Protocol of the Session on February 23, 2012

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und des Abgeordneten Flemming Mey- er [SSW])

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Fraktionsvorsitzenden Antje Jansen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsparteien legen uns einen Gesetzentwurf vor, der die medizinischen Versorgungsstrukturen im Land entwickeln soll. Das Ziel teilen wir alle, denn es geht um die Sicherstellung einer flächendeckenden und bedarfsgerechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung in Schleswig-Holstein. Das Mittel ist hier die Einrichtung eines Gemeinsamen Landesgremiums, wie es seit Anfang des Jahres möglich ist.

Das wird erst einmal nicht schaden, und wir als LINKE knüpfen an dieses Gremium erstmal nur vorsichtige Erwartungen. Denn natürlich gilt hier die alte Fußballweisheit: Entscheidend ist, was auf dem Platz passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist die Frage, wie sich das Gemeinsame Landesgremium bewähren wird, was es tut, was es diskutiert, was es empfiehlt und natürlich auch, wie es zusammengesetzt ist und wie die Landesausschüsse der Ärzte und der Krankenkassen mit diesen Empfehlungen letztlich umgehen. Immerhin entsteht hier jetzt ein Gremium, das sich ausdrücklich mit dem Problem auseinandersetzen soll, wie mit den Auswirkungen der demografischen Entwicklung umzugehen ist und wie die medizinische Versorgung in der Fläche sichergestellt werden kann. Denn wir wissen: Die Menschen im Land werden immer älter. Gleichzeitig steigt der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung, und es steigt die Nachfrage nach pflegerischer sowie ärztlicher Versorgung. Das haben wir schon öfter im Landtag diskutiert.

Das Problem des Hausarztmangels rollt auf uns zu. Bis 2015 wird fast jeder zweite Hausarzt in Schleswig-Holstein seine Praxis aus Altersgründen aufgeben. In den nächsten Jahren werden über 900 junge Ärztinnen und Ärzte für die Übernahme einer Hausarztpraxis gesucht und benötigt. Wir alle wissen, dass es vor allen Dingen in der Fläche ein Problem ist. Eine Landarztpraxis ist heutzutage für junge Ärzte und noch mehr für junge Ärztinnen nicht mehr attraktiv.

(Werner Kalinka [CDU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Diese mangelnde Attraktivität ist weniger ein Problem des Geldes als ein Problem der Strukturen. Natürlich sind damit fehlende Strukturen gemeint. Ich denke, dass sich dieses Landesgremium auch mit den fehlenden Strukturen auseinandersetzen muss. Finanzielle Anreize lösen erst einmal gar nichts.

Auch Ärztinnen und Ärzte haben selbstverständlich Anspruch auf familienfreundliche Bedingungen ihrer Berufsausübung. Das betrifft flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung und auch die Sicherstellung einer guten Kinderbetreuung. Es fehlt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, es fehlt an einer ausreichend flexiblen Versorgung mit Kita-Plätzen, auf dem Weg zur Schule und zu vielen Freizeitaktivitäten sind auch für die Kinder in ärztlichen Haushalten weite Wege zurückzulegen. Es fehlt an einfach erreichbaren Einkaufsmöglichkeiten und kulturellen Angeboten. Hier ist Strukturpolitik im ländlichen Raum gefordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Die hilft allen Menschen. Nur Bedarfsplanung in der medizinischen Versorgung löst es nicht.

Den Gordischen Knoten, den man nur durchhauen müsste, um das Problem der flächendeckenden ärztlichen Versorgung zu lösen, gibt es nicht. Die Landesregierung hat bei der Gewährleistung der flächendeckenden fach- und hausärztlichen Versorgung keine expliziten gesetzlichen Rechte und Pflichten. Die eigentlichen Spieler sind hier die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen. Daran ändert auch die Einrichtung eines Gemeinsamen Landesgremiums nichts. Immerhin steigen wir in eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung ein, und das werden wir grundsätzlich auch unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

(Dr. Marret Bohn)

Für uns als LINKE bleibt die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung eine unmittelbar politische Aufgabe. Die Politik hat die Rahmenbedingungen der Versorgungssicherheit zu gestalten und zu steuern.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Gesundheit der Bevölkerung muss eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben. Es darf weder zur Mangelverwaltung werden noch zum Profitcenter. Die Entwicklung dem freien Spiel von Marktkräften zu überlassen, kann nicht gehen. Im Zusammenhang mit den Problemen der Krankenhäuser in den ländlichen Bereichen werden wir als LINKE davor warnen, die Privatisierungsdiskussion zu führen. Die Idee, die Krankenhäuser zu privatisieren, wird DIE LINKE auf gar keinen Fall unterstützen, und wir werden mit allen Kräften - auch jetzt im Wahlkampf - dafür werben,

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

dass diese Krankenhäuser in öffentlicher Hand bleiben. Denn Gesundheit ist keine Ware.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Detlef Buder [SPD] und Bernd Heine- mann [SPD])

Wir wollen eine flächendeckende und in angemessener Zeit erreichbare Versorgung mit Arztpraxen und Krankenhäusern. Wir wollen eine enge Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Die integrierte Versorgung nach dem Vorbild der Polikliniken oder der medizinischen Versorgungszentren muss weiterentwickelt werden. Ich hoffe, dass die weitere Diskussion im Ausschuss klärt, ob dieser Gesetzentwurf uns auf diesem Weg ein Stückchen voranbringen kann.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Detlef Buder [SPD] und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die Fraktion des SSW erteile ich dem Kollegen Flemming Meyer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Weiterentwicklung der medizinischen Versorgungsstrukturen stehen wir - vor allem was den ländlichen Raum betrifft - vor unver

ändert großen Herausforderungen. Da sind wir uns hier im Haus alle einig. Das Durchschnittsalter der Ärzteschaft steigt stetig an, und wir haben ganz einfach nicht genügend Nachwuchsmediziner, die diesen Job übernehmen können oder wollen. Für den SSW ist deshalb klar, dass wir über alle Denkverbote hinweg nach Lösungen suchen müssen, um die wohnortnahe, flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau zu sichern.

Die Landesregierung wird nicht müde zu betonen, dass diese Aufgabe ihr zentrales gesundheitspolitisches Anliegen ist. Das ist schön und gut. Vor dem Hintergrund der drohenden Versorgungsengpässe in manchen Regionen sollte dies allerdings eine Selbstverständlichkeit sein.

Grundsätzlich sehen wir den Ansatz, der mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt wird, positiv. Es ist sinnvoll, wenn wir die Möglichkeit durch § 90 a des Versorgungsstrukturgesetzes nutzen, um den lokalen Bedarf vor Ort zu ermitteln. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein, dass eine solche Föderalisierung der Bedarfsplanung die Dinge auch komplizierter machen kann. Für uns steht deshalb fest, dass das geplante Landesgremium so schlank wie möglich ausfallen sollte und den Prozess der Bedarfsplanung nicht zusätzlich verkomplizieren darf.

Wenn wir uns den vorliegenden Gesetzentwurf genauer anschauen, haben wir aber leider genau diese Befürchtung. Uns stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Einrichtung einer eigenen Geschäftsstelle nötig ist. Alle genannten ständigen Mitglieder haben gut ausgebaute Organisationen im Rücken. Dem Entwurf nach soll das Gremium grundlegende Fragen der Versorgung behandeln und lediglich Empfehlungen abgeben. Deshalb kann die Führung des Gremiums aus unserer Sicht ohne Probleme durch das zuständige Ministerium selbst übernommen werden. Was im Fall des Jugendhilfeausschusses möglich ist, sollte doch auch hier möglich sein! Mit einer eigenen Geschäftsführung werden dagegen zusätzliche und unnötige Stellen geschaffen. Wir sollten das Geld besser dort ausgegeben, wo es wirklich gebraucht wird.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ein Punkt ist dem SSW auch beim Thema bedarfsgerechte Versorgung sehr wichtig: Der Patient und seine Bedürfnisse müssen bei der Weiterentwicklung im Mittelpunkt stehen. Wir haben im Zusammenhang mit dieser wichtigen Aufgabe immer wie

(Antje Jansen)

der angemerkt, dass die Belange der Betroffenen häufig zu kurz kommen. In unseren Augen ist es deshalb bedauerlich, dass auch im geplanten Landesgremium unter den genannten Mitgliedern nicht die Patientenseite vertreten ist.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Diese Chance darf man aus unserer Sicht nicht verstreichen lassen. Wir sind der Auffassung, dass auch die Patienten selbst das Recht haben müssen, zu grundsätzlichen Fragen der Bedarfsplanung gehört zu werden.

Das Gleiche gilt für die Kommunen. Kollege Heinemann hat das vorhin ausführlich beschrieben.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir stehen bei der Entwicklung der medizinischen Versorgungsstrukturen im Land vor einer großen Herausforderung. Deshalb sollten wir alle Möglichkeiten nutzen, die sich bieten, um diese Aufgabe zu meistern. Dazu gehört sicher auch ein Gremium zur Ermittlung des Versorgungsbedarfs auf Landesebene. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Landesregierung hier eine moderierende Rolle einnehmen will.

Wie erwähnt sehen wir aber einige Punkte dieses Gesetzentwurfs kritisch. Auch das Verfahren selbst scheint uns zu voreilig. Die Debatte hat gezeigt, dass es zu diesem wichtigen Thema noch viele ungeklärte Fragen gibt. Weil offensichtlich nicht nur der SSW Klärungsbedarf hat, halten wir eine ausführliche Anhörung für erforderlich.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Natürlich haben wir es hier mit einer dringenden Aufgabe zu tun, aber wir brauchen ein sorgsames Verfahren, in dem alle Beteiligten zu Wort kommen, und ganz sicher keinen Schnellschuss.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie wissen, dass das Versorgungsstrukturgesetz des Bundes Gegenstand harter, aber

durchaus fairer Diskussionen mit dem Bund war. Die Länder haben - das hat mich besonders gefreut - sehr selbstbewusst, und zwar anders, als das hier gerade der Fall gewesen ist, über alle Parteigrenzen hinweg, über alle politischen Farbenlehren hinweg ihre Auffassung beim Bund vehement eingebracht, vorgetragen. Wenn wir einen überparteilichen Blick auf das Versorgungsstrukturgesetz und seine neuen Möglichkeiten werfen, haben sich die Länder im Großen und Ganzen mit ihren Forderungen durchgesetzt.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Ich glaube, dass das richtig gewesen ist. Es war richtig, dass die Länder wieder mehr Gestaltungsspielräume bekommen haben, was die Gesundheitsversorgung der Menschen anbelangt.

Frau Kollegin Bohn, in einem Punkt teile ich Ihre Verärgerung beziehungsweise Enttäuschung. Gerade das Land Schleswig-Holstein hätte sich gefreut, wenn man auf Bundesebene einen Schritt weiter gegangen wäre und Gesundheit und Pflege nicht mehr getrennt voneinander gedacht hätte. Ich habe diese Frage auch mit unseren Leuten diskutiert. Ich hätte diesen Aspekt wenigstens im Landesausführungsgesetz gern aufgegriffen, das ist rechtlich aber nicht möglich, weil das Bundesgesetz diese Möglichkeit nicht hergibt. Deswegen machen wir es zumindest im Gesundheitsbeirat, dass dort nichts parallel, sondern alles komplett miteinander analysiert, identifiziert wird und die Handlungsempfehlungen parallel laufen, das heißt Gesundheit und Pflege gemeinsam gedacht werden.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, die Länder haben jetzt die Verantwortung, die ihnen übertragenen neuen Möglichkeiten tatsächlich zu nutzen. § 90 a des Sozialgesetzbuchs V bietet die Möglichkeit, ein Landesgremium einzurichten. Ich glaube allerdings, dass neben einem Gemeinsamen Landesgremium eine ganze Menge mehr notwendig ist, um aus den Schützengräben herauszukommen, Sektorengrenzen zu überwinden und nicht nur intersektoral, sondern auch interdisziplinär in den Gesundheitsbereichen zusammenzuarbeiten. Ein solches Gemeinsames Landesgremium ist mit Sicherheit eine Möglichkeit, um Streithähne wieder an einen Tisch zu bringen. Wir wissen, dass in der Vergangenheit - es sind ja schon Regionen genannt worden - nicht immer alles friedlich vonstatten ging. Das kann es meiner Meinung nach auch gar nicht.

(Flemming Meyer)

Denn es geht im Gesundheitswesen immer um den Kampf um knappe, begrenzte Ressourcen, zum einen um finanziell begrenzte Ressourcen. Unabhängig davon, wer regieren wird, werden finanzielle Ressourcen für den Gesundheitsbereich immer begrenzt sein. Es wäre angebracht, den Menschen in dieser Frage reinen Wein einzuschenken. Zum anderen wird es noch viel mehr um knappe personelle Ressourcen gehen. Deswegen geht es in Zukunft einzig und allein um die Frage: Wie stellen wir vor dem Hintergrund der limitierenden Faktoren, begrenzte finanzielle Ressourcen und knappe personelle Kapazitäten, die Gesundheitsversorgung unserer älter werdenden Bevölkerung in einem Flächenland sicher? Das ist die einzige Aufgabe, die einzige Frage, die wirklich zählt, und nicht die Frage, wer sich vor welche einzelne Interessengruppe stellt.