Protocol of the Session on April 23, 2008

(Angelika Birk)

Die bisher 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden nicht mehr ausreichen, um Arbeitslose passgenau in den 1. Arbeitsmarkt oder in Erfolg versprechende Qualifizierungsmaßnahmen zu vermitteln. Kooperative Jobcenter wären bürokratische Monster, die zu mehr Beschäftigung führen würden - allerdings nur in der Arbeitsverwaltung.

Die großen Erfolge der Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre dürfen jetzt nicht gefährdet werden. Die Drei-Jahres-Bilanz von Hartz IV belegt auch einen Erfolg durch Strukturverbesserungen. Aber ich sage: auch einen Erfolg. Natürlich gibt es mehrere Faktoren.

Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen in den letzten drei Jahren um 1,7 Millionen auf 3,5 Millionen spricht eine deutliche Sprache. Die Bilanz der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende fällt deshalb bei den meisten Beteiligten positiv aus. Ausblenden sollten wir aber nicht, dass es durch die Arbeitsmarktreform soziale Härten gibt. Über die debattieren wir in fast jeder Landtagssitzung. Das werden wir auch weiter tun müssen, denn das war eine große Arbeitsmarktreform, und da gibt es an vielen Stellen auch aus sozialpolitischer Sicht Gründe, nachzujustieren.

Unterschiedliche Positionen gibt es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei der Gestaltung der Zukunft. Es handelt sich hier allerdings kaum um eine Auseinandersetzung zwischen den Parteien, auch nicht um eine Auseinandersetzung zwischen den Bundesländern. Hier gilt es, in größtmöglicher Geschlossenheit Länderinteressen gegenüber dem Bund wahrzunehmen. So verstehe ich auch die heutige Debatte. Diskutiert werden neben der Einrichtung von Jobcentern zwei weitere Vorschläge. Erstens: das Modell der Optionskommunen. Hier sind insbesondere aber die Auswirkungen auf die Landeshaushalte zu berücksichtigen, denn eine komplette Übertragung dieser Aufgabe berührt auch das Konnexitätsprinzip, und auch das sollten wir mit ansprechen.

Die Prüfung einer Verfassungsänderung, um die bisherigen Strukturen von Arbeitsgemeinschaften auf der einen Seite und Optionskommunen auf der anderen Seite zu ermöglichen, ist der zweite Vorschlag. Der von CDU, SPD und FDP vorgelegte Antrag sagt ganz klar Nein zur Einrichtung von kooperativen Jobcentern. Ich glaube, darüber besteht Einigkeit im gesamten Haus. Jedes Nachfolgemodell hat sich an der mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende untrennbar verbundenen Zielsetzung der Hilfe aus einer Hand zu orien

tieren. Das können aus Sicht der CDU-Fraktion die Optionskommunen als auch verfassungsrechtlich abgesicherte Arbeitsgemeinschaften sein. Es gibt nicht die Optionskommunen, die bundesweit nur optimale Ergebnisse vorlegen können. Aber es gibt auch nicht die Arbeitsgemeinschaften, die bundesweit nur optimal aufgestellt sind. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen. Darum haben wir in unseren Antrag die Wahlfreiheit mit hineingeschrieben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung würde zu einer massiven Verschlechterung für die Hilfesuchenden führen. Dann wären wir im Grunde genommen wieder am Beginn der Arbeitsmarktreformdebatte. Das wäre aus unserer Sicht schon ein Rückschritt für die Arbeitsuchenden in diesem Land. Die Optionskreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg leisten eine beispielhaft erfolgreiche Arbeit. Auch das wollen wir deutlich unterstreichen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ihre Vermittlungszahlen sind positiv. Der bürokratische Aufwand ist gering. Es werden Entscheidungen getroffen, die sehr nah an den Anforderungen des lokalen Arbeitsmarktes sind. Daher unterstützen wir diese Optionskommunen.

In unserem Antrag steht auch, dass wir eine Entfristung wollen. Auch da besteht Einigkeit, und ich bin froh, dass wir das gemeinsam auf den Weg bringen werden.

Wir sagen als Union auch: Wir wollen für mehr Kommunen die Möglichkeit schaffen, auch das Optionsmodell zu nutzen. Das können wir auch beschließen und es dann auf den Weg bringen. Wir haben im Sozialausschuss verabredet, dass wir uns am 15. Mai wieder mit dem Thema beschäftigen werden. Am 9. Mai findet die Arbeitsministerkonferenz statt. Wir wollen dem Arbeitsminister unsere Eckpunkte mit auf den Weg geben, von denen wir sagen, dass er sie nach Möglichkeit zusammen mit anderen Arbeitsministern durchsetzen soll. Ich glaube, dann kommen wir einen deutlichen Schritt weiter. Ich bedanke mich bei der SPD-Fraktion, aber auch bei der FDP-Fraktion dafür, dass wir diesen Kompromiss in dieser Frage hinbekommen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Geerdts.

(Torsten Geerdts)

Bevor wir in der Aussprache fortfahren, begrüße ich Mitglieder des CDU-Ortsvereins Ringsberg. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion erhält nun Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem SGB II liegt das Konzept „Fördern und Fordern“ zugrunde. Damit soll neben der Sicherung des Lebensunterhalts die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft verbessert werden. Kernstück des Konzepts ist, dass Integrationshilfen für Langzeitarbeitslose individuell passgenau zugeschnitten werden müssen und eine intensive persönliche Beratung Voraussetzung des Erfolgs ist. Zudem sollen Dienste und Hilfen aus einer Hand gewährt werden, sodass sie koordiniert und aufeinander abgestimmt sind.

Es sollen Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen werden, die die Aufgaben beider Seiten in einem kooperativen Prozess regeln. Ein hoher Anteil der Hilfeempfänger ist seit mehreren Jahren ununterbrochen im Leistungsbezug. Fast die Hälfte der Neuantragsteller auf Leistungen der Grundsicherung waren in den vergangenen zwölf Monaten bereits Leistungsbezieher. Das bedeutet auch für uns, dass es gilt, bei dem sogenannten harten Kern von Langzeitarbeitslosen alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen.

Die künftige Organisation der Grundsicherung muss die Voraussetzungen dafür verbessern, dass die Ziele des Konzeptes „Fördern und Fordern“ für die betroffenen Menschen besser als bisher erreicht werden. Zugleich sind aber auch die bisherigen Erfahrungen und Erfordernisse für die Leistungsverbesserung zu berücksichtigen. Die Bundesregierung, die Bundestagsfraktionen, aber auch die Bundesagentur für Arbeit, wir mit unserer regionalen Arbeitsmarktpolitik und die Kommunen sind aufgefordert, im Zuge der erforderlichen Neuorganisation der Strukturen die folgenden Aspekte zu berücksichtigen - ich will einige wenige nennen -:

Erstens. Die Leistungen nach dem SGB II müssen auch in der Zukunft aus einer Hand und unter einem Dach gewährleistet werden.

Zweitens. Die Nachfolgeorganisation der ARGEn muss gesetzlich abgesichert und organisatorisch

eindeutig geregelt werden. Sie muss den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts unzweifelhaft entsprechen und damit langfristig Planungssicherheit für die neuen Strukturen gewährleisten, auch wenn dies neue gesetzliche Regelungen erfordert.

Drittens. Die fachliche Kompetenz der ARGE-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter darf auch in den neuen Organisationsstrukturen nicht verloren gehen.

Viertens. Langzeitarbeitslosigkeit kann nur durch eine enge Verknüpfung von Arbeitsvermittlung, Fallmanagement und sozial-integrativen Maßnahmen bekämpft werden. Die soziale Integration betrifft nicht nur die klassischen sozialen Leistungen wie Schuldnerberatung, Suchtberatung, Hilfe bei der Kinderbetreuung und so weiter, sondern auch die Arbeitsvermittlung, die Wirtschaftsförderung und die soziale Stadtteilentwicklung.

Fünftens. Die Finanzierung muss eindeutig und unterscheidbar geregelt sein. Der Bund steht weiterhin in der Verantwortung für die Finanzierung der Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit, die Kommunen dürfen dabei nicht zusätzlich belastet werden, im Gegenteil, die damals ausgehandelten finanziellen Entlastungen der Kommunen müssen weiter bestehen bleiben. Deswegen ist es auch zu kurz gesprungen, nur zu sagen: Wir wollen, dass der Bund den Kommunen das Geld für die Finanzierung gibt. Nein, es geht auch um die finanziellen Entlastungen, die den Kommunen mit dem Umsetzen der Hartz-Reform zugesagt worden sind.

Sechstens. Es gilt in diesem Prozess aber auch inhaltliche Anpassungen des SGB II zu diskutieren. So sollten zum Beispiel die Grundlagen der Regelsatzbemessung jährlich überprüft und angepasst werden, alle Anpassungsmechanismen der Regelsätze müssen jetzt zum Beispiel mit auf ihre Wirksamkeit und Zielerreichung überprüft werden. Weiter sollte auch das Verfahren über die Anspruchsberechtigung bei Kinderzuschlägen überprüft und vereinfacht werden.

Mit unserem Antrag wollen wir der Landesregierung insgesamt und ganz besonders dem Arbeitsminister vor der am 9. Mai 2008 stattfindenden Sonderkonferenz der Arbeits- und Sozialminister den Rücken stärken, um die bewährte Zusammenarbeit von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit weiterhin als Regelmodell umzusetzen, aber auch den beiden in Schleswig-Holstein arbeitenden Optionskommunen langfristig Planungssicherheit zu geben.

Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag „Hilfe aus einer Hand bei der Grundsicherung für

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

Arbeitsuchende“, dem sich jetzt auch die FDP angeschlossen hat. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch. Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der ersten Evaluation des SGB II Anfang 2006 durch den Deutschen Landkreistag hat sich leider nicht viel getan. Immer noch gilt heute, was bereits vor zwei Jahren wissenschaftlich unbestritten festgestellt wurde: Hartz IV ist eine Dauerbaustelle. Allein die Nachbesserungsanträge und Debatten in diesem Haus füllen inzwischen dicke Ordner. Das Gesetz, das nach langem Hin und Her verabschiedet wurde, hatte von Beginn an Lücken und Widersprüche. Es ist also durchaus zu begrüßen, über die Strukturen bei der Umsetzung des SGB II nachzudenken. Das betrifft auch die Trägerstrukturen, deren Neuordnung durch das aktuelle Gerichtsurteil notwendig wird.

Der SSW befürwortet die Durchführung der Arbeitsmarktpolitik durch die Kommunen. Im Norden Schleswig-Holsteins haben wir nur eine ARGE, nämlich in Flensburg. Unabhängig von der Bewertung ihrer Arbeit wäre es wünschenswert gewesen, hätten wir im gesamten Landesteil Schleswig nur ein Modell gehabt. Die Kooperationsvorteile zwischen den Optionskommunen Schleswig-Flensburg und Nordfriesland sind nämlich enorm. Doch die Stadt Flensburg bleibt derzeit noch außen vor. Viele Gremiensitzungen sollen dieses Manko nun ausbügeln, dennoch bleiben Defizite bestehen, die in der Regel die Arbeitslosen auszubaden haben.

Der SSW wird sich nicht auf eine trägerzentrierte Diskussion beschränken. Vergessen wir nicht, dass es um Arbeitslose geht und nicht um Empfindlichkeiten oder Befindlichkeiten einzelner Behördenchefs. Rufen wir uns noch einmal die Grundidee der Hartz-Kommission in Erinnerung: Durch die Vermittlung aus einer Hand sollten Arbeitsvermittlung und Qualifizierung entbürokratisiert und transparenter werden.

Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung evaluiert laufend die Maßnahmen des Zweiten Sozialgesetzbuches. Aktuell stellt die zuständige Forscherin Susanne Koch fest, dass Lei

stungen aus einer Hand nicht umgesetzt werden, also ein Ziel der Reform nicht erreicht wird. Leistungsgewährung und Integrationsleistungen würden vielerorts getrennt, was besonders bei den ARGEn der Fall sei. Diese lassen Vermittlung und Fallmanagement von getrennten Bearbeitern wahrnehmen. Das muss sich schleunigst ändern.

Die ARGEn kranken noch an einem anderen Problem: Zwei Organisationen sollen zusammenwachsen, scheitern aber an zwei unterschiedlichen Organisationstraditionen. Das ist keine Ausnahme. Im Gegenteil, das ist weit verbreitet. So scheiterte beispielsweise eine der größten Zusammenschlüsse in der Industrie daran, dass Daimler- und ChryslerManager keine gemeinsame Gesprächsbasis finden konnten. Bei den ARGEn ist es ähnlich. Auch hier wurden zwei Logiken zusammengetan, die sich miteinander schwertun.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der einen Seite stehen die zentralistisch orientierten Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und auf der anderen diejenigen, die vorher in den jeweiligen Rathäusern gerade zu einer selbstständigen Bearbeitung angehalten wurden. Diese Mitarbeiter wurden vor allem in den ersten Monaten auch noch durch neue Fallmanager ergänzt, die inzwischen teilweise wieder entlassen wurden und sich plötzlich auf der anderen Seite ihres alten Schreibtisches wiederfinden. Die ARGEn sind eben noch nicht eingespielt. Viele Langzeitarbeitslose klagen, dass sie immer neue Sachbearbeiter zugewiesen bekommen.

Die Optionskommunen haben sich nach teilweise erheblichen Anlaufschwierigkeiten zu kompetenten Ansprechpartnern von Arbeitgebern und Arbeitslosen entwickelt. Dieses Modell scheint das bessere zu sein. Bereits vor zwei Jahren hatten sich die vom Landkreistag befragten Optionskommunen ohne Ausnahme noch einmal für dieses Modell entschieden, während bei den ARGEn jede zweite die Trägerschaft verändern wollte. Daher erscheint die Möglichkeit eines Trägerwechsels den Interessen der Kommunen zu entsprechen.

Doch nicht nur aus Sicht der Träger ist es besser, die Arbeitmarktmaßnahmen den Kommunen zu überlassen, wie es übrigens in Skandinavien schon seit eh und je geschieht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Trägerschaft durch die Kommunen hat noch einen schwerwiegenden Vorteil. Sie ermöglicht die

(Wolfgang Baasch)

Kontrolle durch die gewählten kommunalen Vertreter. Die Kontrolle durch gewählte Politiker ist ein gutes und demokratisches Prinzip, das bei den ARGEn so nicht Anwendung findet.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Aus diesem Grund hat man sich beispielsweise in Nordfriesland ganz klar für die Beibehaltung des Optionsmodells entschieden, das dort auch erfolgreich praktiziert wird. Aber auch über 100 andere Kommunen in ganz Deutschland haben schon den Wunsch geäußert, Optionskommune werden zu wollen. Wenn man wirklich einmal ein skandinavisches Erfolgsmodell bei uns übernehmen möchte, dann wäre die kommunale Trägerschaft der Arbeitsmarktmaßnahmen und der Sozialverwaltung eine ideale Möglichkeit hierfür.