Protocol of the Session on March 19, 2010

Ein weiteres Leitthema ist die Bildungspolitik. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber das Land wird sich in den kommenden Jahren auf folgende Themenschwerpunkte konzentrieren: den Bildungsauftrag für Kindertagesstätten stärken, unsere Kinder in einem nach wie vor differenzierten Schulwesen fit für ihre Zukunft machen, die weiterführende Bildung und Ausbildung in Arbeit, Wissenschaft und Forschung sichern.

Als letztes Leitthema greift der Nachhaltigkeitsbericht den Ausbau der Kooperationen sowohl mit angrenzenden Bundesländern als auch mit der Grenzregion Nordschleswig auf.

,,Kooperation ist die Grundbedingung zur gemeinsamen Übernahme von Verantwortung im Interesse der Zukunftsvorsorge und zum Erhalt von Handlungsspielräumen für künftige Generationen."

So steht es wörtlich in dem vorliegenden Bericht, und nur so können wir Schleswig-Holstein auch wirtschaftliche Kraft verleihen. Der Ausbau des Ostseeraums zur Modellregion Europas, eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Hansestadt Hamburg als auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist hier unsere Doktrin.

Für all das soeben Genannte stehen die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen. Hierfür muss der gesamte Landtag stehen. Lassen

Sie uns eine Politik für die nächste Generation machen!

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat der Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abgeordneter Dr. Robert Habeck.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage mich, wie die soeben angesprochene Deicherhöhung als nachhaltiges Projekt mit der Aussage der Frau Umweltministerin zusammenpasst, dass wir die Wattenmeerkonferenz in 30 Jahren sozusagen zur Vollendung führen sollen. Wenn das Wasser steigt, haben wir kein Wattenmeer mehr. Insoweit scheint mir das wenig nachhaltig gedacht zu sein.

Lieber Herr Kollege Brodersen, die Aussagen zum LEP müssten Sie doch infrage stellen, wenn Sie den Nachhaltigkeitsbericht lesen. Beide widersprechen sich nämlich fundamental.

In dem Nachhaltigkeitsbericht gibt es viele tolle Worte: „corporate social responsibility“, „Agenda 21“. „Nachhaltigkeit, eine Initiative des ganzen Landes“ - wunderbar! Das könnte ein Grünen-Parteitag nicht besser formulieren.

(Heiterkeit)

Auf Seite 10 des Berichts heißt es: „’Wie wollen wir morgen leben?’ ist die Kernfrage …“ - Meine Damen und Herren, Wollen und Wirklichkeit - das klafft allerdings auseinander. Insofern teile ich ausdrücklich die Aussage der Umweltministerin: Die inflationäre Verwendung des Begriffs „nachhaltig“ ist wenig nachhaltig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Am Wollen kann man, wenn man den Bericht liest, kaum etwas aussetzen. Aber die Wirklichkeit der Politik sieht dann doch etwas anders aus. Am Eklatantesten ist das im Kapitel zum Verkehr zu erkennen. Dort wird wortreich festgestellt, dass der Verkehr rund ein Drittel der Treibhausgase produziert und dass - Zitat - „die Verlagerung auf umweltverträglichere Verkehrsträger hohe Priorität“ hat. Ja, das hat sie. Aber offensichtlich kennen Sie Ihre eigene Politik nicht.

(Carsten-Peter Brodersen)

Im Bildungskapitel, auf Seite 65, heißt es:

„Eine nachhaltige Umsteuerung muss sich daher auf eine Veränderung der beteiligten Systeme richten, muss sie selbst zur Nachhaltigkeit befähigen.“

Haben Sie das gehört, FDP? Und das nach der Schuldebatte heute Morgen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Reden möchte ich jedoch nicht so sehr über Worte, sondern über Zahlen. Manchmal verbirgt sich die größte Entdeckung im Kleinsten. Auf Seite 15 steht:

„Erneuerbare Energien können bis 2020 in Schleswig-Holstein etwa 33.900 TWh zur Energieversorgung beitragen und damit rechnerisch über 50 % des Endenergieverbrauchs decken.“

33.900 Terawattstunden - das wäre ungefähr das 500-Fache dessen, was wir in Schleswig-Holstein jährlich verbrauchen. Es muss also „33.900 Gigawattstunden“ oder „33,9 Terawattstunden“ heißen.

Aber wie setzt sich diese Zahl zusammen? Im Klimaschutzbericht der Landesregierung von Juni letzten Jahres ist auf Seite 89 aufgeschlüsselt, wie diese Zahl zustande kommt. Wind soll bis 2020 21,5 Terawattstunden und Biomasse 12,1 Terawattstunden produzieren; den Rest teilen sich Solarthermie, Geothermie, Wasserkraft und Photovoltaik.

21,5 Terawattstunden Windenergie - das ist exakt die Zahl, die Dietrich Austermann, Vor-Vor-Vorgänger des heutigen Wirtschaftsministers, in seinem Grünbuch 2007 annahm. Wir haben einen ziemlich windigen, unnachhaltigen Verbrauch an Wirtschaftsministern in diesem Land; mal sehen, wo das endet.

(Heiterkeit bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Mit dieser Zahl wurde in dem Grünbuch der Neubau von Kohlekraftwerken ebenso begründet wie der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Der Ausbau der Windenergie hat das Austermann-Szenario zwei Jahre später längst widerlegt - nachzulesen und nachzuhören in allen Erklärungen, jüngst auf der Messe „new energy“ in Husum.

Hinzu kommen die Ankündigungen im LEP: Ausweitung der Vorrangflächen, Repowering, Überprüfung der Abstandsregeln und Arrondierungen. Realistisch ist die olle Austermann-Zahl schon lange

nicht mehr, sondern wohl eher die Annahme der Produktion von 25 bis 30 Terawattstunden Windenergie - konservativ gerechnet. Das allerdings würde einem Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch von knapp 70 % entsprechen.

Herr Minister de Jager sollte sich endlich von seinem Ururururahn emanzipieren und ein neues Windszenario vorlegen, und dieses Land sollte von Ihrer Koalition in die energiepolitische Moderne geführt werden. Denn das Austermannsche Argument für Kohlekraft und Atomkraft ist, wie an diesem Nachhaltigkeitsbericht zu sehen ist, zusammengebrochen. Wir brauchen keine fossile, Kohleoder Atomenergie mehr in Schleswig-Holstein.

Das Interessante ist, dass Sie sie noch nicht einmal mehr für die Grundlastsicherheit brauchen, wie von der schwarz-gelben Koalition immer argumentiert wurde. In der Zeitung vom 7. März dieses Jahres konnte man unter der Überschrift „SchleswigHolstein hofft auf ein Ökostromnetz“ lesen, dass sich die Offshore-Produktion zu einem Nordseeenergienetz zusammenschließen wolle. Das Projekt hätte den Vorteil, dass keine konventionellen Kraftwerke für windschwache Zeiten mehr vorgehalten werden müssten, um die Versorgungssicherheit von Haushalten und Wirtschaft zu gewährleisten.

Ich habe vergessen zu sagen, dass das ein Zitat war. Das stammt nicht von mir oder einem anderen Grünen, es ist die Meinung des Wirtschaftsministers de Jager, und der Mann hat an dieser Stelle recht. Schade ist allerdings, dass da der Nachhaltigkeitsbericht schon fertig war. Ich befürchte, wir müssen einen neuen schreiben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Herrn Kollegen Ulrich Schippels.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal auch von mir danke für den Bericht. Es gibt in diesem Bericht viele Anregungen. Er skizziert auch zumindest im Ansatz, wie nachhaltige Politik in unserem Land aussehen könnte. Angesichts der Debatte über den LEP und die Schulpolitik - Herr Habeck hat schon darauf hingewiesen - frage ich mich allerdings, ob der Bericht das Papier wert ist, auf dem er geschrieben worden ist.

(Dr. Robert Habeck)

Meine Damen und Herren, es ist gut, dass sich dieser Nachhaltigkeitsbericht ausdrücklich nicht nur auf die Umweltfragen beschränkt, sondern auch die Frage stellt, wie nachhaltige Politik unter sozialen Gesichtspunkten aussehen müsste. Sehr schön ist auch, dass sich der Bericht weitgehend dem herrschenden Diskurs über die vermeintlich notwendige Sparlogik entzieht. Da können wir nur sagen: Weiter so!

Eine Zwischenüberschrift in diesem Bericht lautet: „Prävention ist besser als Reparatur“. Während wir hier im Landtag bisher - wir sind ja noch nicht so lange dabei - leider immer nur zu hören bekommen haben, dass wir unseren Kindern kein überschuldetes Land zurücklassen dürfen, wird hier postuliert, dass eine nachhaltige Politik durch Politikgestaltung erreicht wird, unter anderem und vielleicht sogar an besonderer Stelle im Bereich der Bildung. Das sind neue Worte; das hören wir gern. Ohne gebildete Landeskinder gibt es keine nachhaltige Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider wird in diesem Bericht versäumt, das antiquierte Schulsystem in Schleswig-Holstein in Gänze zur Disposition zu stellen und endlich ein einheitliches, modernes und binnendifferenziertes Bildungsangebot zu favorisieren.

Unabhängig davon zeigt der vorliegende Bericht auf, wieviel wir in Schleswig-Holstein noch tun müssen, um wirklich nachhaltige Politik zu betreiben. Wie können wir dem Ziel nachhaltiger Politik ein Stückweit näher kommen? Was soll die Politik tun, um die Herausforderungen nachhaltiger Politik zu bewältigen? Mir fällt da zu allererst das riesige Arbeitsplatzpotenzial auf. Der Bericht nennt sehr viele Bereiche, in denen sinnvolle Arbeit geleistet werden könnte, geleistet werden muss. Den Bildungsbereich habe ich schon erwähnt. Unabhängig vom Bildungssystem, ob nun Gemeinschaftsschule, ob Gymnasium oder beides, brauchen wir ein besseres Angebot im vorschulischen, schulischen und universitären Bereich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das schafft Arbeit und Arbeitsplätze. SchleswigHolstein braucht mehr Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas. Schleswig-Holstein braucht mehr Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen. Schleswig-Holstein braucht mehr Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Schleswig-Holstein braucht mehr Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Unser Land soll, so der Bericht, in die Forschung und Entwicklung regenerativer Energien investieren. Auch hier gibt es viel zu tun. Wir können über unsere Universitäten Spitzenpositionen übernehmen. Hier können sich kleinere und mittlere Betriebe - Stichwort Windenergie - am Markt behaupten. Sie von der Landesregierung konterkarieren diese Möglichkeiten - auch darauf hat Herr Habeck schon hingewiesen - allerdings durch ein Festhalten an den Großtechnologien, durch das Festhalten am atomaren und fossilen Zeitalter.

Im öffentlichen Personennahverkehr wären viele nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Unterstützen Sie die Stadtbahnen in Kiel und Lübeck, verbessern Sie das öffentliche Verkehrssystem in der Fläche, tätigen Sie Investitionen im Sinne des Berichts in den öffentlichen Nahverkehr! Investieren Sie nicht in wahnsinnige Betonprojekte wie die A20 oder die feste Fehmarnbelt-Querung, die schon jetzt - Stichwort Stena Line - Arbeitsplätze zerstört! Wir brauchen - das kommt mir in dem Bericht ein wenig zu kurz - eine Orientierung auf regionale Wirtschaftskreisläufe.

Am Anfang meines Beitrags habe ich darauf hingewiesen: Prävention ist besser als Reparatur. Ich appelliere an Sie in der Regierungsverantwortung, nehmen Sie Geld in die Hand, handeln Sie verantwortungsbewusst im Sinne des vorliegenden Berichts! DIE LINKE wird sich ihrer Verantwortung in der Opposition nicht entziehen und immer wieder an den Nachhaltigkeitsbericht erinnern. Wir da haben wir leider noch ein Alleinstellungsmerkmal, das sich vielleicht im Laufe der Legislaturperiode verändern wird - stellen die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen nicht unter Finanzierungsvorbehalt.

(Beifall bei der LINKEN - Christopher Vogt [FDP]: Schulden, Schulden, Schulden!)

Das Wort hat die Vorsitzende der SSW-Fraktion, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Nachhaltigkeitsbericht ist der zweite Bericht zum Thema Nachhaltigkeitsstrategie, mit dem sich der Landtag zu befassen hat. Der erste Bericht wurde dem Parlament Ende 2002 zugeleitet. Er hatte die Überschrift „Zukunftsfähiges

(Ulrich Schippels)