Protocol of the Session on March 19, 2010

Wir sollten deutlich machen, dass es gerade wegen dieser neuen Herausforderung keinen Bedarf an grundsätzlich neuen strukturpolitischen Instrumenten gibt, sondern dass die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in allen - ich betone: in allen Regionen Europas gesteigert werden muss und deshalb über 2013 hinaus der Einsatz des europäischen Strukturfonds in allen Regionen Europas erfolgen muss.

Nur durch ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum in allen Regionen sind die Rahmenbedingungen zu erreichen, die wir brauchen, um die Kohäsionspolitik auch nach 2013 erfolgreich zu gestalten. Unabhängig davon, lieber Kollege Rolf Fischer, wie wir zu einer europäischen Sozialunion stehen, ist zur Verwirklichung der Kohäsionsstrategie der Europäische Sozialfonds als wichtigstes Arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisches Förderungsinstrument auch in Zukunft unverzichtbar.

Ich weiß nicht, ob Sie es gemerkt haben. Ich habe eine Wiederholung eingebaut, um mit einer gewissen sprachlichen Wucht dieser Forderung noch einmal Nachdruck zu verleihen. Stichwort Stilmittel.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Jürgen Weber [SPD]: Das war eine richtige Erschüt- terungswelle!)

Die europäischen Strukturfonds wirken aber nicht nur durch die ausgeschütteten Gelder, sie tragen dazu bei, dass sich die regional handelnden Akteure auf ein gemeinsames Ziel fokussieren. Wir stehen zu dem System der Multi Level Governance, das wir hier gemeinsam in einer Stellungnahme verabschiedet haben, mit dezentraler Verantwortung in den Fördergebieten. Nur die stellt sicher, dass Europa gemeinsame Ziele mit kohärenten Maßnahmen verfolgt.

Es gibt eine ganz enge Verbindung - auch das sollte Erwähnung finden - zwischen der Kohäsionspolitik und dem EU-Beihilferecht. Eine Reform der EUKohäsionspolitik kann daher nicht ohne eine Überprüfung des Beihilferechts erfolgen. Wer das Europa der Regionen will, muss auch differenzierte Lösungen vor Ort zulassen.

Die Effizienz und Effektivität der europäischen Kohäsionspolitik muss ständig überprüft werden, gerade wenn die Finanzmittel knapper werden. Die Effizienz und Effektivität der europäischen Mittel kann durch die Erschließung privater Ressourcen zusätzlich gestärkt werden.

Wir brauchen künftig einfache, transparente und leistungsfähige Kontrollverfahren. Ich denke, wir

müssen uns als Region in dieser Hinsicht im europäischen Vergleich keineswegs verstecken. Wir sind dort absolut konkurrenzfähig. Die Anerkennung bewährter nationaler zuwendungsrechtlicher Vorschriften - das ist ein wichtiger Punkt - sollte hierbei ausreichen.

Die Verbindung der EU-2020-Strategie mit der Kohäsionspolitik ist sinnvoll, da mit dem dezentralen Ansatz dieser Politik die Ziele, die in der EU2020-Strategie formuliert werden, gewährleistet sind. Als Landtag sollten wir die kurzen Fristen dieser Strategie deutlich kritisieren. In diesem Punkt sind sich beide Anträge ja einig, sofern sie sich auch in wesentlichen Punkten unterscheiden. Wir lehnen beispielsweise die Schaffung einer europäischen Sozialunion ab. Wir sind für ein „Soziales Europa“, aber bitte schön für ein „Soziales Europa“ vor Ort und nicht für eine europäische Monstersozialbehörde, die aus Brüssel versucht, unsere Sozialprobleme hier vor Ort zu regeln.

(Beifall bei CDU und FDP)

Da unterscheiden wir uns sehr stark in den Anträgen. Wir haben das beispielsweise anlässlich Ihrer Großen Anfrage zum Thema „Soziales Europa“ bereits diskutiert. Wir müssen jedoch feststellen, dass das vorgelegte Europa-2020-Papier der Kommission nicht einmal auf nationaler Ebene ausreichend beraten werden kann. Der Bundesrat könnte ja in einem normalen Verfahren bis Ende des Monats hierzu auch keine Stellung nehmen. Das ist kein Problem unseres Föderalismus, sondern es ist ein Problem der kurzen Fristen, die hier schon genannt wurden und die wir als Landtag einfach nicht hinnehmen können.

Natürlich ist auch unser Antrag mit einer gewissen heißen Nadel gestrickt. Das geht auch gar nicht anders innerhalb der im Grunde wenigen Stunden, die man hat.

Deshalb ist es natürlich gut, wenn es vorgegebene Ziele gibt, wie beispielsweise die Senkung des Anteils der Schulabbrecherquote auf unter 10 %, die Erreichung der 2020-Klimaschutz- und Energieziele, die Verwendung von 3 % des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung und eine Erwerbstätigenquote von 75 % der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahre. Das ist sicherlich alles gut gemeint und diskussionswürdig, aber wir müssen auch sagen, das greift im Kern auf Kompetenzen zu, die auf nationaler, teilweise auch auf regionaler Ebene liegen. Damit geht die EU-2020-Strategie, wie sie jetzt vorliegt, deutlich weiter als der Vertrag von Lissabon. Auch das können wir als

Landtag so nicht hinnehmen. Auch hier geht es um richtig viel Geld.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie haben in der Diskussion vielleicht mitbekommen, dass im Zuge der EU-2020-Strategie, die im Vorwege diskutiert wurde, auch Sanktionen zu verteilen sind an diejenigen, die diese Ziele nicht erreichen. Davon ist man offensichtlich in Brüssel abgegangen und geht dazu über, Fördermittel auch nach Leistung zu vergeben. Zumindest hat das auch Herr van Rompuy kürzlich wieder gesagt. Da geht es also auch für uns um richtig viel Geld. Dann wollen wir auch mitreden, wenn es darum geht, diese Ziele zu definieren. Wir brauchen auch mehr Transparenz, wie die EU-Kommission zu diesen Zielen kommt.

Man mag zum Bildungsföderalismus stehen wie man will, aber solange wie wir ihn haben, darf ein derart weitgehender Eingriff der EU nicht erfolgen. Das dürfen wir uns als Land nicht gefallen lassen.

Meine Damen und Herren, es gibt in den beiden Anträgen durchaus unterschiedliche Punkte. Ich habe darauf hingewiesen. Aber wir sollten vielleicht, wenn wir die Anträge gleich alternativ abstimmen, darauf hinweisen, dass wir in einem Punkt einig sind: Eine derart kurzfristige Diskussion wird der Bedeutung des politischen Themas keineswegs gerecht. Hier geht es um wichtige Zukunftsfragen unseres Landes, und hier sollten wir uns als Landtag auch gemeinsam wehren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Jens-Uwe Dankert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat es eben schon gesagt: Die EU setzt uns immer sehr enge Zeitrahmen. Auch heute müssen wir zu einer Abstimmung kommen, um nicht irgendwelche Fristen zu versäumen.

Aber zur Sache: Die Strategie Europa 2020 knüpft an die Lissabon-Strategie an. Vor zehn Jahren wurde beschlossen, die Europäischen Union bis 2010 zur dynamischsten, wettbewerbsfähigsten und wissensbasiertesten Wirtschaft der Welt zu machen. Hier müssen wir ganz offen eine nüchterne Bilanz

(Niclas Herbst)

ziehen. Die Realität zeigt, dass dies leider nicht mehr als eine Illusion ist.

Eine neue Strategie, welche die Mängel der letzten Strategie in Betracht zieht und selbstverständlich die Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise verarbeitet, ist daher notwendig. Erster Schritt müsste sein, dass die Europäische Kommission überambitionierte Zielvorstellungen aufgibt und stattdessen Reformziele definiert, die individueller auf die einzelnen Länder oder Ländergruppen zugeschnitten sind. Meine beiden Vorredner haben das auch schon gesagt. So könnten nachhaltige und passgenaue Entwicklungen in Gang gesetzt werden.

Ebenso ist bei der Ausgestaltung der Strategie die feinausgesteuerte Aufgabenverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten von der Kommission zu berücksichtigen. Kritisch ist hier an vorderster Stelle das Ansinnen der Kommission zu nennen, Quoten für die Länder in den Bereichen Schulabbrecher und Hochschulabschlüssen zu stellen.

Bildung ist - auch das hat der Ministerpräsident eben schon gesagt - und bleibt Ländersache. So löblich die hier genannte Zielvorgabe ist, muss doch das Subsidiaritätsprinzip gewahrt bleiben.

Meine Fraktion sagt daher sehr deutlich: Die Bildungshoheit liegt mit gutem Recht bei den Mitgliedstaaten. Die im Vertrag sehr eng gefasste Gemeinschaftskompetenzen im Bildungsbereich dürfen nicht unzulässig ausgeweitet werden.

Gleichermaßen kritisch ist die Ankündigung der Kommission aufzunehmen, verstärkt Verordnungen anstelle von Richtlinien zu nutzen. Eine Verordnung kann zwar im Einzelfall das bessere Regelungsinstrument sein, aus Gründen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ist jedoch allgemein Richtlinien, die den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung ihrer spezifischen Gegebenheiten belassen, der Vorzug zu geben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung sind und bleiben die zentralen Herausforderungen für die Zukunft Europas. Aus unserer Sicht kann die Strategie 2020 nur durch eine vernünftige Strukturpolitik zu einem Erfolg werden. Die Prioritäten der Strategie müssen sich einmal in den Haushaltsansätzen der EU, aber auch insbesondere in der Strukturpolitik wiederfinden. Für uns Liberale muss eine vernünftige und künftige Kohäsionspolitik der Union zwei Grundsätze befolgen: Erstens. Es müssen alle Regionen von der Kohäsionspolitik profi

tieren. Zweitens. Den Regionen sollten weitere Zuständigkeiten in diesem Bereich übertragen werden.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Vorund Nachteile der Zusammenlegung von EU-Fonds bewertet werden. Grundsätzlich sind die Ergebnisse der Strukturfonds zu optimieren, die Verwaltungsverfahren in diesem Bereich sind zu vereinfachen, und es müssen neue Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Innovation und berufliche Bildung gesetzt werden.

Der vorgelegte Strategieentwurf ist trotz Kritik in Teilbereichen zugegeben ein Anfang. Es sollten aber noch weitere Evaluationen stattfinden, welche die Umsetzungsmängel der letzten Strategie aufdecken.

Zudem müssen wir uns fragen, wie wir in Schleswig-Holstein mit der sich jetzt entwickelnden Strategie umgehen wollen, denn die Ziele - dies haben auch meine Vorredner und der Ministerpräsident betont - müssen vor Ort umgesetzt werden. Wenn wir überhaupt zu einem Erfolg kommen wollen, müssen alle politischen Ebenen zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen. Das gilt natürlich auch für die Formulierung einer Strategie. Auch hier müssen alle Ebenen unter der Vorgabe eines zukünftigen Zeitfensters eingebunden werden.

Ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Bundesund Europaangelegenheiten, Heinz Maurus - er ist hier -, hat mir und meiner Fraktion in dieser Hinsicht sehr wichtige Erkenntnisse gebracht. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen dafür.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend trotz der durchaus gerechtfertigten Kritik in einzelnen Politikbereichen, trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und trotz der erlittenen Rückschläge in der letzten Zeit einen positiven Ausblick wagen und an die Worte unseres ehemaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher erinnern. Er stellte schon vor über 30 Jahren fest, dass Europa als Schicksalsgemeinschaft freiheitlicher Demokratien das einzige Modell mit Zukunft sei. Ich füge zuversichtlich hinzu: So war es, so ist es, und so wird es auch bleiben.

Aufgrund der laufenden Fristen beantrage ich für die FDP-Fraktion Abstimmung in der Sache und werbe um Zustimmung für den Antrag der bürgerlichen Koalition.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Jens-Uwe Dankert)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Bernd Voß das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir sind alle Bürgerinnen und Bürger und nicht nur ein Teil dieses Hauses, der sich gern so tituliert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Die Kommission beschwört in der Einleitung einen Neuanfang, kein „business as usual“. Angesichts der Klima-, Finanz- und Wirtschaftskrise ist es höchste Zeit, dass in der EU umgesteuert wird. Die Lissabon-Strategie ist gescheitert, haben wir heute bereits mehrfach gehört. Sie war von der Eindimensionalität gekennzeichnet, Europa nur auf den ökonomischen Wettbewerb zu trimmen. Die neue Strategie kann aber nur erfolgreich sein, wenn wir es wirklich schaffen, Wirtschaftskrise, Energiekrise, Klimakrise und die soziale Krise gemeinsam zu lösen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Wir brauchen einen Green New Deal auch in Europa, wir brauchen andere Berechnungsgrundlagen für den Wohlstand in unserer Gesellschaft, ein grünes Bruttoinlandsprodukt, ein grünes BIP.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Zwar soll das Wachstum nach dem Vorschlag der EU-Kommission intelligent, nachhaltig und integrativ sein, da passt dann irgendwie alles hinein. Aber Wirtschaftswachstum abzukoppeln vom Wachstum des Ressourcenverbrauchs, vom Wachstum des Verkehrsaufkommens, das geht schlicht und einfach nicht durch simple Absichtserklärungen. Im Moment ist es noch so, dass das Einknicken der Wirtschaft infolge der Finanzkrise weit mehr an Klimaschutzeffekten gebracht hat als alle Bemühungen der Klimaschutzpolitik auf nationaler und internationaler Ebene zusammen. Dieses Spiel darf so nicht sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es fehlen auch in der Agenda 2020 ambitionierte Ziele für die Entwicklung der Beschäftigung, der regenerativen Energien, der Sicherung des Klimas und der Biodiversität. Es fehlt an konkreten Vor