Unter dem Strich bleibt also so stehen, dass es völlig inakzeptabel ist, den Sinti und Roma nicht den gleichen Schutz der Landesverfassung zukommen zu lassen wie den Dänen und Friesen.
Auch heute war das entscheidende Argument der CDU, es war auch Teil des Redebeitrags des Fraktionsvorsitzenden, dass die Minderheit der Sinti und Roma nicht landesspezifisch genug ist, weil es auch Sinti und Roma in anderen Bundesländern gibt. Es gibt auch Friesen in Niedersachsen. Zweitens ist das erste schriftliche Zeugnis auf die Ansiedlung von Sinti und Roma hier im Land - darauf ging der Kollege von Boetticher ja auch ein - auf 1417 zurückzuführen. Seit mindestens 600 Jahren leben also Sinti und Roma hier im Lande. Sie fühlen sich mit Schleswig-Holstein verbunden, leben hier also seit Generationen, kennen die Kultur und die Lebensweise, sie sind deutsche Staatsbürger. Daher ist völlig abwegig zu behaupten, Sinti und Roma seien nicht landesspezifisch.
Ein weiteres Argument, das auch heute wieder bewegt wurde, war die Behauptung, dann könnten doch auch andere Gruppen hinzukommen. Der Kollege von Boetticher sprach es an, und der Kollege Kalinka hat es bei der ersten Lesung zu diesem Thema auch ausgesprochen. Er sagt nämlich, als Nächstes würden dann Polen und Türken kommen und auch darum bitten, in die Landesverfassung aufgenommen zu werden.
Deshalb muss ich noch einmal daran erinnern, worum es hier geht. Es geht um Schutz und Förderung von autochthonen nationalen Minderheiten. Davon gibt es in der Bundesrepublik bekanntlich vier, nämlich Dänen, Friesen, Sorben und eben die Minderheit der Sinti und Roma. Auch wenn wir vom Europarat wissen, dass es trotz der Verabschiedung der europäischen Minderheitenübereinkommen nicht gelang, sich auf eine konsensfähige Definition von nationalen Minderheiten zu verständigen, so sind sich mittlerweile alle Minderheitenforscher einig, dass es bestimmte Elemente in einer Definition gibt, die auch allgemein anerkannt werden.
Laut FUEV, der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, sind autochthone nationale Minderheiten Gemeinschaften, die im Gebiet eines Staates geschlossen oder in Streulage siedeln, zah
lenmäßig kleiner als die übrige Bevölkerung des Staates sind, deren Angehörige Bürger dieses Staates sind, die sich durch ethnische, sprachliche und kulturelle Merkmale von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden. Die Minderheit der Sinti und Roma ist nicht nur eine anerkannte autochthone Minderheit in Deutschland und in Schleswig-Holstein, sie ist es auch im Sinne der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen und des Rahmenübereinkommens.
Das letzte Argument, nämlich das Argument, dass es eine Inflation der Staatszielbestimmungen gibt, lasse ich liegen, weil ja auch die CDU in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, dass es immer mehr Staatszielbestimmungen in der Verfassung gibt. Uns geht es hier nicht um eine Überfrachtung der Verfassung, sondern schlichtweg darum, dass Sinti und Roma genauso zu akzeptierten sind wie Dänen und Friesen in diesem Lande, dass sie gesellschaftlich anerkannt sind und dazugehören.
Daher sage ich klar und deutlich - ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin; ich habe gesehen, dass es hier blinkt -: Auch vor dem Hintergrund unserer historischen Verantwortung für Sinti und Roma ist es an der Zeit, dass die CDU ihre Meinung ändert.
Wir werden das Angebot des Fraktionsvorsitzenden der CDU aufgreifen. Wir werden ihn daran erinnern, dass jetzt Bewegung in die Diskussion gekommen ist, und wir werden versuchen, die Stimmenthaltung der CDU positiv zu werten. Wir sind genügsam. Das ist wenig, das ist bitterwenig nach einer so langen Diskussion. Aber ich bin gewillt, das positiv zu betrachten. Wir werden darauf zurückkommen, und wir werden Sie beim Wort nehmen, lieber Kollege von Boetticher.
Zu einem Dreiminutenbeitrag hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haltung der FDP-Landtagsfraktion in dieser Frage ist bekannt. Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW einen wortgleichen Antrag
eingebracht, und dazu stehen wir nach wie vor. Der Kollege Koch hat selbstverständlich darauf verwiesen, dass immer dann, wenn Koalitionsfraktionen unterschiedlicher Auffassung sind, das Prinzip der Enthaltung gilt. Daran halten wir uns auch. Wir wissen aus eigener Kenntnis der Diskussion, wie es in der CDU-Fraktion aussieht. Wenn es den Beteiligten wirklich darum geht, hier in der Sache etwas zu erreichen, wäre es vielleicht hilfreich, hier mit weniger moralischem Pathos aufzutreten und sich mehr mit Argumenten auseinanderzusetzen, was die Diskussion beflügeln würde.
- Ich höre hier von der LINKEN den Zuruf „Ach!“. Weil es mir mittlerweile wirklich auf den Senkel geht, will ich einmal Folgendes sagen: Frau Pauls von der SPD hat davon geredet, die Haltung der Union sei ein Ausweis von Intoleranz und Ausgrenzung. Wenn das so ist, Frau Pauls, frage ich mich, warum die SPD in der letzten Legislaturperiode bei dem gleichen Antrag mit Nein gestimmt hat. Ich zitiere aus dem Protokoll über die 14. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 11. Oktober 2006, Anlage, Seite 2909.
- Ja, das war ja unser Antrag, Herr Schippels, Sie waren damals allerdings nicht daran beteiligt. Da steht - ich lese jetzt von hinten nur die ersten vier Namen von der SPD vor -:
„Jürgen Weber - nein, Dr. Gitta Trauernicht nein, Siegrid Tenor-Alschausky nein, Dr. Ralf Stegner - nein.“
Wenn es eine solche Herzensangelegenheit von einer solchen moralischen Wichtigkeit gewesen ist, dann frage ich mich, warum Sie sich damals nicht wenigstens der Stimme enthalten, sondern mit Nein gestimmt haben; denn wenn es Intoleranz und Ausgrenzung ist, dürfen Sie nicht mit Nein stimmen, ansonsten machen Sie sich unglaubwürdig.
Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich das Wort dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Christian von Boetticher von der CDU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt viele Themen, bei denen wir zwischen Opposition und Regierung und manchmal auch innerhalb der Regierung nicht einer Meinung sind. Wir streiten dann hart in der Sache mit Argumenten. Das ist auch so in Ordnung, und ich habe das bei den meisten Wortbeiträgen auch so vernommen. Von der LINKEN bis zu den Grünen, überall ging es um Sachargumente und sachliche Auseinandersetzungen.
Frau Pauls - das sage ich ganz deutlich -, das habe ich nicht nur bei Ihnen vermisst, sondern die Art und Weise, wie ich sie übrigens gegenüber einzelnen Mitgliedern dieses Hauses noch nie erlebt habe, persönlich verletzend anzugreifen, in dem Sie gesagt haben, ich persönlich - die Fraktionsspitze stehe für Ausgrenzung und Intoleranz, ist völlig inakzeptabel.
Ich sage Ihnen das, weil Toleranz für mich persönlich immer eine große Rolle gespielt hat. Die Vorfahren meiner Mutter sind Remonstranten. Schauen Sie einmal nach oder googlen Sie einmal, was die Remonstranten in Holland für eine verfolgte Personengruppe gewesen sind. Die Vorfahren meines Vaters kamen aus dem Baltikum und sind 1945 hier mit Flüchtlingstrecks angekommen. Ich habe Toleranz gegenüber anderen gelehrt bekommen.
Wenn Sie heute eine solche Äußerung machen, sollten Sie sich wirklich überlegen, ob das der Debattenkultur in diesem Hause angemessen ist. Ich habe mich in meiner Rolle als Europäischer Abgeordneter bei der Erstellung der damaligen Grundrechtecharta namentlich - das ist auch nachzulesen für den Minderheitenschutz in dieser Grundrechtecharta starkgemacht. Wenn Sie dann eine solche Äußerung in einer vorformulierten Rede machen, in der Sie das, was ich vorgetragen habe, nicht in irgendeiner Art und Weise berücksichtigen können, sondern schlicht eine solche Verunglimpfung schon vorher in Ihrem Redetext eingebaut haben, finde ich das mehr als unanständig. Sie sollten sich selbst überlegen, ob das der Würde dieses Hauses gerecht wird.
Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich das Wort Herrn Abgeordneten Rolf Fischer von der SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei aller Betroffenheit und auch nachvollziehbarer persönlicher Betroffenheit - Sie haben gerade ein Beispiel aus Ihrer Familie für diese Betroffenheit genannt - und auch bei allen Debatten über Koalitionsabstimmungen in der Vergangenheit möchte ich dafür werben, dass wir zu dem zurückkommen, um das es eigentlich geht, nämlich um die Situation der Sinti und Roma in diesem Land. Darum geht es.
Ich würde gern zwei, drei Punkte aufnehmen, die in den vergangenen Beiträgen angesprochen wurden und die für mich vielleicht auch ein Ausdruck von Missverständnis sind. Wenn es gelingen könnte, dass wir diese Missverständnisse ausräumen und Sie von der CDU-Fraktion noch in die Bewegung hineinkommen, würde ich das sehr begrüßen; denn eine Enthaltung ist vielleicht ein bisschen Bewegung, aber sie ändert in der Konsequenz nichts. Ich will noch einmal dafür werben, dass wir in dieser Frage eine Lösung brauchen. Ich frage mich, wann diese Lösung kommen soll.
Herr von Boetticher, der Verweis auf die Staatsziele und der Hinweis, auch über dieses Staatsziel zu sprechen, hilft in dieser Frage auch nicht. Sie eröffnen eigentlich keine wirkliche Perspektive. Deshalb bitte ich Sie noch einmal ganz, ganz deutlich an dieser Stelle, die Fraktion vielleicht doch abstimmen zu lassen, sodass wir eine freie Abstimmung haben und damit vielleicht die Möglichkeit haben, doch zu einer Zweidrittelmehrheit zu kommen.
Es ist von einer Überfrachtung der Verfassung gesprochen worden. Es geht nicht um eine Überfrachtung der Verfassung. Es geht noch nicht einmal um ein neues Staatsziel, sondern es geht ausschließlich darum, die Gruppe der Sinti und Roma in diesen Artikel unserer Landesverfassung mit aufzunehmen und um sie zu ergänzen. Das ist eigentlich ein ganz, ganz kleiner Schritt, den wir gehen müssen. Da brauchen wir gar keine neuen, langen und großen Diskussionen; denn es geht darum, dass sich das, was wir eigentlich schon als Praxis haben, auch in unserer Verfassung widerspiegelt.
Um nichts anderes geht es; denn niemand von Ihnen spricht dieser Gruppe ab, eine gleichberechtigte Minderheit vergleichbar den Dänen und den Friesen zu sein.
zitiert, Herr von Boetticher: das Leben in angestammten Siedlungsgebieten. Auf europäischer Ebene ist es längst so, dass dieser Begriff aus der Definition herausgenommen wird. Wir haben längst einen modernen Minderheitenbegriff, der nämlich der Tatsache Rechnung trägt, dass in diesem Europa die Geschichte von Minderheiten immer auch eine Geschichte von Vertreibungen gewesen ist. Wenn man das machen würde, würde man überhaupt kein einigermaßen passendes Kriterium für Minderheiten bekommen. Der landestypische Bezug, Wohnen in angestammten Siedlungsgebieten, ist längst aus der europäischen Debatte verschwunden. Er ist längst überwunden, und er ist zu Recht überwunden, weil es nur so die Möglichkeit gibt, dass wir einen modernen Minderheitenschutz in Europa praktizieren können.
Ich meine, an dieser Stelle wirkt es ein bisschen weit hergeholt, dass Sie ein solches Argument noch einmal einbringen, um dann damit wiederum zu begründen, warum Sie sich heute enthalten. Das ist für mich nicht sehr überzeugend.
Noch einmal zum Staatsziel: Ich weiß nicht, wer das vorhin gesagt hat, aber alle Minderheiten wissen, dass mit den Staatszielen keine finanziellen Forderungen verbunden sind. Das war eine der Grundlagen für die Einführung des Staatsziels damals.
An dieser Stelle zu sagen, wir verzichten darauf, weil möglicherweise finanzielle Forderungen auf uns zukommen, unterschätzt die Minderheiten. Das ist kein gutes Symbol für eine offensive und moderne Minderheitenpolitik.
Das Wort für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat jetzt der Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.
mand der FDP Vorwürfe deswegen gemacht, dass sie, weil sie in einer Koalition mit der Union ist, dieser Verfassungsänderung nicht zustimmt, sondern in der Tat ist das etwas, was wir in der Vergangenheit auch erfahren haben. Insofern muss man sich nicht hier hinstellen und das Ergebnis namentlicher Abstimmungen vorlesen, um das Gegenteil dessen auszudrücken, was man vorliest.