Protocol of the Session on November 20, 2015

(Zuruf Dr. Heiner Garg [FDP])

- Ich lese nichts vor, lieber Kollege Garg; das war nicht vorgelesen. Schauen Sie sich doch einfach die Daten an! Ich kann doch nichts dafür, dass Sie erst Maßnahmen der Regierung abwarten, um dann festzustellen: Oh, guck mal, da passiert tatsächlich etwas! Jetzt müssen wir als FDP uns noch einmal ganz schnell als Industriepartei profilieren,

(Zuruf Anita Klahn [FDP])

um dann noch schnell einen Antrag zu stellen, den Sie zum Beispiel auch letzte Woche im Ausschuss hätten stellen können, weil dies darauf aufbaut.

Herr Abgeordneter Schulze, Sie beantworten noch immer die Frage des Abgeordneten Vogt. Der möchte gern noch eine Frage stellen.

Ja, kann er ja.

Dann darf er das jetzt. - Bitte schön.

Kollege Schulze, ich wollte Ihre Antwort nicht unterbrechen.

Nö.

- Ich wollte noch einmal nachfragen und nicht aufgeben: Meinen Sie ernsthaft, dass, wenn die Landesregierung zu einer Veranstaltung einlädt, das Parlament keine Initia

(Johannes Callsen)

tiven mehr auf den Weg bringen darf? Das ist ein erstaunliches Parlamentsverständnis für einen langjährigen Abgeordneten.

(Beifall FDP, CDU und PIRATEN)

- Das Parlament darf immer Initiativen in Gang bringen.

(Zuruf Tobias Koch [CDU])

Das ist auch gut und auch die Aufgabe eines Parlaments. Diese Initiative haben Sie auch schon mit Ihrem Antrag im letzten Jahr auf den Weg gebracht. Nur diese Initiative, wie Sie es selbst nennen, wie Sie selbst in Ihrem Antrag geschrieben haben, baut auf dem anderen auf. Insofern: Wir haben im Ausschuss die Anhörung durchgeführt. Ich frage Sie: Warum haben Sie diesen Antrag, den Sie heute hier beraten lassen, nicht im Ausschuss gestellt? Warum diskutieren wir das dann nicht im Ausschuss im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Anhörung, die wir dort beraten? Es sind, wie Sie eben selbst gesagt haben, alles nur Ergebnisse aus der Anhörung, die Sie zusammengeschrieben und heute hier als Antrag eingebracht haben. Das hätten wir dann auch gut im Ausschuss machen können und müssen es nicht unbedingt hier diskutieren.

(Beifall SPD)

Aber das Gute an Ihrem Antrag ist, dass er mir die Gelegenheit gibt, einmal hervorzuheben, dass die Landesregierung bereits sehr gute Aktivitäten in der Industriepolitik verfolgt. Leider verschweigen Sie die meisten davon. So schreiben Sie in Ihrem Antrag, das Image Schleswig-Holsteins sei bisher vor allem durch die Landwirtschaft und den Tourismus geprägt. Das mag zu Zeiten der Vorgängerregierung unter Ihrem Ministerpräsidenten gegolten haben. Industriepolitik galt eine Zeit lang als Auslaufmodell, die Dienstleistungsgesellschaft wurde ausgerufen, auch gerade von Ihrer Partei. Seit der Wirtschaftskrise wissen wir, dass es richtig war, in Deutschland weiterhin ein starkes industrielles Rückgrat zu haben.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Tatsächlich ist Schleswig-Holstein schon seit Langem ein Industriestandort, wir haben in den letzten Jahren allerdings einen Strukturwandel durchmachen müssen. Ich denke da nur an die maritime Industrie. Schiffbau hat in Schleswig- Holstein eine lange Tradition. Wir haben in Schleswig-Holstein zahlreiche erfolgreiche Unternehmen im produzierenden Gewerbe. Gerade in den Bereichen Maschinenbau, chemische Industrie, Schienenfahrzeug

technik und bei den erneuerbaren Energien sind wir weltweit erfolgreich. Dies gilt es, weiter zu unterstützen und auszubauen, und das tut die Landesregierung.

(Beifall SPD, Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hierfür müssen wir auch als Bundesland werben. Deshalb ist es wichtig, auch auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover mit einem eigenen Stand präsent zu sein, möglicherweise gemeinsam mit Hamburg. Vielfalt dafür ist in Schleswig-Holstein mehr als genug vorhanden. Wir haben mit Brunsbüttel einen starken Industriestandort, aber nicht nur da sind erfolgreiche Firmen aktiv. Auch im Hamburger Rand und in den kreisfreien Städten wie in ganz Schleswig-Holstein gibt es Weltmarktführer.

Schleswig-Holstein ist alles andere als ein schlechter Industriestandort. Das sagen vor allem die Unternehmen. Die IHK hat im Juni ein Papier zur Industriepolitik in Schleswig-Holstein herausgegeben. Dort wurden die Betreiber zur Standortbeurteilung befragt. Dabei beurteilen 88 % der Befragten den Standort mit den Schulnoten Eins bis Drei, rund die Hälfte sogar mit Gut oder Sehr gut. Von den Befragten wollen 6 % ihre Unternehmen verlagern, 2 % der Befragten ins Ausland - ich glaube, das ist eine gute Quote -, nur 4 % innerhalb Deutschlands.

(Zuruf Johannes Callsen [CDU])

Kein einziges Unternehmen aus Kiel zum Beispiel möchte verlagern. Dies sind schon gute Werte, denn Verlagerungen kommen immer wieder vor, vor allem auch im Hamburger Rand. Herr Callsen, vielleicht kommen Sie einfach einmal in den Hamburger Rand und schauen es sich dort an. Die Industrie wurde auch nach wichtigen Standortfaktoren gefragt. Ein wichtiges Thema der Zukunft wird der schnelle, umfangreiche Datenfluss sein. Hier spielt die Breitbandversorgung eine wichtige Rolle, gerade auch im Hinblick auf das Thema Digitalisierung und Industrie 4.0. Hier müssen wir Schleswig- Holstein fit für die Zukunft machen. Das fehlt leider ganz in dem Antrag der FDP, Herr Vogt. Davon haben Sie leider nichts drinstehen. Digitalisierung und Breitbandausbau, den Sie vorhin noch angesprochen haben, fehlen leider. Das Thema fehlt leider ganz im FDP-Antrag, und so ist es gut, dass die Landesregierung hier ein ganzes Stück vorangegangen ist.

(Olaf Schulze)

(Beifall SPD, Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Flem- ming Meyer [SSW])

Ein weiterer wichtiger Standortfaktor ist die Frage der Fachkräfte, auch das fehlt leider im Antrag der FDP. Auch hier ist vonseiten der Landesregierung mit den Gewerkschaften und den Unternehmen eine Fachkräfteinitiative auf den Weg gebracht worden, die immer weiter entwickelt wird.

Wir sind auf einem guten Weg. Ich finde es beachtlich, dass die Landesregierung gemeinsam mit Unternehmen, Gewerkschaften, Kammern und Verbänden strategische Perspektiven erarbeitet hat und dies mit der Unterzeichnung der Strategie „Bündnis für Industrie in Schleswig-Holstein“ weiter getragen wird. Schleswig- Holstein braucht eine starke Industrie, und deshalb ist es gut, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen und an einem Strang ziehen.

(Beifall SPD, Dr. Andreas Tietze [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Flemming Mey- er [SSW])

Dies hat die Landesregierung mit ihrem industriepolitischen Konzept für Schleswig-Holstein gut vorangebracht. Lassen Sie uns die Chance nutzen und auf dieser Basis im Ausschuss einen gemeinsamen Antrag beschließen. Vielleicht bekommen wir es dort hin. Deswegen beantrage ich auch die Überweisung des Antrags von heute ebenfalls in den Ausschuss, damit wir das dann dort gemeinsam machen können. Ich glaube, dort wollten Sie ihn auch beraten.

(Beifall SPD, Dr. Andreas Tietze [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Flemming Mey- er [SSW])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Reise unserer Wirtschaftsdelegation nach Abu Dhabi und in die Vereinigten Arabischen Emirate haben wir unter anderem die königlichen Ställe besucht und die tollen Araber, aber auch Holsteiner Pferde im Training beobachtet. Der Leiter der Stallungen, ein Inder,

hochkompetent auf seinem Gebiet, kennt Schleswig-Holstein nicht nur wegen der Hengstkörungen in Neumünster, sondern er macht auch regelmäßig Urlaub auf Sylt. Er sprach von „our horse industry“.

(Zuruf)

- Wie bitte?

Wenn wir von Pferdehaltung reden, dann gehört das nach unserem Verständnis zur Landwirtschaft. Manche reden auch von Tourismusindustrie, Musikindustrie und so weiter. Tatsächlich leitet sich der Begriff Industrie aus dem lateinischen industria ab. Das bedeutet Fleiß und Betriebsamkeit. Als Industrie im engeren Sinne bezeichnen wir verarbeitendes Gewerbe. Es geht um Rohstoffe und Energie, es geht um einen hohen Grad an Automatisierung, um Energieverbrauch, um Größenordnungen, die eine aufwendige Arbeitsorganisation erfordern. Es geht um Arbeitsteilung. Es werden in Teilleistungen Vorleistungsgüter produziert, Investitionsgüter, Gebrauchsgüter, Verbrauchsgüter, Energieerzeugung und Umwandlung. Die Abgrenzung zum Handwerk ist fließend. Daher spricht man vom Bauhandwerk und irgendwann dann auch von Bauindustrie.

Nun hat das Land Schleswig-Holstein immer schon einen im Bundesvergleich niedrigeren Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung. Stark im Land sind Landwirtschaft und Tourismus sowie andere Sektoren. Traditionell reagiert unser Land auf konjunkturelle Auf- und Abschwünge der Volkswirtschaft verhalten. Sie alle kennen sicherlich das Hazy-Osterwald-Quartett mit seinem berühmten Lied:

„Geh’n Sie mit der Konjunktur … Geh’n Sie mit auf diese Tour … Nehm‘n Sie sich ihr Teil, sonst schäm‘ Sie sich, und später geh’n Sie nicht zum großen Festbankett.“

Schleswig-Holstein geht zwar auch zum Festbankett, aber eben langsamer und steht auch nicht ganz vorne am kalten Büfett. Demgegenüber reißen uns Abschwünge weniger nach unten. Deutlich wird das immer, wenn die Autos sich mal gut oder mal schlecht verkaufen. Das schlägt bei uns im Land eben nur sehr gedämpft durch.

Das schicke ich deswegen voraus, weil der Antragsteller, der geschätzte Kollege Christopher Vogt,

(Christopher Vogt [FDP]: Nun schleimen Sie sich nicht wieder ein!)

(Olaf Schulze)

fordert - wörtlich! -, dass Schleswig-Holstein bis 2030 bei entsprechenden wirtschaftlichen Kennzahlen wieder mindestens den Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer erreicht.

Herr Vogt, gestern waren es die 8 % Kosten, die die neue Wärmeschutzverordnung kosten würde. Nun ist heute die Frage: Was stimmt an dieser FDP-Forderung nicht? - Richtig, das Wort „wieder“. Wir lagen nie im Bundesdurchschnitt. Wenn wir die FDP wählen, kommen wir dahin. Wie die FDP das machen will, verrät die FDP uns dann hinterher. Die FDP will wieder einmal die Koalition zum Jagen tragen. Ohne liberale Anträge wären wir nicht auf den Gedanken gekommen, uns mit Industriepolitik zu beschäftigen.

(Demonstrativer Beifall FDP und Volker Dornquast [CDU])

Herr Abgeordneter Matthiessen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt?

Nein, danke, ich möchte gern zum Ende kommen. Herr Vogt, die FDP tut immer so wirtschaftskompetent. Sie stehen da schon wieder am Mikrofon. Sie steht in der politischen Landschaft wie der Scheinriese in Michael Endes Geschichte von Momo: Je dichter man an ihn herankommt, desto kleiner wird er.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)