Protocol of the Session on July 17, 2008

Das erleben wir jetzt ja auch in Kiel. Wir haben vor dem Wahlkampf in Kiel im Rathaus einvernehmlich ein Moratorium beschlossen: Innerhalb von drei Jahren sollten alle Alternativen geprüft werden, wie wir beim Ersatzstandort des GKK vorgehen, natürlich unter dem Gesichtspunkt der Ökologie. Natürlich unter dem Gesichtspunkt der Bezahlbarkeit, und natürlich unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit für die Stadt. Dann gucke ich in den Koalitionsvertrag für Kiel. Darin steht ein Satz: Kohle auf keinen Fall! Dann wird gesagt: Aber bezahlbar soll sie sein! Die SPD sorgt sich um die Arbeitsplätze, die SPD sorgt sich um die Preisstabilität, und die SPD sorgt sich natürlich auch noch um die Dividende.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nur nicht um sich selbst!)

Alles Argumente, die bei der Preisexplosion im Ölund Gasbereich für Kohle sprechen!

Und die Grünen sagen, der versprochene Rückkauf der Mehrheitsanteile an den Stadtwerken sei nur eine symbolische Diskussion, das sei gar nicht leistbar. Dann muss ich sagen: Wenn das nicht leistbar ist, dann können Sie den Bau eines Kohlekraftwerkes gar nicht verhindern. Dann wird es durch die

Gesellschafter bei den Stadtwerken entschieden. Da hat die Stadt dann aber gar nichts zu melden.

(Beifall bei der FDP)

Ich muss sagen: Wenn in dieser Art und Weise den Menschen hier in der Stadt Sand in die Augen gestreut wird, dann verlieren Sie sehr viel Glaubwürdigkeit schon in der ersten Woche Ihrer rot-grünen Gehversuche.

(Unruhe)

Ich sage Ihnen das nur, weil das zur Wirklichkeit vor Ort gehört.

(Zuruf: Wer hat die Wahl in Kiel verloren?)

- Wir reden über die Situation der Menschen vor Ort. Wir haben das eben von Lübeck gehört. Ich wollte das nur auf Kiel übertragen.

Das Angebot des Ministers hatte ein Zweites: Zur Wettbewerbsfähigkeit von Strompreisen gehört natürlich auch ein Blick auf die Arbeitsplätze. Erkundigen Sie sich mal bei HDW, was Stromkosten in der Bilanz ausmachen. Wer hier sagt, Großverbraucher sollen mehr zahlen, redet über den Wegfall von Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein!

(Beifall bei CDU und FDP)

Erlauben Sie mir eine Bemerkung. Ich fand es gestern gut, Herr Kollege Stegner, dass Sie gesagt haben - ich glaube, das unterschreibt jeder von uns -, der Himmel möge verhüten, dass bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie irgendetwas passiert. Ich glaube, die deutschen Aufsichtsbehörden können für sich in Anspruch nehmen, dass sie das Mögliche tun, um Sicherheit herzustellen; die deutsche Wirtschaft auch. Ich sage Ihnen aber auch Folgendes als meinen Eindruck aus Ihrem gestrigen Beitrag: Ich empfand es, gerade wenn man so etwas vorausschickt, als an die Grenze des unerträglichen Zynismus gehenden, an die Adresse derjenigen, die über die Verlängerung von Kernkraftwerkslaufzeiten nachdenken, zu sagen: Was passiert mit eurer Diskussion, wenn in Schweden etwas passiert? Sehr geehrter Herr Kollege Stegner, so sollten wir nicht miteinander umgehen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Wir waren doch kurz davor!)

Das Wort nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält Herr Abgeordneter Dr. Stegner.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ein bisschen mit Verwunderung die Debatte in den letzten paar Minuten verfolgt.

(Beifall bei der SPD)

Ich hatte teilweise eher den Eindruck, dass das in Unterausschüsse der Lübecker Bürgerschaft gehört. Dass Sie sich mit der Kieler Kommunalpolitik beschäftigen, Herr Kollege Stritzl, verstehe ich zwar, aber auch das, was Sie dargelegt haben, ist nicht besonders zielführend gewesen.

Wir sollten eigentlich über das reden, was der Minister vorhin berichtet hat, nämlich über Leitlinien für die Zukunft der Energiepolitik in Schleswig-Holstein. Wenn wir dies allerdings tun, dann kommt man zu ganz anderen Schlussfolgerungen. Dann reicht zu dem Teil der Debatte von eben die Feststellung, dass Strom nicht abgeschaltet werden darf. Punkt! Die anderen Dinge müssen in der Bürgerschaft oder sonstwo geklärt werden, damit es auch geschieht. Dann braucht man im Plenum nicht solche, wie ich fand, ein bisschen - jedenfalls für Besucher - merkwürdige Darlegungen unter dem Tagesordnungspunkt Leitlinien für Schleswig-Holstein zu diskutieren.

(Beifall bei SPD und FDP)

Aber zur Zukunft Schleswig-Holsteins gehört dann eben auch - das will ich deutlich sagen -, dass das, was ein wenig euphemistisch „Grünbuch“ heißt, natürlich noch nicht die Antwort ist; denn darin sind Dinge enthalten, die mit der Zukunft SchleswigHolsteins schwer vereinbar sind.

Richtig ist die Förderung der erneuerbaren Energien. Verehrter Herr Kollege Stritzl, weil Sie eben über den Preis gesprochen haben: Eines ist doch simpel; Volkswirtschaft erstes Semester. Je höher das Angebot ist, desto geringer ist natürlich logischerweise der Preis, was hier der Fall sein wird, denn Solarstrom haben wir unbegrenzt, Windstrom haben wir unbegrenzt. Das wird alles billiger werden. Alles andere ist begrenzt, und es wird teurer werden. Die Atomenergie, die Sie immer in Ihren schönen Energiemix mit einrechnen, muss jahrtausendelang bewacht werden. Die Entsorgungskosten müssen da einbezogen werden, die Risikovorsorge muss da rein.

Was hat das mit Zynismus zu tun, auf Dinge hinzuweisen, die keineswegs nur in ukrainischen Schrottreaktoren vorkommen, sondern sehr wohl auch in Harrisburg in den USA oder in Forsmark in Schweden? Das Management im Krümmel war ja auch

nicht so, dass man Vertrauen hat. Jeder Besitzer einer Pommesbude verhält sich in der Regel professioneller als es die Kraftwerksbetreiber in Krümmel vorzuweisen haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Herr Stritzl, zur Verantwortung gehört es auch, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und nur die Dinge zu formulieren, die man gern hören möchte, sondern sich auf das einzurichten, wofür man politisch verantwortlich ist. Und politisch verantwortlich ist Kernenergie oder Atomenergie nicht. Sie ist gefährlich. Der Mensch darf keine Fehler machen. Wir müssen raus. Wir haben das übrigens auch verabredet, und die SPD steht zu dieser Verabredung. Egal in welcher Konstellation, mit uns werden Sie eine Verlängerung der Restlaufzeiten nicht hinkriegen; das werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Ich füge hinzu: Das, was der Kollege Dr. Garg - ich mache nicht den Fehler, ihn schon wieder zu loben, denn dann hält er hinterher so lausige Reden wie heute Vormittag

(Heiterkeit)

vorgeschlagen hat - - Wenn er häufiger so redet wie gestern Nachmittag, dann ist Ihr Fraktionsvorsitz gefährdet, Herr Kubicki. Darüber, was er eben darauf bezogen gesagt hat, dass man die ältesten Reaktoren, die natürlich am störanfälligsten sind, abschaltet und deren Mengen auf die Reaktoren überträgt, die später gebaut worden sind, kann man reden. Das ist ja auch Teil des Konsenses. Aber den Konsens zu verändern und uns zu erzählten, das habe irgendetwas mit Preisen oder mit Versorgungssicherheit zu tun, das ist Humbug. Das gibt es mit der SPD nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden uns an keiner Regierung beteiligen, die den Atomkonsens aufkündigt. Das sage ich Ihnen voraus. Das ist die Verantwortung der deutschen Sozialdemokratie. Wir in Schleswig-Holstein sorgen dafür - das haben wir schon einmal bewiesen -, dass erneuerbare Energien, Energiesparen, KraftWärme-Kopplung, Energieeffizienz vorangetrieben werden. Dann kommen wir nämlich in eine vernünftige Zukunft. Ich sage noch einmal: Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Wir können das! Atomkraft? - Nein danke!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, die Anträge Drucksachen 16/2147 und 16/2164 federführend dem Wirtschaftsausschuss sowie mitberatend dem Sozialausschuss und dem Umwelt- und Agrarausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne Eisenbahnersenioren aus Bad Oldesloe, Mitglieder des SPD-Ortsvereins Sierksdorf, Mitglieder des Seniorenbeirats Bornhöved sowie den Präsidenten der Hamburger Bürgerschaft, Herrn Bernd Röder! - Seien Sie uns alle herzlich willkommen.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Entschließung des Schleswig-Holsteinischen Landtags zur Unterbringung und Zwangsarbeit von Kindern/Jugendlichen in ehemaligen Heimen der Landesfürsorgeerziehung

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2167

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2177

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehemalige Heimkinder der 50er- und 60er-Jahre haben begonnen, offen über ihr Schicksal zu reden, darüber wie es war, physischer und psychischer Gewalt ausgeliefert zu sein, sexueller Gewalt ausgeliefert zu sein, von Betreuern und anderen Heimzöglingen, so hieß es damals, gedemütigt zu werden, wie es war, in Anstaltskleidung ohne Vergütung und Sozialversicherung hart arbeiten zu müssen.

Wer behauptet, die Praxis der damaligen Landesfürsorgeerziehung entsprach den gesellschaftlich akzeptierten Erziehungsmethoden der 50er-Jahre, liegt falsch. Zwar gab es bis 1958 das väterliche Züchtigungsrecht, und erst 1980 wurde der Begriff der elterlichen Gewalt durch die elterliche Sorge ersetzt. Aber die Praxis der Landesfürsorgeerziehung war schon damals nach damaligem Recht menschenrechtswidrig und meilenweit von der erziehungswissenschaftlichen Fachdiskussion überholt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schleswig-Holstein hätte sich an Ländern wie Hessen oder Rheinland-Pfalz orientieren können, welche schon in den 40er-Jahren ein striktes Verbot körperlicher Züchtigung in der öffentlichen Erziehung aussprachen. Stattdessen praktizierte Schleswig-Holstein besonders in Glückstadt die harte Linie. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren in der Regel nicht pädagogisch ausgebildet. Der bauliche Zustand war schlecht. Obwohl die meisten Jugendlichen nicht aufgrund krimineller Delikte eingewiesen wurden, gab es gefängnisähnliche Zustände einschließlich einer Isolierzelle. Erniedrigung und Misshandlung, Willkür und Machtmissbrauch und das Prinzip unter den Heimkindern, gedemütigt zu werden oder andere zu demütigen, führte dazu, dass sich Selbstmordversuche häuften.

Eine Fürsorgerin des Jugendamtes Pinneberg schrieb 1969 an das Landesjugendamt, dass die Zustände in Glückstadt jeder Menschenwürde widersprächen. Im selben Jahr stellte die Heimaufsicht des Landes fest, dass das Einsperren von Zöglingen rechtswidrig sei, und forderte wegen mangelnder pädagogischer Einwirkung, keine Jugendlichen mehr nach Glückstadt einzuweisen. Das war 1969. Aber das Heim wurde erst 1974 geschlossen, weil es da nicht mehr wirtschaftlich war. Das war der Grund.

Trotz all dieser Erkenntnisse tun sich die Träger der damaligen Heime bundesweit schwer damit, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sich für Entschädigungszahlungen einzusetzen und sich bei den Opfern für begangenes Unrecht zu entschuldigen. Einen Anfang machte der Landeswohlfahrtsverband Hessen, ein Zusammenschluss der hessischen Landkreise und kreisfreien Städte, der im April 2006 einstimmig eine Resolution verabschiedete. In dieser spricht er sein tiefstes Bedauern über die damaligen Verhältnisse in seinen Heimen aus und entschuldigte sich bei den ehemaligen Bewohnern, die körperliche und psychische Demütigung und Verletzungen erlitten haben. Diese Form der Entschuldigung ist es, meine Damen und Herren, die die da

(Dr. Ralf Stegner)

maligen Opfer erwarten, um selbst vergeben zu können. Ein ehemaliges Heimkind aus Westuffeln formuliert es wie folgt - Zitat -:

„Vergebung ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg, das Leid, das einem Mensch zugefügt wurde, in sich zu lindern, es gar zu überwinden, denn Vergebung befreit und öffnet neue Horizonte.“