Protocol of the Session on March 19, 2010

Es fehlen auch in der Agenda 2020 ambitionierte Ziele für die Entwicklung der Beschäftigung, der regenerativen Energien, der Sicherung des Klimas und der Biodiversität. Es fehlt an konkreten Vor

schlägen zur Stärkung der Instrumente und verbindlichen Regeln für eine verbesserte Koordination. Hier muss man wieder unsere Bundesregierung, unsere Bundeskanzlerin kritisieren. Die Kommission hat Gremien wie einen Sachverständigenrat vorgeschlagen, der kooperierend zwischen den Ländern wirkt, damit man nicht nur mit Rüge zu den Zielen hinführt. Wer hat wieder gebremst? Das war unsere Frau Merkel. Wir müssen natürlich Verständnis haben, weil sie allmählich einen Reflex hat, wenn etwas Neues kommt. Sie muss sich genügend an den neuen Außenminister, an den neuen Koalitionspartner gewöhnen. Das ist natürlich nicht einfach. Da ist man erst einmal gegen alles Neue.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Es stellt sich die Frage, wie die Regionen und wie die Zivilgesellschaft in die Umsetzung der Strategie wirkungsvoll eingebunden werden können. Bereits bei der Abfassung dieser Strategie - das haben wir heute gehört - waren die Regionen und auch das Europaparlament alles andere als befriedigend beteiligt. Wir werden - das haben wir bereits signalisiert - dem Antrag der SPD zustimmen. Aber in einem Punkt sehe ich ihn schon kritisch. Sie wie auch die CDU überfallen uns damit, wir hätten gar nicht damit gerechnet, dass die so etwas wollen. Seit 2005 ist klar: Die Lissabon-Strategie wird nicht aufgehen, und seit 2005 wird in Deutschland und hoffentlich auch in Schleswig-Holstein in diesem Parlament darüber diskutiert, wie man es denn besser machen kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Daher sollten wir uns schon sputen, wenn wir hier um ein paar Monate Aufschub bitten. Aber es kann nicht sein, dass wir so tun, als wenn das hier alles völlig neu für uns ist.

Ich komme jetzt zum CDU/FDP-Antrag. Die Denke, die beim vorliegenden Antrag zum Ausdruck kommt, die EU solle sich möglichst wenig einmischen, bei der Bildung und der Sozialpolitik schon gar nicht, ist schlicht und einfach nicht zukunftsweisend. Das entspricht einfach der Bremserrolle, die Sie auch in diesen Fragen auf Bundesebene übernehmen.

Die Menschen werden ein weiteres Zusammenwachsen, eine verstärkte Integration der EU nur mittragen, wenn Teilhabe und soziale Entwicklung mit wachsen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt ein Stück weit zu unserer Heimat und wie sich das auf die Ostseeregion auswirkt. Gerade wegen der großen sozialen Unterschiede in diesem Raum ist dieser Punkt von entscheidender Bedeutung. Es ist von entscheidender Bedeutung auch für den ökonomischen Erfolg der Ostseestrategie, wie weit wir es in diesem Raum schaffen, eine effektive Armutsbekämpfung zu machen. Es geht nicht darum - um diesem Bild ein wenig zu widersprechen -, wiederum eine EU-Behörde, eine Integration aller Sozialsysteme zu bekommen. Aber eine erfolgreiche ökonomische Entwicklung in Europa kann einfach nur gelingen, wenn wir auch eine effektive Armutsbekämpfung organisieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Ich bin sonst immer ein bisschen skeptisch, empirische Untersuchungen zu zitieren. Aber ich denke, Sozialwissenschaftler haben mehr als genug bewiesen, dass große Einkommensunterschiede Deutschland ist ein Land, in dem diese immer größer werden - zwischen den wohlhabenden Bevölkerungsschichten und den ärmeren für die gesamte Bevölkerung schlecht sind,

(Beifall bei der LINKEN)

denn in den Ländern, in denen wir das haben, geht es allen Bevölkerungskreisen, wenn wir alle Indikatoren zusammennehmen, entsprechend schlechter.

Ich möchte jetzt - das ist bereits gesagt worden auf die Strukturfonds und diese Debatte nicht im Einzelnen eingehen. Ich gehe dabei auch über ein paar positive Bemerkungen und Lob gegenüber der Landesregierung hinweg

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

und komme gleich zu einigen kritischen und Knackpunkten, die mir in diesem schriftlichen Bericht aufgefallen sind.

Die Landesregierung versäumt selbst in Zeiten dramatischer öffentlicher Haushaltssituation jegliche Priorisierung und Qualifizierung, wo sie mit den Mitteln hin will. Herr Ministerpräsident, Sie haben schon in Ihrer Regierungserklärung - das fand ich gut, weil ehrlich - ganz klar gesagt, wir werden viele dieser Mittel nicht mehr wahrnehmen können, weil wir die letzten Euros für die Kofinanzierung nicht haben. Das ist aber schlecht für das Land. Ich vermisse in dem Bericht, dass neue Wege der Kofinanzierung aufgezeigt werden,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

wie wir als Land auch die Kompetenz bekommen, zum Beispiel über Stiftungen und aus anderen Finanzquellen etwas für Kofinanzierungen zu erschließen.

Ich vermisse in diesem Bericht auch, dass in ihm etwas zu erforderlichen Rahmenbedingungen gesagt wird, die wir auf europäischer Ebene brauchen. Ich denke da an die Unternehmensbesteuerung. Die Mittel des Strukturfonds dürfen nicht in einem europäischen Subventionswettlauf vernichtet werden, weil wir überall unterschiedliche Regeln haben. Dieses Phänomen kennen wir nicht erst, seitdem es Lafontaine irgendwann Anfang der 90erJahre aufgefallen ist. Das ist lange bekannt.

Die Landesregierung hätte diesen Punkt aufnehmen müssen, weil auch Schleswig-Holstein unter dem Phänomen leidet, dass uns Unternehmen weglaufen, weil insoweit große Unterschiede bestehen.

Zu guter Letzt: Der Bericht lässt eine Aussage dazu vermissen, wie sich die Landesregierung frühzeitig im Vorfeld der Entscheidungsfindung einbringen will, das heißt, welche Ziele sie anstrebt. Aus dem Bericht ist das nicht erkennbar. Nur zu schreiben, dass man hier und da Lobbyarbeit betreibe und im Ausschuss der Regionen aktiv sei - ich glaube, dieser Ausschuss wird in dem Bericht gar nicht erwähnt -, reicht einfach nicht.

Jetzt ein Lob: Auch wenn der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 07.01.2010 zur Europa-2020-Strategie sprachlich ausgesprochen „grün“ ist - das kann ich nur unterstreichen; fast die Hälfte hätte von uns abgeschrieben sein können -, so reicht das doch nicht aus. Wir können nur mit klaren Schwerpunktsetzungen und Zieldefinitionen erfolgreich sein. Wer nicht weiß, wohin er will das haben wir bereits beim Landesentwicklungsplan zu Beginn der Landtagstagung erfahren -, braucht sich nicht zu wundern, wenn er nie irgendwo ankommt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

(Bernd Voß)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Mit der LINKEN sehe ich die Europa-2020-Strategie sehr differenziert. Die Argumentation von CDU und FDP in Bezug auf die Strategie dagegen ist für mich entlarvend. Bei den durchaus begrüßenswerten Zielen der Strategie verstecken sich die Regierungsfraktionen hinter formalen Argumenten; gleichzeitig wird reflexhaft der Lissabon-Vertrag gelobt.

Zu argumentieren, die Bildungsvorgaben der EU ich greife die Vorgabe heraus, dass 40 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs einen Hochschulabschluss erreichen sollen - verletzten die Bildungshoheit der Länder, ist in meinen Augen grotesk. Wir könnten so argumentieren, wenn der Anteil der Hochschulabsolventen bei uns bei 37 % oder 35 % läge, wenn der Anteil von 40 % genau erreicht oder sogar übertroffen würde. Aber im Jahr 2007 lag der Anteil der Hochschulabsolventinnen und -absolventen in Schleswig-Holstein bei 14,1 %. Damit waren wir bundesweit Schlusslicht. Ich schließe mich insoweit den Worten von Marianne Demmer, Vizevorsitzende der GEW, an:

„Dumm und schuldenfrei - das ist wahrlich keine Zukunftsperspektive für die nachwachsende Generation."

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Kritik, Vorgaben im Kampf gegen Armut zu machen, widerspreche dem Geist des LissabonVertrags, kann ich nicht nachvollziehen. Die Forderung, die Quote der armen Menschen in SchleswigHolstein um 20 % zu senken, kann in unseren Augen nicht weitgehend genug sein, aber auch nichts Schlechtes bedeuten. Wir könnten die Kritik an unserem Argument gelten lassen, wenn es in Schleswig-Holstein keine armen Menschen gäbe oder wenn wir uns als Landtag das Ziel setzen würden, Armut in Schleswig-Holstein in den nächsten fünf Jahren um 100 % zu senken.

Auch das Ziel, die Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen anzugleichen, sehe ich durchaus positiv.

Kritisch dagegen sehe ich andere Vorgaben: Die Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung und die Aufforderung, unternehmensfreundliche Steuersätze anzustreben, sind für mich nicht akzeptabel. Das widerspräche in meinen Augen den schon genannten Vorgaben zu Investitionen in Bildung und zur Armutsbekämpfung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich außerdem, warum der Bericht es als einen Nachteil ansieht, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU 10 % weniger Arbeitsstunden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den USA oder in Japan ableisten müssen, um das gleiche Geld zu verdienen. DIE LINKE sieht das als einen großen Vorteil an. Das ist für uns eher ein Zeichen von Lebensqualität. Für uns wären weitere Arbeitszeitverkürzungen erstrebenswert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sich zusätzlich dafür einzusetzen, dass in die Europa-2020-Strategie einheitliche Mindeststeuersätze aufgenommen werden, um so endlich aus dem dummen Wettbewerb um möglichst niedrige Steuersätze auszusteigen.

Außerdem fehlt uns in der Strategie der Teil zur Konversionspolitik. Wir möchten, dass die EU Gelder zur Verfügung stellt, um Regionen, die aus der Rüstungsindustrie aussteigen wollen, zu unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für Schleswig-Holstein, insbesondere für Kiel, ergäbe das große Chancen.

Wir sehen uns in unserer Ablehnung der Europäischen Verfassung in ihrer jetzigen Form - mit ihrem Gebot der freien Marktwirtschaft und ihrer Verpflichtung zur Aufrüstung der Nationalstaaten - bestätigt. Auch wir lehnen die Europa-2020-Strategie ab, allerdings aus anderen Gründen als SchwarzGelb. Wir stehen weiterhin für ein ökologisch vorbildliches, soziales und friedliches Europa.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Hinsichtlich der Reform der europäischen Strukturfonds schließe ich mich den Ausführungen von Herrn Kollegen Fischer an. Auch meine anderen Vorredner haben dazu schon einiges gesagt. Wegen der begrenzten Zeit lasse ich diesen Teil meiner Rede weg.

Gleichzeitig kündige ich schon heute an, dass wir im Europaausschuss beantragen werden, einen Fahrplan für die weitere Arbeit an der Reform der Strukturfonds zu erhalten. Wir müssen wissen, wie lang die Beteiligungsfristen sind und wie die Entscheidungsprozesse insgesamt ablaufen sollen. Sonst stochern wir im Nebel herum. Das kann nicht im Interesse des Parlaments liegen.

Die Strategie „Europa 2020“ ist nicht zuletzt von der Hoffnung beseelt - das haben wir schon gehört , dass es möglich ist, aus Fehlern zu lernen; denn nach fünf Jahren dürftiger Ergebnisse beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs im März 2005, die Lissabon-Strategie neu auszurichten. Die diesbezüglichen Ausführungen des Kollegen Voß darf man nicht vergessen; das Thema ist im Grunde nicht neu. Ich rufe in Erinnerung, was die Zielsetzung der Lissabon-Strategie war: Mit ihr sollte erreicht werden, dass sich die Europäische Union „bis 2020 zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ entwickelt.

Als Kritikpunkte standen zum einen im Raum, dass die Lissabon-Strategie zu viele Vorgaben hatte. „Europa 2020“ will daher die Anzahl der Ziele deutlich reduzieren. Der EU-Ratspräsident van Rompuy spricht von fünf „quantitativen Zielen mit einer festgelegten Frist und möglichen unmittelbaren Schritten“. Zum anderen geht es darum, wie eine neue Post-Lissabon-Strategie besser überwacht werden kann. Im Gespräch waren Sanktionen beziehungsweise Belohnungen. Aber letztlich ist diese Diskussion gestoppt worden.

Der neue Plan „Europa 2020“ wurde im November letzten Jahres zur Konsultation veröffentlicht. Insgesamt gab es im Rahmen dieses Konsultationsverfahrens über 1.500 Eingaben, die laut Medienberichten nicht zuletzt die verbreitete Besorgnis über die Beschäftigungskrise deutlich machten, wegen der ein umfassender Fahrplan für die wirtschaftliche Erholung der EU-Mitgliedsländer noch dringlicher wird.

Auch die Bundesregierung hat Ende 2009 eine Stellungnahme abgegeben - anscheinend aber, ohne dass der Bundesrat in irgendeiner Form daran beteiligt war. Ich sage dies, weil auch ich kritisiere, dass wir es mit sehr kurzen Fristen zu tun haben. Aber ich glaube, dass es an unterschiedlichen Stellen gehakt hat. Anders lässt sich aus der Sicht des SSW nicht die Empörung des Bundesrates über das Zehnjahresprogramm der neuen EU-Kommission erklären. Kernpunkt dieser Kritik ist, dass man gerade einmal drei Wochen Zeit für die Beratung die

ses wichtigen Grundsatzprogramms habe. Daher fordern die Länder mehr Zeit für eine seriöse Befassung mit dem EU-Vorhaben und einen Beschluss erst auf dem EU-Gipfel im Juni. Auch das haben wir schon gehört.