Protocol of the Session on December 11, 2020

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, ich danke für Ihren Bericht, und ich danke vor allem auch für Ihre klare Haltung in dieser Sache. Ich bin wirklich froh, dass ich in Schleswig-Holstein lebe. Sie haben die volle Unterstützung von mir, meiner Fraktion und - wie wir eben gemerkt haben - von allen Fraktionen in diesem Haus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Lieber Minister Garg und lieber Herr Badenhop der wahrscheinlich irgendwo zuhört -: Sie sind diejenigen, die in dieser Zeit ganz Besonderes leisten, ohne Pause, ohne Erholung. Auch Ihnen ein ganz großer Dank, auch im Hinblick auf die vor uns stehende Verordnung zum Lockdown. Herzlichen Dank!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Es ist wirklich ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass die Gesundheitspolitik in diesem Land in Ihren Händen liegt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, Schotten dicht und Herunterfahren machen keinen Spaß. Niemand möchte in dieser eher dunklen Zeit den Menschen ihre Freuden nehmen, das gemeinsame Essengehen, die Sportaktivitäten, den Theaterbesuch, den Gang in den Zoo, Schulfreunde treffen, Party machen oder Gottesdienste besuchen. Niemand will Menschen die Existenz rauben, den Arbeitsplatz, die Betreuung in der Altenpflegeeinrichtung, das aufgebaute Unternehmen.

Aber wir können jeden Morgen erneut entsetzt feststellen: Die getroffenen Maßnahmen reichen nicht aus.

Wir müssen die Kontrolle zurückbekommen, in den Gesundheitsämtern muss das Virus wieder verfolgbar werden. Nur dann können wir auf ein anderes System hoffen. Herr Stegner sagt zu Recht, und wir alle fordern schon lange: Wir brauchen eine Perspektive für eine Art Ampelsystem. Wir müssen in einen Umgang mit der Pandemie kommen, dass wir bei bestimmten Inzidenzen bestimmte Maßnahmen haben. Das brauchen wir, das braucht auch die Wirtschaft.

Um dahin zu kommen, braucht es jetzt leider einen wirklich wirksamen Lockdown.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, ich halte nicht viel von „Hätte-hätte-Fahrradkette“-Gerede - bisher haben wir es in Schleswig-Holstein und auch in Deutschland gut gemacht. Ich halte auch nicht viel von dem „Wir-Guten-im-Norden-und-die-Bösen-im-Südenoder-in-den-Städten“-Gerede.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wo Menschen enger zusammenwohnen, ist es schwieriger, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Mein Fokus geht auf das Jetzt: klare Verabredungen auf der Ministerpräsidentenkonferenz, verbindliche Verabredungen für alle Länder auf der Ministerpräsidentenkonferenz und anschließend gute Kommunikation vor Ort.

An der Stelle sind wir gefragt; wir sind diejenigen, die die Botschafter und Botschafterinnen für das Thema sein müssen. Und dann müssen wir uns und muss sich der Rest der Bevölkerung an die Maßnahmen halten.

Manche meinen, wir seien in Schleswig-Holstein zu vorbildlich, zu streng, angesichts unserer im Norden bisher niedrigen Inzidenzen. Denen sage ich: Das Gegenteil ist der Fall! Weil wir von Anfang an konsequent waren und zusammengestanden haben, haben wir noch freie Kapazitäten in den Kliniken. Das ist gut so, und das sollte so bleiben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Jörg Hansen [FDP])

Das nennt man Präventionsparadox, etwas, was uns im Sommer mit wenig Sorge in den Winter hat schauen lassen, weil es uns ja im Verhältnis so gut ging. Wenn man so will, ist Schleswig-Flensburg unser Sommerwert, und der kann sich bekanntlich schnell ändern.

(Tobias Koch)

Präventionsparadoxen machen den Weitblick so schwierig. Wir haben eben darüber gesprochen. Jetzt ist schon wieder die Situation eingetreten, von der wir immer wieder beschworen haben, dass wir sie nicht wollen: Freitag wird verkündet, was in den Schulen am Montag los ist. Ich weiß jetzt schon, was in meinem Mailpostfach auf mich wartet, Mails von Eltern, die sagen, das gehe zu schnell, von Lehrerinnen und Lehrern, von Schulleitungen, von Kommunen, von ich weiß nicht wem.

Sie haben natürlich recht, aber wir reagieren deshalb so kurzfristig, weil wir das Präventionsparadox im Kopf haben. Erst wenn eine Krise direkt vor der Tür steht, sagen wir: Okay, wir wollten den Präsenzunterricht nicht wieder einschränken, wir wollten nicht auf Distanzunterricht gehen. - Aber nun sind die Werte so hoch, dass wir es machen müssen.

Herr Koch hat wunderbar dargestellt, wie sich die Dynamik diese Woche entwickelt hat. Leider ist für mich ein bisschen die Lehre, dass Krisen immer so hart sein müssen, dass die Reaktion darauf eigentlich zu spät kommt und man dann manchmal viel härter eingreifen muss, als wenn man es früher getan hätte. Ich glaube, das ist ein Muster, das man sich für zukünftige, andere Krisen bewusst machen muss.

Man muss auf die Leute hören, die schon seit Wochen sagen, dass die Klinikbetten volllaufen. Das ist ja keine neue Erkenntnis. Ich möchte jetzt nicht wie so oft - den lieben Herrn Dolgner zitieren, der uns das schon lange vorgerechnet hat; er hatte recht.

Ich bin in den letzten Tagen von einigen Menschen angeschrieben worden, die anerkennen, dass es sich die Politik nicht leichtmacht. Ich kann nur sagen: Niemand macht es sich leicht. Jede Maßnahme für einen kommenden Lockdown muss abgewogen sein, muss verhältnismäßig sein, darf nicht mehr Schaden als Nutzen anrichten. Dabei wird sich nicht jeder Widerspruch auflösen lassen.

Ich sprach es an, zum Beispiel die Frage: warum bundesweit und nicht regional unterschiedlich? Das ist immer wieder eine wichtige Frage, gerade auch von Kollegen aus dem Norden. Bundesweit, weil es angesichts der Mobilität, gerade zu Weihnachten, die einzig vernünftige und für alle verständliche Lösung ist.

Bundesweit, weil wir keinen Einkaufs-, Party- oder sonstigen Tourismus brauchen, um die Pandemie zu bekämpfen. Das ist mir der wichtigste Punkt: bundesweit, weil wir solidarisch sein müssen. Die Intensivbetten werden überall knapp. Da werden wir national und vielleicht auch europäisch solidarisch

sein müssen. Solidarisch wollen wir sein, das macht uns hier aus.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Es wird viel über den Schaden diskutiert, den die Wirtschaft, insbesondere der Einzelhandel in den Innenstädten, durch einen erneuten Lockdown nehmen kann. Sie alle kennen die Beispiele: Das ist für die Einzelhändlerinnen und Einzelhändler, die kleine Boutique oder die kleine Buchhandlung, für das letzte Schreibwarengeschäft in der Stadt dramatisch. Gerade den Läden jenseits der großen Ketten, die es nach einer Krise vielleicht nicht mehr geben wird, die aber die Individualität unserer Innenstädte ausmachen, müssen wir helfen: strukturell sowieso wegen der Online-Konkurrenz, aber auch aktuell in der Krise. Da geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Treue und eigenes Kaufverhalten, wenn es um die Weihnachtsgeschäfte geht. Herr Günther hat es in seiner Rede genannt: Kinogutscheine statt Amazon-Päckchen. Das muss jetzt die Botschaft sein: vor Ort den einzelnen Läden die Treue halten.

Viel wird über Wirtschaftshilfen diskutiert, und das ist gut so. Ich möchte aber, dass wir auch einen Blick nehmen auf die, die unsere Unterstützung in der Pandemie brauchen. Zu oft haben wir bei den Feiertagen die Schokoladenwerbung im Kopf: Papa, Mama, zwei Kinder und Oma unter dem Weihnachtsbaum. Fünf Menschen, alle verwandt, kein Problem.

Die Witwe aber, die keine Familie in der Nähe hat und nicht nach Süddeutschland anreisen kann und deren Freundinnen in ihren Familien sind, braucht nicht Abstand, sondern Nähe: einen Lebensmitteleinkauf, einen Spaziergang oder auch einen Besuch. Die Familie, in der Einzelne sowieso einen Rappel bekommen, wenn sie über die Weihnachtsfeiertage zusammen sein müssen, denen jegliche Abwechslung genommen wird, die keine Schokoladenwerbungstimmung empfinden: Auch die brauchen Trost und Unterstützung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Schließlich gibt es die Menschen in der Pflege, die befürchten, dass sie noch weniger Besuche und noch weniger Ablenkung haben werden: keine Schulkinder mit quietschenden Blockflöten, keine Bingo-Abende, kein Besuch in der Familie. Es geht nicht nur um wirtschaftlichen Ausgleich, es geht um kleine Gesten und kleine Hilfen. Ich glaube, wir alle haben genug Fantasie, was wir dazu beitragen und machen können.

(Eka von Kalben)

Viele sagen, es stehe uns eine schwierige Zeit bevor. Das ist richtig. Ich wünsche uns allen, dass auch eine Zeit bevorsteht, in der wir spüren, dass wir eine solidarische Gemeinschaft sind. Junge Leute aus Bad Oldesloe haben innerhalb kürzester Zeit eine Facebook-Gruppe gegründet, „Oldesloe hilft sich“, in der zurzeit fast 3.000 Menschen sind. Bad Oldesloe - Frau Klahn, Sie wissen es besser hat ungefähr 10.000 Einwohner.

(Anita Klahn [FDP]: 25.000! - Heiterkeit)

- 25.000? - Entschuldigung. Aber auch 3.000 von 25.000 sind eine unfassbar große Zahl, wenn man überlegt, dass vermutlich nicht alle Menschen in Bad Oldesloe bei Facebook sind. Da sind Menschen organisiert, die anderen helfen wollen und Nachbarschaftshilfe anbieten. Sie haben es auch über den Sommer gemacht, als die Coronapandemie gar nicht die große Rolle gespielt hat. Das ist eine großartige Leistung von drei jungen Leuten, die das aufgebaut haben.

Das sind Beispiele, die froh machen. Sie sind ausgesprochen weihnachtlich. In diesem Sinne schaffen wir auch diese nächste Etappe der Coronazeit. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Christopher Vogt.

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten in den letzten Tagen eine sehr dynamische Entwicklung sowohl beim Infektionsgeschehen als auch bei der politischen Debatte zu verzeichnen. Sowohl in Schleswig-Holstein als auch im Bund sind es ganz besonders herausfordernde Zeiten. Dass wir konsequent reagieren müssen, ist wohl für alle Beteiligten angesichts der Lage sehr klar.

(Beifall FDP und Lasse Petersdotter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass ein sehr harter Lockdown - einen Lockdown light hatten wir ja schon - auch für Schleswig-Holstein zum jetzigen Zeitpunkt der richtige Weg ist, war Anfang der Woche noch nicht meine feste Überzeugung, das sage ich ganz offen. Wir haben den Grenzwert von 50 überschritten, darauf muss man reagieren, so steht es auch im Infektionsschutzgesetz. Wir wissen alle, dass das notwendig

ist. Es ist dann in solchen Situationen immer die Frage: Reagieren ja, aber wie?

Wir haben hier in Schleswig-Holstein - es ist mehrfach gesagt worden - nach wie vor eine andere Lage bei der Inzidenz, aber auch sehr starke Zuwächse. Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Punkt. Das macht die Situation so ernst. Wir haben in dieser Pandemie stets frühzeitig und vergleichsweise vorsichtig und dabei dennoch möglichst zielgenau, nach bestem Wissen und Gewissen und mit kühlem Kopf gehandelt.

Das Resultat ist eine im Vergleich sehr niedrige Inzidenz und gleichzeitig die bundesweit höchste Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu den Maßnahmen. Wir mögen auch immer ein bisschen Glück gehabt haben: die geografische Lage, das berühmte norddeutsche Temperament, das in dieser Krise ganz besonders wichtig ist, und natürlich, dass wir keine allzu großen Ballungsgebiete haben. Es ist doch völlig klar: Rhein-Main-Gebiet, Ruhrgebiet und so weiter, das sind einfach andere Lebensverhältnisse dort.

Wir haben auch einige Fehler gemacht. Das gehört in so einer Krise dazu, es gibt ja keine Blaupausen für so etwas. Wir haben aber eben auch sehr viel richtig gemacht. Letzteres soll auch so bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben immer deutlich gemacht, dass die Ministerpräsidentenkonferenz und die bundesweite Abstimmung wichtig sind. Wir haben die Vereinbarungen dann aber in der Regel auch sehr konsequent umgesetzt. Ich will da kein Nord-Süd-Ding aufmachen, es gehört aber zur Wahrheit dazu und ist mit Blick auf die bevorstehende Ministerpräsidentenkonferenz wichtig: Wir haben das meistens konsequenter gemacht als diejenigen Bundesländer, die es besonders nötig gehabt hätten.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Insofern sage ich nur: Alle haben eine besondere Verantwortung, aber man muss genau darauf achten, dass man gemeinsam handelt. Ein Alleingang des Landes bei einem Lockdown kommt nicht infrage. Es gibt eine enge Verwobenheit mit Hamburg. Es macht wenig Sinn, Läden zu schließen, und dann fahren alle nach Hamburg zum Einkaufen. Das ist für Schleswig-Holstein nicht besonders sinnvoll.