Das entbindet uns natürlich nicht von der Aufgabe, die politische Auseinandersetzung über die Themen, die Rechtsextremisten besetzen möchten, zu führen. Aber nur mit einem Bündel von Positionen und Maßnahmen können wir die stetige Zahl von Menschen, die für rechtsextremistisches Gedankengut empfänglich sind, verringern. Dazu zählen die Maßnahmen des Bundes und der Gemeinden, aber auch viele von Landesseite entwickelte Ansätze, über die wir ja schon im vergangenen Jahr mit dem Bericht zur Bekämpfung von politischem Extremismus und Fremdenfeindlichkeit diskutiert haben. Auch wenn man über die Wirkung aller dieser Programme und Aktionen streiten mag: Immerhin scheint es den Rechtsextremisten nicht zu gelingen, dieses Potenzial in der Bevölkerung auszuschöpfen, geschweige denn zu mobilisieren. Und das ist ein Erfolg.
Dennoch wächst die Subkultur: Musik, Dresscodes und Accessoires finden gerade über das Internet ihre Abnehmer und versorgen so einige Kameraden mit einem gesicherten Einkommen und - das ist weitaus schlimmer - schleichen sich in unsere Alltagskultur ein.
Bedenklich bleibt das hohe Gewaltpotenzial in der rechtsradikalen Szene. Insbesondere Körperverletzungen hinterlassen Schäden, die nur schwer oder auch nie verheilen.
Das gilt genauso für die gewaltbereite linksextremistische Szene, die mit ihren Guerilla- und Bürgerkriegsspielereien insbesondere vor dem Hintergrund des G8-Gipfels vom normalen politischen Geschehen auszugrenzen ist und kein Bündnispartner für eine demokratische Organisation sein darf. Wer sich darauf einlässt, stellt sich selbst mit ins Abseits. Sie glauben gar nicht, wie sich der Charak
ter einer Demonstration gegen Neonazis, beispielsweise vor Kurzem in Lübeck, verändern kann, wenn Anmelder nicht irgendwelche autonomen Gruppen sind, sondern der Kirchenkreis ist. Das ist ein Fortschritt in der politischen Kultur.
Zu unserem Thema gehört aber auch, dass wir angesichts katastrophal niedriger Wahlbeteiligungen „näher bei den Menschen“ sind - wie mein Parteivorsitzender Kurt Beck es benannt hat und auch praktiziert -, aber anscheinend sind wir es angesichts der Wahlergebnisse doch nicht nah genug. Denn dort, wo die Ängste zu und die Sicherheiten wie die Wahlbeteiligungen abnehmen, werden höhere Werte nicht nur für unabhängige Wählervereinigungen, sondern auch für politisch extreme Einstellungen möglich. Daher bleibt auch der Kampf nicht nur gegen den Rechtsextremismus, sondern auch der für Demokratie und für die Glaubwürdigkeit in der Politik eine Daueraufgabe.
Daher können wir den Verfassungsschutzbereicht für 2007 auch zur Kenntnis nehmen. Auf uns warten noch viel schwierigere Aufgaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letzten Sonntag waren Kommunalwahlen in SchleswigHolstein. Ein wirklich gutes Ergebnis dieser Kommunalwahl ist unter anderem, dass die NPD trotz geringer Wahlbeteiligungen und trotz des Wegfalls der Fünfprozentklausel ein Wahlfiasko erlebt hat. Es sind zwei einzelne Mandate für die NPD herausgekommen. Das macht deutlich, dass die NPD bei den Wählerinnen und Wählern als Protestpartei oder gar als politische Alternative nicht einmal ansatzweise als geeignetes politisches Angebot erschienen ist. Deshalb kann ich den Kollegen Rother überhaupt nicht verstehen, dass er unter Bezugnahme auf dieses Wahlergebnis das NPD-Verbot hier aufwärmt.
Wenn man mit zwei Einzelmandaten in zwei Kommunalparlamenten in Schleswig-Holstein als demokratische Kräfte nicht fertig wird, kann man gleich die weiße Fahne hissen. Der Begründungszusammenhang, in den Sie das für das NPD-Verbot gebracht haben, ist aus meiner Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar. Auch der Verfassungsschutzbe
richt des Innenministers ist in seinen inhaltlichen Aussagen nicht geeignet, durch erhebliche neue Erkenntnisse die Rechtfertigung für eine Verbotsforderung zu liefern.
Seit zwei Jahren stellen wir bei den Rechtsextremen in Schleswig-Holstein keine Steigerung der Mitgliederzahl fest. Die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremistischer Motivation ist um 14 % zurückgegangen. Auch die Anzahl der registrierten Gewalttaten ist rückläufig. Das sind gute Nachrichten.
Allerdings bleibt ein Wehrmutstropfen. Das ist nämlich die Feststellung, dass der Anteil der als aktionistisch zu bezeichnenden Rechtsextremisten angestiegen ist. Ein Beispiel dafür liefern die Vorfälle um die Demonstrationen am 1. Mai 2008 in Hamburg. Es gibt zum ersten Mal einen sogenannten Schwarzen Block auch bei den Rechtsextremisten, der im Gegensatz zu früheren Demonstrationen der NPD auch aus der Demonstration heraus Angriffe auf Gegendemonstranten oder Polizeibeamte durchführt. Auf diese Entwicklung müssen Verfassungsschutz und Polizei künftig verstärkt ihr Augenmerk richten.
Beispiele aus anderen Ländern wie Brandenburg zeigen allerdings, dass eine gute Polizeipräsenz gerade in ländlichen Bereichen zu einer Eindämmung der Aktivitäten der Rechtsradikalen geführt hat. Dies sage ich insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Innenministerium noch die Überprüfung kleinerer Polizeistationen im Rahmen der Strategie 2012 stattfindet.
Im Bereich der sogenannten Linksextremisten gilt zunächst Ähnliches wie für die Rechten. Ihre Mitgliederzahl ist seit Jahren konstant geblieben. Allerdings schwankt bei ihnen die Anzahl der begangenen Straftaten erheblich. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der Straftaten 2007 erheblich angestiegen, nämlich von 116 auf 236. Allerdings liegt sie unter dem Wert aus 2005, der bei 274 Straftaten lag.
Das lässt sich wahrscheinlich mit aktuellen Anlässen erklären wie etwa dem G-8-Gipfel im Jahr 2007 und zuvor der Landtagswahl im Jahr 2005 und der Tatsache, dass ein wohl nicht unerheblicher Teil der Straftaten im Bereich von Schmierereien, Parolen und sonstigen Sachbeschädigungen lag. Bei den Gewalttaten ist im Gegensatz hierzu im Berichtszeitraum ein Rückgang im Spektrum der linksextremistisch motivierten Gewalttaten festzustellen, ob
wohl es im Berichtszeitraum laut Aussage des Verfassungsschutzberichtes einen Zuwachs bei der Anzahl der gewaltbereiten Autonomen gegeben hat. Hierzu wird uns der Herr Innenminister in der Ausschussberatung sicherlich noch einiges erläuternd berichten können.
Der letzte Bereich des Berichts handelt von rechtsextremistischen Bestrebungen von Ausländern in Schleswig-Holstein. Entgegen der in Polizeirechtsdebatten hier immer wieder zitierten Gefahr durch den internationalen Terrorismus stellt der Bericht ganz nüchtern fest, dass in Schleswig-Holstein keine terroristischen Strukturen erkennbar seien. Genau auf der Grundlage dieser Tatsachen müssen wir auch die Debatte über den Gesetzentwurf der Landesregierung für eine Erweiterung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes führen.
Es ist schwer vermittelbar, dass die Lage in Schleswig-Holstein seit Jahren nach den Berichten der Landesregierung eigentlich keinen Anlass für irgendeine Unruhe liefert, aber in diesem Gesetzentwurf trotzdem weitere Überwachungsmöglichkeiten für den Verfassungsschutz geschaffen werden. Ich sage ausdrücklich: Wir werden die verschiedenen Vorschläge, die die Landesregierung unterbreitet, im Einzelfall prüfen und uns jeweils im Einzelfall für die einzelnen Bereiche ein Urteil bilden.
Ich will an dieser Stelle aber schon eines feststellen. Nach dem Gesetzentwurf der Landesregierung soll der Verfassungsschutz künftig beispielsweise die Möglichkeit zur Handyortung und Möglichkeiten der Datenerhebung bei Banken und Telekommunikationsdiensten erhalten. Hier ist unsere Skepsis zu vermerken.
Wir werden die verschiedenen Teile des facettenreichen Berichts des Herrn Innenministers in der Sitzung des Innenausschusses eingehender beraten können.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bedanke mich bei dem Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein für seine Arbeit. Ich glaube, dass der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein durchaus versucht, angemessen zu arbeiten und nicht zu überziehen, das zu tun, was notwendig ist, und zu beobachten, wo im extremistischen Bereich Probleme sind. Das ist sehr besorgtes und kluges Verhalten. Deswegen möchte ich mich für diese Arbeit ausdrücklich bei Herrn Eger bedanken. Ich glaube, wir können da ganz beruhigt sein.
Ich möchte kurz etwas zum Bereich des Linksextremismus und zu der Zunahme der Gewalttaten sagen. Ich halte es in der Tat für beunruhigend - ich war selber in Rostock -, in welcher Weise im Rahmen des Schwarzen Blocks vorgegangen worden und versucht worden ist, aus einer friedfertigen Demonstration heraus gewalttätige Übergriffe zu verüben.
Ich möchte dazu Folgendes sagen. Das habe ich bereits bei der damaligen Diskussion hier im Landtag angesprochen. Wir sollten uns sehr davor hüten, die vielen Tausend Jugendlichen, die sich im Rahmen der G8-Arbeit engagiert haben und die sich für internationale Veränderungen sowohl in Fragen der Friedensprozesse als auch in Bezug auf die Wirtschaftsordnung eingesetzt haben, zu kriminalisieren und in die linksextreme Ecke zu stecken. Wenn wir das tun, treiben wir diese Jugendlichen gerade solchen Organisationen in die Hände.
(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Holger As- trup [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])
Zur NPD. In der NPD haben wir eine völlig neue Tendenz. Das ist schon mehrfach gesagt worden. Es ist nicht so, dass der rechte Rand stärker wird. Das ist eindeutig. Das zeigt sich sowohl an den Zahlen als auch an dem Auftreten. Es ist aber so, dass sich die Kameradschaften wesentlich enger an die NPD angebunden haben, dass wir eine starke Durchmischung haben. Das drückte sich auch bei den Kandidaturen aus. Es gab einen erheblichen Teil der Kandidaten, die nicht NPD-Mitglied sind, sondern aus den Kameradschaften kommen. Verbunden damit gab es auch eine erhebliche Zunahme von gewalttätigen Aktivisten. Im Bericht ist die Rede davon, dass drei Viertel der Aktivisten als gewalttätig
Das hat auch damit zu tun, dass der Einfluss der Kameradschaften und der neonationalen Szene auf die NPD zugenommen hat. Man könnte es auch so ausdrücken: Ich habe den Eindruck, dass die neonationale Szene die NPD in Schleswig-Holstein mittlerweile weitgehend übernommen hat, also nicht mehr die Zahl der alten Herren überwiegt, die noch Gedanken an die Nazizeit haben, sondern die neonationale Szene überwiegt.
Das hat sich auch im Wahlkampf sehr deutlich ausgedrückt. Es gab keine Plakate mehr. Es gab keine Stände, es gab überhaupt keinen normalen Versuch, in irgendeiner demokratischen Art und Weise um Stimmen zu werben, sondern es gab subversive Aktionen, und es gab Gewalttätigkeiten. In Kiel gab es richtig heftige, gewalttätige Auseinandersetzungen bis hin dazu, dass Fensterscheiben von linken Buchläden eingeschlagen, Büros überfallen oder auch Einzelpersonen malträtiert worden sind. Das ist eine neue Qualität. Es ist richtig, dass wir uns damit auseinandersetzen und unsere Strategien darauf abstimmen.
Ich glaube, dass wir zweigleisig fahren müssen. Das eine ist, dass selbstverständlich Polizei und Justiz, wenn Kriminalität vorliegt, dagegen vorgehen müssen. Das andere ist: Wenn Rechtsradikale vor Ort vor Schulen auftauchen, in Jugendzentren und an anderen Treffpunkten CDs verteilen und ähnliche Aktionen durchführen, die vom dumpfen Rassismus geprägt sind, reicht es nicht aus, dagegen mit der Polizei vorzugehen, sondern da ist die Zivilgesellschaft gefragt. Wir haben gute Erfahrungen mit den kriminalpräventiven Räten. Das ist eine ganz wichtige Einrichtung - ich habe das selber erlebt -, in der Kirchen, Vereine, Schüler, Lehrer, Eltern, Polizei und Gemeindevertreter gemeinsam beraten, wie man vorgehen, sich auch gezielt verabreden und dort hingehen kann, wo Neonazis tätig sind, zum Beispiel vor Schulen oder in Jugendzentren. Sie sprechen Jugendliche, bei denen man merkt, dass sie Sympathien äußern, direkt darauf an. Das führt häufig dazu, dass sich die Jugendlichen sehr rasch von den Rechtsradikalen zurückziehen und diese isolieren. Das sind wirksame Methoden. Ich habe das selber erlebt. Ich weiß auch von anderen Orten, dass das da erfolgreich gewesen ist.
Ich glaube, das zivilgesellschaftliche Engagement ist ganz wichtig. Man kann nicht immer nur nach Polizei und Justiz rufen, sondern die Bürgerinnen und Bürger selber sind gefragt.
Ich finde es auch wichtig, dass die Demokraten öffentlich auftreten. Dazu gehören auch Demonstrationen. Im Vorfeld der Kommunalwahlen haben wir Demonstrationen in Kiel gehabt. Ich glaube, es ist gut, wenn solche Demonstrationen stattfinden und sich Menschen engagieren. Ich bitte noch einmal die anderen demokratischen Parteien hier im Landtag, sich zu überlegen, ob sie es nicht schaffen können, auch bei solchen Demonstrationen mitzumachen. An der Demonstration in Kiel haben 1.500 Menschen, überwiegend Jugendliche und Gewerkschaftler, teilgenommen. Es war eine sehr friedliche Demonstration. Es wäre sicher gut gewesen, wenn sich alle daran beteiligt hätten.
Sonst überlässt man diese Demonstrationen tatsächlich der linken Szene. Ich finde, das ist der Sache nicht angemessen. Ich habe viele Bürger erlebt, die sicher auch zum Spektrum der anderen Parteien gehören, nicht nur zu den Grünen, die es gern gesehen hätten, dass auch Leute von anderen Parteien dabei gewesen wären, und bei denen sie sich hätten eingliedern können, weil sie keine Lust hatten, sich bei den linken Gruppen einzugliedern. Von daher noch einmal mein Appell: Ich glaube, es gehört auch zum bürgerschaftlichen Engagement, dass sich die Demokratie öffentlich äußert.
Es gehört auch dazu, dass man den Jugendlichen, die danach rufen - gerade auch an den Schulen -, etwas zum Ausdruck bringen zu können, auch Angebote macht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht macht einmal mehr deutlich, dass rechtsextremes Denken längst keine bloße Angelegenheit pöbelnder Skinheads mehr ist, es hat sich vielmehr am rechten Rand des politischen Spektrums festgesetzt. Die NPD hat sich bundesweit zur mitgliederstärksten rechtsextremistischen Organisation entwickelt. Es ist daher auch nicht wirklich beruhigend, dass es der NPD nicht gelungen ist, sich in Schleswig-Holstein nennenswert zu verbreiten.
Im Vorfeld der Kommunalwahl konnten wir wieder einmal erleben, womit wir es bei der NPD und ihren Schergen zu tun haben. Bei der Anreise zu einem NPD-Aufmarsch in Hamburg haben Neonazis einen Regionalzug besetzt und ausländerfeindliche und menschenverachtende Hetzparolen skandiert.
Die Ereignisse um den 1. Mai hatten eine neue Qualität. Sie machen deutlich, dass wir es nicht mit alten Gruppierungen zu tun haben, sondern - wie der Kollege Hentschel vorhin sagte - mit neuen Gruppierungen, mit diesen Kameradschaften, und dass wir uns diesen neuen Gegebenheiten stellen müssen. Das Konzept der NPD ging auf, denn man erregte öffentliche Aufmerksamkeit und kam damit in die Presse.