Protocol of the Session on December 10, 2008

(Karl-Martin Hentschel)

Dies ist auch keine betriebliche Weihnachtsfeier, Herr Stritzl, wo man durch das gleichmäßige Verteilen von Geschenken für Stimmung sorgt. Dies ist die harte Wirklichkeit der Krise in einem wohlhabenden Land, wo klare Strukturentscheidungen notwendig sind und entschlossenes Handeln im Interesse der Zukunft verlangt ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, machen Sie den Weg frei für Neuwahlen! Das Land hat eine andere Regierung verdient.

(Anhaltender Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat das Wort die Frau Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Offenbarungseid der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers Mitte September und die gescheiterte Strategie der HSH Nordbank, die schleswig-holsteinische Öffentlichkeit mit nur so vielen Informationsbrocken zu füttern, wie die aktuelle Entwicklung auf dem Finanzmarkt hergab, führte den Menschen in unserem Land erstmals so richtig vor Augen, dass wir es nicht mit einer virtuellen, sondern mit einer realen Finanzkrise zu tun haben, mit einer Krise, die Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum kostet.

In keinem europäischen Land ist dieser Prozess der Erkenntnis so konkret zu beobachten wie derzeit in Island. Trotz Kälte demonstrieren Tausende von Menschen von Woche zu Woche vor dem Parlamentsgebäude und der isländischen Notenbank. Noch nie war dort der Abstand zwischen Regierenden und Regierten so groß wie in diesen Wochen. Man spricht davon, dass Island durch die Machenschaften von 16 Familien in einen finanziellen Abgrund gestürzt worden ist. Ausbaden müssen dies insbesondere Menschen, die ein ganz normales Leben führen, ohne in irgendeiner Weise an dem Abzocken der Banken beteiligt gewesen zu sein.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die ehemalige Präsidentin Islands, Vidgis Finnbogadottir, die auch heute noch ein hohes Ansehen

genießt und liebevoll „Mutter des Volkes“ genannt wird, fasste in einem Interview kürzlich die Gemütslage der Menschen so zusammen: Man sei schockiert, empfinde Wut, Trauer und Scham. Denn die Isländer seien sich sehr wohl bewusst, dass es für sie als kleine Nation von besonderer Bedeutung sei, einen guten internationalen Ruf zu genießen. Man habe ja auch viel zu bieten - sagt sie -, ein hohes Ausbildungsniveau, eine gelebte Wohlfahrtsgesellschaft und ein aktives Kulturleben. Dies alles mit über die Runden zu bringen, stelle für Island eine zusätzliche Herausforderung dar.

Nun kann man natürlich zu Recht einwenden, dass Deutschland überhaupt nicht mit Island vergleichbar ist, nicht nur, weil bei uns mehr Ressourcen zur Verfügung stehen und Deutschland - schon allein wegen seiner Größe und geografischen Lage - mit sehr viel komplexeren Problemen fertig werden muss. Dennoch beinhaltet die Finanzmarktkrise in der Bundesrepublik grundsätzlich die gleichen psychologischen Elemente wie die isländische. Daher geht es bei den Strategien zur Bewältigung der Krise letztlich darum, wie das Vertrauen in unsere Demokratie bei allen getroffenen und noch zu treffenden Entscheidungen nicht den Bach runtergeht.

Bei der Debatte im Bundestag über das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde mehrfach davon geredet, dass der Finanzmarkt ein öffentliches Gut ist, das vom Staat geschützt werden muss, weil stabile und funktionsfähige Finanzmärkte die Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft sind. Sie sind fundamentaler Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung, damit Betriebe investieren und die öffentliche Hand die notwendige gesellschaftliche Infrastruktur, sprich Straßen, Schienen und Gebäude, vorhalten kann.

Wer so argumentiert, muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass es sehr abstrakte Argumente sind und dass sich solche Sätze leicht hohl anhören, wenn sie mit der sozialen Wirklichkeit vor Ort konfrontiert werden. Der eigentliche Lakmustest bei der Sicherung unserer Wirtschaftsordnung heißt daher aus Sicht des SSW, dass alle steuerfinanzierten Rettungs- und Strukturmaßnahmen auch in der Gesellschaft ankommen müssen, und zwar sozial gerecht. Alles andere wäre nicht hinnehmbar.

Die neuesten Prognosen über das Wirtschaftswachstum für 2009 fallen leider sehr viel schlechter aus, als noch bei der ersten Lesung des Landeshaushalts vermutet wurde. Die Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass das Wachstum im nächsten Jahr um mindestens 0,8 % fällt und dass sich die Wirtschaft erst ab 2010 langsam wieder erholen

(Karl-Martin Hentschel)

wird. Dies ist die positivste Prognose, es kann auch noch schlimmer kommen.

Natürlich wird so ein wirtschaftlicher Einbruch auch negative Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben und damit auch auf den schleswigholsteinischen Landeshaushalt. Wir müssen davon ausgehen, dass die Steuereinnahmen sinken werden und die Ausgaben des Staates ansteigen, zum Beispiel wegen des zu erwartenden Anstiegs der Arbeitslosenzahlen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist alles aber noch Kaffeesatzleserei. Wir müssen uns aber wohl oder übel darauf einstellen, dass die November-Steuerschätzung, auf der der Landeshaushalt ja beruht, noch nicht die Folgen der künftigen Entwicklung mit abbildet.

Umso wichtiger ist es, dass die Politik jetzt handelt, um diesen Abwärtstrend aufzuhalten, damit die Konjunktur in Schleswig-Holstein, in Deutschland und auch in Europa nicht völlig einbricht. Dabei geht es längst nicht mehr darum, über die Banken einen Schutzschirm aufzuspannen, wie es Bund und Länder gemacht haben. Jetzt müssen alle Maßnahmen der sogenannten Realwirtschaft den Unternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern direkt zugute kommen. Damit die Nachfrage nicht völlig einbricht, muss man entweder die Steuern senken - wird gesagt - oder der Wirtschaft durch zusätzliche Investitionen neue Impulse geben.

Diese Weichenstellung gilt übrigens ebenso - wenn auch in begrenztem Umfang - für den heute zu beschließenden Landeshaushalt. Die FDP hat ja einen Vorschlag eingebracht, zu dem wir uns in einer späteren Debatte verhalten werden.

In anderen Ländern hat man diese Botschaft viel schneller begriffen als in Deutschland. Dort hat man große Programme entweder schon beschlossen, wie in Großbritannien, wo die Mehrwertsteuer gesenkt wird, oder man hat sie angekündigt, wie in den USA, wo der neue Präsident Barack Obama unerhörte Summen in die Stabilisierung der Konjunktur investieren will.

Die Große Koalition in Berlin musste leider zu ihrem Beschluss getragen werden - wobei die Kritik am viel zu geringen Volumen des Konjunkturprogramms nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den Reihen der Regierungskoalition kommt. Fest steht erst einmal, dass die Bundesregierung ein Paket geschnürt hat, das laut Bundeskanzleramt ein Volumen von 31 Milliarden € hat. Dabei stehe Deutschland in Europa an zweiter Stelle, heißt es. Was aber offenbar verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass hinter dieser riesigen Summe ein Sam

melsurium aus alten und neuen Maßnahmen steht. Zudem zieht die Große Koalition Presseberichten zufolge einfach die Ausgaben für mehrere Jahre zu einer Summe zusammen. Bei genauem Hinsehen umfasst das eigentliche Konjunkturpaket für das Jahr 2009 zum Beispiel staatliche Mehrausgaben und Mindereinnahmen von gerade einmal 4,1 Milliarden €. Obendrauf kommen nach Lesart der Bundesregierung weitere schon im Oktober beschlossene Maßnahmen, zum Beispiel die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung. Auf das Jahr 2009 bezogen, wo nach Ansicht fast aller Ökonomen der größte Handlungsbedarf besteht, entfallen davon aber nur 6 Milliarden €.

Aus Sicht des SSW ist es richtig und notwendig, dass sich die Politik der Aufgabe stellt, wie mit Blick auf die zu erwartende weltweite Rezession mithilfe von Konjunkturprogrammen gegengesteuert werden kann. Dass Konjunkturprogramme Sinn machen, kann man mittlerweile auch in wissenschaftlichen Studien nachlesen, will heißen: Wenn die Wirtschaft auf der Kippe steht, kann der Staat sie sehr wohl vor dem Absturz bewahren, wenn die Eingriffe zum richtigen Zeitpunkt kommen und zielgenau und zeitlich begrenzt sind.

Es ist aber fraglich, ob das beschlossene Konjunkturprogramm der Bundesregierung den formulierten Erwartungen gerecht wird. Denn vieles deutet wie ich sagte - darauf hin, dass wir es eher mit Flickschusterei als mit einem Konjunkturprogramm aus einem Guss zu tun haben. Auch die Tatsache, dass die Bundesländer nicht von Anfang an mit am Verhandlungstisch saßen, spricht gegen die Seriosität des Bundespakets. Hinzu kommt die eigentliche Gretchenfrage, wie die Nachhaltigkeit des Programms gesichert ist. Die Fahrer großer Autos von der Kfz-Steuer zu befreien, trägt nun wirklich nicht dazu bei.

Auch brauchen wir ein Konjunkturprogramm, das schon 2009 Wirkung erzielen kann. Was wir aber ganz sicher nicht brauchen, sind pauschale Steuerentlastungen,

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

zumal die umfangreichen Steuersenkungen ab 2000 dazu geführt haben, dass die Staatsquote in Deutschland zwischen 1999 und 2008 von 48 % auf 43,5 % zurückgegangen ist. Was diese Steuerausfälle für Schleswig-Holstein bedeutet haben, ist in jeder Statistik über die Verschuldung unseres Landes nachzulesen.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die jetzige Situation des Landes hat auch damit zu tun. Ich finde, das vergisst man manchmal.

Wir haben uns in der letzten Landtagstagung mit dem Problem der schrumpfenden Mittelschicht befasst. Das ist auch ein schleswig-holsteinisches Problem, und dabei geht es in erster Linie darum, dass die Gruppe der Durchschnittsverdiener schrumpft und dass die soziale Mobilität nach oben für die unteren Einkommensschichten gesunken ist. So meldete die Regionaldirektion Nord der Arbeitsagentur kürzlich, dass die Zahl der sogenannten „Aufstocker“ zwischen 2007 und 2008 deutlich gestiegen ist - um 18,5 %, um genau zu sein. Am deutlichsten war übrigens der Zuwachs in SchleswigHolstein, wo im April rund 48.000 Menschen als Aufstocker bei der Arbeitsagentur geführt wurden ein Anstieg um 20 % gegenüber dem Vorjahr.

Hinter all diesen Zahlen verbirgt sich die nackte Wahrheit, dass immer mehr Menschen auf einen Hartz-IV-Zuschlag angewiesen sind, um überhaupt über die Runden zu kommen, dass sie praktisch am Rande eines Existenzminimums leben. Dies zu ändern, verlangt handfeste arbeitsmarktpolitische Initiativen. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass es um Mindestlöhne, um Tariftreue und auch um eine andere Bildungs- und Qualifizierungspolitik gehen muss.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für den SSW steht dabei fest, dass ein Konjunkturprogramm auch daran zu messen ist, ob es solche Ansätze unterstützt oder die soziale Kluft in der Gesellschaft eher vertieft.

(Beifall beim SSW)

Wir brauchen also eine Streckung der Progressionszone durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine weniger aggressive Progression bei den unteren Einkommen. Wir brauchen auch eine Änderung dieses Hartz-IV-Rahmens.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Eine solche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen könnte durchaus von den Topverdienern mitfinanziert werden. Aus Sicht des SSW würde so eine Steuerreform Sinn machen. Sie wäre auch eine sinnvolle Ergänzung zu den beschlosse

nen Konjunkturprogrammen und auch eine Antwort auf die Frage, wie sich die Politik trotz Wirtschaftskrise für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen kann.

Dies alles sind also die Rahmenbedingungen, die erwähnt werden müssen, wenn man sich mit den Landesfinanzen für die nächsten zwei Jahre beschäftigt. Wir leben leider nicht auf einer Insel der Glückseligen, und von daher lässt sich der vorgelegte Haushaltsentwurf für den Doppelhaushalt 2009/2010 bedauerlicherweise nicht auf eine einfache Formel reduzieren. Er ist eine durchwachsene Angelegenheit, weil er trotz positiver Ansätze auf ausgesprochen wackeligen Beinen steht. Das sage ich ausdrücklich auch vor dem Hintergrund der Belastungen, die sich für den Landeshaushalt womöglich noch aus der Sanierung der HSH Nordbank ergeben.

Wie kein anderer hat in den vergangenen Wochen der Präsident des Landesrechnungshofs auf die bestehenden Schieflagen des Haushaltsentwurfs aufmerksam gemacht. Auch wenn der SSW nicht alle Schlussfolgerungen des Landesrechnungshofs teilt, nehmen wir seine Kritik ernst, führt sie uns doch vor Augen, dass der Spagat zwischen Haushaltskonsolidierung und politischem Gestaltungswillen nicht so groß sein darf, dass die Hosen reißen. Für den SSW heißt Haushaltskonsolidierung unter anderem, dass es transparente und einzuhaltende Kriterien dafür geben muss, wie unter der Maßgabe der Konsolidierung der Haushalt aufzustellen ist. Davon sind wir aber noch weit entfernt.

Es gibt aber auch Situationen, die besondere Maßnahmen erfordern. Die aktuelle wirtschaftliche Krise ist so eine Situation. Ohne die Aufnahme neuer Schulden wäre es nicht möglich gewesen, die notwendigen Investitionen - zum Beispiel im Bildungsbereich - zu tätigen. Ich gehe davon aus, dass dies auch von einer Mehrheit im Finanzausschuss so gesehen wird, sonst habe ich die Fraktionsanträge zum Haushalt völlig falsch gelesen. Sowohl für 2009 als auch für 2010 plant die Landesregierung jetzt über 600 Millionen € Schulden aufzunehmen. Das ist eine gewaltige Summe. Sie ist aber immer noch innerhalb der Verfassungsgrenze, da die Summe der Kredite die Summe der Investitionen nicht übersteigt.

Der SSW begrüßt, dass die Landesregierung verstärkt auf Investitionen setzt. Nur so wird es letztlich möglich sein, die Einnahmesituation des Landes zu verbessern. Genau darauf kommt es an. Aus Erfahrung wissen wir, dass es nicht möglich ist, das Land gesund zu sparen. Daher begrüßen wir, dass

(Anke Spoorendonk)

die Landesregierung beschlossen hat, eine ganze Reihe von Investitionen vorzuziehen, zum Beispiel im Bereich Straßenbau und Schulbaumodernisierung.

(Beifall beim SSW)

Das macht unserer Meinung nach auch sehr viel mehr Sinn, als jetzt ein eigenes Konjunkturprogramm aufzulegen. Das sage ich in Richtung der FDP.

(Beifall beim SSW)

Dennoch misst der SSW die Große Koalition auch an ihren selbst gesteckten Zielen der Haushaltskonsolidierung, zumal sie 2005 großspurig mit der Behauptung antrat, dass nur eine Große Koalition imstande ist, Großes zu vollbringen. Dass dem so nicht ist, wussten wir schon damals, denn es ist Logik für Perlhühner, dass es in einer Großen Koalition in erster Linie darum geht, einander in Schach zu halten. Die Kritik, die Regierungskoalition habe es versäumt, in wirtschaftlich besseren Zeiten mehr für die Haushaltskonsolidierung zu tun, ist aus unserer Sicht nicht ganz von der Hand zu weisen. Die stillen Tage in Kiel waren mit anderen Worten vorprogrammiert. Verfehlt hat die Landesregierung vor allem das Ziel, mit ihrem Personaleinsparkonzept die Personalausgaben des Landes wirkungsvoll zu reduzieren.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])