Protocol of the Session on October 13, 2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liberale Familienpolitik zwängt Menschen nicht in ein festes Lebensmodell, sondern lässt ihnen die Wahl, ihr Leben selbst zu gestalten. In der AfD herrscht ein anderes Gesellschafts- und vor allem Familienbild. Das wird mit dem vorliegenden Antrag bei genauerer Betrachtung überdeutlich.

Der flüchtige Leser wird dem ersten Absatz bedenkenlos seine Zustimmung geben, wenn es heißt: Das Fundament unserer Gesellschaft ist die Familie. Ich frage die Abgeordneten der AfD, ob sie unter dieser Familie dasselbe verstehen wie ihre Kollegen in Brandenburg. Die Kollegin Midyatli sagte es bereits: Es gab dort vor einigen Monaten einen Antrag, der konkreter war. In dem werden die Bedingungen für ein Darlehen, wie Sie es heute vorschlagen, wie folgt genannt: Vorliegen der deutschen Staatsbürgerschaft, wohnhaft mindestens fünf Jahre mit Hauptsitz im Land Brandenburg und die Einhaltung der klassischen Familie mit Mann, Frau und Kindern.

Meine Damen und Herren, das offenbart die Verachtung aller Formen von Verantwortungsgemeinschaft, die wir kennen. Wir respektieren nicht nur die vermeintlich klassische Familie, sondern auch andere individuelle und vor allem familiennahe Lebensbilder, dazu gehören die Alleinerziehenden, die Patchwork-, Regenbogen- und Adoptivfamilien.

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Was Sie als kinder- und familienfreundliche Politik darstellen wollen, ist in meinen Augen nichts anderes als reiner Rechtspopulismus.

Im zweiten Absatz stellen Sie fest, dass es eine ansteigende Zahl Minderjähriger gibt, die von Hartz IV abhängig sind. Das ist leider richtig, und das ist ein fataler Trend. Aber es ist keine neue Erkenntnis. Natürlich müssen wir diese Familien mit geeigneten Maßnahmen vor Armut bewahren.

Wer jedoch glaubt, dass die AfD mit ihrem Antrag bahnbrechende, neue Ideen zur Problemlösung präsentiert, wird enttäuscht. Im dritten Absatz Ihres Antrags lassen Sie die Katze aus dem Sack und beweisen Ihre Konzeptlosigkeit. Die AfD fordert, deutschen Eltern ein zinsloses Darlehen von 5.000 € nach der Geburt des ersten Kindes zu geben. Warum fordern Sie nicht 10.000 €, wie Ihre Kollegen das in Brandenburg gefordert haben?

(Dennys Bornhöft [FDP]: Die sind weniger wert!)

Vergleicht man Ihre Ideen zur Rückzahlung, fragt man sich, ob Ihre Fraktion und die Brandenburger derselben Partei angehören. In Schleswig-Holstein soll der Betrag nach dem dritten Kind erlassen werden, in Brandenburg nach dem vierten. Rechnet man, beträgt Ihre Baby-Prämie bei Vollerfüllung in Schleswig-Holstein 1.660 € und in Brandenburg 2.500 €. Erklären Sie uns, warum brandenburgische Kinder mehr wert sind als schleswig-holsteinische!

(Vereinzelter Beifall FDP, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, zielgerichtete, effektive, unbürokratische Hilfe für Familien in finanzieller und sozialer Not sieht anders aus als das, was die AfD vorschlägt.

Wir wollen jungen Familien und gerade solchen, denen es wirtschaftlich nicht gutgeht, zielgerichtet helfen. Ein Beispiel ist die große Kita-Reform, die das Sozialministerium anschiebt, außerdem gute, bedarfsgerechte Kinderbetreuung, moderne Schulen, echte Lernmittelfreiheit und familienfreundliche Arbeitsplatzangebote.

Wir brauchen den Mut, Familienförderung neu zu denken. 150 Einzelleistungen zur Familienförderung gibt es bereits, und nicht alle sind wirklich wirksam. Wir müssen den Mut haben zu fragen, ob Kindergeld und Kinderfreibeträge heute noch die richtige Wirkung entfalten. Ich stimme Ihnen zu: Wir müssen darüber sprechen, ob wir eine Kindergrundsicherung brauchen.

(Dr. Marret Bohn)

(Beifall FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Anstatt dies einmal gründlich zu prüfen, beabsichtigt die AfD, eine weitere - wie ich finde - wirkungslose Maßnahme obendrauf zu setzen. Keiner wird wegen 5.000 € ein Kind mehr bekommen, und niemand wird deshalb die Elternschaft leichter schultern.

Ich kann am Ende festhalten: Es ist typisch für Ihre Gruppierung, einfache Antworten auf komplizierte Herausforderungen in dieser Welt zu liefern. Zu ignorieren, dass die Welt in Wahrheit viel komplexer ist, hilft niemandem. Sie mag die Komplexität überfordern, uns motiviert sie. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Dieser Antrag ärgert mich wirklich.

(Beifall Jette Waldinger-Thiering [SSW] und Annabell Krämer [FDP])

Denn die wichtigen Fragen nach familienfreundlichen Rahmenbedingungen werden durch falsche Grundannahmen und völlig falsche Schlüsse überlagert. Noch dazu ist auch dieser Antrag ein Beleg für ein national geprägtes Familienbild, das mich an düstere Zeiten erinnert.

(Jette Waldinger-Thiering [SSW]: So ist es!)

In Ihren Programmen sprechen Sie unverhohlen und unverbesserlich von einer Schrumpfung unserer angestammten Bevölkerung und wollen dieser durch eine nationale Bevölkerungspolitik entgegenwirken. Um eine ausgeglichene Geburtenbilanz zu erreichen, schlagen Sie nun allen Ernstes eine Art Kopfprämie für Neugeborene vor. Gerade weil es unheimlich vieles gibt, was wir mit Blick auf die Familienfreundlichkeit verbessern müssen, ist solch ein Vorgehen für mich und für meine Partei wirklich nur sehr schwer zu ertragen.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es lässt sich einfach nicht leugnen: Die Zeiten rückläufiger Geburtenzahlen sind schon länger vor

bei. Hier hat es eine ganz klare Wende gegeben, und zwar nicht erst gestern, sondern schon vor einigen Jahren. Seitdem wir seit 2009 Gehörscreening als Kassenleistung haben, wird bei jedem neugeborenen Kind hier in Schleswig-Holstein solch ein Gehörscreening vorgenommen. Seitdem haben wir exakte Zahlen über die Neugeborenen und nicht nur Schätzungen. Wir können sehen, dass ihre Zahl seitdem in Schleswig-Holstein ständig gestiegen ist.

Diese Trendwende ist auf ein gutes Gesamtklima, aber auch auf zunehmend verbesserte Rahmenbedingungen für die Familien zurückzuführen. Die Menschen in Deutschland haben selbstverständlich einen gesetzlichen Anspruch auf Eltern- und Kindergeld. Kinder werden im Steuerrecht berücksichtigt. Auch bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind wir zum Beispiel durch den konsequenten Ausbau der Betreuungsangebote auf einem sehr guten Weg.

Doch der vorliegende Antrag will leider nicht nur ein künstlich herbeigeredetes Problem lösen. Er fordert noch dazu eine völlig absurde und kontraproduktive Maßnahme. Er ist an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten. Sie schreiben in Ihrer Begründung, dass das Armutsrisiko für Kinder in Familien ab drei Kindern signifikant höher ist als in kleineren Familien. Dann wollen Sie Familien mit 5.000 € dazu verlocken, mindestens drei Kinder zu zeugen. Das ist doch offenbar eine ganz eigene AfD-Logik. Mir erschließt es sich auf jeden Fall nicht. Eine Einmalzahlung von 5.000 € mindert doch nicht das Armutsrisiko.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe in meinen vielen Jahren in der Politik öfters Anträge oder sogar Gesetzentwürfe gesehen, bei denen ich gedacht habe, dass sie ein wenig an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. Aber in dieser krassen Form ist es doch wirklich selten.

Wie gesagt, eigentlich halte ich diesen Antrag für völlig überflüssig, weil ich auch das Problem nicht so sehe. Aber erlauben Sie mir trotzdem noch einige inhaltliche Fragen. Würde der Erlass des Darlehens nicht als ganz normales Einkommen gelten, das dann auf Hartz-IV-Leistungen anzurechnen ist? Wie ist es mit dem erwähnten ersten Kind? Können nun in Zukunft alle Paare, die ihr erstes Kind bekommen, dieses Darlehen erhalten? Wie sieht es mit Kindern aus einer früheren Beziehung aus? Verwehrt man dann den Anspruch auf das Darlehen, wenn man ein Kind aus einer früheren Beziehung hat?

(Anita Klahn)

Ich habe es angedeutet und will hier auch in keiner Weise missverstanden werden: Wenn es um optimale Familienförderung geht, dann sind wir noch längst nicht am Ziel. Neben dem Ausbau der Betreuungsangebote muss sich vieles auch in der Arbeitswelt noch bewegen. Mit Blick auf wirklich drängende Probleme wie etwa Kinderarmut und eingeschränkte Teilhabechancen ist für uns ganz klar: Hier müssen ganz andere Dinge geklärt und gefragt werden, zum Beispiel wie es um eine eigenständige Grundsicherung für Kinder steht oder ob unser Lohnniveau grundsätzlich familiengerecht ist. Ich denke, solche Diskussionen bringen uns wirklich wesentlich weiter als dieser Antrag der AfD, den wir ablehnen. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtages Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule Plön und die Mitglieder des CDU Ortsverbandes Steinbergkirche/Quern. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag hat jetzt der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser Antrag einfach vom Tisch gewischt wird, und zwar aus verschiedenen Gründen.

Sie dürfen jetzt, wenn Sie mögen, mit Ihrer Rede beginnen, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich bitte um Entschuldigung. - Nein, ich habe nicht damit gerechnet, dass der Antrag einfach vom Tisch gewischt wird. Ich habe erst recht nicht damit gerechnet, dass dieser Antrag als staatliche Geburtsprämie verunglimpft wird. Nein, das habe ich nicht. Denn ich habe mich natürlich auch schlaugemacht. Es wurde schon angesprochen, dass das keine neue Idee ist. Doch, ich habe damit gerechnet, dass jetzt kommt, dass es das in

der DDR und auch im Dritten Reich gab. Aber das gab es natürlich auch hier in Schleswig-Holstein. Die Älteren unter uns werden es auch wissen, dass wir das seit, so meine ich, 1979 bis in die 80er-Jahre hatten. Ja, damals hatten auch wir tatsächlich eine Prämie. Das wurde dann abgeschafft; ich meine, es war ungefähr um 1988 herum.

Sie haben angesprochen, dass in Mecklenburg und in Brandenburg Anträge in eine ähnliche Richtung gestellt worden seien. Erstens steht jetzt überhaupt nicht zur Debatte, welche Anträge dort gestellt worden sind. Zweitens. Ich habe mich selber darüber geärgert. Ich habe das natürlich auch gelesen. Da stand tatsächlich „für deutsche Kinder“. Genau das ist überhaupt nicht meine Welt, überhaupt nicht.

Aber Sie suggerieren, ich hätte etwas abgeschrieben. Ja, ich habe tatsächlich abgeschrieben, aber nicht von irgendetwas, was in anderen Bundesländern geschieht, sondern ich habe mich tatsächlich schlaugemacht, was hier in Schleswig-Holstein zu Beginn der 80er-Jahre passiert ist. Ich habe auch geschaut, was wir in unserem Wahlprogramm geschrieben haben. Da haben wir genau das geschrieben, und zwar nicht, dass das unsere Familienpolitik ist, sondern dass das ein Baustein innerhalb einer Familienpolitik sein kann.

All die anderen Beiträge, die gekommen sind, unterstreiche ich inhaltlich auch. Es fielen Schlagworte wie: mehr Zeit haben. Teilweise habe ich das auch erwähnt. Es fielen Schlagworte wie das, dass die Paare die Sicherheit haben müssen, auch morgen noch einen Beruf zu haben. Natürlich ist das Grundvoraussetzung, gar keine Frage.

Ich habe also keine Familienpolitik dargestellt, sondern ich habe angeprangert, dass in den vergangenen zwei Dekaden ein Fokus verrückt worden ist, und zwar immer mehr von direkten Hilfen hin zu indirekter Hilfe. In Richtung CDU muss ich auch sagen: Genau das ist der Grund. Denn ich sehe, dass die CDU auch da Felder geräumt hat. Sie wissen selbst, dass das, was ich hier besprochen habe, früher einwandfrei eine eindeutige CDU-Politik war. Heute räumen Sie einfach das Feld

(Beifall AfD)

und fragen dann, warum ich behaupte, dass die Mitte aufgemacht worden ist. Ja, sie ist aufgemacht worden. An dieser Stelle vertreten Sie jetzt nicht mehr Ihre klassische Position. Dafür gibt es die AfD, und dafür ich stehe ich hier. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

(Flemming Meyer)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.