Protocol of the Session on May 30, 2008

Mit ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende wurde die extremistische Ausrichtung der NPD wieder einmal mehr als deutlich. Mit Jürgen Rieger aus Hamburg ist ein Vertreter des militanten, offenen neonazistischen Flügels nunmehr stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD.

Die NPD wurde entgegen der Erwartungen nach vielen Jahren wieder zur mitgliederstärksten und dominierenden rechtsextremistischen Organisation in Schleswig-Holstein. Erreichen konnte sie diesen Zustand durch die Einbeziehung der überwiegend jungen neonationalsozialistischen Kräfte. Der Mitgliederanstieg auf Bundesebene von 7.000 auf 7.200 war nur gering. In Schleswig-Holstein konnte die Partei keinen weiteren Zulauf erreichen und hat weiterhin etwa 240 Mitglieder. Besorgniserregend ist, dass es der Partei zu gelingen scheint, sich vor allem in ländlich geprägten Regionen als Auffangbecken für politisch bislang nicht engagierte, sich

(Anke Spoorendonk)

aber im rechtsextremistischen Umfeld bewegende Jugendliche und junge Erwachsene zu präsentieren.

Der Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel hat die Partei in den letzten Wochen allerdings noch dazu animiert, in mehr Regionen als ursprünglich geplant zur Kommunalwahl anzutreten. Aus meiner Sicht ist es mehr als nur ein Ärgernis, dass sie zukünftig mit je einem Mandat in Kiel und im Kreistag des Kreises Herzogtum Lauenburg vertreten sein wird.

Durch die Diskussion über die NPD wird leicht übersehen, dass es den größten Teil des Zuwachses des aktionistischen Potenzials nicht bei ihr, sondern in der Subkulturszene gibt. Deren Anzahl ist von 660 auf 740 Personen angewachsen. Um diese Entwicklung zu bekämpfen, bedarf es eines couragierten Handelns der Gesellschaft, der Politik, der Justiz und der Verwaltung.

(Beifall im ganzen Haus)

In der Vergangenheit konnten gefährliche Entwicklungen in einigen Regionen Schleswig-Holsteins durch das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich unterbunden werden. Das Beispiel Rieseby im Kreis Rendsburg-Eckernförde ist ein Beispiel, das auf andere Regionen des Landes übertragen werden sollte, Herr Kollege Neugebauer. Aus meiner Sicht gilt es, den Rechtsextremismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Dazu sind alle Demokraten verpflichtet.

(Beifall im ganzen Haus)

Der Verfassungsschutzbericht gibt auch die Polizeistatistik über politisch motivierte Gewalttaten wieder. Zumeist handelt es sich dabei um Körperverletzungsdelikte. Diese Zahl war erfreulicherweise leicht rückläufig: Sie ging von 65 im Jahr 2006 auf 59 im Jahr 2007 zurück. Auch bei den übrigen Straftaten, zumeist Propagandadelikten, gab es einen Rückgang von 445 auf 381 Fälle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Bereich des Linksextremismus hat das Jahr 2007 im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm gezeigt, dass zu bestimmten Themen oder Anlässen eine beachtliche Anzahl gewaltbereiter Personen dieses Lagers mobilisiert werden kann. Dies fordert die Sicherheitskräfte in besonderer Weise heraus. Unverkennbar war das Bemühen, eine möglichst professionelle Planung und Organisation von Protesten unter Federführung des undogmatischen Spektrums sicherzustellen. SchleswigHolsteinische Aktivisten der Gruppierung „AvantiProjekt dogmatische Linke“ waren maßgeblich in die Vorbereitungen eingebunden. Zwar gelang es

der linksextremistischen Szene nicht, eine einheitliche Protestfront aufzubauen, doch gab es mehrere Mobilisierungsbündnisse, die in Teilen zusammenarbeiteten. Die erhoffte durchgängige Einbindung möglichst vieler nicht extremistischer Gruppierungen erwies sich aber als wenig erfolgreich, vieles lief nicht mit, sondern nebeneinander.

Auf Bundesebene hat sich die Anhängerschaft der Linksextremisten wieder geringfügig um 100 Personen von 30.700 auf 30.800 Personen erhöht. Auch in Schleswig-Holstein steigerte sich ihre Anzahl gegenüber dem Vorjahr von 820 auf nunmehr rund 850 Personen. Die gewaltbereite undogmatische linksextremistische Szene verfügt landesweit über rund 350 Anhänger.

Der Zuwachs um etwa 30 Personen ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass vorwiegend junge Leute im Zuge der Gegenveranstaltung zum G8Gipfel in Heiligendamm den Anschluss an die gewaltbereite autonome Szene gefunden haben.

Im Jahr 2007 sind für Schleswig-Holstein 236 Straftaten, davon 38 Gewaltdelikte im Bereich der linksextremistisch motivierten Kriminalität registriert worden. Die Zahl der Straftaten hat sich im Vergleich zu 2006 erhöht, bewegt sich aber in der bekannten Schwankungsbreite der letzten Jahre. Gewalttätige Aktionen gegen rechtsextremistische Veranstaltungen in Lübeck, Bad Bramstedt und Neumünster sowie Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel haben im Vorjahresvergleich zu einem Wiederanstieg beigetragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Bereich des Ausländerextremismus zeigte das zurückliegende Jahr erneut, dass sich Deutschland und deutsche Interessen im Ausland im Visier des internationalen Terrorismus befinden. Dass islamistische Terroristen auch weiter willens und in der Lage sind, in Europa opferreiche Großanschläge zu verüben, belegen die versuchten Anschläge in London und Glasgow im Sommer sowie die Festnahmen von Terrorverdächtigen in verschiedenen europäischen Staaten. Im September des letzten Jahres demonstrierten die Festnahmen von drei Terrorverdächtigen im Sauerland, wie dicht abstrakte und konkrete Gefährdung beieinanderliegen können.

In Schleswig-Holstein sind islamistisch-terroristische Strukturen unverändert nicht erkennbar. Wir müssen aber davon ausgehen, dass auch bei uns einzelne Personen leben, die sich von der Ideologie des internationalen Dschihad gegen die westliche Werteordnung angesprochen fühlen. Insbesondere wurde durch den Verfassungsschutz eine unstruktu

(Minister Lothar Hay)

rierte Anhängerschaft der irakischen Terrorgruppe „Ansar al-Islam“ festgestellt. Es ist davon auszugehen, dass diese Personen die Szene zumindest finanziell, mit Sachmitteln und personell unterstützen könnten. Ansar al-Islam ist eine Gruppierung, die sich weiter bemüht, im kurdischen Teil des Irak einen islamistischen Staat zu errichten, der mit dem ehemaligen Talibanregime in Afghanistan vergleichbar ist.

Die Zahl der Mitglieder extremistischer Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein lag im vergangenen Jahr mit 1.735 Personen nahezu unverändert auf dem Niveau des Jahres 2006. Den größten Anteil stellen türkische Organisationen mit 980 Personen, darunter 480 Islamisten und 450 extreme Nationalisten. Kurdische Nationalisten, kurdische Organisationen kommen auf 650 Mitglieder.

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht deutlich: Wir sind eine wehrhafte Demokratie. Der Staat hat bewiesen, dass er die Gegner des Rechtsstaates mit den Mitteln des Rechtsstaates erfolgreich bekämpfen kann. Dazu bedarf es auch in Zukunft weiterhin großer Anstrengungen und einer engagierten Arbeit. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern - vor allen Dingen Vorpommern - zeigt, dass wir auch in Schleswig-Holstein wachsam sein müssen, gerade was die Bekämpfung des Rechtsextremismus betrifft. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Ich gehe davon aus, dass dies in großer Geschlossenheit im Hohen Hause auch in Zukunft möglich sein wird.

(Beifall)

Vielen Dank, Herr Minister Hay. - Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Peter Lehnert das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Innenminister für den ausgewogenen Bericht. Es wird erneut deutlich, dass wir entschlossen gegen jede Art des Extremismus vorgehen müssen, um den demokratischen Rechtsstaat zu schützen.

Der Verfassungsschutz wird mit dem vorgelegten Bericht seiner Verpflichtung gerecht, über Gefahren für die freiheitliche Grundordnung zu informieren. Gleichzeitig liefert er ein aufschlussreiches Dokument und listet jene Aktivitäten auf, die unsere Gesellschaftsordnung gefährden. Alle demokrati

schen Kräfte sind deshalb aufgefordert, gemeinsam den Rechtsstaat und seine Werte zu verteidigen und dazu alle zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mittel einzusetzen.

Der Verfassungsschutzbericht macht deutlich, dass wir extremistischen Tendenzen in unserem Land gegenüber nach wie vor wachsam sein müssen. Dies gilt vor allem für Rechtsextreme, die in erheblichem Maße Gewalt ausüben. Dabei sind insbesondere junge Männer, die sich benachteiligt fühlen, anfällig für rechtsradikale Propaganda. Hier müssen wir alle aktiv gegensteuern.

Der Versuch, sich bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu positionieren, ist ein neues, durchsichtiges Manöver rechtsradikaler Gruppierungen, um Ängste zu schüren und diese für ihre Ziele auszunutzen. Der nachhaltige Rückgang der Arbeitslosenzahlen, insbesondere bei jungen Menschen, und die erneute deutliche Zunahme an Ausbildungsplätzen in Schleswig-Holstein sind in diesem Zusammenhang besonders erfreulich, weil sie eine konkrete Zukunftsperspektive aufzeigen. Gerade für Jugendliche gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft. Das entzieht Extremisten den Nährboden für ihre polemische Agitation.

Festzustellen bleibt, dass rechtsradikale Parteien bei den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land weder nennenswerten Zulauf noch irgendeine Chance haben. Die Kommunalwahlergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass die Propaganda der Neonazis in Schleswig-Holstein auf wenig fruchtbaren Boden fällt.

(Beifall)

Die Zahl der Rechtsextremisten in Schleswig-Holstein hat sich gegenüber 2006 nur unwesentlich verändert. Der Verfassungsschutz registrierte circa 1.400 Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Organisationen. Straftaten, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, sind geringfügig zurückgegangen. Auch bei den Gewalttaten ist ein Rückgang zu verzeichnen. Als beruhigend ist dieser rückläufige Trend dennoch nicht zu bezeichnen, weil die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten immer noch auf einem sehr hohen Niveau liegt.

Einer Abnahme rechtsextremistischer Straftaten steht allerdings eine exakte Verdoppelung linksextremistischer Straftaten gegenüber, und auch die Zahl linksextremistischer Gewaltdelikte ist 2007 gegenüber 2006 angestiegen und nähert sich der Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten an. Dieser exorbitante Anstieg steht sicherlich auch

(Minister Lothar Hay)

im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel. Eine Trendwende nach oben ist nach Ansicht des Innenministers zurzeit aus diesen Zahlen nicht herzuleiten.

Besorgniserregend sind in diesem Zusammenhang allerdings Äußerungen des Landessprechers der Linken, der sich im Dezember letzten Jahres nicht in der Lage sah, sich eindeutig von gewaltbereiten Linksradikalen in unserem Land zu distanzieren. Dies verdeutlicht auf erschreckende Weise die Grundeinstellung bedeutender Teile der Linkspartei. Diese Einschätzung wird auch durch den jüngsten Verfassungsschutzbericht des Bundes untermauert. Damit wird unsere Einschätzung bestätigt, dass die Linke kein politischer Partner für demokratische Parteien sein kann, die es mit der Bekämpfung von Extremismus in jeder Form ernst meinen.

(Beifall bei der CDU)

Die Gefahren, die vom internationalen Terrorismus und seinem ideologischen Umfeld ausgehen, beeinflussen auch unsere Sicherheitslage. Deutschland ist Teil des europäischen Gefahrenraumes, und verschiedene Strafverfahren haben gezeigt, dass sich auch in Deutschland Terrorstrukturen herausgebildet haben. Dass islamistische Terroristen auch weiterhin willens und in der Lage sind, in Europa Großanschläge zu verüben, belegen die Festnahmen von Terrorverdächtigen in verschiedenen europäischen Staaten. Die gescheiterten KofferbombenAnschläge in Nordrhein-Westfalen, bei denen Kiel als Studienort eines der mutmaßlichen Täter besonders ins Blickfeld rückte, sowie die Warnungen der Sicherheitsbehörden hinsichtlich der bestehenden Anschlagsrisiken bestätigen das Gefährdungspotenzial auf drastische Weise.

Obwohl Schleswig-Holstein darüber hinaus bisher nicht berührt war, so hat sich aber die Einschätzung erhärtet, dass es zumindest Personen mit Kontakten in das militante islamistische Spektrum auch hierzulande gibt. Das zeigte sich an zwei Strafprozessen gegen Personen aus Schleswig-Holstein, denen eine Beteiligung am internationalen Dschihad vorgeworfen wurde.

Islamisten aller Couleur sind sich auch einig im Antisemitismus, in ihrem Hass auf Juden und den Staat Israel. Die in diesem Kontext geäußerte Meinung, der Holocaust sei nur ein Mythos, entspricht übrigens dem gängigen Agitationsmuster des internationalen Rechtsextremismus, womit wir feststellen können, dass es hier sogar zu einer Interessenüberschneidung von Islamisten und Rechtsextremisten kommt.

Nur die konsequente Beobachtung, Überwachung und die Erhöhung des Drucks auf diese Gruppierungen kann Extremisten in Schach halten. Dabei ist es wichtig, Rahmenbedingungen sicherzustellen, unter denen der Verfassungsschutz und unsere Ermittlungsbehörden erfolgreich arbeiten können. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass sich verfassungsfeindliche Kräfte - egal welcher Couleur - hierzulande Freiräume für gesetzwidriges Handeln schaffen.

Abschließend möchte ich mich beim Verfassungsschutz für die geleistete Arbeit und den umfangreichen Bericht bedanken.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Thomas Rother das Wort.

Herr Präsident! Lieben Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr begehen wir verschiedene unrühmliche 75. Jahrestage unserer Geschichte. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 denken wir an die verschiedenen Schritte der Nazis, nach und nach die Demokratie in Deutschland auszuschalten mit Ermächtigungsgesetz, Verbot von Parteien und Gewerkschaften, Einrichtung von Konzentrationslagern, Bücherverbrennung, Judenpogromen und so weiter. Begleitet wurde das Ganze von einer unglaublich verlogenen Propagandamaschine, deren Höhepunkt Hitlers sogenannte Friedensrede war. Die Lüge wurde zur Führungsmethode.

Das sind Vorgänge, die lange zurückliegen mögen, aber immer noch auf unsere Gegenwart nachwirken. Faschistische Tendenzen werden aus unserer Geschichte heraus daher auch immer bei uns anders wirken als in anderen Ländern. Die Geschichte bleibt für uns als Sozialdemokraten eine Verpflichtung, uns auch den neuen Nazis entgegenzustellen und dort Position zu beziehen, wo alltägliche Gewalt und alltäglicher Rassismus zutage treten.

(Beifall)

Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, uns zu Demokratie und Freiheit nicht nur zu bekennen, sondern sie auch aktiv zu verteidigen und ihre Feinde konsequent zu bekämpfen. Dazu gehört für uns auch, die NPD zu verbieten, um dem organisierten Rechtsextremismus das Leben schwerer zu machen. Im Gegensatz zu anderen bleiben wir bei der

(Peter Lehnert)

Überzeugung, dass ein NPD-Verbot finanziell, organisatorisch, publizistisch und auch persönlich gegen manchen Kader eine nachhaltige Schwächung der gesamten Szene hervorrufen würde. Es hätte uns auch einen NPD-Ratsherrn in Kiel und einen NPD-Kreistagsabgeordneten im Kreis Herzogtum Lauenburg und den ganzen Ärger, der sich daraus ergeben wird, ersparen können.

Wenn man sich das Personal des neuen NPD-Bundesvorstandes anschaut, kann man getrost von einer kriminellen Vereinigung sprechen. Genauso hätten wir der Öffentlichkeit und vor allem manchem Polizisten das unwürdige Schauspiel der Aufmärsche von Rechtsradikalen ersparen können, beispielsweise die entsetzlichen Krawalle am 1. Mai in Hamburg.

Das entbindet uns natürlich nicht von der Aufgabe, die politische Auseinandersetzung über die Themen, die Rechtsextremisten besetzen möchten, zu führen. Aber nur mit einem Bündel von Positionen und Maßnahmen können wir die stetige Zahl von Menschen, die für rechtsextremistisches Gedankengut empfänglich sind, verringern. Dazu zählen die Maßnahmen des Bundes und der Gemeinden, aber auch viele von Landesseite entwickelte Ansätze, über die wir ja schon im vergangenen Jahr mit dem Bericht zur Bekämpfung von politischem Extremismus und Fremdenfeindlichkeit diskutiert haben. Auch wenn man über die Wirkung aller dieser Programme und Aktionen streiten mag: Immerhin scheint es den Rechtsextremisten nicht zu gelingen, dieses Potenzial in der Bevölkerung auszuschöpfen, geschweige denn zu mobilisieren. Und das ist ein Erfolg.