Protocol of the Session on March 18, 2010

In unserer Gesellschaft muss die Sensibilität geweckt werden, verstärkt hinzuschauen und verstärkt auch darauf zu achten, dass niemand ausgegrenzt wird. Inwieweit das durch eine weitere Verfassungsänderung nachhaltig geschafft wird, muss neben dem Innen- und Rechtsausschuss auch im Sozialausschuss ausführlich beraten werden.

Der Arbeitsauftrag an den Gesetzgeber ist klar. Für uns Liberale ist das Thema Kinderrechte und damit deren Schutz und Förderung durchgängig aktuell und steht immer auf der Agenda. Das Lebensumfeld von Jugendlichen und Kindern ist, wie es in Schweden und in den Niederlanden bereits praktiziert wird, im Gesamtzusammenhang zu betrachten. Nach wie vor wird in Deutschland noch zu stark ressortorientiert gedacht und gehandelt. Zur Ausgestaltung von kind- und jugendgerechten Lebensverhältnissen sind wir alle aufgefordert; sowohl auf kommunaler als auch auf Landes- und Bundesebene. Es sind nicht nur Kinder-, Jugendoder Sozialpolitiker aufgefordert, damit alle Kinder eine faire Chance zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in unserem Land haben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Jedes siebte Kind in SchleswigHolstein lebt in Armut. In den kreisfreien Städten wie beispielsweise Kiel und Flensburg ist es sogar jedes dritte Kind. Die Bekämpfung von Kinderarmut ist eine Herausforderung, die in der Mitte der Gesellschaft ankommen muss. Die Volksinitiative vom Kinderschutzbund, der AWO und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband kommt deshalb zum richtigen Zeitpunkt. 30.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, also deutlich mehr als das Quorum verlangt, teilen diese Position. Kinderarmut ist eine sehr vielschichtige Herausforderung. Sie ist besonders dramatisch, weil Kinder nicht selbstverschuldet in ihre Lage geraten. Gesundheitliche Probleme, materielle Armut und geringere Bildungschancen können exemplarisch

(Anita Klahn)

dazu genannt werden. Meine Vorrednerinnen sind darauf eingegangen.

Aber auch die psychische Belastung von Kindern, zum Beispiel aufgrund von fehlender Markenkleidung oder anderer Statussymbole gehänselt zu werden, ist ein sehr großes Problem. Um Kinderarmut zu bekämpfen, müssen deshalb sehr viele unterschiedliche und sehr konkrete Schritte unternommen werden. Wir haben als grüne Fraktion schon in der letzten Legislaturperiode eine Menge an konkreten Forderungen aufgestellt. Beispielsweise fordern wir eine Qualitätsoffensive für Kitas und Ganztagsschulen oder auch die Unterstützung von konkreten Initiativen vor Ort. Wir halten aber auch eine eigenständige Kindergrundsicherung für unerlässlich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Silke Hinrichsen [SSW])

Auch diese gehört zum Forderungskatalog des Bündnisses gegen Kinderarmut. Das Bündnis beschränkt sich eben nicht nur auf den wichtigen Schritt einer Verfassungsänderung. Nein, das Bündnis kommt in diesem Rahmen auch mit konkreten politischen Forderungen. Dieser Rahmen muss aber gewährleistet sein. Die konkreten Initiativen zur Bekämpfung von Kinderarmut machen eingebettet in einen Rahmen auch mehr Sinn. Die Änderung der Landesverfassung kann dieser Rahmen sein.

Konkrete Schritte sind wichtig. aber eine gesetzliche Absicherung ist absolut notwendig. Die Bekämpfung von Kinderarmut als Staatsziel festzuschreiben, kann nicht als Überfrachtung der Verfassung abgetan werden, wie dies in der Vergangenheit bei Argumentationen auch vonseiten der FDPFraktion durchklang. Eine moderne Verfassung muss aktuelle Herausforderungen berücksichtigen und aufnehmen. Kinderarmut ist aus Sicht unserer Fraktion eine solche Herausforderung. Die gesellschaftspolitische Bedeutung einer Verfassungsänderung darf deswegen nicht unterschätzt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Sie als Regierungsfraktionen, als die Fraktionen, die sich noch nicht eindeutig positioniert haben, müssen sich bekennen. Frau Klahn, aus Ihrem Redebeitrag habe ich dies nicht herausgehört. Dies ist eine politische Diskussion und keine formaljuristische, wie sie so oft stattfindet. Sie müssen sich fragen, ob Ihnen Kinderarmut so wichtig ist, dass ihre Bekämpfung durch eine Staatszielbestimmung aufgewertet werden soll oder eben nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir als grüne Fraktion freuen uns ausdrücklich, dass alle Oppositionsfraktionen hinter der Volksinitiative stehen und dies auch immer getan haben. Die Äußerungen der Opposition waren in der Vergangenheit sehr deutlich, aber auch die großen Teile der CDU-Fraktion, die diese Volksinitiative unterstützen, verdienen unsere absolute Anerkennung. Sowohl der CDA mit dem Vorsitzenden Kalinka als auch der Landtagspräsident und Vorsitzende des Kinderschutzbunds Neumünster, Thorsten Geerdts haben unsere Anerkennung verdient. Gleiches gilt auch für die vielen Leute in der CDU, die dies unterstützen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. SSW und des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Wir appellieren deswegen an Sie - jetzt klatschen Sie, Herr von Boetticher -, diese Initiative am Ende nicht aufgrund des Koalitionsfriedens abzulehnen, sondern diese Grundsatzfrage über den Koalitionsfrieden zu stellen und in der Sache zu entscheiden.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welcher Koalitionsfrieden?)

- Der uns immer vorgetäuscht wird, der Koalitionsfrieden, von dem sie immer selbst reden.

Ermöglichen Sie es Ihrem Sozialflügel in der Partei, aber vielleicht auch Ihnen selbst, fernab von Tagespolitik für diesen - so wie Herr Kalinka es formuliert - nächsten Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut zu stimmen.

Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss und hoffen auf breite Unterstützung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Frau Abgeordneter Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst bedanken auch wir uns im Namen der Linken ausdrücklich bei den Initiatoren. Der Kinderschutzbund, der Sozialverband Deutschland und die Arbeiterwohlfahrt haben mit der Volksinitiative „Kinderrechte stärken - Armut bekämpfen“ eine unverzichtbare Kampagne gestartet. DIE LINKE

(Rasmus Andresen)

wird die Volksinitiative und das sich aller Voraussicht nach anschließende Volksbegehren mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften unterstützen. Ich wollte eigentlich auch noch einmal bemerken, wie ich es finde, dass 30.000 Menschen hier in Schleswig-Holstein Unterschriften sammeln müssen, um eine Initiative, Kinderrechte in die Verfassung zu übernehmen, zu starten. Eigentlich wäre es Aufgabe dieses Gremiums gewesen, Kinderrechte und Kinderarmut hier breit zu diskutieren, sicherlich im Vorfeld schon Initiativen oder Maßnahmen zu ergreifen, aber das eventuell dann in die Landesverfassung zu übernehmen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was ist mit dem Flughafen in Lübeck?)

- Wie bitte? Den Flughafen Lübeck sollen wir auch in die Verfassung übernehmen? Herr Kubicki, da stehen Sie nicht an meiner Seite. Da habe ich eine andere Haltung, das wissen Sie.

(Lachen bei der FDP)

Wie die Initiatoren der Volksinitiative begreifen wir Kinderarmut als strukturelle Gewalt. Noch einmal, Herr Kubicki, ich glaube, wir sparen das Geld in Lübeck bei dem 4-Millionen-€-Flughafen ein, damit wir die Kinderarmut in Lübeck bekämpfen oder letztendlich das Geld dafür einsetzen, damit es den armen Kindern in Lübeck besser geht.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Dafür können Sie hier einmal breit klatschen. Das sind nämlich auch ein Wagnis und ein mutiger Vorstoß der Lübecker Politiker.

Den betroffenen Kindern werden allzu oft Chancen auf eine gute Bildung, auf eine gute Gesundheit und auf Teilhabe am Leben - sei es im Sportverein oder in kulturellen Einrichtungen - verweigert. Diese Kinder haben kaum Chancen, ihre Talente zu entfalten, sich auszuprobieren und zu verwirklichen. Ihnen wird ein wichtiger Teil der Lebensperspektive von vornherein genommen. Ich finde, es ist eine große Schande, dass die herrschende Politik dieses Landes das zulässt.

In unseren Städten ist mittlerweile jedes dritte Kind betroffen. Wir brauchen jetzt endlich eine solide, rechtsstaatliche Grundlage, mit der die Betreuung und Förderung gerade armer Kinder von klein auf zu einer Selbstverständlichkeit wird. Wir müssen unseren Rückstand gegenüber anderen europäischen Staaten aufholen und die UN-Kinderrechtskonvention endlich erfüllen.

Oft schicken gerade arme Eltern ihre Kinder nicht in Kindergärten oder melden sie vom gemeinsamen Mittagessen wieder ab, weil sie nicht wissen, wie sie Lernmittel und Gebühren bezahlen sollen. Besonders zynisch sind Kindergelderhöhungen, die mit Hartz-IV-Zahlungen verrechnet werden, sodass kein Cent davon bei den Kindern ankommt. Wir müssen unseren Rückstand gegenüber anderen europäischen Staaten aufholen und die UN-Kinderrechtskonvention erfüllen. Auch deswegen ist die von der Volksinitiative angestrebte Änderung unserer Landesverfassung längst überfällig.

Armut ist keine Naturgewalt, schon gar nicht in einer nach wie vor sehr reichen Gesellschaft. Wenn wir hier über Armut reden, tun wir das auf Grundlage der internationalen und von der OECD verbreiteten Definition. Ich denke, wir können Armut nicht in mehrere Stufen einteilen. Es gibt keine kleine, mittlere oder große Armut. Armut ist ein Begriff, da bekommen Kinder zum Beispiel kein ordentliches Mittagessen am Tag. Demnach sind Menschen arm - das sage ich noch einmal -, die über weniger als 60 % des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens verfügen. Ich denke, das ist international auch so festgelegt.

Wenn wir hier über die Bekämpfung der Armut reden, dann geht es also allein um die Verteilung der real vorhandenen Einkommen. Während 60 % des Privatvermögens in Händen von nur 10 % der Bevölkerung ist, lebt ein Viertel der Menschen im Lande an oder unterhalb der Armutsgrenze. Wir haben also ein Verteilungsproblem, unter dem am Ende vor allem unsere Kinder leiden. Verteilungsprobleme sind aber lösbar - wenn man des denn politisch will. Und werden sie nicht im Sinne der Armen gelöst, so ist dies auch politisch gewollt. Die Ursachen der Armut sind also nicht der schwächelnde Arbeitsmarkt und zu wenig vorhandene Mittel. Die Ursache der Armut sitzt - das sage ich Ihnen, das habe ich vorhin auch schon gesagt - hier im Parlament des Landes.

(Beifall bei der LINKEN)

Niemand sonst ist zuständig - und dafür sind wir auch gewählt worden - für eine gerechte Verteilung vorhandener Einkommen und bestehender Vermögen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was die Volksinitiative will, müsste für jede Demokratin und jeden Demokraten eine Selbstverständlichkeit sein. Sie will die Rechte der Schwächsten schützen. Der einzig negative Aspekt an dieser Initiative ist, dass sie überhaupt notwendig wurde,

(Antje Jansen)

weil die herrschende Politik ihre selbstverständlichen Hausaufgaben seit etlichen Jahren massiv vernachlässigt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

(Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Antje Jansen [DIE LINKE])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder sind mit der Geburt Träger von Grundrechten. Trotzdem beschäftigen wir uns hier im Landtag aus gutem Grund wieder mit den Rechten der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft und mit der Verankerung dieser Rechte in der Verfassung. Dass dies ein sehr wichtiges Thema ist, ist sicher jedem hier klar, denn die Praxis zeigt ganz deutlich, dass Kinder und Jugendliche nicht effektiv gegen die Verletzung ihrer Rechte vorgehen und diese einklagen können. Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene, bekräftigende Klarstellung, nach der Kinder und Jugendliche sehr wohl Grundrechtsträger sind, kann ich daher voll unterstützen. Kinder müssen effektiv vor Armut und Ausbeutung geschützt werden.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Sofern die Eltern hierzu nicht in der Lage sind, muss selbstverständlich der Staat diese Aufgabe übernehmen. Doch auch, wenn diese Initiative sehr wichtig ist - auch ich möchte mich hier ausdrücklich bei den Initiatoren bedanken -, muss ich an diesem Punkt trotzdem die skeptische Haltung des SSW zur Aufnahme immer neuer Staatszielbestimmungen in die Landesverfassung betonen.

Eins ist klar: Eine Konkretisierung von Kinderrechten durch eine Änderung der Landesverfassung löst das Problem der Kinderarmut ganz sicher nicht. Die Tatsache, dass sich Gerichte in ihrer Rechtsprechung auf diese Rechte in der Verfassung berufen, wird kaum zu großen Veränderungen in der Praxis führen. Diese Initiative ist als ein Schritt in die richtige Richtung und als weitere Umsetzung der UNKinderrechtskonvention durchaus zu begrüßen und zu unterstützen. Sie dient im Idealfall als Fundament für weitere, konkretere Maßnahmen, indem sie den explizit genannten öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften einen Handlungsauftrag er

teilt. Doch dieser Auftrag muss auch angenommen und das Problem der Kinderarmut in seinem vollen Umfang und als bedeutendes gesellschaftliches Problem behandelt werden.