Wir sollten uns nur über eines klar sein: Die Zielgröße von 69 Abgeordneten, die als einfache Rechtsnorm weiter bestehen bleibt, wird mit diesem Wahlrecht nur zufällig und unter günstigen Umständen zu erreichen sein.
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Wer hat hier gestanden und gesagt: Wir wissen, dass wir fürchterlich sparen müssen, und dieses Haus wird sich am Sparen beteiligen müssen? - Das waren der Herr Ministerpräsident und die Abgeordneten von CDU und FDP. Sie haben gesagt, auch dieser Landtag müsse seinen Teil dazu beitragen. Er hat ja auch zum Teil schon dazu beigetragen, unter anderem dadurch, dass Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführer auf einen Teil ihrer Diäten verzichten. Wir haben damals gesagt: Auch die Landesregierung muss dazu beitragen. Das sollte innerhalb von zwei Monaten geschehen. Wir warten jetzt seit über einem Jahr darauf, dass auch die Landesregierung ein bisschen dazu beiträgt, dass in Schleswig-Holstein gespart wird.
Der Vorschlag, die Größe des Landtags zu beschränken, kam als originäres Anliegen - daran erinnere ich mich sehr genau - aus Ihren Reihen. Daraufhin haben Grüne, SSW, Linke und auch SPD sich dem angeschlossen. Das ist, meine ich, die Entwicklung gewesen. Wir werden die Größe mit dem Gesetz, das Sie heute vorlegen, nicht beschränken können. Es gibt nämlich in Deutschland seit geraumer Zeit ein Fünfparteiensystem, in SchleswigHolstein ist es durch die politische Vertretung der dänischen Minderheit sogar ein Sechsparteiensystem. Das Wahlrecht, das Sie heute beschließen werden, ist aber ausgelegt auf ein Zweiparteiensystem mit ein oder zwei kleinen Gruppierungen, die es gelegentlich schaffen, die Fünfprozenthürde zu überspringen.
Auch wenn die FDP im Moment sehr hart daran arbeitet, dieses System wieder etwas übersichtlicher zu machen, werden wir bei kommenden Wahlen doch sehen, dass dieses Wahlrecht nicht geeignet
Sollte zukünftig eine Partei alle oder zumindest fast alle Direktmandate erringen, so muss sie gleichzeitig schon auch 50 % der Zweitstimmen holen, um diese Überhang- und Ausgleichsmandate zu verhindern.
Eine Wiederholung des Wahlergebnisses von 2009 mit insgesamt fünf direkt gewonnenen Wahlkreisen für die SPD - das war offensichtlich sehr realistisch - würde auch nach dem neuen Wahlrecht in diesem Haus zu 97 Abgeordneten führen, also zu zwei Abgeordneten mehr. Da hätten wir den „Erfolg“!
Bei den derzeitigen Prognosen würde jeder Fall, bei denen entweder CDU oder SPD oder vielleicht irgendwann auch die Grünen mehr als 21 Direktmandate gewinnen, zu Überhang- und Ausgleichsmandaten führen. Es hätte Möglichkeiten gegeben, dies alles zu verhindern. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, ein Wahlrecht zu erarbeiten, das den Erfordernissen der heutigen Parteienlandschaft entspricht und das ebenfalls funktioniert, wenn es zukünftig wieder einmal Volksparteien geben sollte. Diese Möglichkeit wurde vertan. Ich denke, sie wird wieder ins Gespräch kommen, wenn sich in der Praxis zeigt, dass das heute zu beschließende Wahlrecht die Anforderungen nicht erfüllt, die wir daran gestellt haben und die wir daran stellen müssen.
Ich will aber nicht nur Schlechtes aufführen. Sie werden ein Wahlrecht beschließen, das einfach ist. Zwei Stimmen, eine für die Person, eine für die Partei. Das versteht jeder, zumal man es von der Bundestagswahl ja so kennt. Einfluss darauf, wer im Endeffekt im Landtag sitzt, haben die Wählerinnen und Wähler zwar nur bei den direkt gewählten Abgeordneten, aber das ist von Ihnen ja durchaus so gewollt. Wo kämen wir denn hin, wenn die Wähler jetzt über die Listen entscheiden und nicht der Landesparteitag! Da treffen Sie sich ja durchaus auch mit den Grünen.
Auch haben Sie das Zählsystem nach d’Hondt abgeschafft und den vollständigen Ausgleich aller Überhangmandate in das Gesetz geschrieben was mich nicht wundert, nachdem beinahe alle Experten bei den Anhörungen diese Änderungen als
Zusammenfassend lässt sich aber sagen: Die Vorgaben des Landesverfassungsgerichts wurden ernst genommen und umgesetzt. Ich glaube, hier kann niemand davon reden, es wäre eine Verbiegung der Verfassungswirklichkeit oder Sonstiges. Das ist Unsinn. Es ist eine politische Entscheidung, die Sie getroffen haben, und bei dieser politischen Entscheidung haben Sie gesagt: Wir haben die Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung zu ändern. Warum müssen wir einen Schritt weiter auf andere zugehen? Das haben wir nicht nötig.
Das Verfahren einer Verfassungsänderung, um so das Wahlgesetz verfassungskonform zu machen, hat in meinen Augen zumindest einen Beigeschmack; dies hätte vermieden werden können. Wäre die Bereitschaft zu erkennen gewesen, wirklich strukturelle Änderungen am Wahlrecht vorzunehmen, wäre auch DIE LINKE mit im Boot gewesen.
SSW und Grüne wären schon eingestiegen, wenn nur deutlich geworden wäre, dass das neue Wahlrecht besser gegen Überhang- und Ausgleichsmandate wirkt als das andere - zum Beispiel mit einer wirklich relevanten Absenkung der Zahl der Direktwahlkreise. Das alles wurde offensichtlich nicht gewünscht. Wie gesagt: Die Zweidrittelmehrheit zur Verfassungsänderung steht ja.
Bei mir hinterlässt das Verfahren einen ähnlich faden Geschmack wie bei vielen Menschen draußen im Land. Hier wurde nicht wirklich gestaltet, es wurden einfach nur eingefahrene Strukturen so weit wie eben möglich erhalten. Das wundert mich auch nicht, wenn ich bedenke, wie denn das nicht verfassungsgemäße Wahlrecht, unter dem wir diesmal gewählt haben, zustande gekommen ist. Ich glaube, es ist menschlich schon verständlich. Martin Luther
hat einmal gesagt - dies zum Abschluss; ich glaube, das erklärt das Zustandekommen dieses Wahlrechts -: „Aus einem verzagten Arsch kommt halt kein fröhlicher Furz.“
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Axel Bern- stein [CDU]: Ist das das Einzige, was Sie von Martin Luther kennen?)
Herr Abgeordneter, Sie haben zwar nur zitiert. Aber ich finde, das geht in diesem Rahmen zu weit. Ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg: Erstens: Ich nehme für den SSW und auch für die Grünen in Anspruch, dass es für uns bei der Verfassungsklage um Verfassungsfragen und nicht um Kostenfragen geht.
Ich stelle aber auch fest, dass es bei der Verfassungsänderung 2003, die letztlich zu der Zahl von 69 Mandaten führte, einzig allein um Kostenfragen ging.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines muss man eingestehen: Unser Wahlgesetz wird heute ein Stück besser. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es gut wird. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass die entscheidenden Vorgaben des Landesverfassungsgerichts mit diesem Gesetz erfüllt werden. In Zukunft wird die Zusammensetzung des Parlaments wieder dem Votum der Wählerinnen und Wähler entsprechen. Diese Situation, die seit der Landtagswahl im Herbst 2009 dieses Haus wie ein Kainsmal kennzeichnet, war ja gerade der Grund, weshalb der SSW sich entschieden hat, mit den Grünen die - erfolgreiche - Verfassungsklage einzureichen.
Gleiches gilt auch für das mathematische Verfahren, mit dem die Wählerstimmen in Landtagsmandate umgerechnet werden. Wir begrüßen die Umstellung auf die Methode Sainte Laguë/Schepers, die genauer als die Verteilung nach d'Hondt das Wählervotum widerspiegelt. Auch damit steigert dieses Wahlgesetz die Erfolgswertgleichheit der einzelnen Stimmen und damit die Wahlgerechtigkeit. - So weit, so gut.
In der Verhandlung und im Urteil des Landesverfassungsgerichts wurde aber auch eine zweite Problematik deutlich. Das Gericht hat bemängelt, dass die Regelungen des bisherigen Landeswahlgesetzes nicht geeignet sind, das Ziel von 69 Mandaten zu
erreichen, das in der Verfassung verankert ist. In dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann die Regelungen an die Verfassungsvorgabe anpassen, oder man kann die Verfassung ändern. Die schwarz-rot-gelbe Mehrheit dieses Hohen Hauses hat sich dafür entschieden, die Landesverfassung ihren Bedürfnissen entsprechend zu ändern. Diesen Weg können wir nicht mitgehen.
Der SSW hat von Anfang an deutlich gemacht, dass wir an der Zahl 69 festhalten, denn diese Zahl ist aus gutem Grund in die Verfassung geschrieben worden. Sie sollte verhindern, dass - jetzt komme ich zu dem „guten Grund“ - die 2003 eingeführte neue Diätenstruktur zu einem teureren Landtag führt. Es hat nicht funktioniert, weil beim Wahlgesetz handwerklich gepfuscht wurde.
Aber die Frage ist nun, ob es die richtige Antwort ist, wieder einen größeren Landtag in Kauf zu nehmen. Wer die Zahl 69 ändern will, muss erklären, weshalb ein größerer Landtag erforderlich ist. Wir können es nicht.
Der SSW kann auf keinen Fall einer Lösung zustimmen, bei der schon jetzt abzusehen ist, dass wir in der Praxis wieder Landtage mit bis zu 100 Abgeordneten bekommen können.
Das Gericht selbst hat in seinem Urteil angeführt, dass eine der Möglichkeiten zur Vermeidung von Überhang- und Ausgleichsmandaten die Wiederabschaffung der Zweitstimme ist. Das Zweistimmenwahlrecht hat aber keine ausschlaggebende Funktion, wenn es darum geht, das Ausufern der Mehrsitze zu verhindern. Frühere Landtagswahlen und die Kommunalwahlen zeigen, dass auch mit einem Einstimmenwahlrecht viele Überhangmandate entstehen können. Demgegenüber bietet das Zweistimmenwahlrecht mehr demokratische Gestaltungsmöglichkeiten. Bei der Abwägung der Vorund Nachteile für die Wählerinnen und Wähler wird der Landtag deshalb die Zweitstimme erhalten. Das begrüßen wir.
Allerdings teilen wir nicht die Schlussfolgerung der schwarz-rot-gelben Wahlrechtskoalition, dass dann nur die Option bliebe, die Zahl 69 aus der Verfassung zu streichen und überproportionierte Landtage in Kauf zu nehmen. Denn es gibt auch die Möglich
keit, durch eine Reduzierung der Wahlkreise an der Zielgröße 69 festzuhalten und nur geringe Abweichungen zuzulassen.
Eine Verringerung der bisher 40 Wahlkreise auf unter 30 könnte das Risiko eines Landtags mit weit über 69 Sitzen deutlich reduzieren. Dabei würde zwar das Element der Persönlichkeitswahl etwas zurückgedrängt. Dass dies aber noch vertretbar ist, haben sowohl die Einlassungen des Landesverfassungsgerichts als auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes gezeigt. Deshalb halten wir eine Reduzierung auf 27 Wahlkreise nach wie vor für richtig und geboten.
Der SSW lehnt die Verfassungsänderung und die damit verbundene Reduzierung auf immer noch 35 Wahlkreise ab, und wir werden deshalb gegen das Gesamtpaket stimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den SSW ist und bleibt das oberste Kriterium Wahlrechtsgleichheit. Diese wird es jetzt wieder geben. Das war allerdings auch ein Diktat des Landesverfassungsgerichts, und insofern besteht für CDU, SPD und FDP jetzt wenig Grund, sich für dieses Wahlgesetz feiern zu lassen. Umso mehr verwundert es auch, dass der CDU-Landes- und -Fraktionsvorsitzende quasi in letzter Sekunde noch bereit war, den vollen Ausgleich von Überhangmandaten zu opfern und somit das Verfassungsgerichtsurteil zu ignorieren.