Protocol of the Session on March 9, 2016

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in den vergangenen Tagen erfahren, dass das Thema Bestattung die Herzen der Menschen bewegt. Sobald ich gehört habe, ich solle doch zu diesem Thema im Landtag reden, war dies das bestimmende Thema. Jede und jeder hat seine

eigenen Erfahrungen. Viele empfinden den Staat als „bestimmerisch“ und „einmischig“ in private Angelegenheiten, weil der Staat zum Beispiel die Bestattungspflicht, den Friedhofszwang und so weiter gesetzlich festgelegt habe.

Der Umgang mit Toten ist ein bedeutender Bestandteil jeder Kultur. Die Terrakotta-Armeen in China, die Pyramiden in Ägypten, die Kulturen Mesopotamiens, die alle Totenverehrungen und Grabanlagen aufweisen, alle Kulturen weltweit haben zu allen Zeiten rituale Gebäude beziehungsweise Grabstätten, um ihren Toten Würde und Bedeutung zu geben.

Es ist jetzt eine Dekade her, dass wir das Landesbestattungsgesetz umfänglich geändert haben. Der Herr Kollege Kubicki war ja mit dabei. Bestattung im Leichentuch anstelle eines Sarges sollte den Muslimen eine Bestattung in ihrer neuen Heimat Deutschland ermöglichen. Informationspflicht nach Fehlgeburten über eine Bestattungsmöglichkeit, neue Definition der Seebestattung und sehr vieles mehr haben wir damals umfänglich geregelt - übrigens in einem langen Beratungsprozess. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir uns während dieser Legislaturperiode ja nun nicht gerade am Anfang befinden.

Die PIRATEN wollen dieses Gesetz nun liberalisieren. Ursprünglich hatte das Bestattungsrecht den Zweck, der Ausbreitung von Seuchen vorzubeugen. Das war der Grund, warum es die ersten Bestattungsgesetze gab. Daran ist im Zusammenhang mit dieser Gesetzesnovelle natürlich nicht zu denken.

Bei dem Thema „Wohin mit der Asche?“ geht es ausschließlich um ethische beziehungsweise religiöse Fragen. Wie weit darf das nun gehen? Hier ist insbesondere über die Abkehr vom Friedhofszwang zu diskutieren. Damit wird gleichzeitig die Öffentlichkeit der Totenstätte aufgegeben. Der Zugang zur Grabstätte wird in die Definitionsmacht der Bestattungspflichtigen gestellt. Die Bestattungspflichtigen haben auch die Totenwürde zu wahren. Wie weit soll also die Liberalisierung des Bestattungsrechts gehen? Opas Asche in die Restmülltonne? Da zuckt auch derjenige zusammen, der den Staat für völlig anmaßend hält, wie er den Umgang mit Verstorbenen einengt.

Zur Würde des Menschen gehört auch die Totenwürde. Kollegin Nicolaisen hat schon darauf hingewiesen, dass es auch einen Rechtszusammenhang mit den unveränderlichen Artikeln des Grundgesetzes gibt.

(Wolfgang Baasch)

Wir werden darüber sprechen müssen, ob die Art, wie diese Würde gewahrt wird, Privatangelegenheit sein kann. Dabei geht es um folgende Fragen: Sind die private Aufbewahrung der Urne oder das Ausstreuen der Asche auf einem Privatgrundstück mit der Totenwürde vereinbar? Welche Anforderungen sind an die Willensbekundung zu stellen, die ja Voraussetzung für die Privatisierung der Grabstätte werden soll? Etwa dieselben wie für die Erstellung eines Testaments?

In dem Gesetzentwurf werden neue Aufgaben für die Gemeinden normiert. Das Ausstreuen der Asche bedarf ebenso wie das Aufbewahren der Urne in der Wohnung der kommunalen Genehmigung. Ich habe soeben mit dem Kollegen Lars Harms darüber diskutiert. Die Kommunen sind laut Gesetzentwurf dazu nicht verpflichtet. Damit legen wir die Entscheidung, ob es eine Liberalisierung im Bestattungswesen gibt, in die Hände der kommunalen Selbstverwaltung. Ich weiß nicht, ob das Absicht eines solchen Landesgesetzes sein darf. Ich glaube, die Menschen erwarten, dass der Staat diese Fragen regelt.

Meine Damen und Herren, in dem Gesetzentwurf werden neue Aufgaben für die Gemeinden normiert. Ich weiß nicht, ob sie wirklich davon begeistert wären, wenn sie diese Aufgaben wahrnehmen müssten. Zudem normiert der Gesetzentwurf nicht die Prüftiefe. Die Gemeinde wüsste also nicht, welche Aspekte sie bei der Bearbeitung eines solchen Antrags genau zu prüfen hätte.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Breyer?

Ich wollte gern fortfahren, Herr Präsident. - Auch wenn viele das Gefühl haben, dass es im Bestattungswesen freiheitlicher zugehen sollte, scheint der tatsächliche Bedarf an neuen Regeln eher gering zu sein. In Bremen, so habe ich recherchiert, sind nach der Liberalisierung lediglich 30 Anträge gestellt worden.

Der Dalai Lama sagt, Ethik sei wichtiger als Religion. Er fordert eine säkulare Ethik angesichts des um sich greifenden religiösen Fundamentalismus zum einen und der zunehmenden Abkehr von Religion zum anderen. Religionen und Riten ersatzlos zu streichen tue der Menschheit nicht gut, so seine Worte.

Nehmen wir doch diese Gedanken mit in die Befassung des Bestattungsgesetzes hier im Hohen Haus. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Im europäischen Vergleich hat Deutschland recht strenge Regeln zur Bestattung. Ein wesentlicher Bestandteil ist bei uns der sogenannte Friedhofszwang, den das europäische Ausland so nicht kennt. Die Gesetzgebungskompetenz für das Bestattungswesen obliegt den Bundesländern und führt somit bundesweit zu sehr unterschiedlichen Regelungen. Hinzu kommt, dass die Einäscherung gesellschaftlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland etabliert ist. Schleswig-Holstein hat mit der Ermöglichung der Seebestattung und der Begräbnisfelder bereits vorbildlich auf geänderte Bestattungswünsche reagiert.

(Beifall FDP)

Allerdings erfolgt die Ausbringung der Asche immer an dafür ausgewählten Orten, die pietätvoll die Ruhe der Toten bewahren. Inwieweit nun die Freigabe zum Verstreuen der Asche auf privatem Grund wirklich von einem großen Teil der Bevölkerung gewünscht wird - oder gar die Aufbewahrung im privatem Raum -, stelle ich infrage.

Ein Blick nach Bremen bringt interessante Erkenntnisse. Dort erlaubt seit Januar 2015 das Bestattungsgesetz die Ausstreuung der Asche nach einer Feuerbestattung. Nach Auskunft eines Bremer Bestatters fanden 2015 circa 6.000 Feuerbestattungen statt. 35 Urnen sind ausgehändigt worden; das entspricht einem Anteil von 0,58 %. Das ist meines Erachtens ein so geringer Anteil, dass man wohl kaum von akutem Handlungsdruck sprechen kann.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Dennoch erkennen wir Liberalen an, dass sich die in unserem Kulturkreis verankerte Bestattungskultur verändert und dass damit zu Recht hinterfragt wird, warum bei uns nicht etwas möglich sein soll, was in anderen Ländern problemlos funktioniert.

Auch gesellschaftliche Veränderungen erfordern eine andere Trauerkultur. Der Fall, dass Generatio

(Detlef Matthiessen)

nen einer Familie an einem Ort geboren wurden, dort lebten und arbeiteten und schließlich in einem Familiengrab bestattet wurden, ist ausgesprochen selten geworden. Das liegt an unserer veränderten Arbeitswelt, die von den Menschen höchste Mobilität erwartet, aber auch an der individuellen Lebensgestaltung des Einzelnen. Damit geht einher, dass Angehörige teilweise weit voneinander entfernt wohnen und im Trauerfall gar nicht die Möglichkeit haben, die letzte Ruhestätte so regelmäßig aufzusuchen, wie es unsere althergebrachten Traditionen erfordern. Daher ist der Ansatz nachvollziehbar, ergänzend zu den bisherigen Bestattungsmöglichkeiten die Ausbringung der Asche zu ermöglichen.

An dieser Stelle möchte ich nochmals auf Bremen verweisen. Dort erfolgen die Ausbringungen, soweit mir der Bestatter berichtete, nicht auf den Friedhofsflächen, sondern nur auf privaten Grundstücken, und dies wiederum ohne Kontrolle der ordnungsgemäßen Ausstreuung im Sinne des Bestattungsgesetzes.

Neben diesem Aspekt sind für uns Liberale noch andere Punkte im Gesetzgebungsverfahren zu klären: Wer ist für die Genehmigung der Ausbringung zuständig? Wer für die Kontrolle? In welcher Form soll diese erfolgen? Wie muss eine Urne beschaffen sein, wenn sie zwei Jahre in einer Wohnung aufbewahrt wird? Auch stellt sich die Frage, wie die öffentliche Zugänglichkeit im privaten Bereich ausgestaltet sein kann. Ich denke dabei an das Recht der anderen Familienangehörigen, Freunde und Nachbarn, die derzeit jederzeit an einer öffentlich zugänglichen Ruhestätte trauern können. Dürfen diese das bei Ausbringung der Asche im privaten Raum nur noch mit Zustimmung des Eigentümers? Welchen Wert messen wir diesem Anspruch auf Trauer, auf Erinnerung bei?

Auch die Zulassung der Bestattung vor Ablauf der 48-Stunden-Frist nach § 16 Absatz 1 Satz 1 Bestattungsgesetz sollte gut bedacht sein und im Einklang mit § 14 Bestattungsgesetz - Vorlage der Sterbeurkunde - stehen. Diese Frist dient nicht nur dem Ausschluss des Scheintodes, sondern hat ihren Grund auch in der Möglichkeit rechtsmedizinischer Überprüfung. Eine Kann-Bestimmung wäre mir hier vielleicht entgegenkommend.

Meine Damen und Herren, dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen wir Liberalen grundsätzlich offen gegenüber. Wir sind auf die Beratung im Sozialausschuss sowie im Innen- und Rechtsausschuss gespannt. Aus liberaler Sicht wollen wir keine gewachsene Trauerkultur abschaffen, sondern den Rahmen mit Augenmaß erweitern.

Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich habe doch noch Zeit.

Oh!

(Heiterkeit FDP)

Ich formuliere gern meinen letzten Satz.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Musst du aber nicht!)

Wir wollen den Menschen die Freiheit geben, sich nach ihren ureigenen Vorstellungen bestatten zu lassen. Wir wollen zugleich den Angehörigen den würdevollen Abschied ermöglichen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Tut mir leid, Frau Abgeordnete. - Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur sehr wenige Fragen in der Landeszuständigkeit sind so persönlich wie diejenigen, die im Bestattungsgesetz geregelt sind. Hierin sind neben zulässigen Bestattungsarten und -fristen zum Beispiel auch Details zum Leichen- und Friedhofswesen oder zum Umgang mit Totgeborenen festgeschrieben. Auch wenn der SSW einer Liberalisierung des Bestattungsrechts grundsätzlich offen gegenübersteht, muss klar sein: Wir bewegen uns in einem äußerst sensiblen Bereich. Hierbei spielen nicht nur der letzte Wille des Verstorbenen, sondern auch die Wünsche der Angehörigen und nicht zuletzt die Bedürfnisse der Allgemeinheit eine wichtige Rolle. All dies gilt es miteinander abzuwägen. Dies alles muss bei Änderung der gesetzlichen Grundlage nicht nur bedacht, sondern auch berücksichtigt werden.

Ohne Zweifel stehen wir bei Fragen rund um das Bestattungswesen vor spürbaren Veränderungen. Sowohl die Säkularisierung als auch die religiöse Vielfalt nehmen zu. Auch die Familienmodelle in

(Anita Klahn)

unserer Gesellschaft entwickeln sich weiter. In der Folge kann man durchaus von einem Wandel der Bestattungskultur sprechen. Heute werden zum Beispiel über zwei Drittel der Bestattungen nicht mehr traditionell, als Erdbestattungen, sondern auf alternativem Weg durchgeführt - das, was wir derzeit als Urnenbestattung kennen.

Meine Damen und Herren, auch wenn die Friedhofskultur große traditionelle Bedeutung hat, brauchen offenbar immer weniger Betroffene einen bestimmten Ort, um zu trauern oder der Verstorbenen zu gedenken. Wir alle sollten also anerkennen, dass es in diesem Bereich mitunter sehr konkrete Wünsche gibt, deren Erfüllung bisher verwehrt wird. Viele Menschen wollen, dass die Asche der Verstorbenen nicht nur auf zugelassenen Friedhöfen oder auf See, sondern auch an anderen Orten verstreut werden darf.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Daneben erfordern bestimmte religiöse Traditionen eine Bestattung innerhalb eines gewissen, kürzeren Zeitraums oder die Bestattung in einem Leichentuch statt in einem Sarg - das ist ja schon möglich.

Man kann feststellen, dass die Kostenfrage auch für den normalen Menschen eine hohe Relevanz hat. Hier etwas zu tun, ist grundsätzlich richtig, sofern dies nicht dazu führt, dass dann Sozialbestattungen automatisch als Low-Budget-Variante ausgeführt werden. Auch da muss man an den Willen des Verstorbenen denken, meine Damen und Herren.

Ob diese Wünsche im Einzelnen gerechtfertigt sind, muss letztlich jeder für sich selbst beurteilen. Wir können aber zumindest einmal festhalten, dass das geltende Gesetz diesen Bedürfnissen nur unzureichend und in manchen Fällen sogar überhaupt nicht gerecht wird.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN] und Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Gerade weil die Themen Tod und Bestattung sehr persönlich sind, halte ich es für sinnvoll, über neue Wege nachzudenken und diese in Ruhe auszudiskutieren. Man sollte also nicht innerhalb von zwei oder drei Monaten zu einer Entscheidung kommen, sondern man sollte sich wirklich Zeit lassen.

Auch wenn man bei einer Öffnung sehr behutsam vorgehen muss, ist aus Sicht des SSW eines völlig klar: Wir sollten diese mitunter sehr persönlichen Entscheidungen nicht unnötig einschränken oder blockieren, nur weil wir an einem alten Regelwerk festhalten wollen, sondern wir sollten versuchen, dieses Regelwerk zu modernisieren.