Protocol of the Session on September 2, 2005

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er verweist auf die Vorlage!)

- Herr Kalinka lässt auf die Vorlage verweisen.

Wortmeldungen zum Bericht sehe ich nicht. Ich eröffne damit die Aussprache und erteile dem Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann es eigentlich kurz machen: Wir waren gegen die Verabschiedung des in Rede stehenden Gesetzes. Wir haben es damals nicht verhindern können, weil wir nicht die erforderliche Mehrheit hatten. Es besteht zwischen den die Regierung tragenden Fraktionen jetzt die Verabredung, dieses Gesetz wieder abzuschaffen.

Wenn Sie mich nach den Gründen fragen, so kann ich sie kurz nennen. Es sind die gleichen Gründe, die damals dazu geführt haben, dass wir gegen dieses Gesetz waren. Es sind die gleichen Gründe, die uns heute in der Überzeugung tragen, das Gesetz wieder abzuschaffen.

Im Wesentlichen geht es darum, dass wir eine Polarisierung bei der Wahl der Gerichtspräsidien nicht in den Vordergrund stellen wollen. Unserer Ansicht nach könnte bei der Struktur der Gerichtspräsidien und bei den Wahlmechanismen, die nach diesem Gesetz möglich sind, eventuell die Situation eintreten, dass die Minderheit zur Mehrheit wird, was auch dem Verfassungsrecht so nicht entsprechen würde. Wir wollen in der Richterschaft, die ja doch im Präsidium - gemessen an den Notwendigkeiten der Organisation - doch in Einheit agieren soll, keine Lagerpolitik. Das nimmt niemandem die grundgesetzlich gesicherte Möglichkeit, sich entsprechend zu engagieren und zu organisieren. Wir wünschen uns, dass wir kein Gesetz haben, das Lagerdenken und damit Spaltung in den Gerichten weiteren Vorschub leistet.

Diese Gefahren haben wir damals beschrieben, als es um die Einführung ging. Uns trägt heute die Sorge, dass diese Gefahren, schriebe man das Gesetz fort, einträten. Um diese Besorgnis im Sinne einer funktionierenden Gerichtsbarkeit im Land SchleswigHolstein auszuräumen und außerhalb von Lagern und von Polarisierung entsprechend zusammengesetzten Präsidien, die zum Wohl der Sache wirken können, wieder einen Platz zu verschaffen, werden wir dafür stimmen, dass dieses Gesetz wieder außer Kraft gesetzt wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Thomas Stritzl und erteile nunmehr für die Fraktion der SPD der Kollegin Ingrid Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Thomas Stritzl, das war sicherlich der leichtere Part.

(Thomas Stritzl [CDU]: Das will ich nicht bestreiten! - Zuruf von der CDU: Leicht und richtig!)

Ende 1999 wurde im Bundestag mit dem „Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte“ eine maßgeblich von Schleswig-Holstein geförderte Initiative beschlossen. Neben anderen Reformen - mir fehlt die Zeit, sie aufzuzählen - wurde es für die Länder möglich, durch eine Öffnungsklausel im Gerichtsverfassungsgesetz bei den Präsidienwahlen neben dem bisher geltenden Mehrheitswahlrecht auch das Verhältniswahlsystem einzuführen.

Ich habe in der ersten Lesung der Gesetzesvorlage vor etwa einem Jahr eine klare Bewertung der Reform abgegeben. Ich zitiere aus meiner Rede, die Sie nicht kennen können, weil wir beide Lesungen ohne Aussprache durchgeführt haben - was bei Gesetzgebungsvorhaben ungewöhnlich ist -:

„Das neu eingeführte Verhältniswahlrecht ist ein erprobtes, von allen Beteiligten akzeptiertes System in Deutschland - oder sehnt sich hier jemand nach dem englischen System, in dem bis zu 49,99 % der Stimmen unter den Tisch fallen können?“

Heute nun liegt uns in zweiter Lesung der Gesetzentwurf von CDU und SPD zur Aufhebung des oben genannten Gesetzes vor. Ich bekenne freimütig und offen: Ich bin eigentlich immer noch derselben Meinung, werde aber - wie meine Fraktion - der Aufhebung zustimmen.

„Was ist zwischenzeitlich passiert?“, wird sich manch erstaunter Bürger fragen, wenn es ihn überhaupt interessiert. Oder drastischer formuliert, zum Beispiel von ver.di:

„Wir fordern Sie nachdrücklich auf, das Gesetz bestehen zu lassen. Das Gerichtspräsidiumswahlgesetz ist ein Herzstück innergerichtlicher Demokratie.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Erklärung ist relativ einfach, wenn vielleicht auch nicht sehr ruhmreich. Die Erklärung lautet: Wir haben in Schleswig-Holstein eine große Koalition. Dieses Thema war einem der Partner so wichtig - man kann nun raten, welcher es war -, dass es zum Schluss in die Waagschale geworfen und die Aufhebung des Gesetzes vereinbart wurde. Das Ganze als Protokollnotiz, also nicht öffentlich nachlesbar. Solche Bruch

stellen inhaltlicher Art gibt es bei Koalitionsvereinbarungen, vielleicht bei großen Koalitionen sogar noch mehr als bei anderen. Ich bin gelernte Realpolitikerin und werde mich dem beugen.

Aber es gilt auch, die Folgen zu prüfen. So ganz einfach kann man es sich nicht machen. Welche Folgen hat die Aufhebung des Gesetzes auf SchleswigHolstein? Das Ergebnis ist doch etwas verblüffend. Erstens hat es keine direkten Folgen, weil das Wahlverfahren in Schleswig-Holstein so bleibt, wie es seit Jahrzehnten war. Zweitens ist das Gesetz nämlich gar nicht erst in die Praxis umgesetzt worden. Denn - drittens; das richte ich insbesondere an die Adresse Lütkes in Ihrer vorherigen Funktion - wir, Rot-Grün, hätten fünf Jahre lang Zeit für diese Reform gehabt. Sie wurde aber erst ganz zum Schluss der Legislaturperiode angegangen, und zwar - wie gesagt - ohne jede Aussprache. Und - auch das will ich, wie vor einem Jahr, kritisch anmerken, diese Reform ist in Wahrheit nur ein Reförmchen gewesen, denn sie führte keineswegs zwingend zum Verhältniswahlrecht. Dieses war nur eine Möglichkeit, die unter bestimmten Umständen genutzt werden konnte. Böswillige Zungen behaupten, es sei eine Lex Lübeck gewesen; das will ich einmal weglassen.

Sehr ernst hingegen nehme ich den Hinweis des Präsidenten des Landgerichts Lübeck, Hans-Ernst Böttcher. Er verweist auf eine vom Europarat erarbeitete Europäische Charta über das Richterstatut aus dem Jahr 1998. Darin wird, ohne dass die Charta ein besonderes Wahlrecht vorschreibt, die Modalität für eine weitestgehende Abbildungsgerechtigkeit verlangt. Genau darum ging es hier. Vielleicht wird uns längerfristig Europa wieder einmal den Weg weisen.

Ich komme zum Schluss. Ich werde das Wahlverfahren bei Gerichtspräsidien bei allen Gesprächen mit Verbänden und bei meinen weiteren Gerichtsbesuchen zum Thema machen. Denn hier haben wir es mit einer typischen Lobbypolitik zu tun. Mir will - gerade weil ich die Justiz von innen so gut kenne und schätze - nicht einleuchten, warum Richter, die im Namen des Volkes Recht sprechen, die verurteilen und die schlichten, mit einem urdemokratischen Mehrheitswahlverfahren nicht leben zu können glauben.

Ich bedanke mich, dass Sie meinen Bauchschmerzen so lange zugehört haben, und empfehle Zustimmung.

(Beifall beim SSW)

Ich danke der Kollegin Ingrid Franzen und erteile nunmehr für die Fraktion der FDP dem Herrn Opposi

(Präsident Martin Kayenburg)

tionsführer, dem Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es kurz machen. Die FDP-Fraktion wird der Aufhebung zustimmen, weil wir schon gegen die Einführung waren. Dazu sind öffentliche Erklärungen abgegeben worden. Bei diesem Reformprojekt von Rot-Grün standen teilweise gute Absichten im Hintergrund, aber es gab eine wirklich extrem schlechte Umsetzung. Mehr brauche ich dazu eigentlich nicht zu sagen. Der Kollege Stritzl hat alles Weitere dazu erläutert.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich danke dem Kollegen Kubicki und erteile nunmehr für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzenden, Frau Abgeordneter Anne Lütkes, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, hier meine Enttäuschung und mein Erstaunen auszudrücken, wie salopp und mit wenig Interesse zur innerdemokratischen Gestaltung der Justiz in Schleswig-Holstein Stellung genommen wird. Salopp - das letzte Mal ohne Aussprache. Nun wurde erneut der Versuch gemacht, ein Gesetz ohne Aussprache aufzuheben. Dem habe ich widersprochen. Meine Hochachtung vor dir, Ingrid Franzen, für deine deutlichen Worte. Ich bin schon der Meinung, dass sie hier auch gesagt werden mussten.

Das Gerichtspräsidiumswahlgesetz, dessen Änderung hier nun heute gewollt ist, ist ein Gesetz, das in Ausführung des europäischen Rechts von mir persönlich, aber auch von der rot-grünen Mehrheit in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen und verabschiedet worden ist. Die Europäische Charta über das Richterstatut sagt ausdrücklich, dass Richter in die Entscheidungen über die Gerichtsverwaltungen einbezogen werden müssen. Die Ausführungen dazu verweisen ausdrücklich auf eine Abbildungsgerechtigkeit. Das ist vielleicht ein hohes Wort für dieses hohe Haus, dass Sie in der Konkretisierung für die unabhängige, die Dritte Gewalt in diesem Land nicht ernst zu nehmen belieben.

Das Präsidium ist das entscheidende Selbstverwaltungsorgan. Hier das Verhältniswahlrecht nicht einmal zulassen zu wollen, Angst vor der Ausübung

des Verhältniswahlrechtes zu formulieren, ist schon ein starkes Stück.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU hat es deutlich gemacht: Es geht um eine Machtfrage. Sie wollten das Gesetz nicht. Sie wollten es in einzelnen Landgerichten ganz klar nicht. Und Sie wollen es jetzt als explizite Nebenabrede vernichten, wie wir heute ausdrücklich lernen, und das haben Sie zum Essential Ihres Koalitionsvertrages gemacht.

Meine Damen und Herren von der CDU, wovor haben Sie eigentlich Angst? Sie wollen die Möglichkeit des Verhältniswahlrechtes abschaffen.

Ich habe eine etwas merkwürdige Presseerklärung des Justizministeriums vorliegen. Darin kündigt der Justizminister an, keine weiteren Erklärungen dazu abzugeben. Herr Minister Döring, ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich sehr deutlich für diesen Schritt zur Demokratisierung in der Justiz aussprechen. Vielleicht neben Sie dazu noch etwas deutlicher Stellung.

Ich kann nicht verstehen, warum eine rote Fraktion in diesem Haus entgegen allem, was wir in der Vergangenheit gemeinsam formuliert haben, diese demokratische Justiz nicht unterstützt. Die Justiz von Schleswig-Holstein hat MEGA und MESTA, hat Qualitätsmanagement, hat Kosten- und Leistungsrechnung und vieles mehr in diesem Land getragen. Die Richterschaft, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein erhebliches Pensum geleistet und gleichzeitig die Modernisierung dieser Justiz vorangebracht. Die Justiz von Schleswig-Holstein kann sich sehen lassen. Sie kann sich sehen lassen, weil die Mitarbeiter motiviert sind. Das ist eine Demotivierung der Richter.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist Quatsch!)

- Das können Sie als Quatsch bezeichnen, Herr Rechtsanwalt. Sie wissen aber doch sehr genau, dass die Richter in Schleswig-Holstein diese Justiz mittragen,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja, sicher!)

sich für die demokratische Gestaltung einsetzen und beispielsweise im Landgericht Lübeck miteinander reden, miteinander versuchen, das Präsidium einvernehmlich zu besetzen. Dieses Gesetz ist nichts anderes als ein Schutz vor möglichen Polarisierungen. Es ist genau das Gegenteil dessen, was Sie, Herr Stritzl, in dieses Gesetz hineinreden. Ihre Aufgeregtheit kann ich nur als nackte Machtfrage begreifen. Ich bedaure sehr, dass die SPD das mitmacht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke der Kollegin Lütkes und erteile für die Abgeordneten des SSW nunmehr der Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will es ganz kurz machen.

Das geänderte Gerichtspräsidiumsgesetz wurde im Dezember letzten Jahres im Parlament beschlossen. Der SSW hat dem Gesetz damals zugestimmt. Dies ist weiterhin unsere Auffassung.

Das Gesetz ist den Koalitionsverhandlungen zum Opfer gefallen. Ich hoffe, dass die SPD dafür etwas Gutes erhalten hat. Für den Erhalt unseres Grundmandates hat es nicht gereicht. Die Sache ist nun, wie sie ist. Darum sage ich noch einmal: Aus unserer Sicht ist die Öffnungsklausel, dass nämlich bei der Wahl von Gerichtspräsidien auch das Verhältniswahlrecht angewendet werden kann, ein richtiger Weg und eine weitere Demokratisierung. Unserer Meinung nach hätte das Gesetz nicht zur Lagerbildung geführt; denn es braucht ja nicht in Anwendung zu treten. Aber es würde die Gerichtspräsidien besser abbilden, wenn es Interessenunterschiede gibt. Von daher bedaure ich sehr, dass es so gekommen ist.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nunmehr erteile ich für die Landesregierung dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring, das Wort.