Protocol of the Session on September 8, 2010

Dieser Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist ein Kompromiss, genau hierin liegt auch das Problem. Er versucht nämlich etwas in eine Kompromissform zu bringen, was sich vermutlich eher unversöhnlich gegenübersteht. Unzweifelhaft ist nämlich, dass Kinder und Jugendliche im Internet vor gefährdenden Inhalten geschützt werden sollen, genauso wie dies bei anderen Medienangeboten im Rundfunk, im Fernsehen, in Videotheken oder im Kino der Fall ist. In den anderen Medien ist dies allerdings auch deutlich einfacher als im Internet. Es ist richtig, dass ein verantwortungsvoller Jugendmedienschutz einen geschützten Raum für Kinder und Jugendliche im Netz bieten sollte - das auch wirkungsvoll. Aber wie ist das zu erreichen, ohne dass ein zweiter wichtiger Grundsatz, nämlich ein wesentlicher Charakter des Internets, die Freiheit und Abwesenheit von Zensur und unnötiger Regulierung, nicht verletzt wird? Wir meinen, ohne eine große Anstrengung bei der Vermittlung von Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen wird das nicht zu erreichen sein.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD], Dr. Christian von Boetticher [CDU], Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

Bei aller Sympathie für das Anliegen dieses Vertrages muss ich feststellen, dass der Vertrag genau an dieser Stelle zu kurz greift, weil er auf technische Maßnahmen setzt.

Was soll passieren? - Künftig sollen Internetprovider ihren Kunden sogenannte Webfilter anbieten, bei denen sich das Internet so steuern und regulieren lässt, dass eine vermeintlich kindersichere Zone entsteht. Woher sollen diese Filter wissen, was sie durchlassen dürfen? Dafür sollen die Anbieter angeben, für welche Altersstufe die jeweiligen Inhalte geeignet sind. Das kann man über ein sogenanntes Label machen, wie wir es bereits bei der FSK für Filme und bei der UFK für Videospiele haben. Das soll aber freiwillig geschehen. Wer seine Website nicht kennzeichnet, muss aber damit rechnen, vom Filter ausgesperrt zu werden. De facto ist dies letztlich also eine Kennzeichnungspflicht.

Da sind Konflikte vorprogrammiert, und die Interpretationsbreite des Gesetzes ist vielfältig. So steckt im Artikel 5 - das haben sicher alle gelesen - der Teufel im Detail, wenn der Staatsvertrag Anbietern bestimmter Werbeangebote die Pflicht auferlegt, Maßnahmen zu ergreifen, wenn auf ihren Seiten Inhalte stehen, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“. - Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, vor allen Dingen die Eltern. Jeder, der sich als Elternteil um die Beeinträchtigung und Beeinflussung seines Kindes Sorgen macht und sich dann vor Augen hält, wie wenig er weiß, was oben in den digital medial aufgerüsteten Kinderzimmern so alles passiert, muss da verunsichert sein.

Eine Interpretationsfrage ist es auch, was denn Jugend beeinträchtigend und Jugend gefährdend ist. Klar ist das natürlich bei kinderpornographischen Angeboten, bei Gewalt verherrlichenden Angeboten wird es schon schwieriger. Wie ist es zum Beispiel mit „Jurassic Park“, und wie sieht es aus mit diversen YouTube-Angeboten? Dennoch, da ist die Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit ein sogenanntes Jugendschutzprogramm geben wird, das einmal installiert, die Alterskennzeichnung herausfiltert. Bisher allerdings - und das wissen auch diejenigen, die den Vertrag unterschrieben haben - gibt

(Dr. Christian von Boetticher)

es so etwas noch nicht. Es soll etwas in Vorbereitung sein, ein einziges Angebot.

Die Anbieter können sich alternativ - so ist es im Vertrag geregelt - allerdings auch, weil das anders noch gar nicht möglich ist, an Sendezeitbeschränkungen halten. Das geschieht, indem sie bestimmte Inhalte nur zu Zeiten online stellen, zu denen Kinder und Jugendliche der betroffenen Altersgruppen üblicherweise die Angebote nicht wahrnehmen - so der Staatsvertrag. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das für eine „Denke“, die hier vom Fernsehzeitalter in die Internetwelt übertragen wird?

(Beifall des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Allein die durchaus bekannten unterschiedlichen Zeitzonen rund um die Welt werden diesen Ansatz zum Scheitern bringen.

Meine Fraktion ist der Auffassung, dass dies alles nur ein kleiner Teil zur Lösung des Problems sein kann. Das Internet ist nicht zu reglementieren und zu strukturieren, zu filtern und zu überwachen wie ein Fernsehprogramm oder Ähnliches. Dennoch muss es möglichst geeignete Maßnahmen geben, um wirklich jugendgefährdende Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Die sehen wir aber noch nicht. Die Frage, wie dieses alles wirksam funktionieren kann, ist nach unserer Ansicht auch nach dem 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und in ihm nicht befriedigend gelöst. Wir glauben, dass es durchaus möglich ist, auf dem Weg zu einem autonomen, aufgeklärten Umgang mit dem Internet auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzgedankens für Kinder und Jugendliche - weiterzukommen. Allerdings muss dies so geschehen, dass man nicht mit unklaren und schwer praktikablen Regelungen und noch nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten die Eltern mit diesem Problem alleine lässt und eine Scheinsicherheit vortäuscht.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD sowie Bei- fall der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU], Ingrid Brand-Hückstädt [FDP], Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE] und Silke Hinrichsen [SSW])

In jedem Fall - liebe Kolleginnen und Kollegen muss all das, was hier versucht wird, durch gewaltige Anstrengungen im Bereich der Medienpädagogik und der Medienkompetenzförderung begleitet werden, die sich sowohl an Kinder und Jugendliche als auch an Eltern richtet. Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen. Ich bin froh, dass wir - wenn wir Glück haben, schon in der

nächsten Sitzung - eine Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zum Thema Medienkompetenzförderung haben werden. - Dies ist jetzt der Werbeblock!

(Heiterkeit)

Dann werden wir die Möglichkeit haben, über dieses Thema sehr ausführlich zu sprechen. Ich bin der Meinung, auch unter diesem Gesichtspunkt wird sich das lohnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Werbeeinspielung. Ich kann sie gleich noch ein bisschen erweitern. Am 29. September 2010 haben wir durch den Medienkompetenztag, den das Mediennetzwerk Medienkompetenz Schleswig-Holstein einberufen hat, schon vorher Gelegenheit, darüber zu reden.

Herr Eichstädt, ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie gesagt haben. Ich bin über den Konsens froh, den wir haben. Ich glaube, bei Frau Hinrichsen und den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird das so ähnlich sein. Es gibt noch viel zu tun. Dass das nicht der ganz große Wurf ist, darüber sind wir uns einig. Ich glaube, wir sind uns aber auch darüber einig, gar nichts zum Jugendmedienschutz im Hinblick auf das Internet zu tun, wäre sicherlich auch der verkehrte Weg.

Es war eine schwere Geburt: Der 14. Rundfunkstaatsvertrag musste als Gesamtregelwerk die bekannten TV-Jugendschutzmodelle, über die wir uns alle einig waren, mit den neuen Möglichkeiten des Internets verbinden. Die Dynamik des Mediums Internet, die Masse an Inhalten mit trotzdem weitest möglichem Jugendschutz zu verbinden, war die zentrale Herausforderung - und sie wird es auch in den nächsten Jahren noch bleiben.

Es ist bekannt, dass wir als FDP die Verhandlungen über diesen Staatsvertrag von Anfang an sehr kritisch begleitet haben. Uns fehlte nicht nur die garantierte Praxistauglichkeit, die Herr Eichstädt eben so schön aufgeführt hat. Es gab auch wegen der Begriffe und Definitionen die Befürchtungen, dass die Rechtsunsicherheit bei den Anbietern im Inter

(Peter Eichstädt)

net zur Gefährdung ihrer Geschäftsmodelle führen würde. Zudem ging uns der Anbieter-Begriff viel zu weit, und auch die zunächst von den Staatskanzleien angedachten Ideen, wonach der Anbieter auch für fremde Inhalte verantwortlich sein sollte, hielten wir für völlig inakzeptabel.

Wir wollten ein Wirrwarr zwischen den verschiedenen geltenden Gesetzen so weit wie möglich verhindern, sodass wir die bisher bereits bestehende Kennzeichnung der Selbstkontrolle nach dem Jugendschutzgesetz gefordert haben. Die meisten unserer Kritikpunkte und Anregungen wurden dann auch schließlich bei den Verhandlungen berücksichtigt. Und ja, selbstverständlich muss die Evaluierung früher kommen. Aber auch da habe ich überhaupt keine Bedenken. Bisher ist es immer so gewesen, dass eigentlich die Medienstaatsverträge der technischen Entwicklung hinterhergehinkt haben. Es würde mich wundern, wenn das in diesem Falle anders wäre.

Auf Anregung der FDP hat Schleswig-Holstein sehr schnell zu Protokoll erklärt, dass die technische Umsetzung von Jugendschutzmaßnahmen nicht dazu führen darf, dass anderweitige Schutzvorkehrungen verpflichtend werden und dass die Kontrollpflichten für fremde Inhalte auch in Foren und Blogs nicht erweitert werden. Daran lag uns besonders, damit keine erweiterte Haftung nach dem Telekommunikationsgesetz oder allgemeinen Gesetzen begründet wird. Für so etwas wie Facebook hätte das möglicherweise das Ende bedeutet.

Dieser Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist nicht der große Wurf, das sagte ich schon, aber er ist besser als gar nichts. Wir wissen alle, dass lückenlose Aufsicht über das Medium Internet unmöglich ist. Aktuelle Studien zeigen nämlich, dass Eltern von Kindern unter zehn Jahren schon fast übervorsichtig den Umgang mit Fernsehern und PC begleiten. Das ändert sich fast schlagartig, wenn die Kinder älter werden. Bei Kindern ab 14 Jahren haben Eltern nachweislich keine Ahnung mehr, was wie sagten Sie so schön - oben in den Kinderzimmern passiert.

Bevor das Internet unser aller Leben neu beeinflusste, war Jugendmedienschutz einfach. Ein Film kam ins Kino. Davor wurde von der freiwilligen Selbstkontrolle eine Altersfreigabe festgelegt. Die war dann auch für die spätere Fernsehübertragung gültig. Filme ab 12 Jahren nicht vor 20 Uhr, Filme ab 16 Jahren nicht vor 22 Uhr, ab 18 Jahren erst ab 23 Uhr. Manche - und Herr von Boetticher hat das ja schon angedeutet - haben erlebt, dass wir mit Eigeninitiative im Alter von 15 Jahren durchaus ver

sucht haben, dieses Verbot zu umgehen. In der Tat gab es auch damals schon keinen hundertprozentigen Jugendschutz.

Nun ist das weltweite Internet immer auf Sendung, immer online, und irgendwo auf der Welt ist es immer nach 23 Uhr und damit Jugendschutz ungleich schwieriger als früher. Der JugendmedienschutzStaatsvertrag versucht nun auf die Reihe zu kriegen, was fast unmöglich ist: Nazi-Propaganda, Rassenhass, Kinderpornografie und auch andere weniger extreme Angebote im Internet, die das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährden, von diesen so weit wie möglich fernzuhalten.

Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist das technisch einfach. Jeder Anbieter kann, muss aber nicht seiner Website eine Altersfreigabe geben. Die Eltern können - und sollten auch - eine Software installieren, mit der ihre Kinder am PC nur noch auf die Seiten kommen, die ihnen aufgrund der Altersfreigabe erlaubt sind. Gezwungen wird niemand zu gar nichts. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns, Herr Eichstädt. Selbstkontrolle finden wir gut, den Superstaat als Nanny, um zu kontrollieren, finden wir schlecht.

Es ist also wie früher, als es die Eltern waren, die uns gegen 23 Uhr mit mehr oder weniger lautstark vorgetragenen pädagogischen Gründen vom Fernseher wegholten, wenn wir erwischt wurden. Auch heute sind weiterhin die Eltern gefordert, darauf zu achten, was ihre Kinder vor dem PC machen. Daran hat sich nichts geändert.

Nun sagen die Kritiker des JugendmedienschutzStaatsvertrages, dass es für Internetanbieter schwierig oder gar unzumutbar sei, jede Website zu prüfen und eine Altersfreigabe zu markieren. Ich behaupte: Seriöse Betreiber - und das ist die Mehrheit, wir reden wie immer nur über die anderen - haben durchaus ein Interesse an funktionierendem Jugendschutz, weil es ein Qualitätsmerkmal werden könnte. Selbst die Bitcom kann damit gut leben, und ich zitiere aus deren Pressemeldung:

„Technische Lösungen können gerade bei kleineren Kindern künftig ein zentrales Instrument sein, aber es geht auch um den Erwerb von Medienkompetenz.Dabei kann der Staat die Familien unterstützen, aber er kann es ihnen nicht vollständig abnehmen.“

(Beifall bei FDP und CDU - Unruhe)

(Ingrid Brand-Hückstädt)

Ich bitte die Abgeordneten trotz der vorgerückten Stunde um ein ganz klein wenig mehr Aufmerksamkeit. Es ist für einen Redner wirklich schwierig, wenn auf der linken Seite permanent gesprochen wird. - Frau Jansen, ich meinte Sie.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Ja!)

- Vielen Dank.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Thorsten Fürter das Wort.

(Werner Kalinka [CDU]: Wenn gute Argu- mente kommen, hört man auch zu!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Hinrichsen, Sie fragten mich eben - wir hatten ein kurzes Zwiegespräch -: „Warum diskutieren wir die ganze Sache überhaupt? Wir sind uns ja alle einig.“ Ich fürchte, dass das wahrscheinlich nicht der Fall ist.

Wir halten diesen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag nicht für zukunftsfähig. Er ist bereits jetzt überholt und bringt den Jugendschutz nicht voran.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in der nun vorliegenden Form bedeutet er in erster Linie eine Gefahr für die Freiheit des Internets. Er treibt die nationale Segmentierung des World Wide Web voran. Machen wir uns nichts vor: Bei einer weltweiten Betrachtung ist die Bundesrepublik Deutschland ein kleiner - wenn auch schöner - Staat. Einige träumen davon, dass im Internet irgendwann die Grenzen der Kleinstaaterei wieder hochgezogen werden. Das deutsche Internet soll so sauber werden wie unsere Autobahnen. Dieser Gesetzentwurf ist ein Schritt zur Erfüllung dieses Traums. Es ist ein gefährlicher Traum und deswegen ein falscher Schritt.

Hinter uns liegt ein langer und schwieriger Prozess. Doch wird er den diffizilen und sich schnell ändernden Realitäten der unterschiedlichen Anbieter im Netz schon jetzt nicht mehr gerecht. Die Pflichten, Kann-Bestimmungen und Privilegierungen sind für viele Anbieter unüberschaubar und bringen erhebliche Unsicherheiten mit sich. Deregulierung und Normenklarheit, meine sehr geehrten Damen und Herren aus den Regierungsfraktionen, sieht anders aus.

Die Umsetzung der geforderten Alterskennzeichnungen ist für private und kleinere Anbieter - also quasi den Mittelstand 2.0 - kaum leistbar. Eine Vorabkontrolle von user generated content bei Web-Angeboten, damit diese mit Alterslabeln versehen werden können, halten wir für falsch. Sie gefährden das Netz mit seiner Lebendigkeit und ist auch eine Bedrohung für das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

(Zurufe der Abgeordneten Gerrit Koch [FDP] und Christopher Vogt [FDP])

Die Sicherung der Meinungs- und Informationsfreiheit ist aber die wichtigste Aufgabe jeder Gesetzgebung im Medienrecht - jedenfalls jeder Gesetzgebung, die sich einer Stärkung der Bürgerrechte verschrieben hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist die Position, die wir vertreten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)