Protocol of the Session on November 17, 2011

Genau das ist es, was den Bürgermeistern derzeit am meisten zu schaffen macht. Nicht nur Tausende

Menschen und ihre Familien leben in großer Unsicherheit, weil sie nicht wissen, wann es losgeht. Die Kommunen wollen die Nachnutzung planen, doch auch sie wissen nicht, wann sie damit beginnen können. Die Städte und Gemeinden brauchen schnell eine klare Ansage zur Zeitschiene. Sie brauchen für die Konversion Planungssicherheit, und die gibt es nur mit einem verbindlichen Zeitplan über den Abzug. Der Bund ist gefordert, hierüber möglichst rasch Auskunft zu geben.

Ich bin mit dem Verschieben angekündigter Informationen überhaupt nicht einverstanden. Erst hieß es, konkreter werde es im Dezember, jetzt ist vom späten Frühjahr die Rede. So geht das nicht. Das muss zügiger gehen, und das habe ich dem Bundesverteidigungsminister am Wochenanfang auch gesagt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wer eine Reform zum Erfolg führen will, der muss in solchen elementaren Punkten verlässlich sein.

Sobald die Ausplanung auf dem Tisch liegt, wird es darum gehen, dass die betroffenen Kommunen bestmöglich in die Startlöcher kommen. Die Menschen vor Ort müssen Grundsatzentscheidungen treffen: Welche Nachnutzung streben wir für frei werdende Liegenschaften an? In welche Richtung soll sich meine Stadt oder meine Gemeinde ohne Bundeswehr entwickeln?

Damit sind wir in der ersten von zwei Phasen einer Konversion. In dieser ersten Phase muss das Land vor allem Beratung und Service anbieten. Beides machen wir. Wir haben ein Konversionsbüro im Wirtschaftsministerium. Dort sitzen die Fachleute, die seit Jahren Erfahrung mit Konversionsprojekten haben. Dort ist der Sachverstand vorhanden, den die Kommunen nutzen können, nutzen müssen und nutzen sollten. Die Erfahrungen des Konversionsbüros sind auch in einen 165 Seiten starken Leitfaden geflossen, den wir allen Bürgermeistern bereits an die Hand gegeben haben. Dieser Leitfaden soll ein Wegweiser durch den Konversionsprozess sein. Außerdem stehen vor Ort die vom Land geförderten Regionalmanagements Konversion bereit. Auch diese können mithelfen, tragfähige Konversionskonzepte zu entwickeln. Unser „Aktionsplan Konversion“ sieht vor, dass wir in der ersten Phase die Entwicklungsgutachten und die Machbarkeitsstudien fördern.

Wir bleiben auch an der Seite der Kommunen, wenn es in der zweiten Phase der Konversion darum geht, die Nachnutzungskonzepte zu realisie

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

ren. Wir haben seit 2007 allein aus dem Zukunftsprogramm Wirtschaft rund 50 Millionen € an Fördermitteln für Projekte an Konversionsstandorten bewilligt, und mit den Nachfolgern unserer Zukunftsprogramme werden wir ein besonderes Augenmerk auf die betroffenen Kommunen legen. Wir wollen den Gemeinden helfen, ihre Konversionsideen umzusetzen.

Auch das habe ich aus meinen Gesprächen mit den Bürgermeistern mitgenommen: Einige wünschen sich zum Beispiel bereits während des Konversionsprozesses eine teilzivile Nutzung der Liegenschaften. Sie wollen keine abrupte Veränderung, sondern sie wollen die Veränderungen, die abzusehen sind, kontinuierlich aufbauen. Ich halte das dort, wo es machbar ist, für eine gute Idee.

(Beifall bei CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der FDP)

So kann in manchen Fällen Stück für Stück eine gesunde Wirtschaftsstruktur nachwachsen, und wir wollen solchen Modellen zum Erfolg verhelfen. Damit der Konversionsprozess im Ganzen ein Erfolg werden kann, darf sich der Bund nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir sehen ihn auch finanziell in der Pflicht und fordern daher ein Bundeskonversionsprogramm. Auch in diesem Punkt bin ich mir mit allen meinen Kollegen in den Ländern einig.

Einen ersten Vorschlag hat Bundesbauminister Ramsauer gemacht. Das ist noch nicht das, was wir erwarten, aber es zeigt, dass sich der Bund bewegt. Wir werden schon sehr bald mit der Bundesregierung darüber sprechen können. Im Dezember haben wir Ministerpräsidenten ein Gespräch mit der Kanzlerin, bei dem die Konversion ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird. Eine unserer ganz klaren Forderungen wird dabei sein: Der Bund darf die Liegenschaften nicht zu Höchstpreisen verkaufen.

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Preisvorstellungen des Bundes sind fast immer unrealistisch. Hier wollen wir ansetzen. Die Liegenschaften müssen verbilligt abgegeben werden. Ziel ist nicht, dass möglichst viel Geld in die Bundeskasse kommt, sondern Ziel muss die schnelle, sichere und vor allen Dingen nachhaltige Schaffung von anderen Arbeitsplätzen, von Konversionsarbeitsplätzen sein.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW)

Damit das passiert, muss der Haushaltsgesetzgeber die Bundeshaushaltsordnung wieder dahin gehend ändern. Dort ist jetzt festgelegt, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zum höchsten Preis vergeben soll. Das muss zumindest für eine Übergangszeit geändert werden. Die Last einer Konversion ist für die Kommunen auch so schon schwer genug.

Meine Damen und Herren, der bevorstehende Truppenabzug darf trotz allem kein Grund sein, mutlos zu werden. Unser Blick muss nach vorn gehen. Wir haben in Schleswig-Holstein immer wieder gesehen: Viele Städte und Gemeinden haben Konversion auch als Chance gesehen, und sie haben aus dieser Chance etwas gemacht. Ich kenne einige Bürgermeister, die dies nach der Konversion nicht nur bei der Bundeswehr, sondern zum Beispiel in Bredstedt auch beim Bundesgrenzschutz sagen. Sie können sich daran erinnern, dass in dieser kleinen Stadt mit 5.000 Einwohnern jeder auf der Straße war, als der Bundesgrenzschutz dort seine Schule geschlossen hat. Heute sagt man dort: Bleibt uns bloß weg mit Arbeitsplätzen, die wieder von politischen Entscheidungen abhängig sind. Wir wollen andere, nachhaltigere und private Arbeitsplätze bei uns haben. Das hat man dort wie auch in vielen anderen Orten bei uns hier im Land Schleswig-Holstein geschafft.

Unser Blick muss deshalb nach vorn gehen. Schleswig-Holstein hat Erfahrungen mit dem Truppenabbau. Bei allen Schwierigkeiten gibt es bei uns im Land eine ganze Reihe an sehr gelungenen Konversionsprojekten. Eine weitere Chance liegt darin, sich die hohen Qualifikationen der militärischen und zivilen Bundeswehrmitarbeiter im Kampf gegen den Fachkräftemangel zu sichern. Das sollte uns Mut machen. Gemeinsam haben wir alle Chancen, auch diesen Konversionsprozess zu meistern. Lassen Sie uns heute ein Zeichen der Geschlossenheit an unsere Kommunen geben!

(Beifall bei CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat die angemeldete Redezeit um drei Minuten überzogen. - Ich erteile jetzt dem Herrn Oppositionsführer Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines voranstellen:

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Die Bundeswehrstrukturreform ist mit der damit einhergehenden Verkleinerung die logische und im Grunde begrüßenswerte Konsequenz der Tatsache, dass Deutschland derart in die Weltgemeinschaft eingebettet ist, dass die Gefahr eines Krieges in Deutschland und in Europa nahezu gegen null geht. Das liegt an der Friedens- und Entspannungspolitik der 70er- und 80er-Jahre, die gerade durch Willy Brandt und andere betrieben worden ist. Dies ist auch eine Folge der politischen Zusammenarbeit in der Europäischen Union. Insofern ist es zutreffend: Militärausgaben sind kein Selbstzweck. Deshalb haben wir schon vergleichbaren Reformen sozialdemokratischer Verteidigungsminister im Grundsatz zugestimmt, auch wenn sie Härten für unser Land bedeutet haben.

Lassen Sie uns gemeinsam hoffen, dass immer mehr Staaten von einer solchen Friedensdividende profitieren können und dass immer weniger versucht wird, Konflikte kriegerisch zu lösen, denn wir sehen auch dort, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind: Zur dauerhaften Konfliktbeendigung und vor allem zum nachhaltigen Aufbau ziviler Strukturen ist Militär am Ende nur sehr eingeschränkt geeignet. Das heißt, dass es trotz aller Schwierigkeiten, über die wir heute sprechen, erfreulich ist, was sich in den Jahrzehnten verändert hat, in denen die Strukturen aufgebaut worden sind, die ein Ergebnis des kalten Krieges gewesen sind.

(Beifall bei der SPD)

Die Bundeswehrstrukturreform ist aber auch eine Konsequenz der sich ändernden Aufgaben der Bundeswehr und der Aussetzung der Wehrpflicht. Ich bin sicher, hier müssen wir noch viel mehr diskutieren. Die Veränderungsnotwendigkeiten sind keineswegs am Ende. Die Reform der Bundeswehr selbst, der Nachfolgestrukturen für den Zivildienst und eben auch die Konversion an bisherigen Bundeswehrstandorten sind eine große Herausforderung für die Politik in Bund, Ländern und Kommunen.

Dass Schleswig-Holstein stark betroffen sein würde, war angesichts der Bundeswehrdichte in unserem Land klar. Dass Schleswig-Holstein aber weit überproportionale Lasten tragen muss und - wenn man sich die Zahlen genau anguckt - am schlechtesten behandelt wurde, ist schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sowohl in Berlin als auch hier jedenfalls noch - schwarz-gelbe Regierungen amtieren.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Herr Ministerpräsident, es ist schon ein wenig kurios - insofern haben Sie schon eine eigenartige Form von Humor -, dass Sie der Opposition gönnerhaft empfehlen, doch auf die Kritik an Ihrem Regierungshandeln zu verzichten, die Ihre Fraktion seinerzeit gegen die Regierung Simonis ungehemmt für sich in Anspruch genommen hat. Ich würde zwei Gläser Honig darauf verwetten: Ich bin sicher, dass der zukünftige Oppositionsführer, der Kollege de Jager, dies bei der nächsten Runde gewiss wieder für sich und seine Fraktion in Anspruch nehmen wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Carstensen und auch Sie, Herr Minister de Jager, Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, warum Schleswig-Holstein von dieser Reform so überproportional getroffen wird. Ich nenne dazu Zahlen: 42 % gegenüber durchschnittlich 30 %. Warum konnten andere Landesregierungen deutlich mehr Standorte schützen, und warum liegt von den neu gebildeten Kommandos kein einziges in Schleswig-Holstein? - Vielleicht sind die SPD-geführten Landesregierungen wie in MecklenburgVorpommern, in Brandenburg oder in Berlin einfach besser gewesen bei der Vertretung ihrer Landesinteressen? - Aus der Dimension der Kürzungen für Schleswig-Holstein kann man eigentlich nur ableiten, dass nicht einmal Ihre Parteikollegen in der Bundeshauptstadt noch einen Pfifferling auf den Fortbestand dieser Landesregierung setzen.

(Astrid Damerow [CDU]: Was hat das damit zu tun?)

Herr Ministerpräsident, was sagen Sie in Ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme? - Ich zitiere Sie wörtlich aus Ihrer Pressemitteilung am Tag der Kürzungen:

„Es hätte ja noch schlimmer kommen können für Schleswig-Holstein.“

Das stimmt, Herr Ministerpräsident. Ein paar Standorte sind uns geblieben. Ich kann mir vorstellen, was sich die betroffenen Soldaten und Zivilangestellten, deren Familien und die Kommunen bei Ihrem Auftritt gedacht haben müssen, Herr Ministerpräsident.

Nein, die Auswirkungen der jetzigen Reform sind für Schleswig-Holstein äußert schmerzhaft. Es gehen viele Arbeitsplätze verloren und es geht Kaufkraft verloren. Es gehen aber auch viele wertvolle Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden verloren, denn viele der Betroffenen haben sich in Vereinen und Verbänden engagiert. Sie

(Dr. Ralf Stegner)

waren hilfreiche Nachbarn und auch ehrenamtlich in der Kommunalpolitik tätig. Die Auswirkungen sind für die Betroffenen und ihre Familien schmerzhaft, die entweder ihre Arbeit verlieren oder ihren Wohnort, ihre Heimat. Oft verliert auch das Eigenheim über Nacht drastisch an Wert, wenn ganze Standorte fast oder vollständig ausradiert werden. Oftmals gibt es in der Region auch einen erheblichen Kaufkraftverlust. Das bedeutet den Verlust von Freunden, von Schulkameraden und von Verbands- und Vereinskollegen für die, die gehen müssen, und für die, die bleiben. Es geht um nichts weniger als um die Sicherheit für die Lebensplanung, die wir für Soldatinnen und Soldaten, aber auch für zivile Angestellte einfordern.

Was wir jetzt vor allen Dingen brauchen, ist Klarheit über die Pläne, über das tatsächliche Ausmaß und über die zeitlichen Abläufe. Das ist eigentlich der Kern; denn es ist ein Unterschied - um ein Beispiel aus meiner Region zu nehmen -, ob das Lufttransportgeschwader in Hohn 2014 oder erst 2022 dichtmacht. Dann wenigstens können die Betroffenen und die Gemeinden anfangen, diese Veränderungen zu planen.

Ich erwarte, dass die Landesregierung dies beim Bundesverteidigungsminister nachdrücklich einfordert, und zwar nicht nur verbal, und sich für den Ausgleich sozialer Härten einsetzt.

Soldaten leisten einen Dienst für unser Gemeinwesen, der - wie wir nicht nur aus Afghanistan wissen - zum Teil auch sehr gefährlich sein kann. Deshalb verdienen sie in jeder Hinsicht unsere Unterstützung und unseren Respekt.

(Beifall bei der SPD)

Das sage ich gerade in Richtung der Abgeordneten links außen. Mich hat manche Ihrer Stellungnahmen zur Bundeswehr der vergangenen Tage schon sehr befremdet.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ihr zukünftiger Koalitionspartner!)

Man kann ja über vieles im Konkreten streiten. Insgesamt ist es aber wichtig und notwendig, dass wir uns als Parlament an die Seite derjenigen stellen, die im Dienste des Gemeinwesens ihr Leben einsetzen und die mit ihren Familien viele Belastungen zu tragen haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es geht auch darum, den sozialen und familiären Belangen Rechnung zu tragen.

Wir verlangen eine öffentliche und verbindliche Zusage, dass die Bundesregierung und die Bundesbehörden die Konversion substanziell unterstützen. Die windige Idee von Herrn Ramsauer hilft dabei überhaupt nicht weiter. Sein interkommunaler Unterstützungsfonds entfaltet seine Wirkung doch kaum vor dem Sankt-Nimmerleins-Tag.

Wir fordern, dass betroffene Liegenschaften frei von Altlasten, zu fairen Preisen und mit verbindlichen Zeithorizonten der Konversion zugeführt werden. Wir fordern, dass es ebenfalls verbindliche Zusagen über substanzielle finanzielle Mittel gibt, mit denen sich der Bund an den Kosten der Konversion beteiligt.