Protocol of the Session on October 6, 2010

- Sie haben doch die Möglichkeit, Herr Kollege Habeck, gleich zu inszenieren und ganz deutlich zu machen, was Sie eigentlich wollen.

Ich sage Ihnen ganz deutlich, und das hat in dieser Debatte selbstverständlich bisher niemand gesagt: Zum ersten Mal werden die Maßstäbe für den Regelsatz nachvollziehbar berechnet und die Kriterien transparent offengelegt. Zum ersten Mal wird ein eigenständiger Bedarf der Kinder errechnet und nicht abgeleitet vom Bedarf der Erwachsenen. Zum ersten Mal gehen die Leistungen für Kinder mit dem Bildungspaket zielgenau an diejenigen, für die die diese Leistungen gedacht sind, nämlich die Kinder. Da hilft auch das Geschrei von der Seite nicht, Herr Kollege Schippels, die Leistungen, die für Kinder gedacht sind, kommen zum ersten Mal exakt bei denjenigen an, für die sie gedacht sind.

Ich kann nur alle davor warnen, jetzt hier in einer Diskussion des Wünsch-dir-was und des Mehr und Höher und Weiter und Besser, wobei Sie bisher noch nicht gesagt haben, wie das eigentlich aussehen soll, mit einer Blockadehaltung zu drohen. Mit einer Blockadehaltung treffen Sie diejenigen, die auf diese zusätzlichen Leistungen einen Anspruch haben. Dieser Anspruch soll umgesetzt werden; er wird ihnen gewährt. Ich werde alles daransetzen, dass die Kinder in Schleswig-Holstein ab dem nächsten Jahr auch tatsächlich rund 30 Millionen € mehr an Teilhabechancen in Form von Sachleistungen bekommen. Das ist das, was das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgetragen hat, und der Gesetzgeber ist dem gefolgt. Von Intransparenz, wie hier behauptet wurde, kann überhaupt keine Rede sein. Ich fand die Diskussion, die Sie hier veranstaltet haben, offen gestanden relativ

peinlich, weil Ihnen nichts Besseres eingefallen ist, als oppositionelles Geklage anzustimmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort erteile ich dem Vorsitzenden der SPDLandtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war richtig. Dazu bekenne ich mich ausdrücklich. Das hat die Arbeitsförderung verbessert. Ich sage aber auch: Ich war damals im Vermittlungsausschuss dabei, Herr Kollege von Boetticher. Da hatten sich übrigens die Spitzen Ihrer Parteien extra reinwählen lassen. Frau Merkel war dabei, Herr Westerwelle war dabei. Ich kann mich an die wochenlangen, tagelangen, nächtelangen Verhandlungen erinnern. Keine Schikane, die sich Herr Koch oder Herr Wulff oder wer sonst ausgedacht hatten gegen Arbeitslose und diejenigen, die in schwieriger Situation sind, ist da nicht erörtert worden. Also, bleiben Sie uns weg mit dem Hinweis, das sei eine rot-grüne Reform gewesen, und alles, was daran schlecht war, sei bei uns. Sie haben dazu beigetragen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU)

- Ich wollte Ihnen das nur sagen, damit Sie wissen, wie das entstanden ist. Da waren Sie ja noch nicht dabei.

Aber der Kollege Meyer hat recht, es geht nicht um die Frage, wer war schuld, sondern was passiert jetzt. Da muss ich Ihnen ehrlich sagen: Hier zu sagen, das sei eine ordentliche, transparente Sache, wenn man den Regelsatz für die Kinder nicht erhöht, sondern nur bei den Erwachsenen um 5 €, und im Sozialausschuss des Deutschen Bundestages vor wenigen Tagen die Basisdaten verweigert - genau das ist geschehen -, dann ist das nicht transparent, Herr Minister Garg, sondern das Gegenteil davon.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen ja auch, warum Sie das tun. Denn was hier stattfindet - das will ich in aller Klarheit sagen -, was Sie versuchen, ist, die Familien von Geringverdienern gegen die Familien von Transferempfängern auszuspielen. Das ist weder christlich

(Minister Dr. Heiner Garg)

noch sozial und nicht liberal, das ist unanständig, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich kommt Frau Ministerin von der Leyen mit ihren sieben Kindern zurecht. Das ist ja auch in Ordnung, das darf sie. Aber sie verkennt, dass die Situation der Familien im Land eine ganz andere ist.

Was machen Sie? - Sie haben keinen sozialen Kompass. Sie lassen den Kinderregelsatz wie er ist. Stattdessen zahlen Sie eine Herdprämie aus, wie das genannt wird, und Steuergeschenke für Ihre Klientel, worüber sich die Gutverdiener freuen können. Den anderen nützt das aber gar nichts. Dass Sie so etwas für christlich halten, finde ich ziemlich verblüffend.

(Beifall bei der SPD)

Stattdessen reden Sie die Sozialleistungen klein. Statt sich hier mit Krokodilstränen hinzustellen, sowohl Herr Kollege von Boetticher als auch Herr Minister Garg, und über die armen arbeitenden Menschen zu reden, die hart arbeiten müssen für die Sozialtransfers anderer, sollten Sie dafür sorgen, dass die ordentliche Löhne kriegen, von denen sie leben können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sollten Sie tun!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen sperren Sie sich dagegen, wo Sie nur können. Diese Familien werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Sie wissen nämlich ganz genau, dass das so ist. Sie wollen von ihrer harten Arbeit wirklich leben können.

Sie kürzen bei der Arbeitsförderung, um das zu finanzieren, und Sie heben die Beitragsfreiheit wieder auf. Das ist doch das, was Sie machen. Sie machen es also den Menschen, die sich anstrengen, noch schwerer.

Was ist denn mit Alleinerziehenden? - Die würden furchtbar gern arbeiten, wenn die Betreuungsangebote da wären. Sie können es aber teilweise nicht. Und Sie machen es ihnen noch schwerer, indem Sie bei der Infrastruktur kürzen und die Beitragsfreiheit einschränken.

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir - da bin ich ziemlich sicher, das gilt mindestens für die Oppositionsfraktionen hier im Haus - wollen alle Kinder fördern. Wir wollen kulturelle, soziale Teilhabe für alle Kinder, ob es sich um Kinder von

Alleinerziehenden, von Transferempfängerfamilien, von Geringverdienerfamilien, von deutschen oder nicht deutschen Familien handelt. Alle Kinder in unserem Land brauchen eine ordentliche Förderung. Wir werden uns dafür einsetzen, dass sie sie kriegen. Sie wollen das eben nicht. Das ist das, was Sie hier tun.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Alle gleichermaßen!)

Wir wissen ganz genau, dass das, was wir da zu schultern haben, mehr Ganztagsschulen, mehr Betreuung, kostenfreie Bildungsgänge, alles Dinge sind, die hinterher Kosten sparen. Wenn man in Kinder investiert, dann sinken die Jugendhilfekosten. Eine Schule mit Sozialarbeit zu verbessern ist so viel, wie sieben Haftplätze für Jugendliche kosten. So muss man doch mal rechnen und etwas für Prävention tun, anstatt sich hier hinzustellen und gegen die Transferempfänger zu reden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat glasklar gesagt, kulturelle und soziale Teilhabe für alle Kinder ist das, was wir tun müssen. Ich weiß, Ihre Umfragewerte sind schlecht, und Sie wollen jetzt durchregieren.

(Christopher Vogt [FDP]: Ihre auch!)

Aber was Sie tun, verletzt ganz eindeutig das, was ein großer Teil der Menschen in diesem Land für gerecht und fair hält. Das ist das, was Sie tun, und Sie werden dafür die Rechnung bekommen, da bin ich ganz sicher. Das, was im Augenblick noch die Minderheit in diesem Haus ist, ist die Mehrheit in der Bevölkerung. Die wollen nämlich, dass wir kein Kind zurücklassen und für die Kinder alles tun, was wir tun können. Das werden wir tun, und Sie werden sich das bald aus der Opposition angucken können.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Wenn Sie dann noch dabei sind, Herr Stegner!)

Ich begrüße auf der Zuschauertribüne unsere Gäste von der Regionalschule Altenholz, vom Berufsbildungszentrum Rendsburg-Eckernförde sowie Bürgerinnen und Bürger aus dem Kreis Pinneberg. Seien Sie uns herzlich willkommen im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion die LINKE erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte auch lieber gern über andere Regelsätze gesprochen. Warum reden wir eigentlich nie über die Regelsätze der Vorstände staatlich subventionierter Banken? Da scheinen Kokainkonsum, Privatflugzeuge und Segelyachten durchaus mit drin zu sein. Anders kommt man wohl nicht auf vierstellige Tagessätze.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann das auch ganz konkret sagen, Herr Garg, aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass es nicht Plenumsarbeit ist, diese konkreten Vorschläge hier zu besprechen. Aber ich finde schon, wenn Sie viel Geld in den Regelsatz einrechnen für eine Internetbenutzung, dann sollten Sie vielleicht auch ein bisschen Geld für einen PC einrechnen. Ohne ist das nämlich schwierig.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt andere Dinge, worüber ich dann als Fachmann sprechen kann. Ich bin wahrscheinlich der Einzige in diesem Haus, der jemals von ALG II gelebt hat, der dann auch noch als getrennt lebender Vater regelmäßig seine Kinder zu Besuch hatte. Damals stand mir alle dreieinhalb Wochen, glaube ich, ein Kinobesuch zu. Meine Kinder hätte ich aber während dieser Zeit zu Hause lassen müssen. Wenn das menschenwürdig sein soll, dann danke schön. - Und das von Parteien, die nicht nur die Ehe, sondern auch die Familie unter ihren besonderen Schutz stellen wollen.

Es gibt noch mehr Merkwürdigkeiten. Ich frage mich, Herr Garg, wie Sie als Sozialminister von 2,99 € reden können, die als Geldbetrag notwendig sind, um die Flüssigkeitsmenge von zwölf Litern preiswerten Bieres zu substituieren.

Ich würde mich schämen oder überlegen, oder ob ich vielleicht auch gerade etwas substituiert habe, wenn ich so darüber rede.

Die Bundesregierung hat sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die passenden Stellen herausgelesen und ein politisches Mantra entwickelt. Dieses Mantra heißt: Nicht die Höhe des Regelsatzes, sondern lediglich die Art und Weise seiner Ermittlung sind unvereinbar mit dem

Grundgesetz. Dem ist aber nicht so. Die Regierung hat sich entschieden, in der Form zu tricksen und dabei in der Substanz keine Rücksicht zu nehmen auf die Forderung des Gerichts nach einer Ermittlung, Herr von Boetticher - auch das steht im Urteil -, der Höhe der Regelleistungen, die die Gewährung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum sicherstellt. Das ist die entscheidende Aussage dieses Urteils.

Um es ganz klar zu sagen: Die Höhe des Regelsatzes ist politisch entschieden worden. Von einer tatsächlichen Ermittlung kann keine Rede sein. Nachvollziehbarkeit hätte nämlich bedeutet, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe kritisch zu bewerten und ihre Referenztauglichkeit zu untersuchen, und zwar bevor die eigentliche und detaillierte Ermittlungsarbeit beginnt.

Es ist zumindest sehr zweifelhaft, Haushalte von Hartz-IV-Bezieherinnen und -beziehern mit den Haushalten von Rentnern und Studenten vergleichen zu wollen. Aber wie hoch ist denn der Anteil der Rentnerhaushalte und der Studentenhaushalte in der Stichprobe? - Sagen Sie doch, dass Sie es nicht wissen. Ich weiß es auch nicht, weil diese Zahlen immer noch nicht vorliegen.

Die Regierung legt einen Referentenentwurf mit seitenlangen Listen vor. Aber die Ausgangsdaten behält sie für sich. Das ist schlicht politische Vernebelungungstaktik und das Gegenteil von sauberer und methodischer Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen wir zum Beispiel die Festlegung der maßgenommenen Referenzhaushalte in der EVS. Dort sehen wir es nämlich ganz deutlich. Damit können wir auch die Frage von Frau Bohn beantworten. Weil sich für Ein-Personen-Haushalte ein Ergebnis von rund 364 € nicht errechnen ließ aus den unteren 20 % der Haushalte, hat man einfach die unteren 15 % der Haushalte genommen. Wenn das nicht gepasst hätte oder herausgekommen wäre, den HartzIV-Satz um 5 € zu senken - von daher müssen wir für das jetzige Ergebnis ja noch fast dankbar sein -, dann hätten wir wahrscheinlich nur die unteren 10 % genommen. Das Ganze ist nichts anderes als eine Manipulation der Datenbasis, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Der Volksmund nennt so etwas Betrug. Für mich ist die Methode zumindest schäbig, äußerst schäbig.

(Beifall bei der LINKEN und SPD)