Protocol of the Session on September 15, 2011

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Natürlich bin ich zweitens bereit, über den Tag hinaus zu denken, wobei ich die Betonung auf „denken“ lege.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Dritte habe ich vergessen. Was war Ihre dritte Frage?

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage richtete sich an Herrn Habeck. Es haben viele andere geantwortet.

(Heiterkeit)

Ich bitte Sie, ruhig zu sein und die Antwort zu hören.

Ich frage also noch einmal: Sind Sie der Meinung, dass ein Haircut, über den Sie ja gesprochen haben, etwas völlig anderes ist als ein geordnetes Insolvenzverfahren?

Ein Haircut wäre, würde er jetzt gefordert, keine geordnete Insolvenz. Er würde in Griechenland zu Zuständen führen wie in Argentinien. Die Aufstände, die wir jetzt schon sehen, und andere Dinge würden weiter verschärft, die Spareinlagen der Griechen würden vernichtet, alles würde durcheinander gehen. Das wäre nicht geordnet. Kein Mensch weiß, was dann passieren würde. Die Anlagen, die in den Staatsanleihen vorhanden sind, hätten Folgeeffekte in der direkten Wirkung der Banken, und die Infektion anderer Staaten würde um sich greifen. Mit anderen Worten: Die Spekulation, die den Zinssatz in Griechenland nach oben getrieben hat, würde sich möglicherweise auch auf Spanien, Italien, Portugal, Irland, Belgien - weiß der Geier, auf wen noch - erstrecken.

In diesem Fall gibt es also keine geordnete Insolvenz. Einen Haircut, eine Umschuldung, einen Schuldenschnitt, kann es nur geben, wenn es geordnete Bondverhältnisse in Europa gibt. Nur im Zusammenhang einer europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik kann man diesen Schritt gehen, und

(Dr. Robert Habeck)

zwar in dieser Reihenfolge. Genau das werde ich jetzt ausführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist also nicht, ob wir Solidarität in Europa wollen, sondern wie wir sie organisieren. Dass die Zinsen durch die Eurobonds steigen, ist möglich, aber es ist nicht zwingend. Der große amerikanische Raum, der ja gemeinsame Staatsanleihen hat, ist mit 0,8 % unter dem Zinssatz geratet, den er eigentlich zahlen müsste, wenn es statisch zuginge, wenn man also die Bilanz der Volkswirtschaft als Bürge für die Kredite zugrunde legte. Kein Mensch weiß, was passieren würde, hätten wir gemeinsame Anleihen. Es ist ein dynamisches System. Angesichts des chinesischen Angebots, massenweise Staatsanleihen aufzukaufen, befürchte ich nicht, dass wir unseren Zinssatz verlieren, sondern dass wir die Moral in der Wirtschaft verlieren.

Da haben wir das nächste Problem, nämlich dass wir uns entscheiden müssen, ob wir unsere Außenhandelswirtschaftskriterien aufgeben wollen, um uns finanziell retten zu lassen, oder nicht. Es ist aber nicht so einfach, dass man sagen kann, wir ziehen die Schulden zusammen, teilen sie durch zwei und sagen, damit haben wir den Zinssatz der Zukunft. Kein Mensch weiß - das ist ein unerprobtes Verfahren -, was daraus wird.

Aus der Sicht der Landespolitik ist es etwas einfacher abzuschichten, was getan werden muss, als das möglicherweise auf Bundesebene ist. Denn so unsicher wie die Zinsentwicklung auch ist, so sicher sind die katastrophalen Folgen für Schleswig-Holstein bei einem Zerbrechen des Euros. Nationale Staatsanleihen und die Notoperationen der EZB müssen in einen klaren, gemeinsamen europäischen Rahmen der Finanz- und Wirtschaftspolitik überführt werden, einschließlich gemeinsamer Politik und gemeinsamer Anleihen, sowie dann eines Schuldenschnitts. Das muss in dieser Reihenfolge passieren: gemeinsame Politik, gemeinsame Anleihen und dann Umschuldung.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Europäische Solidarität bedeutet also, Griechenland unter Druck zu halten, gleichzeitig zu unterstützen und seine Wirtschaft zu stimulieren. Denn das wissen wir aus unserem eigenen Landeshaushalt. Es ist unmöglich, ohne Wachstum die Schulden abzubauen. - Es passt ja, dass Sie jetzt gerade da stehen, Herr Koch. Deshalb ist Ihre Resolution, die CDU und FDP einbringen, nicht falsch, aber ab

solut nicht hinreichend. Das ist ein Selbstgespräch, das ist eine Selbstzufriedenheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir reden über Europa und Sie nur von sich selbst.

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Koch?

Vielen Dank, dass Sie Ihre These noch einmal wiederholt haben, Herr Kollege Habeck. Das gibt mir Gelegenheit, die Frage doch zu stellen, die ich vorhin nicht stellen durfte. Habe ich Sie richtig verstanden, Sie möchten die nationalen Anleihen zuerst in Europaanleihen, in Eurobonds, umschulden, für die wir als Deutsche mithaften, und anschließend sagen, wir zahlen sie aber nicht zurück?

- So ist es. Das ist ein gemeinsamer Mechanismus. Man wird gemeinsame Anleihen in einem definierten Rahmen ausgeben müssen. Die Rede ist von 60 % der Anleihen, die ein Staat gegenüber seinem BIP annehmen kann. Soweit mir bekannt ist, ist aber das Problem, dass dann die französische AAABewertung ins Wanken gerät, weil auch Frankreich gegenüber seines BIP eine hohe Verschuldung hat. Frankreich würde dann also die teureren nationalen Staatsanleihen nehmen müssen. Gleichzeitig damit würde man beschließen, einen Haircut, eine Umschuldung, vorzunehmen. Genauso ist es. Das heißt im Klartext: Man nimmt neue Kredite auf, um eine Wirtschaft zu stimulieren, und die Schulden werden teilweise erlassen.

(Lachen bei der FDP)

Argentinien hat einen Schuldenschnitt von 50 % vorgenommen. Das wird wahrscheinlich nicht reichen, um Griechenland zu retten. Aber wir müssen sagen, worüber wir bei den Zahlungsausfällen reden, die dann bei der EZB anfallen und abgesichert werden müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Mein letzter Satz! - In der Tat - da stimme ich meinen Vorrednern zu, auch wenn ich einen anderen

(Dr. Robert Habeck)

Schluss daraus ziehe -, das Wissen um den schleswig-holsteinischen Konsolidierungskurs ist übertragbar. Griechenland muss sparen. Es muss seine Steuern erhöhen, und es braucht weiter eine europäische Kreditlinie, um die Investitionen vorzunehmen - genau wie wir in Schleswig-Holstein.

Da es keinen risikofreien Weg gibt, müssen wir uns entlang eines politischen Kompasses entscheiden. Dieser Weg führt nach Europa und nicht aus ihm heraus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Ulrich Schippels das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal bin ich sprachlos. Ich wünschte mir, dass bei so einer Debatte, bei der es um Finanzpolitik geht, vielleicht auch einmal der eine oder andere Finanzpolitiker ans Redepult gehen würde.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Das, was ich hier heute gehört habe, hat mich schon sehr überrascht. Ich möchte nicht auf alles eingehen, sondern erspare mir einiges.

Meine Damen und Herren, Ihr Europa, so wie Sie es konstruiert haben, ist gescheitert. Wir brauchen nach Ansicht der LINKEN eine Komplettrevision der Grundlagenverträge der Europäischen Union. Wir müssen Europa vom Kopf auf die Füße stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Konstruktion von Europa ist mitverantwortlich

(Zurufe)

- das sage ich noch, bleiben Sie ruhig - für die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Die Politik des freien Wettbewerbs, Ihre Politik des freien Wettbewerbs, Ihre Politik der Liberalisierung breiter Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge, Ihre Politik, die zu unkontrollierten Finanzströmen geführt hat und die Schaffung liberalisierter Finanzdienstleistungen gefördert hat, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten auszubaden. Wachsende Armut und prekäre Beschäftigungsverhältnisse prägen immer mehr das Gesicht der Europäischen Union. Das ist

übrigens auch in Deutschland und in SchleswigHolstein so.

Das Misstrauen der Menschen gegenüber der Europäischen Union wächst täglich. Wenn wir schon dabei sind - wir haben gestern über die HSH Nordbank gesprochen -: Die EU-Auflagen für die HSH Nordbank werden von der Bank als Grund dafür angeführt, dass hier in Kiel 354 Beschäftigte entlassen werden sollen.

Unsere Vision eines vereinten Europas ist offensichtlich eine andere als Ihre. Schon am Anfang des Berichts der Landesregierung - man sollte zumindest einmal ganz kurz darauf eingehen - steht der unscheinbare Satz, dass die Lissabon-Strategie abgelöst worden sei. - Was für eine Schönfärberei! Sie ist nicht abgelöst worden, sie ist kläglich gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte darauf hinweisen, dass die LissabonStrategie bewirken sollte, dass die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren, also bis zum Jahr 2010, zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt wird. Das war dann ja wohl eine kräftige Bauchlandung.

Durch die Lissabon-Strategie hat sich die Europäische Union der Konzeption des angelsächsischen Aktionärsund Vermögenskapitalismus angeschlossen. Die Finanzkrise und die Abwärtsspirale der Ökonomie haben den Bankrott dieser europäischen Strategie offenkundig werden lassen. In der Realität hat sich die Europäische Union zu einer Transferunion zugunsten der Banken entwickelt, und Sie, meine Damen und Herren von Grünen bis hin zur CDU, haben daran ordentlich mitgebastelt.

Zum einen ist es den Unternehmen in den letzten Jahren gelungen, die Gehaltsentwicklung der Beschäftigten unter die Inflationsrate zu drücken - alles zum Wohle der sogenannten Wettbewerbsfähigkeit. Dann hat der Staat noch kräftig zugeschlagen mithilfe von Rot-Grün: Zuzahlungen bei den Krankenkassenbeiträgen, Praxisgebühr, Anhebung des Rentenalters, Etablierung eines Niedriglohnsektors, Abbau des Sozialstaates. Deutschland wurde fit gemacht für die Konkurrenz in einem Europa des Wettbewerbs.

Die Folge: Die Exporte Deutschlands in Europa sind weiter angestiegen, andere Länder wie Griechenland, Italien oder Portugal und Spanien blieben auf der Strecke. Sie gerieten immer mehr unter Druck und müssen jetzt einen Sozialkahlschlag hin