Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch kann die große Koalitionsfraktion für sich in Anspruch nehmen, sie habe die finanzpolitische Katastrophe nicht mit verursacht, für die sie jetzt einstehen muss und die sie zu diesem „Weiter so!“ zwingt. Allerdings wird dieser Anspruch bald verfallen, wenn es tatsächlich so weitergeht.
Der Juniorpartner der großen Koalition genießt diesen Vertrauensvorschuss selbstverständlich nicht. Die SPD ist ja hauptverantwortlich für die finanzpolitische Katastrophe, aus der die große Koalition unser Land wahrscheinlich nicht führen wird.
Dieser Nachtrag ist selbstverständlich ebenfalls verfassungswidrig. 1,7 Milliarden € neuen Schulden stehen eigenfinanzierte Investitionen von nur etwas mehr als 550 Millionen € gegenüber. Der Kollege Neugebauer und auch Sie, Herr Kollege Sauter, haben gesagt: Mehr als das Dreifache der Verfassungsgrenze ist überschritten. Die Neuverschuldung ist höher, als unsere Landesverfassung es erlaubt. Deshalb werden wir diesen Nachtrag ablehnen. Wir stimmen verfassungswidrigen Gesetzentwürfen nicht zu.
Wir stimmen dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen, obwohl wir uns von einer weiteren Lesung keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn versprechen. Angesichts der Lage, in der wir uns befinden, sind alle Überlegungen, von 1,7 Milliarden € auf 550 Millionen € herunterzukommen, wirklich illusorisch.
In unserer Verfassung steht auch, wann die neuen Schulden höher sein dürfen als die vom Land finanzierten Investitionen: gemäß Artikel 53 der Verfassung dann und nur dann, wenn so eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt oder eine schwerwiegende Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes überwunden werden soll.
Nach § 18 der Landeshaushaltsordnung ist in beiden Fällen im Gesetzgebungsverfahren die jeweilige Störung festzustellen und darzulegen, wie die überhöhten Schulden sie abwehren beziehungsweise überwinden können oder sollen. Herr Kollege Sauter, im Gegensatz zu Ihnen glaube ich nicht, dass der Verzicht auf eine solche Erklärung die finanzpolitische Tugend einläutet. Möglicherweise geschieht genau das Gegenteil.
Wir werden nur dieses Mal und für 2006 zulassen, dass dies geschieht. Das habe ich dem Finanzminister schon gesagt. Danach werden wir es nicht mehr zulassen, weil damit einem Hochtreiben der Verschuldung Tür und Tor geöffnet wird, ohne dass man sich noch darum kümmern muss, sie in irgendeiner Form zu begründen.
Nach der Verfassung genügt es eben nicht, wenn der Finanzminister feststellt, das Land sei pleite, die regulären Einnahmen reichten nicht, um die gesetzlich beschlossenen Ausgaben zu bezahlen, und deshalb müssten Mindereinnahmen und Mehrausgaben jetzt durch neue Schulden gedeckt werden.
Ich kann verstehen - menschlich und politisch -, dass die CDU ihren Juniorpartner SPD nicht vorführen möchte, indem sie seine Regierungspolitik als Ursache der schwerwiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung Schleswig-Holsteins feststellt, deren offenkundige und vorhersehbare Rückwirkungen die Finanzen des Landes ruiniert haben. Genau das aber wäre die Wahrheit.
Auch ein Blick in den neuen Finanzplan reicht aus, um die CDU zu verstehen: Diese Feststellungen könnten und würden später gegen die neue Landesregierung, vor allem gegen die Union, verwendet werden. Aber diese Motivation kann in einem Rechtsstaat keinen Bruch der Verfassung rechtfertigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Nachtrag zeigt übrigens auch, wie unsinnig es von Rot-Grün war, im Jahre 2003 einen Doppelhaushalt zu beschließen. Dieser hat der alten Landesregierung zwar formell die Haushaltsdebatten vor der Landtagswahl erspart; aber dafür zahlen die Menschen in Schleswig-Holstein einen viel zu hohen Preis. Denn mit dem Doppelhaushalt wurde die Finanzkrise Schleswig-Holsteins verschärft.
Der Doppelhaushalt verschärfte die Finanzkrise, weil die alte Landesregierung freiwillig auf die Schmach verzichtete, rechtzeitig Nachträge vorzulegen, obwohl das Ausmaß der Fehlbeträge schon lange offensichtlich war. Spätestens im Mai 2004 war klar - Herr Kollege Wiegard, das zeigen Ihre und unsere damaligen Erklärungen -, dass dem Land im Jahre 2005 weit über 1 Milliarde € fehlen würden.
Der neue Finanzminister will ab 2007 wieder Doppelhaushalte vorlegen, obwohl er aus den gleichen Gründen wie wir gegen den aktuellen Doppelhaushalt war. Er beteuert jetzt, Doppelhaushalte seien sinnvoll, wendete man sie richtig an.
Lieber Herr Finanzminister, lieber Herr Kollege Wiegard, bei allem Respekt: Ihre Erklärung erinnert mich stark an die Fantasten, die noch immer behaupten, der Sozialismus könne funktionieren; man brauchte dazu nur die passenden Menschen.
Ich fasse zusammen. Das Land ist pleite, und dieser Nachtrag ist mehr ein Teil des Problems als ein Teil seiner Lösung. Ich denke, der Finanzminister müht sich redlich, das Insolvenzverfahren vernünftig abzuschließen, um Schleswig-Holstein wenigstens den Ausblick auf bessere Zeiten bieten zu können. Ob und wie lange die schwarz-rote Koalition ihn gewähren lässt, können wir noch nicht beurteilen.
Mit diesem Nachtrag hat die neue Landesregierung den Reigen ihrer eigenen Finanzpolitik eröffnet. Was uns da versprochen wird, was uns tatsächlich blüht und worin sich das eine vom anderen unterscheidet, darüber reden wir heute Nachmittag bei der Einbringung des Haushalts 2006. Und dann, Kollege Neugebauer, reden wir auch über die Alternativen.
Das Wort hat nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Vorweg möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Fraktion darauf geeinigt hat, den Beitrag von 15 Minuten zwischen der Fraktionsvorsitzenden und dem Abgeordneten Müller aufzuteilen. Ich werde dies nach § 52 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung ermöglichen und erteile zunächst der Fraktionsvorsit
Vielen Dank, Frau Präsidentin, zum einen für die Worterteilung und zum anderen für die Genehmigung, wie wir vorgeschlagen haben zu verfahren.
Frau Präsidentin, es ist mir ein Anliegen, unseren schriftlich vorgelegten Antrag zu begründen, die Vorlage des Nachtragshaushalts in der Drucksache 16/177 noch einmal in den Finanzausschuss zu überweisen und sodann in einer weiteren Sitzung hier im Landtag zu beraten.
Was wir damit vorschlagen, weicht von dem normalen Eilverfahren für Nachtragshaushalte ab. Diese werden unmittelbar in einer Lesung beschlossen. Das ist dann richtig, wenn der Nachtrag, der vorgelegt wird, dem Regelfall entspricht. Der vorgelegte Antrag entspricht aber nicht dem Regelfall, denn er verstößt gegen die Verfassung. Weder in der schriftlichen allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfs noch in den Beratungen des Finanzausschusses und auch nicht in den bisherigen Einlassungen der Landesregierung - ich weiß nicht, was heute noch kommt - ist begründet worden, warum die Kreditaufnahme in der schon beschriebenen Weise derart überzogen werden darf. Es ist politisch begründet worden, aber den Verfassungsbruch, der begangen wird, als Mut zu bezeichnen, das finde ich schon bemerkenswert, wenn nicht gar dreist, Herr Kollege Sauter.
Die Begründung führt aus, die erhöhte Kreditaufnahme diene fast ausschließlich der Korrektur der ursprünglich erwarteten Steuereinnahmen, dem Ausgleich globaler Minderausgaben und der Deckung der durch Hartz IV entstandenen Kosten. Bezüglich des zweiten notwendigen Merkmals, der Störung der Beschäftigungsentwicklung, verweist der Entwurf auf die Bundesebene und schweigt im Übrigen. Wie der Präsident des Landesrechnungshofes in seinem Schreiben vom 12. August 2005 schon dargelegt hat, gebietet die Sach- und Rechtslage eine Beratung in zwei Lesungen, zeigt doch die bisherige Begründung, dass „eine bedenkliche Erosion des Rechtsbewusstseins und der Rechtstreue“ vorliegt. - So ein Zitat des Landesrechnungshofs.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, diese Ausführungen sind keine juristische Spielerei. Wir lenken keineswegs etwa davon ab, dass sich der Nachtrag 2005 natürlich auf den Haushalt 2005 bezieht, den wir, Rot-Grün, beschlossen haben und den
ich beispielsweise als ehemalige Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie für meinen Bereich zu verantworten habe.
Aber es ist eine Frage des demokratischen Verständnisses, wie eine Mehrheit in diesem Landtag mit den Vorschriften der Landesverfassung und der Landeshaushaltsordnung umzugehen beliebt. Es ist interessant, dass der Herr Ministerpräsident bei dieser Debatte nicht anwesend ist.
Keine Sorge: Auch wir wissen, dass der Zwang zur zweiten Lesung in Schleswig-Holstein nicht Verfassungscharakter hat - anders als in MecklenburgVorpommern. Aber wir wissen nicht erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Neuwahlen, dass sich jeder Landtag, jedes Parlament auch mit dem Zweck der Norm zu beschäftigen hat. Der Zweck des Artikel 53 Landesverfassung besagt: Dann, wenn die Kreditlinie massiv überschritten wird, muss die Regierung darlegen, muss sie begründen. Und Sie versuchen es noch nicht einmal. Und das bezeichnen Sie als Mut. Und da brechen Sie die Verfassung.
- Nicht locker, Herr Finanzminister - Ihnen persönlich unterstelle ich an diesem Punkt eine sehr intensive Arbeit -, aber in der allgemeinen Debatte.
Warum tun Sie das? - Sie wissen sehr genau - diese Vermutung drängt sich auf -: Eine Klage ist nicht möglich. Artikel 44 der Landesverfassung sagt, nur ein Drittel der Abgeordneten kann klagen. Rein rechnerisch ist das nicht möglich, selbst wenn die FDP, der SSW und wir gemeinsam klagten. Zehn Abgeordnete sind nicht ein Drittel. So weit können sicherlich alle Abgeordneten hier im Raum rechnen.
Wir stellen fest: Eine weitere Lesung ist aus grundsätzlichen Erwägungen notwendig. Sollte der Finanzminister heute ergänzende Ausführungen machen, ist sie erst recht notwendig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kubicki hat zu Recht darauf hingewiesen, welche Zahlen der vorliegende Nachtragshaushalt beinhaltet. Er kämpft mit den höchsten Net
toausgaben, mit der höchsten Nettoneuverschuldung der Geschichte Schleswig-Holsteins. Mit dem Nachtragshaushalt werden die Nettoausgaben um 4,4 % auf über 8 Milliarden € erhöht. Die Nettoausgaben liegen im Nachtrag 2005 deutlich über den Nettoausgaben der Haushalte 2002, 2003, 2004 und natürlich auch des ursprünglichen Haushaltes 2005.
Ähnlich verhält es sich bei der Entwicklung der Nettokreditaufnahme. Auch diese wird im Nachtragshaushalt auf über 1,7 Milliarden € mehr als verdreifacht.
Ich will gleich am Anfang, damit wir keine falschen Schlachten schlagen, deutlich sagen: Den größten Teil dieser Erhöhungen hat nicht die Landesregierung zu verantworten. Veränderungen bei den Steuereinnahmen, Bewegungen durch Hartz IV sind nicht von Kiel aus allein zu beeinflussen und hätten von jeder Landesregeierung - sei es die große Koalition, wäre es eine Fortsetzung von Rot-Grün, wäre es eine Regierung von Schwarz-Gelb - geschultert werden müssen.
Was aber übel und peinlich aufstößt, ist die politische Begleitmusik insbesondere des Ministerpräsidenten - schön, dass Sie da sind! -, der vor Selbstlob und Selbstgefälligkeit kaum laufen kann. Minister Wiegard ist an dieser Stelle wahrscheinlich aus guten Gründen in seiner Intonierung wesentlich vorsichtiger.
Überall möchte sich der Ministerpräsident gern dafür feiern lassen, die Nettoneuverschuldung bis 2010 zu halbieren. Wenn man aber gerade die Verschuldung verdreifacht hat, wirkt das Versprechen der Halbierung nicht mehr so mutig, wie der Bass aus Nordstrand uns glauben machen will.
Mit der abenteuerlichen Erhöhung der Nettoneuverschuldung haben Sie sich für ihr Ziel ein bequemes Bett geschaffen.