Protocol of the Session on September 14, 2011

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

Wenn das, was Sie hier vorlegen, umgesetzt wird, werden wir in Schleswig-Holstein mehr Glücksspiel haben. Es wird mehr Glücksspielsüchtige geben, mehr Leid und mehr Elend in den betroffenen Familien. Die Glücksspielsuchtgefahr steigt mit einer Vergrößerung des Angebots. Punkt. Fertig. Die Glücksspielsuchtgefahr steigt, wenn Werbung für Glücksspiele zugelassen wird. Punkt. Fertig. Da hilft es auch nichts, wenn die Schuldnerberatung ein paar Euro abbekommt. Nachhaltig wäre es, das Glücksspiel zu begrenzen, zu beschränken. Aber das wollen Sie nicht. Sie wollen liberalisieren, und - wie wir heute mit Entsetzen festgestellt haben - auch die Grünen sind nicht so weit von Ihnen entfernt. Jede und jeder soll selbstbestimmt in sein Unglück rennen dürfen. Das ist nicht unsere Vorstellung von Schleswig-Holstein.

Meine Damen und Herren, im Kaiserreich - die Landeshauptstadt Kiel ist ja in dieser Phase groß geworden - gab es ein imperiales Bekenntnis: „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“, hieß es aus dem Mund von Kaiser und Nomenklatura. Bei Ihnen ist es offensichtlich so, dass Sie auch größenwahnsinnig geworden sind. Sie wollen weiterhin die anderen Bundesländer zu Ihrem Glück beim Glücksspiel zwingen. Deshalb auch die neue Klausel mit der März-Regelung. Sie wollen den anderen Bundesländern die Pistole auf die Brust setzen. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das ist Ihnen bisher nicht gelungen, und es

(Ulrich Schippels)

wird Ihnen jetzt auch nicht gelingen. Ihr Versuch wird nach hinten losgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir bei dem Bild vom „Spielen“ bleiben wollen: Sie spielen hier Russisches Roulette. Offensichtlich ist Ihnen Ihre geliehene Einstimmenmehrheit gewaltig zu Kopf gestiegen. Sie blamieren mit Ihrer Halsstarrigkeit unser Land in ganz Deutschland.

Schon beinahe putzig sind die von der Landesregierung zu Protokoll gegebenen Erklärungen, zuletzt in der Sitzung des Bundesrats im Juli. Die Landesregierung verweigert sich immer noch der Erkenntnis - Herr Arp hat das zum Glück geradegerückt -, dass es einen illegalen Glücksspielmarkt gibt. Sie spült das weich mit Formulierungen wie in der Protokollnotiz: „Glücksspiele von privaten Anbietern, die nach geltendem Glücksspielstaatsvertrag in Deutschland nicht zugelassen sind“. Die Glücksspielanbieter werden es Ihnen danken. Haben Sie auf der Regierungsbank sich eigentlich einmal gefragt, ob es sinnvoll ist, Glücksspiel zu befördern?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Haben Sie sich einmal mit der Rechtssprechung beschäftigt? Nein!)

Was haben die Menschen in Schleswig-Holstein davon, wenn sie Ereigniswetten abschließen können? Wäre es nicht naheliegend, andere Werte als die Jagd nach dem schnellen Geld beim Glücksspiel zu propagieren?

Mit einem Glücksspielangebot sind wir schon auf die Nase gefallen: Die Wetten der HSH Nordbank führten zum Desaster: zu Arbeitsplatzabbau und Milliardenverlusten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Daran waren So- zialdemokraten schuld!)

Die anderen Bundesländer können Ihnen auch beim normalen Glücksspiel offensichtlich nicht folgen. Sie sollten wirklich hinterfragen, ob alle anderen Bundesländer irren oder ob es nicht doch an Ihnen liegt. Herr Stegner hat das schöne Bild von dem Autofahrer auf der Autobahn gebracht. Ich wiederhole es, weil es an dieser Stelle gut passt: Der Autofahrer hört im Verkehrsfunk die Warnung: „Ihnen kommt ein Geisterfahrer entgegen!“ Er sagt sich: „Wieso ein Geisterfahrer? Mir kommen Tausende Autos entgegen!“

(Tobias Koch [CDU]: Gleicher Redenschrei- ber!)

Versenken Sie Ihren Gesetzentwurf in der Förde oder treten Sie ihn in die Tonne. Das ist biologischer; dort gehört er hin.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein letztes Argument möchte ich doch noch darstellen; es hängt mit Ihrer Hörigkeit gegenüber den europäischen Glücksspielanbietern zusammen. Ihre Argumentation ist letztlich folgende: Es gibt Glücksspiel, auch illegales Glücksspiel; das lässt sich nicht verhindern. Wir versuchen, dem Rechnung zu tragen, indem wir das Glücksspiel kanalisieren und legalisieren.

Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, so habe ich mir ein vereintes Europa nicht vorgestellt. Anstatt in Europa dafür zu streiten, dass diejenigen, die bei uns - entgegen den Gesetzen unseres Landes - Glücksspiel im Internet anbieten, sanktioniert werden, rennen Sie den Glücksspielrittern hinterher. Wo bleiben denn die Initiativen auf Bundes- und auf Landesebene, unser Recht in Deutschland und speziell in Schleswig-Holstein gegenüber den europäischen Glücksspielrittern zu verteidigen und durchzusetzen? - Nichts davon! Sie rennen ihnen hinterher. Wo bleibt eine Initiative in Richtung Europa gegen die Glücksspielritter?

Wir müssen den illegalen Glücksspielmarkt in Deutschland und damit auch in Schleswig-Holstein austrocknen, wir dürfen ihn nicht fördern. Das ist das Gebot der Stunde. Es darf nicht um Einnahmenverbesserungen auf dem Rücken der Glücksspielsüchtigen und ihrer Familien gehen. So stelle ich mir die Verbesserung des Arbeitsplatzangebots in Schleswig-Holstein nicht vor. Wir wollen vernünftige, nachhaltige Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein, die unser Land weiterbringen, nicht aber so einen Humbug.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den SSW habe ich mehrfach deutlich gemacht, dass der sensible Bereich des Glücksspiels nicht durch einen schleswig-holsteinischen Alleingang geregelt werden darf. Das europäische Recht gibt vor, dass die Regelungen für das Glücksspiel innerhalb der Mitgliedstaaten kohärent - sprich: zusammenhängend - sein müssen. Aus die

(Ulrich Schippels)

sem Grund ist es dringend geboten, zu einer einheitlichen Ordnung für alle 16 Bundesländer zu kommen.

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass sich die Landesregierung konstruktiv und mit größtem Einsatz um eine solche gemeinsame Lösung bemüht; doch offensichtlich ist eher das Gegenteil der Fall. Abgesehen von halbherzigen Bekenntnissen zur bundesweiten Regelung halten CDU und FDP stur am eigenen Gesetzentwurf fest. Damit sind sie im Begriff, Fakten zu schaffen, die nicht nur dem Land teuer zu stehen kommen können, sondern die auch eine bundeseinheitliche Lösung geradezu erschweren.

(Beifall beim SSW)

Wir alle wissen, dass der Glücksspielstaatsvertrag zum Jahresende ausläuft und deshalb eine Pflicht für alle Länder besteht, schnell eine Neuregelung zu finden. Aber in dieser Lage auf einen Alleingang zu setzen und zu hoffen, dass die Kommission diesen akzeptieren wird, halten wir für völlig falsch. In ihrer Antwort auf eine Frage der Kollegin Heinold musste selbst die Landesregierung zugeben, dass man die Reaktion aus Brüssel nicht einschätzen könne, weil es bisher noch keine vergleichbare Situation gegeben habe. Hält man sich aber vergangene Entscheidungen des EuGH vor Augen,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Vom EuGH?)

kann es doch keinen Zweifel daran geben, dass dieser Sonderweg kassiert wird. Vor diesem Hintergrund halte ich das Vorgehen von CDU und FDP, lieber Kollege Kubicki, für völlig unsinnig.

Doch nicht nur den Alleingang, sondern auch das gewählte Verfahren und den Zeitpunkt dieser ungewöhnlichen dritten Lesung halten wir für äußerst kritisch. Nach unserer Auffassung ist den zuständigen Ausschüssen keine ausreichende Beratungszeit für die neuerlichen Änderungen eingeräumt worden. Auch die Tatsache, dass mit der Lizenzvergabe kurz vor der Landtagswahl erhebliche Entschädigungsansprüche gegen SchleswigHolstein geltend gemacht werden könnten, ist ein weiterer Beleg für den schlechten Stil der Regierungsparteien. Mit Blick auf die zukünftige Zusammenarbeit zwischen den Ländern verurteilen wir ein solches Verhalten ausdrücklich.

Doch damit nicht genug: Auch die Sorge, die die SPD-Fraktion in ihrem vorliegenden Antrag formuliert, ist berechtigt. Denn die Begleitumstände der Beratung - hier vor allem die höchst zweifelhafte Einflussnahme der Glücksspielindustrie - erschüt

tern nicht zuletzt das Vertrauen der Bevölkerung in die Allgemeinwohlorientierung dieses Parlaments.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Fakt ist, dass die grundsätzlichen Zweifel am Glücksspielgesetz weder durch die umfangreiche Anhörung noch durch die vorliegenden Änderungen zerstreut werden konnten. Es gibt bis heute keinen Nachweis darüber, ob durch dieses Gesetz wirklich Vorteile für das Land entstehen. Sicher scheint nur der Profit der Glücksspielanbieter zu sein. Wir halten eine solche Lobbypolitik für absolut inakzeptabel.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Auch wenn ich Gefahr laufe, mich zu wiederholen: Eine umfassende Liberalisierung, wie sie die regierungstragenden Fraktionen planen, stellt die Weichen in eine sehr gefährliche Richtung. Glücksspiele sind ganz einfach kein Wirtschaftsgut wie jedes andere. Natürlich muss zwischen den verschiedenen Spielformen unterschieden werden; doch jede für sich birgt Risiken für den Konsumenten. Es ist erwiesen, dass Glücksspiele suchtkrank machen können und nicht selten zu schweren Problemen für den Spieler und sein soziales Umfeld führen.

Aus der Sicht des SSW ist deshalb klar, dass hier genau das gelten muss, was auch für alle anderen suchtgefährdenden Dinge gilt: je größer das Angebot, desto größer die individuellen und auch die sozialen Folgeschäden. Dass diese ganz erheblich sind, belegt auch eine aktuelle Studie der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim bei Stuttgart. Allein die sozialen Kosten, die durch Therapiemaßnahmen und die Folgen der Beschaffungskriminalität entstehen, lagen im Jahr 2008 in Deutschland bei rund 326 Millionen €. Über das Ausmaß des menschlichen Leids der Süchtigen und ihrer Angehörigen kann man nur Vermutungen anstellen.

Vor diesem Hintergrund muss doch klar sein, dass eine Ausweitung des Angebots der falsche Ansatz ist. Stattdessen ist die Politik in der Pflicht, Glücksspielangebote so zu beschränken, dass die Entstehung von Sucht möglichst effektiv verhindert wird. Genau hier, in der Prävention, liegt die wichtige Aufgabe der Politik, wenn es um Glücksspiel geht, nicht aber darin, vermeintliche Mehreinnahmen zu generieren.

(Lars Harms)

Im Übrigen wurden unsere Zweifel daran, dass die Liberalisierung des Glücksspiels zwangsläufig zu Mehreinnahmen für das Land Schleswig-Holstein führt, auch nicht durch die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zu diesem Thema ausgeräumt. Weder die Entwicklung der Steuererträge noch die zu erwartenden Einnahmen aus der Zweck- oder Glücksspielabgabe können von der Landesregierung verlässlich beurteilt werden. Damit ist auch heute noch fraglich, ob die Verheißungen der Glücksspielbranche tatsächlich wahr werden. Ich glaube eher das Gegenteil. Wenn man gehört hat, wie zögerlich die Landesregierung im Ausschuss auch auf diese Fragen geantwortet hat, dann weiß man: Das Geld wird nicht fließen, aber die Süchtigen wird es dann geben.

Meine Damen und Herren, natürlich sehen die von CDU und FDP eingebrachten Änderungen nicht nur verwaltungstechnische Ergänzungen, sondern zum Beispiel auch weitergehende Verpflichtungen für die Anbieter öffentlicher Glücksspiele vor. Doch grundsätzlich ändern diese Vorschläge nichts an der falschen Zielsetzung des Entwurfs. Dass die Kollegen aber endlich auch die Notwendigkeit eines Spielhallengesetzes sehen und auf die Probleme der Geldwäsche im Dunstkreis der Spielhallen aufmerksam werden, erkennen wir ausdrücklich an.

Die von den Grünen und nun auch von den Regierungsfraktionen genannten Eckpunkte für ein schleswig-holsteinisches Spielhallengesetz finden unsere Unterstützung, denn sowohl die Beschränkung der Zahl der Spielhallen als auch die verbindliche Qualifizierung des Personals in Sachen Suchtprävention sind zielführend. Wir werden aber genau darauf achten, ob CDU und FDP dieses Vorhaben tatsächlich ernsthaft verfolgen oder ob es sich nur um eine weitere Nebelkerze handelt.

Der Hinweis, dass diese Eckpunkte insbesondere im Bereich des Jugendschutzes nicht weit genug gehen, muss dennoch erlaubt sein.

Wie Sie sicherlich wissen, ist die vom Europäischen Gerichtshof geforderte Kohärenz letztlich erst dann gegeben, wenn auch die Automaten in der Gastronomie berücksichtigt werden. Heute stehen bundesweit in über 10.000 Gaststätten mehr als 200.000 Automaten. Damit ist diese Spielform die mit Abstand gefährlichste. Ein effektiver Jugendschutz ist nicht einmal im Ansatz gegeben. Aus Sicht des SSW ist eine Beschränkung hier längst überfällig.

Zusätzlich muss sich die Landesregierung dringend für die Entschärfung dieser Gefahrenquelle über die

Spielverordnung des Bundes einsetzen. Auf diesem Weg lassen sich zum Beispiel die Spieldauer oder die Gewinn- und Verlustmöglichkeiten im Sinne eines wirklich konsequenten Spielerschutzes regeln. Nicht zuletzt kann der Zugang zu den Automaten durch eine wirklich zuverlässige Spieleridentifikation so geregelt werden, dass kein Jugendlicher mehr an den Geräten spielen kann.

Nach Meinung des SSW sind Angebotsbeschränkungen der einzig richtige Weg. Das gilt nicht nur für Automaten, sondern für den gesamten Glücksspielbereich. Daher schließen wir uns der Forderung aus dem Bereich der Suchthilfe nach einem kleinen, konsequent regulierten Glücksspielmarkt in staatlicher Hand voll und ganz an.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Neuregelung muss sich an diesen Leitlinien orientieren. Alles andere ist fahrlässig.

Wir haben die Hoffnung, dass die Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober einen Staatsvertrag auf den Weg bringen wird, der EU-konform ist und diesen Anforderungen gerecht wird, und wir erwarten, dass die Landesregierung diesem dann beitritt. Natürlich drängt die Zeit, aber es ist nicht so, dass wir uns ab Januar im rechtsfreien Raum befänden. Denn wenn es nicht gelingt, eine Neuregelung fristgerecht auf den Weg zu bringen, gilt der Staatsvertrag übergangsweise fort. Meine Damen und Herren, das ist auch der Beweis dafür, dass diese ganze Hektik im Verfahren nicht notgetan hätte. Wir hätten bis zum Jahresende locker Zeit gehabt, dieses Gesetz vernünftig durchzuberaten. Ich sehe uns schon in den nächsten Monaten hier wieder beraten, weil viel Unsinn in dieses Gesetz hineingeschrieben worden ist, was aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr korrigiert werden konnte. Ich finde, das ist bei diesem Gesetz nun wirklich absolut fehl am Platz.

(Beifall beim SSW)