Damit werden Lehrer und betroffene Eltern überfordert, und der positive Ansatz des jahrgangsübergeifenden Unterrichts wird ins Gegenteil verkehrt.
Deshalb ist für uns klar: Die Einführung des jahrgangsübergreifenden Unterrichts bedarf der breiten Unterstützung der Lehrer- und der Elternschaft, und für diese Unterstützung muss geworben werden. Es muss aufgeklärt werden und darf nicht von Schulräten angeordnet werden.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung: Die FDP gefällt sich, wie in jeder Landtagssitzung, darin, Konflikte lösen zu wollen, die eigentlich gar nicht vorhanden sind.
Die Landesverordnung über die Grundschulen vom 22. Juni 2007 trifft in § 3 Abs. 3 eine klare Aussage. Sie lautet: Dem pädagogischen Konzept der jeweiligen Schule entsprechend sollen insbesondere in der Eingangsphase jahrgangsübergreifende Lerngruppen gebildet werden. Darauf möchte ich mich hier beziehen.
Im Vorfeld dieser Verordnung ist ausgiebig darüber diskutiert worden, ob es eine bindende Vorschrift, also eine Mussbestimmung, eine fakultative Option, also eine Kannbestimmung, oder eine Regel sein soll, von der abgewichen werden kann, wenn es dafür einen guten Grund gibt. Wir haben uns gemeinsam für die letzte Option entschieden. Deswegen steht in der Verordnung „sollen“ und weder „müssen“ noch „können“.
Die Regel, dass es jahrgangsübergreifende Lerngruppen geben soll, ist nach unserem Verständnis eine unmittelbare und notwendige Folge der flexiblen Eingangsphase, die von den Schülerinnen und Schülern je nach Lerntempo in einem Schuljahr oder in zwei Schuljahren durchlaufen werden kann, ohne dass das dritte Jahr als Sitzenbleiben gewertet würde.
Landesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Dr. Klug von einer Verpflichtung zur Bildung jahrgangsübergreifender Lerngruppen gesprochen, dies allerdings innerhalb derselben Kleinen Anfrage richtiggestellt und die Sollvorschrift wörtlich zitiert. Nun, diesen ersten Satz mag man kritisieren, Herr Dr. Klug, aber die einzige Möglichkeit, Fehler zu vermeiden, liegt darin, überhaupt nichts zu tun, und das können wir über dieses Ministerium nun wirklich nicht sagen.
In anderen Presseerklärungen wurde die entsprechende Passage in der Verordnung so ausgelegt, als handele es sich um eine rein optionale Regelung im Sinne einer Kannvorschrift. Alles, was dazu zu sagen ist, hat Frau Ministerin Erdsiek-Rave bereits am 20. September vergangenen Jahres im Bildungsausschuss erklärt, was der Kollege Dr. Klug in seiner Pressemitteilung dankenswerterweise auch wörtlich wiedergibt. Sie sagte, „die Bildung von jahrgangsübergreifenden Lerngruppen hänge von der Organisationsform der Schule und den Verhältnissen vor Ort ab“. Das kann auch nicht anders sein. Schleswig-Holstein ist seit langer Zeit bundesweit Vorreiter in der Ausgestaltung der schulischen Eigenverantwortung. Wir haben im Schulgesetz und in den Verordnungen das geregelt, was geregelt werden muss, und alle weiteren Ausgestaltungsfragen den Schulen in dem rechtlichen, finanziellen und personellen Rahmen überlassen, der ihnen zur Verfügung steht.
Dass eine Schule pädagogische Konzepte für ihre eigene Arbeit erstellt, wird doch wohl niemand infrage stellen. Das ist ihre Kernaufgabe.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf hingewiesen: Jahrgangsübergreifender Unterricht ist pädagogische Tradition insbesondere in unseren ländlichen Schulen, und so soll es in Zukunft auch bleiben.
Die Ausgestaltung der Eingangsphase wird vom Bildungsministerium mit Weiterbildungsangeboten und anderen Fördermaßnahmen unterstützt. Darüber gibt die zu Unrecht skandalisierte Antwort auf Dr. Klugs Kleine Anfrage Auskunft. Dabei wird es bleiben.
Der Antrag der FDP ist eigentlich gegenstandslos, aber wir werden ihn zur weiteren Diskussion an den Bildungsausschuss überweisen. Dann können wir noch einmal trefflich darüber streiten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahrgangsübergreifende Lerngruppen sollen das Zurückstellen von der Einschulung und das Sitzenbleiben in den ersten Grundschuljahren überwinden helfen. Dafür wurden sie eingeführt. In altersgemischten Lerngruppen sollen Kinder gemeinsam lernen, aber jedes in seinem Tempo mit individueller Förderung. Darauf hatte sich die Große Koalition geeinigt; jedenfalls hat sich uns dies so gezeigt. Man sieht aber, dass man sich offensichtlich doch nicht ganz so einig ist.
Die Kleine Anfrage der FDP, wie weit die Umsetzung gediehen sei, hat dann die bekannte Kontroverse zwischen Frau Herold und der Bildungsministerin provoziert. Na ja, ich kann dazu nur sagen: Was ist die Alternative, Frau Herold? Wenn Sie statt Lernen in altersübergreifenden Gruppen wieder die sechsjährigen Kinder in großer Anzahl als schulunreif zurückstellen wollen, falls die Programme, die wir Gott sei Dank im Kindergarten haben, und die Frühförderung nicht genug gegriffen haben, dann muss ich sagen: auf keinen Fall. Ich denke, eine erste Klasse zu wiederholen, ist auch keine gute Alternative. Ich hätte gern von Ihnen gehört, was Sie denn als Alternative empfehlen, wenn Sie, wie deutlich wurde, nicht darauf vertrauen, dass in allen Fällen die flexible Eingangsphase das Richtige ist.
Kritisch an Frau Erdsiek-Rave ist zu sagen: Die in Ihrem Bericht vor einiger Zeit aufgezählten eintägigen Fortbildungen und auch die Hospitation und die Vorbereitungszeit sind nach Aussagen vieler Beteiligter noch längst nicht genug, wenn man sich tatsächlich völlig neu einstellen muss. Glücklicherweise sind viele Grundschullehrerinnen schon längst dabei, binnendifferenziert zu unterrichten. Aber für diejenigen, für die das wirklich ganz neu ist, mag es sein, dass Härten auftreten. Jedenfalls lässt der Unmut, den man teilweise aus der Lehrerverbänden und Gewerkschaften hört, darauf schließen.
Nun zu Ihnen, Herr Dr. Klug. Sie kritisieren, dass es doch wie ein Sitzenbleiben ist, wenn man nach drei Jahren die Kenntnisse der ersten zwei Schul
jahre nicht erworben hat, das, was da als Durchschnitt erwartet wird. Dem kann ich nur zustimmen. Deshalb sagen wir: Die bisherige Konzeption muss weiterentwickelt werden. Wir halten es für kontraproduktiv, die flexible Eingangsstufe so zu gestalten, dass sich der Klassenverband damit faktisch schon im Laufe des ersten und des zweiten Schuljahres tendenziell auflöst. Im Bericht der Landesregierung mit der Drucksache 16/1462 lesen wir auf Seite 10:
„Am Ende jedes Schuljahres verlässt ein Teil der Kinder die Lerngruppe und wechselt in die dritte Jahrgangsstufe, zu Beginn des neuen Schuljahres kommen neue Erstklässlerinnen und Erstklässler in die Lerngruppe.“
Dieser Bericht stammt aus dem letzten Jahr. Das ist bitter für diejenigen, die das nicht schaffen, denn sie müssen nach drei Jahren in eine andere Lerngruppe mit jüngeren Kindern wechseln. Weiter heißt es in dem Bericht:
„Darüber hinaus findet sich noch an einigen Standorten eine Organisationsform, bei der Schülerinnen und Schüler zum Beispiel mit deutlichen Entwicklungsrückständen in besonderen Eingangsklassen zusammengefasst und gezielt gefördert werden …; häufig auch in enger Verzahnung mit dem Förderzentrum.“
Der Bericht formuliert sibyllinisch zu dieser Legitimation von solchen Extraklassen zur Aussonderung der besonders Langsamen schon im ersten Schuljahr. Ich zitiere:
„noch ihre zeitlich begrenzte Berechtigung, dienen jedoch nicht als Vorbild für eine Weiterentwicklung der Arbeit in der Eingangsphase.“
Daraus schließe ich: Es wird im Augenblick sehr viel mit dem Namen flexible Eingangsstufe verbunden. Ich bin sehr für Schulautonomie, aber zu zentralen pädagogischen Prinzipien, ob man mehr ausgrenzt oder mehr versucht zu integrieren, sollte man einen Konsens haben und diesen nicht völlig in das Belieben der Schulen stellen.
Wir fordern, dass der jahrgangsübergreifende Unterricht nicht eine Sache der ersten zwei Schuljahre bleibt. Vielmehr wollen wir die Kinder nach
der Einschulung so lange zusammenlassen, bis sie das vierte Schuljahr erreicht haben. Diejenigen, die das schon nach drei Jahren schaffen, bekommen wenn die Eltern dies wollen - schon nach drei Jahren ein Abgangszeugnis, was die weiterführende Schule eröffnet. Was spricht dagegen? Es zeigt sich schon an den bisherigen Aufstiegsquoten der flexiblen Eingangsstufe, dass es sich hierbei nur um einen sehr geringen Anteil der Kinder handeln wird. Auch in der flexiblen Eingangsstufe schaffen nur 0,1 % aller Kinder den Sprung nach oben, also den Vollzug von zwei Schuljahren in nur einem Jahr.
Ich glaube, stabile persönliche Beziehungen sind in den Lerngruppen sowohl bei den Kindern untereinander als auch im Verhältnis zu den Lehrerinnen und Lehrern wichtig. Insofern ist die flexible Eingangsphase ein erster Schritt zu mehr Binnendifferenzierung. Es spricht aber wenig dafür, im dritten Schuljahr den Ernst des Lebens mit Berichtzeugnissen und sehr unflexiblen und ganz normalen Jahrgangsklassen zu machen. Entweder ist die Grundschule aus einem Guss, oder man lässt das Ganze. Übergangsweise mit einer flexiblen Eingangsstufe zu beginnen, findet mein Verständnis. Als Gesamtkonzept auf Dauer leuchtet dies meiner Fraktion aber nicht ein, denn sie bedeutet eine Halbierung der Grundschulzeit in flexible und in starre Lernformen.
Für die Gruppe des SSW im Landtag erteile ich der Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das neue Schulgesetz sieht vor, dass die Schüler der ersten und zweiten Klassen künftig komplett oder für einen Teil der Wochenstunden zusammen unterrichtet werden. Mit diesem jahrgangsübergreifenden Unterricht soll eine bessere individuelle Förderung ermöglicht werden. Mit anderen Worten, hochbegabte Kinder können die Eingangsphase in einem Jahr durchlaufen und dann gleich in die dritte Klasse wechseln, während sich schwächer begabte Kinder für die Eingangsphase drei Jahre Zeit lassen können. Je nach individuellen Fähigkeiten werden Kinder die Grundschule künftig ohne Sitzenbleiben und Überspringen in drei, vier oder fünf Jahren durchlaufen.
Ich habe mir sagen lassen, die Grundschulen hätten jetzt drei Jahre Zeit, eigene Konzepte für diesen jahrgangsübergreifenden Unterricht zu erarbeiten. So sieht die Sachlage aus, die auf einem gemeinsamen Beschluss von CDU und SPD beruht. Ich füge hinzu. Wer die aktuellen Diskussionen innerhalb der Großen Koalition verfolgt hat, der sollte bemerkt haben, dass die Kollegin Herold zum Beispiel bei der Erarbeitung dieses Beschlusses nicht dabei war.
Dennoch steht fest, dass wir es mit einer schwierigen Situation zu tun haben, denn einige Schulträger zeigen sich nur unzureichend auf die neuen Anforderungen vorbereitet. Im letzten Monat haben in Neumünster über 250 Lehrerinnen und Lehrer Alarm geschlagen, weil an einigen Schulen die einfachsten Voraussetzungen für die Einführung eines jahrsgangsübergreifenden Unterrichts fehlten: die Klassenräume seien zu klein für Kleingruppenunterricht und die Schülerzahlen seien zu hoch. Die Fortbildung der Lehrkräfte stehe noch aus. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist weiterhin besorgt darüber, dass vor allem bei der Qualifizierung noch vieles im Argen liege.
Auch aus Sicht des SSW gilt, dass die neuen Unterrichtsformen nur funktionieren können, wenn die fachliche Fortbildung gewährleistet ist und wenn die personelle Ausstattung ausreicht. Wenn entsprechende Mittel fehlen, verkommen die hehren Ziele zu Phrasen. Hinzu kommt, dass es offensichtlich Missverständnisse zwischen dem Ministerium und den Schulen gibt, die nur durch eine bessere Kommunikation zu lösen sind. Unklar scheint auch zu sein, wie in den einzelnen Kreisen mit der Einführung des jahrsgangsübergreifenden Unterrichts verfahren wird. Im Kreis Schleswig-Flensburg wurden laut Presseberichten die Mittel für die flexible Eingangsphase gestrichen. Die Begründung scheint zu sein, dass Geld für die neuen Gemeinschafts- und Regionalschulen fehle, sodass andere schulpolitische Maßnahmen zur Deckung herangezogen werden müssen. Dazu gehören unter anderem die Aufwendungen im Rahmen der flexiblen Eingangsphase.
Dies ist im „Flensburger Tageblatt“ nachzulesen. So könnte diesem ambitionierten Schulprojekt also hinterrücks der Garaus gemacht werden. Die Einführung des jahrsgangsübergreifenden Unterrichts in der Grundschule ist dann, wenn man es ernst meint, mehr als nur das Austauschen von Schildern an den Klassen. Es ist vielmehr eine neue Form des
Unterrichts. Der SSW will diese neue Form des Unterrichts. Das sag ich klar und deutlich, denn mit der flexiblen Eingangsphase soll ja ein anderer Unterricht geboten werden. Es soll geöffneten Unterricht und altersübergreifendes Arbeiten geben und neue Lerninhalte - zum Beispiel im Bereich der Sozialerziehung - sollen vermittelt werden. Daher glaube ich, es ist gut, wenn wir uns im Ausschuss noch einmal mit dieser Problematik befassen können. Ich sage aber deutlich: Aus unserer Sicht kann dies nicht heißen, dass im Rahmen der Schulautonomie einfach von dem jahrgangsübergreifenden Unterricht abgesehen werden kann. Hier haben wir es mit einem weiteren Feld als lediglich mit der Schulautonomie zu tun. Hier haben wir es mit Rahmenbedingungen für eine neue Schule zu tun. Ich denke, darum ist es wichtig, dass wir den Einstieg jetzt so gut wie möglich hinbekommen.
Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Bildung und Frauen, Frau Ute Erdsiek-Rave, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Klug, es wäre wirklich angenehm gewesen, von Ihnen einmal etwas zum Sinn und zum Zweck dieser Eingangsphase und zu dem, was dahinter steht, zu hören.