben wir wieder einmal gesehen, wes Geistes Kind Sie eigentlich sind.

(Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So ist das! - Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Worauf wollen Sie denn hinaus? - Natürlich wollen Sie hier die Kostenkarte spielen. Sie behaupten, dass bei diesem Abkommen Ausländer gegenüber Deutschen bevorteilt würden. Ich möchte Ihnen dazu einmal Zahlen nennen, denn die sind sehr erhellend. Die haben wir eben nicht gehört. Für eine in der Türkei lebende Familie einer in Deutschland lebenden, gesetzlich sozialversicherten Person wird monatlich eine Pauschale in Höhe von 40,90 € gezahlt. Wie viele Personen sind davon betroffen?

Das ist auch interessant, es sind in der ganzen Bundesrepublik 10.000 Menschen, die diese Versicherung in Anspruch nehmen.

Einen weiteren Punkt kann ich Ihnen in diesem Zusammenhang auch nennen: Die Zahlen sind seit 2001 sehr weit zurückgegangen, sie sind auf ein Viertel gesunken, von 38.000 Personen auf die besagten 10.000 Personen. Bei welchen Kosten liegen wir hier unter dem Strich? - Es sind weniger als 0,002 % der Leistungsausgaben der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Das sind rund 8 Millionen € für ganz Deutschland im Jahr.

Diese Neiddebatte befeuert auch die Kollegen in Sachsen-Anhalt, die den gleichen Antrag gestellt haben. Bei diesen bilateralen Sozialversicherungsabkommen handelt es sich um einen internationalen Standard und um ein Vorgehen, auf das wir hier mit Stolz blicken können.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Unsere Wirtschaft war in den 60er-Jahren auf Arbeitskräfte angewiesen. Diese Menschen und ihre Familien hatten am Aufbau dieses Landes einen großen Anteil. Ohne sie würden wir heute nicht das Deutschland, das es heute ist, vorfinden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Familien sind uns wichtig, und auch, dass ihre in der Heimat verbliebenen Angehörigen versichert sind. Diese Verantwortung wollen wir übernehmen. Das ist historisch gewachsen und begründet. Das finden wir gut und wollen wir wahrnehmen. Ich sehe keinen Anlass, dieses Abkommen neu zu verhandeln. Deswegen lehnen wir diesen Antrag der AfD-Fraktion kategorisch ab. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von Pein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist keine gesundheitspolitische Initiative, die den Menschen in unserem Lande Ideen für eine bessere Gesundheitsversorgung aufzeigt. Er ist auch keine finanzpolitische Initiative, die vielleicht die Kosteneffizienz der Krankenversicherung verbessern soll. Auch das

(Präsident Klaus Schlie)

könnte man ja fordern. Nein, es ist ein weiterer, ziemlich plumper Versuch, Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen zu verbreiten und zu streuen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Diesmal sind es nicht Geflüchtete, sondern Menschen, die ganz maßgeblich zu unserem heutigen Wohlstand beigetragen haben: Türken, Gastarbeiter und ihre Familien. Den Vorschlag, den Sie machen, haben Sie fast eins zu eins von Jörg Meuthen und André Poggenburg abgeschrieben. Die haben offensichtlich bei DVU und NPD abgeschrieben - unfassbar!

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Herr Schaffer, ich meine es wirklich ernst: Sie müssen sich einmal entscheiden, wohin Sie wollen. Wenn das Ergebnis Ihres internen Machtstreits ist, als Fraktion hinüber zum rechtsnationalen Flügel der AfD zu rutschen, glaube ich, wird Ihr interner Streit noch sehr viel länger und schmutziger werden. Dafür wünsche ich Ihnen viel Ausdauer.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Im Unterschied zu Ihren Kollegen in den anderen Bundesländern ist Ihr Antrag sprachlich geschickter formuliert. Sie haben einige Dinge, die in SachsenAnhalt gesagt wurden, einfach weggelassen. Die Intention ist aber genau die Gleiche: Sie suggerieren, dass das Sozialversicherungsabkommen türkische Mitbürger gegenüber Deutschen bevorteile. Dies ist aber nicht so und wurde schon oft erwidert, auch eben gerade.