Protocol of the Session on March 19, 2010

ses wichtigen Grundsatzprogramms habe. Daher fordern die Länder mehr Zeit für eine seriöse Befassung mit dem EU-Vorhaben und einen Beschluss erst auf dem EU-Gipfel im Juni. Auch das haben wir schon gehört.

Der vorliegende Antrag von CDU und FDP schlägt in die gleiche Kerbe. Dabei haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, den SSW an Ihrer Seite; denn auch wir sind der Meinung, dass die Subsidiaritätskontrolle ernst genommen werden muss. Das setzt Zeit für die Beratung und die öffentliche Debatte voraus.

Gleichwohl wirkt die Reaktion der Landesregierungen etwas hohl; denn die knappe Zeit hat trotzdem dafür gereicht, eine Stellungnahme mit 70 Punkten zusammenzutragen; sie liegt vor. Das ist auch nichts Schlimmes. Wenn man von der Stellungnahme ausgeht, haben die Länder erhebliche Bedenken zum Beispiel gegen die bildungspolitischen Anliegen der Agenda „Europa 2020“ - nicht nur, weil der Anteil der Schulabbrecher von 15 % auf 10 % gesenkt werden soll, sondern auch, weil man befürchtet, dass die Vorgaben der EU den Besonderheiten des deutschen Bildungssystems nicht gerecht werden. Da wird noch einmal auf die berufliche Bildung eingegangen und gesagt, dass das duale Ausbildungssystem der Bundesrepublik im internationalen Vergleich kaum berücksichtigt wird. Auch das ist etwas, was in diesen Zusammenhängen immer wieder auftaucht.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage scheint mir das größte Problem zu sein, dass die Landesparlamente bisher überhaupt nicht einbezogen waren. Das hat zur Folge, dass die parlamentarische Ebene dem ganzen Verfahren hinterherhechelt.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Daran ändert auch der Antrag der regierungstragenden Fraktionen nichts. Es bleibt der Eindruck, dass wir nunmehr die vorgefertigte Meinung des Bundesrats absegnen sollen, und das ist ganz einfach zu wenig.

Der Antrag der SPD greift zum Beispiel einen Aspekt auf, der in dem Antrag von CDU und FDP entschieden zu kurz kommt, nämlich die soziale Dimension der Europäischen Union. Wir stimmen dem Ziel dieses Antrages zu, vertreten aber die Auffassung, dass dies nicht zu einer Harmonisierung in Form einer europäischen Sozialunion führen darf. Die Aufstellung sozialer Standards ist notwendig und richtig, aber wie diese Standards umgesetzt werden, sollte nicht von der EU vorgege

(Anke Spoorendonk)

ben werden. Es muss unterschiedliche Wege geben. Wir stehen für den skandinavischen Weg und wünschen uns, dass dieser gleichgesetzt wird mit dem europäischen Gesellschaftsmodell, aber es gibt unterschiedliche Wege. Richtig ist, dass wir die Stärkung der sozialen Dimension brauchen und das nicht unter der Überschrift Subsidiarität von uns weisen können.

Diese Debatte kann nur eine erste Lesung der Europa-2020-Strategie sein. Das gilt - ich sagte das eingangs - auch für die Weiterentwicklung der europäischen Strukturfonds.

Eine letzte Bemerkung! Es soll in der Sache abgestimmt werden. Würde es keine alternative Abstimmung geben, würden wir uns beim Antrag von CDU und FDP der Stimme enthalten, weil es wichtig ist, daran festzuhalten, dass die Subsidiaritätskontrolle greifen muss. Der Antrag ist inhaltlich gesehen aber viel zu eng gestrickt.

In der weiteren Diskussion müssen wir uns verstärkt auf die soziale Dimension der europäischen Zusammenarbeit konzentrieren. Inhaltlich werden wir dem SPD-Antrag folgen.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist schon abgelaufen.

Hier steht 0,35. Ich denke, der Ministerpräsident hat mir zwei Minuten geschenkt.

(Heiterkeit und Zurufe)

Frau Abgeordnete: Minus, und die zwei Minuten waren schon mit eingerechnet.

Frau Präsidentin, ich werde nicht mit Ihnen diskutieren. Ich bin auch am Schluss meiner Rede angelangt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und der Abgeordne- ten Ursula Sassen [CDU])

Für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Rolf Fischer aus der SPD-Fraktion das Wort.

(Zurufe)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache es relativ kurz. Ich möchte gern den Ball aufnehmen, den Niclas Herbst gespielt hat, Sozialunion. Die Gründe, die wir für die Notwendigkeit einer auf Augenhöhe definierten Sozialunion neben der Wirtschaftsunion nennen, sind vor allem sieben Stück, die ich kurz nennen möchte.

Erstens. Wir verlangten einen Binnenmarkt. Wir haben einen Binnenmarkt. Wir verlangen von den Leuten, die auf diesem Binnenmarkt arbeiten, Mobilität. Diese Mobilität der Arbeitnehmer muss geregelt sein. Das ist die Frage einer Sozialunion, das ist nicht die Frage der Harmonisierung von europäischen Regelungen. Es geht um die Frage, wie wir dieses Problem regeln, wenn wir es gleichzeitig von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verlangen.

Zweitens. Wir müssen den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt regeln. Auch da geht es darum, wie wir Fragen wie Versorgung, Renten, Altersversorgung regeln. All diese Punkte müssen geregelt werden, sonst haben wir nämlich niemanden, der diesen grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt annimmt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Drittens. Wir bitten immer um ein Studium im Ausland, Auslandserfahrung als wesentliches Kriterium für eine spätere Karriere. Auch das muss geregelt werden, auch das ist Teil einer Sozialunion.

Viertens. Die Firmen agieren europaweit und weltweit. Wir müssen versuchen, sie in irgendeiner Form zu kontrollieren, sonst hinkt Politik doch immer hinterher. Um das möglich zu machen, brauchen wir so etwas wie eine Sozialunion.

Fünftens. Finanzströme laufen mehr oder weniger unkontrolliert. Wir haben ja eine Finanzkrise. Wir müssen auch diese Frage, die enorme soziale Folgen hat, in einer Sozialunion regeln.

Sechstens. Renten und Pensionen müssen vergleichbar sein, wenn Menschen mobil sein wollen.

Siebtens. Ich bitte noch einen Moment um Aufmerksamkeit, weil es um den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge geht, der sich von der privaten und öffentlichen Pflege über die Frage ÖPNV bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Medien erstreckt. Gerade der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, der enorme Konsequenzen hat, muss

(Anke Spoorendonk)

Teil einer Sozialunion in Europa sein. Wenn uns das nicht gelingt, können wir dieses Europa vergessen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/395 (neu) Ziffer 2 sowie der Tagesordnungspunkt 56, Reform der EU-Strukturfonds, durch die mündliche Berichterstattung der Landesregierung ihre Erledigung gefunden haben. Im Rahmen des Selbstbefassungsrechts der Ausschüsse ist es selbstverständlich möglich, das Thema weiter zu behandeln.

Es ist alternative Abstimmung beantragt worden. Voraussetzung ist, dass keine Fraktion widerspricht. Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.

Ich schlage vor, abweichend von § 75 der Geschäftsordnung des Landtags beide vorliegenden Anträge zu selbstständigen Anträgen zu erklären. Widerspruch sehe ich nicht; dann werde ich so verfahren.

Ich komme jetzt zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/421, seine Zustimmung geben will, bitte ich um das Handzeichen. - Wer dem Antrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 17/395 (neu) Ziffer 1, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.

Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 17/395 (neu) Ziffer 1 mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP angenommen ist. Ich stelle weiter fest, dass damit der Antrag Drucksache 17/421 abgelehnt ist. Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunkts.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes SchleswigHolstein

Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW Drucksache 17/268

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung

und erteile Frau Abgeordneter Birte Pauls für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist wahrlich kein neuer und keine neue Idee. Die SPD-Fraktion hat sich in der letzten Legislaturperiode immer wieder für die Aufnahme der Sinti und Roma in Artikel 5 der Landesverfassung eingesetzt. Bisher ist dieser Wunsch immer an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Landtag gescheitert. Zuletzt haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die FDP und die Abgeordneten des SSW diese ursprünglich von der SPD formulierte Forderung gestellt. Der Antrag ist in der letzten Legislaturperiode daran gescheitert, dass dies von der CDU im Koalitionsvertrag mit der SPD ausgeschlossen worden ist. Die SPD-Fraktion bleibt aber bei ihrer Haltung, dass die Förderung der Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit als Staatsziel schon längst Bestandteil der Verfassung hätte sein müssen.

(Beifall bei der SPD)

In Deutschland gibt es vier anerkannte Minderheiten: Dazu zählen die Dänen, die Friesen, die Sinti und Roma und die Sorben.

Wegen dieser öffentlichen Anerkennung auf Bundes- und auch auf europäischer Ebene durch den Europarat kann den Sinti und Roma der Schutz der Landesverfassung nicht verwehrt werden. In Artikel 5 unserer Landesverfassung ist formuliert, dass die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe Anspruch auf Schutz und Förderung haben. Im Rahmen der Gleichbehandlung der Minderheiten sollten wir unserer kleinsten Minderheit genau diesen Schutz ebenfalls gewähren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Eine Aufnahme in die Verfassung wäre in Erfüllung des Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten aus dem Jahr 1995 schon rechtlich geboten. Auch darauf hat meine Fraktion in diesem hohen Hause mehrmals hingewiesen.

Die Sinti und Roma leben seit mehreren Jahrhunderten in Schleswig-Holstein. Es gibt auch deshalb keinen Grund dafür, dass die Dänen und die Friesen in der Verfassung genannt werden und die Sinti und Roma nicht. Gerade die kleinste Minderheit in Schleswig-Holstein von dem Schutz und der Förde

(Rolf Fischer)

rung auszunehmen, entbehrt jeglicher Logik und auch jeglicher Humanität.