Ich hoffe, Sie werden durch die Debatte im Landtag so viel Rückhalt und neue Ideen bekommen, sich auf Bundesebene mit Bundeskanzlerin Merkel darüber zu unterhalten und auszuhandeln, was für Schleswig-Holstein wichtig ist: hoffentlich viel, viel Geld.
Für die SSW-Fraktion erteile ich der Fraktionsvorsitzenden, der Frau Abgeordneten Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Ich entschuldige mich dafür, dass unser Änderungsantrag erst jetzt verteilt worden ist. Irgendwas ist da bei uns schiefgelaufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehrstrukturreform ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits befürworten wir natürlich die Bestrebungen, die Truppe zu verkleinern; sie wird in der Größe nicht mehr gebraucht, und es gibt genügend andere Bereiche, in denen das Geld besser ausgegeben werden kann.
Andererseits ist die Bundeswehr dort, wo sie angesiedelt ist, eine Wirtschaftskraft und ein Standortfaktor. Zehntausende Menschen im Land leben unmittelbar von Lohntüten der Bundeswehr, die so jährlich fast 1 Milliarde € nach Schleswig-Holstein trägt, und viele Menschen mehr verdienen ihren Le
bensunterhalt, indem sie Waren- und Dienstleistungen an Bundeswehrangehörige und an die Bundeswehr verkaufen.
Deshalb ist es ein tiefer Einschnitt, wenn 8 von 31 Standorten und knapp 11.000 von 26.000 Dienstposten in Schleswig-Holstein künftig wegfallen sollen. Man kann diskutieren, ob ein so harter Schlag für den Norden unausweichlich war oder ob die Landesregierung möglicherweise schlecht verhandelt hat. Der Ministerpräsident hat seine Argumentation für die schleswig-holsteinischen Standorte offensichtlich stark auf die Folgen für den Katastrophenschutz fokussiert, der für unser Land von großer Bedeutung ist. Immerhin ist es gelungen, das Spezialpionierbataillon in Husum zu erhalten, das für den Küstenschutz von großer Bedeutung ist.
Ob diese starke Fokussierung insgesamt optimal war, ist aber eine andere Frage. Es war von vornherein klar, dass Schleswig-Holstein vor tiefen Einschnitten steht, weil der Anteil der Soldaten an der Bevölkerung in unserem Bundesland bundesweit spitze ist. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb nicht in Mecklenburg-Vorpommern genauso gekürzt wird, wo es eine ähnlich hohe Dichte an militärischen Dienstposten gibt.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Strategie der Landesregierung nicht ganz aufgegangen ist. Aber Verteidigungsminister de Maizière hat am 26. Oktober 2011 seine Entscheidung verkündet, und nun ist es die wichtigste Aufgabe der Landespolitik zu schauen, wie wir mit den Tatsachen umgehen.
Insbesondere in der nördlichen Hälfte SchleswigHolsteins reißt der Schwerthieb des Bundesverteidigungsministers gewaltige Wunden, von denen sich die strukturschwachen Regionen erst in Jahrzehnten völlig erholt haben werden - wenn überhaupt. Erhält der Norden jetzt nicht die erforderliche erste Hilfe, wird er ausbluten.
Die kommende Neustrukturierung der Bundeswehr ist nicht die erste Bundeswehrstrukturreform, die wir erleben. Wir kennen die Therapieverfahren zur Konversion von militärischen in zivile Standorte mittlerweile ganz gut. Unsere wichtigsten Instrumente sind: Unterstützung der betroffenen Kommunen bei der Neuorientierung, Wirtschaftsförderung, Nutzung von Förderprogrammen für Städte- und Wohnungsbau sowie Naturschutz und Vermarktung der Liegenschaften.
Aber auch wenn diese Heilmittel gut bekannt sind, gibt es kein Patentrezept dafür, was lokal wirklich Heilung bringt. Welche Ideen Kommunen und Investoren für die Nutzung der verlassenen Bundeswehrstandorte haben und ob es überhaupt realistische Alternativen gibt, ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich. Es liegt noch auf der Hand, ein früheres Munitionsdepot als Lager für Feuerwerkskörper oder eine frühere Kaserne für den Wohnungsbau zu nutzen. Aber was macht man mit atomwaffensicheren Kommandobunkern 30 m unter der Erde? Große Kreativität ist gefragt. Das Land hat im Ergebnis früherer Bundeswehrreformen insbesondere im Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums das Know-how und die Infrastruktur dafür entwickelt, die Kommunen bei der Entwicklung neuer Nutzungskonzepte zu unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Phase ist es entscheidend, dass den klammen Gemeinden dabei geholfen wird, solche Planungen zu finanzieren. Wirtschaftsminister de Jager hat zugesagt, dass die Mittel für Entwicklungsgutachten, Machbarkeitsstudien et cetera noch aus dem laufenden Zukunftsprogramm Wirtschaft geschöpft werden können. Daran werden wir die Landesregierung messen.
Weit größere Sorgen bereitet uns die zweite Phase der Konversion, nämlich die Umsetzung der Pläne. Der Wirtschaftsminister hat mit seinem Aktionsplan eine Liste mit Best-Practice-Beispielen vorgelegt, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass neben der Förderung für die Planung keine weiteren öffentlichen Mittel erforderlich waren.
In vielen Fällen wird die Konversion ohne die Hilfe von Förderprogrammen für die Umsetzung aber nicht realisiert werden können. Wir brauchen dafür Geld, das wir nicht haben.
Die Mittel des schleswig-holsteinischen Zukunftsprogramms Wirtschaft reichen nur noch für Planungen und Konzepte. Angesichts der Schuldenbremse ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Landtag im Doppelhaushalt 2013/2014 wesentlich mehr Geld für das Zukunftsprogramm zur Verfügung stellen kann, um den neuen Konversionsstandorten erhöhte Förderquoten zu gewähren.
Deshalb begrüßen wir die Forderung der Ministerpräsidenten nach Auflegung eines Bundeskonversionsprogramms, das die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen retten soll. Schleswig-Holstein muss sich in Berlin
auch dafür stark machen, dass die Bund-LänderGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nach 2014 weitergeführt wird und Konversionsstandorten uneingeschränkt offensteht. Sowohl für die Bundes- wie für die Landesförderung gilt: Alle Konversionsstandorte müssen Priorität haben. Das ist noch entscheidender als eine erhöhte Förderquote. In diesem Sinne muss sich die Landesregierung beim Bund dafür einsetzen, dass ein GA-Ansatz für Konversion eingerichtet wird, der nicht auf die allgemeine Quote der betroffenen Länder angerechnet wird.
Sehr skeptisch stimmt den SSW die Aussage im neuen „Aktionsplan Konversion“ der Landesregierung, dass künftig nur Standorte förderfähig sind, die komplett geschlossen werden und wo Liegenschaften noch nicht vermarktet wurden. Für die bisherigen Konversionsstandorte mögen diese Kriterien noch in Ordnung sein; auf die neuen dürfen sie auf keinen Fall angewandt werden. Es gibt mehrere Standorte, die nicht komplett verlassen, aber trotzdem massiv zur Ader gelassen werden. Gemeinden wie Boostedt, wo von 1.980 Dienstposten nur 40 übrig bleiben, oder Oldenburg, wo 500 von 750 Stellen entfallen, werden erheblich geschwächt und müssen ebenso die Chance haben, Hilfen zu bekommen.
Die bisherigen Konversionserfahrungen zeigen, dass eine der größten Komplikationen vom Staat selbst verursacht wird. Wie hinderlich es ist, wenn der Bund noch versucht, jeden Euro aus den Ex-Kasernen zu pressen, haben wir auf Sylt und in Schleswig erlebt. Wir haben Verständnis dafür, dass sich die Bundeswehr reformiert und dabei Standorte geschlossen werden müssen. Es kann aber nicht sein, dass der Bund noch versucht, sich mit den verlassenen Kasernen und Bunkern eine goldene Nase zu verdienen, und damit lokale Lösungsansätze behindert.
Daher sagen wir: Die geschlossenen Bundeswehrgelände müssen den betroffenen Kommunen weit unterhalb des Verkehrswertes, am besten zu einem symbolischen Betrag, zur Verfügung gestellt werden, um vor Ort einen Neuanfang zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Forderung der Landesregierung, dass die Bundesagentur für Immobilienaufgaben - BImA - die Kommunen dabei unterstützen soll, schwer vermittelbare Liegenschaften anzukaufen, indem sie Planungskosten, Gutachterkosten oder kommunale Förderanteile übernimmt.
Zu einem ordnungsgemäßen Rückzug der Bundeswehr aus ihren Liegenschaften gehört natürlich auch, dass sie sie nicht nur besenrein, sondern wirklich sauber hinterlässt. Deshalb unterstützen wir die Forderung der Ministerpräsidenten, dass die Bundeswehr die gesundheits- und umweltgefährdenden Altlasten, die sich auf Kasernengeländen, Truppenübungsplätzen und in Munitionsdepots befinden, auf eigene Rechnung beseitigt. Dies gilt ebenso für die Forderung, dass die BImA Liegenschaften zurückbaut, die nicht für eine Folgenutzung geeignet sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abzug der Bundeswehr hat einschneidende Folgen für die betroffenen Kommunen. Deshalb stehen sie im Zentrum der Konversionsstrategie. Bei der Bundeswehrreform geht es aber um mehr als um die Bedeutung für das regionale Wirtschaftsleben. Es geht um zahllose Einzelschicksale. Die Reform ist eine tiefe Zäsur im Leben vieler Arbeitnehmer und Familien, die ihren Lebensmittelpunkt in Schleswig-Holstein haben. Die Soldaten und vor allem die Zivilbeschäftigten müssen möglichst eine Zukunft in der Region bekommen.
Wenn dies durch die Kopplung mit Maßnahmen zur Behebung des Fachkräftemangels erreicht werden kann, wie der Wirtschaftsminister es angeregt hat, dann ist es gut. Die meisten Zivilangestellten dürften davon aber kaum profitieren. Für sie muss es sozialverträgliche Lösungen geben. Wie in früheren Konversionsrunden wird der SSW darüber hinaus darauf aufmerksam machen, dass es für die Angehörigen der Minderheiten besonders fatal ist, wenn sie in andere Regionen ziehen müssen.
Außerdem liegt es uns besonders am Herzen, dass die Bundeswehr ein wichtiger Ausbildungsbetrieb ist. Gerade für die strukturschwachen ländlichen Regionen war es eine große Hilfe, dass die berufliche Ausbildung am Bedarf der Regionen ausgerichtet wurde. Wir fordern, dass die Bundeswehr auch in Zukunft diese gesellschaftliche Aufgabe
Da über die Ausbildungsstandorte noch nicht endgültig entschieden ist, muss die Landesregierung in dieser Frage in Berlin noch einmal vorstellig werden.
Für die vielen betroffenen Arbeitskräfte ist es entscheidend, dass sich in der wirtschaftlichen Entwicklung der betroffenen Landstriche allgemein etwas tut. Die Bundeswehr wurde vielfach gezielt in den wirtschaftlichen Randlagen des Landes angesiedelt. Deshalb wird Schleswig-Holstein durch die Bundeswehrreform eine noch stärkere Schlagseite bekommen, die sich durch Konversion allein nicht auffangen lässt. Denn trotz aller Best-Practice-Vorbilder ist es offensichtlich, dass die bisherigen Konversionsrunden für viele ehemalige Bundeswehrstandorte keine Heilung gebracht haben. Ihnen ist allein durch eine ganzheitlichere Medizin zu helfen, die nicht nur lokal auf einzelne Standorte oder Liegenschaften ausgerichtet ist.
Die Landesregierung will dem Ungleichgewicht begegnen, indem sie ,,soweit möglich" keine Landesbehörden in den betroffenen Regionen schließen will. Das ist richtig so, reicht aber nicht aus. Der SSW fordert eine eigenständige, gezielte wirtschaftspolitische Strategie der Landesregierung für diese Randlagen, die sich auch keine Hoffnung machen können, künftig von der wirtschaftlichen Dynamik in und um Hamburg zu profitieren. Wenn das nördliche Schleswig, das östliche Holstein und die Westküste nicht zu abgelegenen Landstrichen werden sollen, in denen man allenfalls noch Touristen, Windräder und bedrohte Vogelarten unterbringt, dann muss es eine neue Wirtschafts- und Regionalpolitik für diese Regionen geben.
Ansonsten droht eine Spaltung, bei der die Randlagen ganz von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein zentrales Element, wenn nicht gar der zentrale Bestandteil einer solchen Strategie, ist eine Hochschul- und Bildungspolitik, die ihre regionalpolitische Verantwortung annimmt. Bildungs- und Forschungseinrichtungen, die eng mit den Betrieben und Arbeitskräften verbunden sind und die eine Rolle als regio
nale Wachstumsmotoren übernehmen können, sind das Fundament einer nachhaltigen regionalen Entwicklung. Das gilt übrigens nicht nur für Hochschulen, sondern auch für Berufsschulen.
Bildungseinrichtungen sind die Hefe, die Wirtschaft und Arbeitsmarkt zum Gären bringt. Deshalb fordert der SSW, dass die Hochschulen auch außerhalb Kiels in ihrer Existenz gesichert und weiterentwickelt werden. Etwas Besseres kann die Landesregierung kaum tun, um die Wunden des Truppenabbaus dauerhaft zu heilen.
Gerade weil der Werkzeugkasten für die Konversion überschaubar ist, ist der Dissens der Parteien in diesen Fragen relativ gering. Diese Chance sollten wir nutzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn Geschlossenheit ist die beste Medizin. Entscheidend ist jetzt vor allem, dass sich das Land auf Bundesebene Gehör verschafft. Wir sollten also die Kräfte im Land bündeln und gemeinsam die Interessen unseres Landes in Berlin vertreten.
Das ist der Tenor unseres Änderungsantrags. Wenn Sie ihn quergelesen haben, haben Sie gesehen, dass er versucht, genau das aufzunehmen, was eigentlich nicht strittig und was das Wichtigste in dieser Angelegenheit ist. Das ist der beste Beitrag, den Regierungsparteien wie Opposition leisten können, um den betroffenen Menschen und Kommunen zu helfen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte die Botschaft der heutigen Debatte sein.