Protocol of the Session on December 10, 2008

Das könnte man höchstens vom Finanzminister sagen, wenn er auftritt. Herr Carstensen läuft eher herum wie ein Operettenpräsident, der im Drachenboot die Parade abnimmt. Für die Wirklichkeit sind andere zuständig.

Immerhin gab es bislang noch eine Hoffnung, von der wir immer gehört haben. Die Combo Carstensen und Wiegard setzte bis zuletzt unerschütterlich auf die Föderalismuskommission. Sie hofften auf einen Airbag namens Entschuldungsfonds, der den Aufprall abfedern soll. Aber leider, der Airbag ist nur eine Luftblase. Jetzt pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass sie damit bei ihren eigenen Parteikollegen krachend gescheitert sind. Ihr Modell spielte in Wirklichkeit nie eine Rolle - außer auf Pressekonferenzen in Kiel.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein Fazit: Die SPD hat seit Längerem Orientierungsschwierigkeiten in Deutschland. Die CDU hat sowieso keinerlei Visionen für unser Land. Sie wollte nach 17 Jahren Abstinenz nur wieder an die Macht. Die Koalition hat sich nie als eine gemeinsame Regierung verstanden. Die unkontrollierte Haushaltspolitik ist die direkte Folge davon, dass keiner der beiden Partner dem anderen auch nur das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt. Ergebnis ist, dass sich die Fraktionsvorsitzenden gegenseitig in Populismus überbieten. Jeder möchte der good guy sein. Diese Koalition verwechselt Regieren mit permanentem Wahlkampf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An ihrer Spitze schwebt ein Ministerpräsident, der lieber wegschaut, wenn es ernst wird.

Die grüne Fraktion hat erneut ein Alternativkonzept zum Landeshaushalt vorgelegt. Wir hatten natürlich damit gerechnet, dass unsere Vorschläge komplett abgelehnt werden. Aber - oh Wunder! - die beiden Wohltäterfraktionen haben eine Reihe unserer Punkte übernommen - dafür bedanken wir uns -, immer nach dem Motto: Ein Häppchen für die SPD, ein Häppchen für die CDU, aber immerhin. Sie entdeckten, dass das Freiwillige Ökologische Jahr gestärkt werden muss, dass die Universität Flensburg und die Musikhochschule Lübeck mehr Geld benötigen, dass es an den Schulen an Lehrern mangelt, dass das Bündnis Entwicklungspolitischer Initiativen, das gute Arbeit geleistet hat, wieder einen Zuschuss braucht und so weiter und so fort. Wir be

(Karl-Martin Hentschel)

danken uns dafür, dass die Anträge übernommen worden sind. Teilweise hat auch die FDP sie gestellt. Sie haben aber leider etwas Entscheidendes an unseren Anträgen übersehen. Wir haben nämlich nicht nur Mehrausgaben vorgeschlagen. Da unterscheiden wir uns von unserem Oppositionspartner.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben auch Kürzungen vorgeschlagen!)

Wir haben nicht nur Mehrausgaben vorgeschlagen, sondern auch Finanzierungsvorschläge gemacht. Unser Vorschlag führt nicht zu Mehrausgaben, sondern zu einer Senkung der Nettoneuverschuldung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind nämlich der Überzeugung, dass wir uns in der dramatischen Lage, in der sich das Land befindet, große Geschenke nicht leisten können. Wir haben für den Doppelhaushalt vorgeschlagen, 28 Millionen € Mehrausgaben im Straßenbau herauszunehmen, 16 Millionen € für betriebliche Einzelförderung, die wir sowieso nicht für sinnvoll halten, zu streichen,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

10 Millionen € Sachkosten, 10 Millionen € für IT und einiges andere zu kürzen. Wir streichen jährlich 200 Stellen in der Landesverwaltung - so, wie das unter Rot-Grün jedes Jahr immer gemacht worden ist. Wir halten das für realistisch. Die Fluktuation in der Landesverwaltung ohne Bildungsbereich beträgt jährlich 1.000 Stellen. Wenn jede fünfte Stelle gestrichen wird, kommt man auf 200. Das ist realistisch. Auch wenn man in bestimmten Bereichen nicht sparen kann, kann man in anderen Bereichen umso mehr sparen. Das ist möglich, und das muss für die nächsten Jahre auch möglich sein. Der Finanzausschuss hat - bis auf die Grünen; die haben gesagt, das ist Unsinn, was ihr da macht - beschlossen, es soll eingespart werden, es soll eine Personalstrukturreform geben. Alles, was wir gefordert haben, habt ihr beschlossen. Das ist absurd. Und nun macht ihr genau das Gegenteil und wollt das heute auch noch im Landtag beschließen. Es ist nicht mehr zu fassen, was hier gemacht wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Schizophrenie wird auf die Spitze getrieben.

Lieber Herr Wiegard, angesichts der Wirtschaftsentwicklung hätten wir erwartet, dass Sie im Landeshaushalt die erkennbaren Einnahmerisiken berücksichtigen. Ihre Einnahmeschätzungen beruhen nämlich auf einem Wirtschaftswachstum, das mit Sicherheit nicht mehr zu erwarten ist.

(Minister Rainer Wiegard: Nennen Sie ein- mal eine Zahl!)

Aber auch hier Fehlanzeige.

Für das Urteil zur Pendlerpauschale haben Sie wohl auch nicht genügend Vorsorge getroffen, wie sich herausgestellt hat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Entgegen den Be- ratungen im Finanzausschuss!)

Der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, ist wohl eine Lachnummer. Sie haben Mindereinnahmen an Steuern. Wie decken Sie die? Durch eine globale Minderausgabe. Da ist man einfach sprachlos, wie man sich mit solcher Chuzpe, mit einer solchen Frechheit überhaupt noch ins Parlament traut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jürgen Feddersen [CDU]: Wie war das mit dem Glashaus?)

Meine Fraktion hat sich entschieden, ein Konjunkturprogramm vorzuschlagen, das sich auf zwei strategische Bereiche konzentriert. Das Bildungspaket umfasst 145 Millionen €. Das Wirtschaftspaket umfasst über 60 Millionen €.

Wir investieren in Bildung, da die Bedeutung von Bildung, Wissen, Kultur und Technologie in den nächsten Jahren drastisch zunehmen wird. Investitionen in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Forschung und Kultur müssen im Zentrum der Zukunftspolitik einer Regierung stehen. Wir freuen uns natürlich, dass wichtige Punkte unseres Vorschlags übernommen worden sind. Andere wichtige Punkte sind nicht übernommen worden. Die halten wir für zentral. Ich möchte sie noch einmal nennen. Das ist erstens das Programm „Clever Starten“. Das ist sogar wichtiger als das kostenlose Kindergartenjahr. Das muss man einmal ganz deutlich sagen. Wir brauchen in den Kindertagesstätten einen Qualitätssprung von Bildung, Betreuung und Erziehung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens ist das das Thema Lehrerbildung. Wir haben 3 Millionen € eingesetzt. Das ist nicht unheimlich viel, aber ein Zehnfaches dessen, was zurzeit ausgegeben wird. Wer eine neue Schullandschaft will, muss in die Lehrerbildung und in die Lehrerweiterbildung investieren. Wir dürfen die Lehrerinnen und Lehrer, die zurzeit mit großem Engagement dabei sind, sich neue Formen von pädagogischem Unterricht anzueignen, nicht im Stich lassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Karl-Martin Hentschel)

Drittens. Wir müssen die offenen Ganztagsschulen stärken. Die offenen Ganztagsschulen sind ein ganz wichtiges Element, damit die Kinder nachmittags nicht mehr vor den Fernsehern oder den NintendoSpielen sitzen. Wir müssen den lächerlichen Betrag von 35 ct auf 70 ct pro Kind und Stunde anheben. Deshalb werden wir unsere diesbezüglichen Änderungsanträge nachher erneut zur Abstimmung stellen und hoffen natürlich auf Zustimmung.

In Bund und Land wird darüber gestritten, wie man auf die Krise reagieren soll. FDP und Teile der Union fordern Steuersenkungen. Der Nachteil jeder Steuersenkung ist jedoch, dass die Förderwirkung völlig unspezifisch und es nicht einmal sicher ist, dass das Geld in den Konsum geht. Frankreich hat einen Konjunkturscheck für Niedrigverdiener beschlossen. Die SPD will sogar einen Scheck für alle. Bei dem französischen Modell ist im Gegensatz zum SPD-Vorschlag

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Herr Stein- brück ist dagegen!)

- Steinbrück ist dagegen, richtig! - wenigstens sichergestellt, dass das Geld auch konsumiert wird. Wofür das Geld dann aber ausgegeben wird und was dabei gefördert wird, bleibt genau so unspezifisch. Die Landesregierung setzt, soweit überhaupt ein Schwerpunkt zu erkennen ist, auf Straßenbau. Ich glaube, Straßenbau ist bekanntlich die öffentliche Investition, die die wenigsten Multiplikatoreffekte hat, nämlich überhaupt keine.

Wenn wir Ihnen stattdessen ein Investitionsprogramm für Klimaschutz vorschlagen, dann hat das ganz nüchterne ökonomische Gründe.

Erstens. Wenn wir Investitionen in energiesparende und Klimaschutztechnologien zum Beispiel mit 20 % fördern, lösen wir damit Multiplikatoreffekte von 5:1 aus.

Zweitens. Investitionen in Privathäuser und Firmen unterstützen direkt die Bauwirtschaft und die innovativen Technologiefirmen in Schleswig-Holstein und sichern hier Arbeitsplätze.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Laut einer repräsentativen Umfrage des Verbandes Deutscher Maschinen und Anlagenbau betrachten 96 % der deutschen Mittelständler die erneuerbaren Energien als die Zukunftsbranche und sehen sie als Zugpferd der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Mittelstandes. Deswegen schlagen wir vor, in diesen Bereich zu investieren. Wenn nämlich in einem Jahr oder in mehreren Jahren die Krise vorbei sein wird, wird sich einiges ge

ändert haben. Ich bin sicher, dann werden andere Autos gebaut. Es werden andere Schiffe auf Reede gelegt. Transportkosten und Energieeffizienz werden in den Kalkulationen der Wirtschaft eine andere Rolle spielen. Der gesamte Gebäudebestand wird einer rapiden Neubewertung durch die Banken unterzogen werden, wobei Energie- und Rohstoffverbrauch eine zentrale Rolle spielen werden.

Jede Wirtschaftspolitik heute macht nur dann Sinn, wenn sie sich an diesen Kriterien orientiert. Wer die Vergangenheit fördert, anstatt in die Zukunft zu investieren, macht Fehlinvestitionen. Genau deswegen ist es falsch, Herr Marnette, Millionen zusätzlich in den Straßenbau zu stecken, wie die Landesregierung das vorhat.

(Zurufe von der CDU)

Sie setzen den Begriff Investitionen immer noch gleich mit Beton.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es richtig, in Gebäudesanierung und Klimaschutz zu investieren.

Finanzkrise, Klimawandel und Schulden, dieser Dreiklang stellt uns vor enorme Herausforderungen. Diese Koalition ist auf ganzer Linie gescheitert. Sie haben alle großen Vorhaben dieser Legislaturperiode an die Wand gefahren. Sie sind weder in der Lage zu sparen, noch schaffen Sie es, in die Zukunft umzusteuern. Heute, mit diesem Haushalt vergeigen Sie die letzte Chance, das Ruder herumzureißen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schleswig-Holstein braucht eine Regierung, die Visionen hat, das Land nach vorn zu entwickeln, eine Regierung, die gemeinsam an einem Strang zieht das ist wichtig, damit die Menschen Vertrauen haben -, eine Regierung, die den Mut hat, endlich mit der alten Klientelpolitik Schluss zu machen, auch wenn das unpopulär ist, eine Regierung, die die Kraft hat, alle Mittel darauf zu konzentrieren, in die Zukunft zu investieren, in Bildung und Klimaschutz.

Herr Carstensen, meine Kollegen von der Koalition, wachen Sie endlich auf! Dies hier ist keine vergnügliche Operette, in der es reicht, die Leute durch flotte Sprüche bei Laune zu halten.

(Thomas Stritzl [CDU]: Hallo, Sie wollten sich beim Ministerpräsidenten noch entschul- digen!)

(Karl-Martin Hentschel)