Protocol of the Session on March 24, 2011

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich bedanke mich bei denjenigen, die ihre Arbeit gemacht haben, die in vielen Gesprächen zu diesem Kompromiss beigetragen haben. Ich glaube, das ist ein guter Kompromiss. Auch der Übergang zu Sainte Laguë/Schepers ist ein vernünftiger, wie wir auch der Anhörung erfahren. Die Deckelung ist weg. Das macht das Parlament in der Tat nicht kleiner, aber ein wenig gerechter. Das sind die Dinge, die wir beitragen konnten. Mehr war leider nicht drin. Aber es ist ein Entwurf, der in jedem Fall der Verfassung dient und am Ende mehr Gerechtigkeit in diesem Parlament schafft. Deshalb bitte ich um Unterstützung.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Wort erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In letzter Zeit habe ich doch einige Briefe mit den unterschiedlichsten Vorschlägen und

(Dr. Christian von Boetticher)

Meinungen zum Wahlrecht bekommen. Keiner zweifelte jedoch daran, dass baldige Neuwahlen der richtige Weg sind, dem Umstand abzuhelfen, dass dieses Parlament nicht verfassungskonform zusammengesetzt ist.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

CDU, FDP und SPD setzen mit ihrer Vereinbarung, am 6. Mai 2012 zu wählen, ein Schlussdatum für diesen problematischen Zustand. Mit dem eingebrachten Wahlgesetz und der damit verbundenen Verfassungsänderung werden wir außerdem die Gefahr einer potenziellen Verfassungswidrigkeit des Wahlrechts deutlich minimieren. Das war für uns ein überragend wichtiger Gesichtspunkt, und dies gebietet der Respekt vor dem Urteil des Landesverfassungsgerichts. Dazu gehört übrigens auch, dass wir die gesetzten Maximalfristen nicht bis zum Letzten ausreizen.

Diesen Respekt gegenüber dem Urteil vermisse ich bei mancher geradezu überbordenden Kritik an dem Urteil aus Schleswig. Da hat sich manch akademischer Wirrkopf auf großen Zeitungsseiten ausgetobt. Das gipfelte in dem Vorwurf, das Parlament habe das Landesverfassungsgericht nicht genügend kontrolliert. Das ist schon ein sehr merkwürdiges Demokratieverständnis, das man dem entnehmen kann.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich glaube, dass wir letztlich einen ordentlichen Kompromiss gefunden haben. Auch das Risiko, dass der Landtag erneut wieder deutlich mehr als die gewollten 69 Abgeordneten umfasst, ist erheblich reduziert worden. Schließlich wird die Zahl der Wahlkreise - im zweiten Schritt - übrigens noch einmal um über 12 % verringert.

Ich bin selbst noch gar nicht so lange Parlamentarier und habe die erste Zeit als Minister hier im Parlament verbracht. Meine Hochachtung vor dem, was die allermeisten Landtagsabgeordneten leisten, ist aber sehr hoch. Ich glaube kaum, dass die Bedürfnisse in der Bevölkerung, in den Vereinen und in den Betrieben, mit sachkundigen und regional verankerten Abgeordneten zu reden, mit viel weniger Abgeordneten erfüllt werden könnten. Die zahlreichen Gespräche und Diskussionen, die die Abgeordneten vor Ort oder auch hier in Kiel führen, sprechen dafür, dass das Interesse hoch genug ist, um eine Zahl von 69 Abgeordneten zu rechtfertigen. So sind zum Beispiel unsere beiden Gesundheits- und Pflegeexperten Bernd Heinemann und

Birte Pauls auf unzähligen Veranstaltungen im Land unterwegs. Herr Eichstädt diskutiert überall im Land über das Wahlrecht. Herr Schulze macht überall im Land Veranstaltungen über Energiepolitik und Frau Redmann über Küstenschutz - wo auch immer. Solche Beispiele gibt es in allen anderen Fraktionen auch.

(Zuruf)

- Nicht diese Abgeordneten, aber solche Gespräche gibt es in allen anderen Fraktionen auch. Ich glaube, auch die Funktion der regionalen Abgeordnetenbüros als Anlaufstellen sollte man nicht unterschätzen. Nicht jedem reicht der telefonische oder E-Mail-Kontakt. Wir sind mit 69 Abgeordneten immer noch das zweitkleinste Parlament in der Republik. Ich habe gelesen, wir seien das teuerste. Das ist absurd, das ist überhaupt nicht zutreffend. Wir sind das zweitkleinste Parlament in der Republik. Selbst wenn die Zahl 69 wieder überschritten werden sollte, stellt dies keinen Weltuntergang dar. Sicherlich wären andere Staatsformen auf den ersten Blick vielleicht kostengünstiger. Beim Steuerzahlerbund hat man gelegentlich den Eindruck, dass jeder Euro für einen Abgeordneten ein Euro zu viel sei. Ich bin der Meinung, dass man sich Demokratie auch etwas kosten lassen muss. Eine vernünftige parlamentarische Vertretung ist nicht zum Nulltarif zu haben.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Außerdem würde eine weitere Verringerung der Anzahl der Wahlkreise zugunsten der Listenmandate den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger schwächen und nicht stärken, da über diese nur die Parteien entscheiden.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: So ist es!)

Die Erfahrung mit dem Hamburger Wahlrecht lädt übrigens nicht dazu ein, das Wahlgesetz komplizierter zu machen, auch wenn der Einfluss auf den ersten Blick steigt, wenn da Leute gewählt werden, nur weil sie rechts oben auf der zweiten Seite stehen und die Wahlbeteiligung sinkt. Wir wollen kein Akademikerwahlrecht haben. Die Wahlbeteiligung ist schon problematisch niedrig genug.

Nein, wir wollen und dürfen hier nach der ganzen Vorgeschichte keine sensationellen Experimente in Schleswig-Holstein machen. Wir waren gut beraten, ein Wahlgesetz vorzuschlagen, das dem entspricht, was es auch anderswo in der Republik gibt.

(Dr. Ralf Stegner)

Dennoch hatten wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern und als Konsequenz der Anhörung angeboten, an vielen Punkten weitere Kompromisse zu machen - ob das die weitere Reduzierung der Sollzahl auf 67, die Rückkehr zum Einstimmenwahlrecht oder andere Dinge waren. Mit dieser Kompromissbereitschaft waren wir der öffentlichen Erwartungshaltung und dem Appell unseres Herrn Landtagspräsidenten gefolgt. Dazu ist es nicht gekommen, weil zum Kompromiss immer mehr als eine Partei gehört.

Das ist schade, weil man natürlich sagen muss, auch wenn das die Kollegen von den Grünen nicht so gern hören: Das Einstimmenwahlrecht kann man sehen, wie man will, aber das Verfassungsgericht hat gesagt: Auch das ist eine Möglichkeit, die nicht ohne Weiteres die Demokratie abschafft.

Auch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die wir vorgeschlagen haben, hätte die Mitwirkungsmöglichkeiten junger Menschen erhöht, ihre Motivation und Integration gestärkt und eine Chance geboten, sich mit den Belangen der jungen Menschen stärker auseinanderzusetzen.

Wir nehmen die Anhörung ernst. Die Anhörung hat auch mich zu der Einsicht gebracht, dass weder der Wahltermin noch die Sollgröße eines Parlaments auf die gleiche Stufe gestellt werden können wie zum Beispiel der Schutz von Minderheiten. Wir wollen deswegen den Verfassungsrang dafür nicht beanspruchen. Schließlich haben wir uns für das modernere Auszählverfahren nach Sainte Laguë/Schepers entschieden, von dem niemand behauptet, dass es CDU oder SPD besonders bevorzugt. Das ist schlichtweg der Erkenntnis geschuldet, die wir in der Anhörung gewonnen haben, dass das das moderne Zählverfahren ist, dem man sich anschließen sollte. Ich sage das deswegen, weil ich täglich in den Zeitungen lese, die großen Parteien hätten sich auf etwas verständigt, was ausschließlich ihnen nütze. Das ist einerseits ein verstecktes Kompliment für die FDP, aber das ist nicht zutreffend.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte 35 Wahlkreise für eine gute Sollzahl, um die Verankerung der Abgeordneten im Flächenland Schleswig-Holstein und auch den Kontakt der Bürgerinnen und Bürger zu ihren Abgeordneten zu behalten. Mit dem Vollausgleich von Überhangmandaten und der neuen Zählweise werden wir künftig sicherstellen, dass sich der Wählerwille deutlich besser in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegelt. Dies ist für mich deutlich wichtiger als die

Anzahl der Abgeordneten. Der Wählerwille muss sich in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegeln.

Das von CDU, FDP und SPD eingebrachte neue Wahlgesetz ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Es löst jedoch das entscheidende Problem des alten Wahlrechts: Das Ergebnis der Wahlen wird durch die Sitzverteilung im Landtag nicht verzerrt.

Ich glaube, dass sich das Ergebnis durchaus sehen lassen kann. Insgesamt bin ich froh über den gefundenen Kompromiss mit Union und FDP und bedauere, dass die anderen Fraktionen am Ende nicht mehr zu entsprechenden Verhandlungen oder weiteren Kompromissen bereit waren. Unser Ziel war immer, eine möglichst große Mehrheit in diesem Landtag zu erzielen.

Es ist ein gutes Zeichen, dass wir auch in schwierigen Zeiten Einigungen über die Grenzen von Regierungs- und Oppositionsfraktionen hinweg erreichen können. Lassen Sie uns heute gemeinsam ein Wahlrecht für Schleswig-Holstein beschließen, das den Wahlgesetzen vieler anderer Länder entspricht!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident, erlauben Sie mir noch eine letzte persönliche Anmerkung zu den monatelangen Diskussionen. Wir sollten gemeinsam für das Ansehen dieses Parlaments werben, und wir sollten gemeinsam so manchem antiparlamentarischen Reflex beziehungsweise Unterton entgegentreten, den ich in dieser Debatte gehört habe.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn dies wird der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus nicht gerecht. Wir sind alle Demokratiearbeiterinnen und Demokratiearbeiter, die sich in demokratischen Parteien und Fraktionen für das Gemeinwohl unseres schönen Landes Schleswig-Holstein engagieren und auf verschiedenen Wegen darum ringen, das Leben der Menschen zu verbessern. Das ist unsere gemeinsame Überzeugung. Das darf gelegentlich mit mehr Selbstbewusstsein nach außen vertreten werden.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Ich erteile jetzt dem Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

(Dr. Ralf Stegner)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde meinen vorbereiteten Redetext weglegen, weil mir die letzten Äußerungen des Kollegen Stegner Anlass geben, dafür zu werben, dass wir bei der Wahlrechtsdebatte noch einmal etwas intensiver nachdenken und in uns gehen. In Nordafrika erheben sich momentan Völker, um das zu erkämpfen, was bei uns selbstverständlich ist, nämlich ein Wahlrecht und eine parlamentarische Demokratie, damit sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD)

Wir haben heute einen historischen Tag. Am 24. März 1848 erhoben sich Schleswig-Holsteiner, um dafür zu kämpfen, dass die Feudalherren nicht mehr das Sagen haben, sondern Menschen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können. Wir müssen uns fragen: Was ist denn eigentlich parlamentarische Demokratie?

Wenn ich immer wieder höre, das Parlament sei zu groß oder zu teuer, dann beschleicht mich gelegentlich die Vermutung, dass diejenigen, die das formulieren, nicht nur antiparlamentarisch sind, sondern möglicherweise sogar demokratiefeindlich. Wenn uns vom Bund der Steuerzahler vorgerechnet wird, dass ein Abgeordneter in Schleswig-Holstein pro Kopf jetzt bei 95 Abgeordneten - was weiß ich - 4,63 € kostet und bei 69 Abgeordneten 3,58 €, was will uns diese Zahl eigentlich sagen? Ist Parlamentarismus eine ökonomische Größe, oder erwarten wir nicht vielmehr Repräsentanz der Bevölkerung? Ist denn die Politikverdrossenheit eine Folge der Größe des Parlaments oder der Tatsache, dass sich nicht alle Schichten der Bevölkerung, alle Berufsgruppen, alle Altersgruppen, alle Geschlechter in angemessener Zahl wiederfinden?

Ich frage mich, ob wir uns einen Gefallen tun - das sage ich in Richtung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW -, wenn wir den populistischen Erklärungen, es gehe darum, das Parlament möglichst zu verkleinern, nachgeben, weil wir damit natürlich den Eindruck verstärken, dass einige von uns in diesem Hause überflüssig sind, und dagegen wehre ich mich.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD)

Ich mag nicht alle, die in diesem Haus sind - das muss man auch gar nicht -, und ich halte nicht jeden Vorschlag, der hier diskutiert wird, für sehr intelligent - auch das muss man nicht, dafür haben wir ja unterschiedliche politische Positionen und unter

schiedliche Parteien -, aber eines will ich klarstellen: Jedem einzelnen Abgeordneten dieses Hauses zolle ich meinen Respekt dafür, dass er sich in die Repräsentanz des Gemeinwesens einbringt mit seinem Wissen, seinem Können, seinen Erfahrungen, damit es zu möglichst guten Lösungen im Gesetzgebungsverfahren und bei der Repräsentanz der Bevölkerung kommt.

Wer feststellt, dass immer mehr politische Gestaltungsabläufe immer komplizierter werden und dass die Aufgabe des Parlaments nicht nur darin besteht, Gesetze zu machen, sondern auch Regierungshandeln und damit Verwaltung zu kontrollieren - ich weiß, wovon ich rede, was es heißt, Verwaltung zu kontrollieren -, der muss geradezu mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er fordert, dass die parlamentarische Repräsentanz kleiner werden soll, weil damit die Möglichkeit zur effektiven Kontrolle schlicht und ergreifend sinkt.

Dass jemand wie Herr Borchert als Präsident des Steuerzahlerbundes, der sein Leben lang nur Verwaltung war, aus dem öffentlichen Dienst kommt und Politiker immer schon für Störenfriede gehalten hat, zu der Erkenntnis kommt, man solle Verwaltung Verwaltung sein lassen, leuchtet mir ein, aber dass wir uns das zu eigen machen, leuchtet mir nicht ein.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD)

Es gibt ja den schönen Satz, den jeder von uns kennt: Regierungen kommen und gehen, Verwaltung bleibt bestehen. So verhalten die sich im Zweifel auch in ihren jeweiligen Abteilungen und Referaten.

Wenn wir wollen, dass sich der Wille des Volkes, der sich in Parlamentswahlen dokumentiert, widerspiegelt, braucht man mehr Repräsentanz und nicht weniger. Das ist keine Frage von Kosten. Noch einmal: Wer die Kostenfrage stellt, stellt die Demokratie infrage. Das will ich mir nicht gefallen lassen.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD)