Protocol of the Session on November 20, 2015

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Es ist diese Koalition, unser Wirtschaftsminister Reinhard Meyer, die von Industriepolitik nicht nur redet, sondern sie auch macht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo denn?)

Wir reparieren und sanieren Verkehrswege wie keine Landesregierung zuvor.

(Lachen, Beifall, Zurufe CDU und FDP)

Wir bringen die Breitbandversorgung voran wie keine Landesregierung zuvor.

(Unruhe)

Ich erwähne das deshalb, weil die IHK in ihrem Industriepapier bei der Unternehmensumfrage das an erster Stelle der Maßnahmen verortet hat. Wir bringen die Energiewende voran wie keine Landesregierung zuvor. In diesem Jahr wird voraussichtlich

der Wert von 6 GW Windenergieanlagen überschritten.

(Anhaltende Unruhe)

Der Netzausbau in Mitte, West und Ost schreitet voran.

Ich breche an dieser Stelle ab - nicht mangels Masse; diese Landesregierung muss sich nicht verstecken, was Industriepolitik anbelangt. Liebe FDP, lieber Johannes Callsen, reden Sie unser Land nicht schlecht! Wir machen fortschrittliche Industriepolitik. Sie hatten gar kein Industriereferat. Das hat diese Landesregierung erst eingerichtet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zurufe CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mit mir den ehemaligen Kollegen, MdL a. D., den Landrat des Kreises Ostholstein, den Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages und den Präsidenten des Deutschen Landkreistages, Reinhard Meyer, recht herzlich auf der Tribüne.

(Heiterkeit und Zurufe)

- Reinhard Sager! Entschuldigung. Das war jetzt die Pointe.

(Beifall)

Ich habe so viele Titel genannt, da kamen mir die ganzen Funktionen des Ministers in den Sinn, der hier auf meiner Liste steht. - Herr Landrat, seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Hauke Göttsch [CDU]: Herr Meyer, Sie wissen, wohin es nachher geht! - Unruhe)

- Der Mensch braucht Vorbilder. - Wir fahren in der Debatte fort, und für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Dr. Patrick Breyer das Wort.

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Unser Wirtschaftsminister Reinhard Meyer, von dessen zusätzlichen Funktionen ich eben erst erfahren habe, arbeitet an einer industriepolitischen Strategie, und zwar wie immer das muss man leider sagen, Herr Minister - intransparent und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Lassen Sie mich fünf Anmerkungen dazu machen.

(Detlef Matthiessen)

Der erste Grundfehler ist, heute, im Jahr 2015, überhaupt eine Strategie allein für den Industriesektor vorzulegen, der in Schleswig-Holstein 15 % zur Wertschöpfung beiträgt und oft in widerstreitendem Interesse zu anderen Bereichen unserer Wirtschaft und unseres Landes steht. Es geht nicht darum, die Bedeutung des Sektors herunterzureden, richtig ist aber, dass seine Bedeutung eher rückläufig ist und der Strukturwandel normal ist. Schleswig-Holstein ist kein Industrieland, und so möchten wir es auch behalten.

Der zweite Grundfehler ist - und das hat die Anhörung ergeben -, eine Strategie allein für Schleswig-Holstein aufzustellen. Dass wir uns als Länder in Deutschland gegenseitig Konkurrenz machen, ist der falsche Weg. Ein Denken in Landesgrenzen statt etwa in den Grenzen der Metropolregion Hamburg ist, gerade im industriepolitischen Bereich, falsch. Schließlich befinden sich 88 % der Industriebetriebe in Schleswig-Holstein im Bereich der Metropolregion.

Deswegen kritisiert auch die Studie „Perspektiven der Industriepolitik“, die von den Gewerkschaften in Auftrag gegeben wurde, „eine fehlende Zusammenarbeit der norddeutschen Bundesländer, die zu wenig sinnvollen Parallelentwicklungen in Norddeutschland führt“. Das „beste“ Beispiel dafür ist die sogenannte Multi Purpose Pier in Brunsbüttel, ein Prestigeprojekt dieser Landesregierung, bis heute ohne wirtschaftlich tragfähiges Konzept auf dem besten Weg, zu einer Investitionsruine zu werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP-Fraktion, die in Ihrem Antrag geforderte Kooperation nur mit Hamburg greift zu kurz; wir brauchen eine Kooperation der Wirtschaftsregionen der norddeutschen Bundesländer.

Drittens. Die Anhörung hat ergeben, dass die Rahmenbedingungen für die Industrie, zum Beispiel was die Verkehrsanbindungen angeht, schlecht sind. Die Ursache dafür ist vor allem die rückwärtsgewandte einzelbetriebliche Förderung einzelner Unternehmen, statt Strukturen zu fördern und aufzubauen, von denen alle Unternehmen profitieren könnten. Das ist und bleibt ein Fehler. Sie haben diesen Punkt aus dem Koalitionsvertrag gebrochen.

(Beifall PIRATEN und Oliver Kumbartzky [FDP])

Viertens. Jetzt komme ich speziell auf den Antrag der FDP zu sprechen. Leider finden wir in Ihrem Antrag genauso wie im Konzept des Wirtschaftsministers keinerlei Erwähnung des Willens der Bürger. Was möchten eigentlich die Menschen in

unserem Land? Dabei ist doch heute allen klar, dass Bürgerbeteiligung die Grundvoraussetzung dafür ist, Projekte - welcher Art auch immer - überhaupt realisieren zu können. Deswegen fordern wir PIRATEN eine frühzeitige Bürgerbeteiligung mit offener Bedarfs- und Alternativprüfung. Anders können auch industriepolitische Projekte nicht gelingen.

(Beifall PIRATEN)

Auch den Konflikt zwischen der offenbaren Übermacht der Wirtschaft und Mitbestimmung der Bürger wird in Ihrem Papier nicht angesprochen. Dabei werden immer mehr Fragen dringender in der öffentlichen Debatte. Ich nenne nur einmal das Beispiel Windkraftanlagen, wo es einen Konflikt gibt. Ich nenne das Beispiel Freihandelsabkommen, wo die Menschen in Massen auf die Straße gehen und gegen den Versuch demonstrieren, industriepolitische Interessen gegen Demokratie und Menschenrechte in Europa auszuspielen. - Herr Präsident, ich lasse gleich die Zwischenfrage zu. - Ich nenne aber auch den Bereich der Nebeneinkünfte von Abgeordneten, die sie oftmals von Wirtschafts- und Industrieunternehmen beziehen, die in SchleswigHolstein bis heute nicht veröffentlicht werden.

Mit anderen Worten: Die Wirtschaftspolitik muss heute auch Wirtschaftsethik umfassen. Es darf kein Konzept geben, das diesen Aspekt ausklammert. - Jetzt, Herr Vogt.

Herr Abgeordneter Dr. Breyer, Sie gestatten eine Zwischenfrage. Dann haben Sie das Wort, Herr Abgeordneter Vogt.

Herr Kollege Dr. Breyer, ich finde den Punkt mit der Bürgerbeteiligung hochinteressant. Es gibt ja die Möglichkeit, wenn man Anträge vorlegt, dass man Gegenvorschläge macht. Ich habe noch keinen Vorschlag der PIRATEN gesehen, wie das umgesetzt werden soll. Wir haben uns zunächst auf die industriepolitischen Entscheidungsträger, Verantwortungsträger, konzentriert, Hochschulen, Kammern, Verbände, Unternehmen, und haben aus deren Rückmeldungen die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte herausgenommen. Vielleicht können Sie mir einmal erklären, wie Sie die Bürgerbeteiligung stärken wollen; das habe ich noch nicht ganz verstanden.

Ich möchte Sie einen zweiten Punkt fragen: Können Sie mir bestätigen, dass der Schein

(Dr. Patrick Breyer)

riese aus Jim Knopf ist und nicht aus Momo und dass der Kollege Matthiessen auch davon offenbar keine Ahnung hat?

(Beifall FDP und CDU - Zurufe)

Herr Kollege Vogt, mit Scheinriesen kenne ich mich nicht gut genug aus, um mich dazu äußern zu können. Ich habe versucht, in meiner Rede deutlich zu machen, dass die Kritik ist, dass ein Konzept allein für Industriepolitik und allein für SchleswigHolstein überhaupt keinen Sinn macht. Das erklärt vielleicht auch ein Stück, dass wir selbst kein solches Konzept vorschlagen.

Was Bürgerbeteiligung angeht, habe ich versucht, deutlich zu machen, dass es nicht reicht, nur mit der Industrie zu sprechen, sondern dass man auch mit den Bürgern sprechen muss, die von solchen Projekten betroffen sind, dass es nicht gelingen kann, Strukturen zu entwickeln oder zu verändern, ohne die Menschen einzubeziehen und zu fragen, was sie eigentlich wollen, zumal in einem Land, das sich gern als Wachstumsgebiet bezeichnet, das auf Tourismus setzt. Da besteht natürlich ein Interessenkonflikt. Das muss man offen ansprechen und ehrlich mit den Menschen besprechen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, Deregulierung pauschal als Ziel vorzugeben, wie Sie es mit Ihrem Antrag tun, ist ebenso abzulehnen, wie pauschal für niedrigere Energiepreise einzutreten, weil doch gerade die Befreiung der Industrie von der Zulage dazu führt, dass die Energiepreise für die Bürgerinnen und Bürger zu hoch sind.

Schließlich kein Wort in Ihrem Antrag zum Megatrend Digitalisierung. Wie verhält es sich in Zeiten der Massenüberwachung mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen, auf den auch die Industrie angewiesen ist? Warum behandeln Sie diesen Aspekt überhaupt nicht? Das hier in der Rede anzusprechen, reicht nicht, auch nicht, hier eine digitale Agenda zu fordern, während wir PIRATEN längst dabei sind, eine zu erarbeiten, und das im Internet mit Bürgerbeteiligung.

(Zurufe FDP: Wo ist sie denn?)

- Das ist im Internet zu finden, liebe Kolleginnen und Kollegen, das können Sie gern nachlesen unter www.digitaler-kompass.de.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Wir haben morgen eine Veranstaltung dazu im Landeshaus. Auch Sie sind natürlich herzlich dazu eingeladen.

Ich hoffe, dass es gemeinsam mit den Akteuren und der Öffentlichkeit gelingt, hier einen besseren wirtschaftspolitischen Ansatz zu erarbeiten, als er von der Landesregierung geplant oder von der FDP vorgelegt worden ist. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat jetzt Herr Abgeordneter Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollege! Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss zum Antrag der FDP zur Erarbeitung eines industriepolitischen Konzepts hat deutlich gemacht, dass Schleswig-Holstein nicht gerade den Ruf eines großen Industriestandorts hat. Vielmehr wird das Bild von Schleswig-Holstein außerhalb des Landes von Landwirtschaft und Tourismus geprägt - was an sich gar nicht schlecht ist, aber das darf natürlich nicht alles sein.