Protocol of the Session on March 17, 2010

Ich verweise auf einen Nebenaspekt unserer Diskussion: Wie häufig haben Sie sich hier hingestellt und gesagt: Wann kommen denn eure Vorschläge zum Aufgabenabbau, zur Entbürokratisierung? Nun legen wir sie hammerhart auf den Tisch, und nun sagen Sie: So natürlich nicht!

(Lachen bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Regen Sie sich darüber doch nicht auf! Wenn man in Ihren Kategorien von Planung denkt, ist das eine hammerharte Veränderung hier in Schleswig-Holstein. Das ist die Wirklichkeit, um die es in diesem Land geht. Dies gilt umso mehr, wenn man nicht mehr so viele Mittel für Förderprogramme hat.

(Beifall bei CDU und FDP - Glocke des Prä- sidenten)

- Herr Präsident, ich habe verstanden.

Unser neuer und mit veränderten Gesichtspunkten versehener LEP wird ein LEP der Zukunft für ein schönes Schleswig-Holstein sein.

(Anhaltender Beifall bei CDU und FDP - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut! Zugabe! - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Zurück in die 50er-Jahre!)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Regina Poersch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn hier heute Morgen etwas hammerhart ist,

dann ist das Ihr Antrag zum Landesentwicklungsplan, Herr Kollege Kalinka.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und des Ab- geordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

der uns schon seit Jahren, Sie haben es beschrieben, beschäftigt. Ich dachte zu Zeiten einer Großen Koalition, wir hätten einen gemeinsamen, einen tragfähigen Kompromiss gefunden. Nun lassen wirklich schwammige Begriffe aus dem Antrag von CDU und FDP wie „auf das Wesentliche konzentrieren“, „weniger Vorgaben machen“, „mehr Entscheidungen vor Ort“ vermuten, der Landesentwicklungsplan sei eine Geißel der kommunalpolitischen Gestaltungsfreiheit.

(Anita Klahn [FDP]: Das war er auch!)

Freiheit ist begrenzt durch das Recht des anderen, sagte Immanuel Kant. Freiheit für den einen darf nicht die Freiheit des anderen einschränken.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Das gilt für den LEP als Steuerung von Nutzungsansprüchen wie Wohnen und Gewerbe zwischen Gemeinden im ländlichen Raum und Zentralen Orten oder Städten. Mit unseren nicht endlos verfügbaren Ressourcen Boden, Wasser, Luft und fossile Energieträger haben wir schonend und sorgfältig umzugehen.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und verein- zelt bei der FDP)

An Staat und Kommunen werden bestimmte Anforderungen nach einer umfassenden Daseinsvorsorge gestellt: Krippen, Kindertagesstätten und Schulen für die einen, der Wunsch älterer Menschen nach selbst bestimmter Teilhabe am Leben auf der anderen Seite - und jeder von ihnen mit eigenen Vorstellungen von Mobilität.

Die Themen sind vielfältig, die Diskussion über die unterschiedlichen Nutzungsansprüche oft bunt und schwierig. Erschwerend kommt zu alledem noch die demografische Entwicklung hinzu. Wir müssen erkennen, dass wir Einrichtungen der Daseinsvorsorge nicht mehr überall und vor allem nicht in jedem Dorf werden vorhalten können. Wir werden Schwerpunkte setzen müssen, und die Kommunen werden sich noch stärker als bisher zusammenraufen müssen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür haben wir in Schleswig-Holstein ein funktionierendes System der Zentralen Orte. Fast 2 Mil

(Werner Kalinka)

lionen Einwohnerinnen und Einwohner leben in Schleswig-Holstein in einem Zentralen Ort, und zwar - das ist mir jetzt ganz wichtig - vom ländlichen Zentralort bis zum Oberzentrum - alle zusammen rund 68 % der Bevölkerung.

Es ist richtig, mit einem System wie dem der Zentralen Orte Infrastruktur und Versorgung der Bevölkerung so zu strukturieren, dass jeder und jede daran teilhaben kann und zugleich nicht alles überall vorgehalten wird. Denn immer neue ländliche Zentralorte verschärfen die Konkurrenz und gefährden bei rückläufigen Einwohnerzahlen die Tragfähigkeit und die Bezahlbarkeit von Versorgungseinrichtungen bereits bestehender Zentraler Orte.

(Beifall bei der SPD)

Und hier liegt nun wirklich einer der zentralen Irrtümer des Antrags der Regierungsfraktionen: Wir werden es nicht schaffen und auch schlichtweg nicht bezahlen können, dass - wie es in dem Antrag heißt - „eine ortsnahe und qualitativ hochwertige Versorgung mit Bildungseinrichtungen sowie Einrichtungen der Daseinsvorsorge, die auch eine flächendeckende medizinische Versorgung beinhaltet“ - all inclusive also - überall auf dem Land vorgehalten wird. Bitte hören Sie auf, den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen zu streuen!

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abge- ordneten Heinz-Werner Jezewski [DIE LIN- KE])

Wenn Infrastruktur auch in Zeiten demografischen Wandels bezahlbar bleiben soll, müssen wir sie bündeln und uns lieber Gedanken über die Mobilität der Zukunft machen. Im Planungszeitraum bis 2025 wird die Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins um rund 70.000 sinken. Die sich rasch verändernden Ansprüche einer deutlich wachsenden Zahl älterer Menschen an Wohnen und Infrastruktur müssen wir berücksichtigen. Wir reden dabei über Menschen, die im Jahr 2025 75 Jahre alt sind - also über den Geburtsjahrgang 1950. Als Beispiel möchte ich den von mir sehr geschätzten Kollegen Lothar Hay anführen. Seine Ansprüche im Alter werden völlig andere sein als die derjenigen, die heute 75 Jahre alt sind.

(Beifall und Heiterkeit - Christopher Vogt [FDP]: Er hat auch hohe Renten- und Pensi- onsansprüche!)

Was für die Grundversorgung der Bevölkerung gilt, gilt selbstverständlich auch für die Ansiedlung von Gewerbe. Wer die notwendige Infrastruktur

bereitstellen, instand halten und vor allem bezahlen will, muss neues Gewerbe steuern und bündeln. Das ist keine ausschließlich sozialdemokratische Idee, sondern gängige Praxis in ganz Deutschland. Die Regierungsfraktionen haben bei ihrem Antrag offenbar vergessen, dass das Zentralörtliche System eben nicht nur aus Oberzentren besteht. Die Zentralen Orte sind in der Mehrzahl auch kleine ländliche Zentralorte. Nun fordert Ihr Antrag „Kooperation auf freiwilliger Basis“ zwischen Städten und Umlandgemeinden auf Augenhöhe. Ob Einrichtungen der Versorgungsinfrastruktur, Siedlungs-, Gewerbeentwicklung oder Verkehr: Freiwilligkeit führt grundsätzlich eher zum Ziel, da bin ich völlig Ihrer Meinung. Dazu gehört aus meiner Sicht aber auch, dass beide Seiten aufeinander zugehen und sich nicht die stärkere Seite auf ein hohes Ross begibt.

Wie gut das mit der Freiwilligkeit klappt, zeigt gegenwärtig die Diskussion über die Ansiedlung eines IKEA-Möbelhauses in Lübeck mit angegliedertem skandinavischem Einkaufszentrum mit zusätzlichen 60.000 m² Verkaufsfläche - ein Riesending, gegen das die umliegenden Städte, Gemeinden und Kreise Sturm laufen, denn sie befürchten zu Recht, dass durch dieses riesige Einkaufszentrum die Innenstädte - zum Beispiel in Neustadt oder Eutin - ausbluten, und diese gewachsenen Innenstadtstrukturen haben es wahrlich schwer genug.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Und hier zieht das eine das andere nach sich: Ohne funktionierende Einzelhandelsstrukturen in den Innenstädten unserer Unter- und Mittelzentren wird sich eben keine medizinische Versorgung, keine Grundversorgung angliedern.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

- Nein, Herr Kollege Kalinka, das klappt eben nicht nur freiwillig. Der Landesentwicklungsplan muss auch Regeln enthalten, wenn Freiwilligkeit allein nicht ausreicht.

(Beifall der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD] - Werner Kalinka [CDU]: Auf wessen Seite stehen Sie in Lübeck?)

Ich möchte noch einmal Kant zitieren: Die Freiheit ist begrenzt durch das Recht des anderen. - Der Landesentwicklungsplanentwurf von 2009 gab hier die richtigen Antworten. Leider geht durch Ihren

(Regina Poersch)

Freiheit-für-alle-Antrag manches verloren, was sinnvoll wäre und dem Landesentwicklungsplan durchaus guttäte. Denn bei der sorgfältigen Regulierung - ich stutze da so ein bisschen, denn auf einmal möchte die Deregulierungsregierung offenbar doch etwas regeln - des Flächenverbrauchs von Photovoltaik-Anlagen, Windparks, Biogasanlagen mit den allzumal verbundenen Problemen sind wir an Ihrer Seite. Manches in Ihrem Antrag zeugt jedoch von erschreckender Unkenntnis.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer hat Ihnen eigentlich erzählt, dass vorhandenes Gewerbe auch im Außenbereich keinen Bestandsschutz genieße und Sie das dringend ändern müssten?

Auch Ihre Darstellung, die Begrenzung des Wohnungsneubaus würde die Kommunen einschränken, soll wohl nur bewusst in die Irre führen.

(Ursula Sassen [CDU]: Dazu kann ich ein Beispiel nennen!)

Es gab auch im bisherigen LEP-Entwurf keinerlei quantitative Beschränkung in Zentralen Orten, in Gemeinden auf den Siedlungsachsen und in Gemeinden mit ergänzender überörtlicher Funktion.

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

Nur in den übrigen Regionen - wenn man sich das einmal anguckt, sind das gar nicht mehr so viele sollte die berühmte 10-%-Regelung nach dem LEP-Entwurf gelten. Diese schon vom damaligen Innenminister Lothar Hay gewollten 10 beziehungsweise 15 % waren keineswegs willkürlich gegriffen, sondern ließen sich aus dem voraussichtlichen Wohnungsbedarf errechnen. Nur mit dieser Regelung kann Infrastruktur in ganz SchleswigHolstein erhalten und können künftige Leerstände in ländlichen Wohngebieten sowie zunehmender Flächenverbrauch vermieden werden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Zu weiteren Forderungen Ihres Antrags an dieser Stelle noch ein paar Anmerkungen. Entwicklungsachsen sollen nicht nur die A 1, A 7, A 23 sein, nein, gleich auch die A 20, die A 21, die A 24, die B 404, die Landesstraßen 199, 201, 202, 203 - ach was, gleich alle notwendigen Verkehrsanbindungen. Aus meiner Sicht haben Sie die B 76, die B 207 und die Landesstraßen 55, 56, 163 und 309 vergessen.

Diese Aufzählung zeigt Ihnen hoffentlich die Absurdität Ihres Antrags. Lassen Sie sich gesagt sein: Wer Vielfalt will, wird schnell beliebig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)