Die Denkpause der EU hat dazu geführt, dass die Europäische Verfassung, so, wie sie gedacht war, nicht in Kraft getreten ist. Damit wird eine wirkliche politische Union auch in absehbarer Zeit nicht etabliert werden. Das ist gut so, weil das von der
Der Vertrag von Lissabon umfasst jetzt noch die Charta der Grundrechte der Europäische Union und vor allem beinhaltet er eine Änderung des institutionellen Rahmens. So wird es in Zukunft weniger EU-Kommissare geben und auch die Abstimmungen im Ministerrat werden erleichtert. In diesem Zusammenhang bin ich dem Kollegen Klug dafür dankbar, dass er einmal plastisch dargestellt hat, was im Rahmen der Umsetzung auf uns zukommen könnte, wenn wir nicht darauf achten, dass es auch zu einem Schwarzer-Peter-Spiel kommen könnte. Insofern ist auch in diesem Bereich Kommunikation das A und O. Des Weiteren - das wissen wir auch -, werden die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt und das gilt auch in einigen Fragen für die nationalen Parlamente.
Obwohl man seitens der EU-Bürokratie davon spricht, dass mit diesen Änderungen die Entscheidungsprozesse in Brüssel praktikabler werden, so erscheint es mir, dass die Transparenz der EU-Beschlüsse leider kaum verbessert wird. Dies kann wiederum für die Akzeptanz der Entscheidungen der EU vor Ort ein Problem werden. Umso bedauerlicher ist es, dass viele Staaten die Chance verpassen, beim Ratifizierungsprozess die Bevölkerung direkt mit einzubeziehen.
Ich meine damit, dass es aus Sicht des SSW notwendig ist, Volksabstimmungen zur Ratifizierung dieses Vertragswerkes durchzuführen. Ich möchte auch nicht verhehlen, dass ich darüber enttäuscht bin, dass die dänische Regierung keine Volksabstimmung durchführen will. Schließlich gibt es in Dänemark eine lange Tradition in Sachen Volksabstimmungen und diese haben auch dazu geführt, dass intensive öffentliche Debatten zu EU-Fragen geführt wurden.
Bisher scheint nur Irland eine Volksabstimmung durchführen zu wollen und das ist äußerst bedauerlich. Dies trägt aus unserer Sicht zum weiteren Desinteresse der Bürgerinnen und Bürger an der EU bei, da sie schon wieder nicht gefragt werden. Dabei gibt es im Vertrag von Lissabon durchaus auch positive Elemente, die eine öffentliche Diskussion überhaupt nicht zu scheuen brauchen.
So sind in Artikel 21 der Charta im Rahmen der Nichtdiskriminierungsbestimmungen ausdrücklich auch die nationalen Minderheiten erwähnt.
Sicherlich hätten wir uns einen konkreten Minderheitenpassus gewünscht - das haben wir hier im Parlament auch mehrfach diskutiert -, aber es ist dennoch positiv, dass die europäischen Minderheiten in der Charta mit einbezogen worden sind. Schließlich gehört jede zehnte Bürgerin oder jeder zehnte Bürger in Europa einer nationalen Minderheit oder ethnischen Volksgruppe an. Insofern hätten wir uns gewünscht, dass der Schutz und die Förderung der Minderheiten in der Charta ausdrücklich verankert werden, aber mit der Formulierung in Artikel 21 ist immerhin der berühmte erste Schritt in die richtige Richtung formuliert worden.
Auch in der EU setzt sich langsam die Auffassung durch, dass die kulturelle Vielfalt der Minderheiten und Volksgruppen Europa bereichert. Diese kulturelle Vielfalt trägt zur Identitätsbildung, zur Völkerverständigung und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei.
Der SSW begrüßt ferner, dass in Artikel 22 der Grundrechtecharta die Vielfalt der Kulturen und der Sprachen in der EU berücksichtigt wird. Gerade im Bereich der Sprachenvielfalt hat die EU eine große Aufgabe, wenn man das weitere Aussterben der über 80 Sprachen in Europa verhindern will.
Im Moment ist aus meiner Sicht noch nicht genau absehbar, welche Folgen der neue EU-Vertrag konkret für Schleswig-Holstein haben wird. Ich stimme dem Kollegen Fischer zu, dass der Vertrag für uns Chancen eröffnet, um beispielsweise mit dem Vertragswerk die Ostseekooperation, die Nordseekooperation oder die Nachbarschaftspolitik im Ostseebereich zu stärken. Ich bleibe allerdings dabei, dass diese Aufgaben für den Schleswig-Holsteinischen Landtag unabhängig von EU-Fragen zu seinen Kernaufgaben gehören müssen. Ich sage hier zum wiederholten Male. Wir können diese Aufgabe, diese Arbeit nicht der Landesregierung alleine überlassen. Hier sind wir gefragt.
Weiterhin ist es so, dass der Ausschuss der Regionen gestärkt wird und ihm mehr Aufgaben übertragen werden. Das ist meiner Meinung nach auch zwingend notwendig. Da durch den neuen Vertrag auch den nationalen Parlamenten mehr Einfluss gewährt wird, müssen die Regionen in Zukunft noch stärker versuchen, ihre Plattform in Brüssel besser und effizienter zu nutzen. Denn ansonsten werden die Regionen zwischen den politischen Entschei
Das Problem mit der Subsidiaritätskontrolle ist bereits angesprochen worden. Ich denke, hier gibt es noch viel zu tun. Ich sehe im Moment noch nicht richtig, wie wir es lösen können, aber wir werden uns Mühe geben und vielleicht wird es in Zukunft Änderungen geben, die es uns ermöglichen werden, diese Kontrolle so wahrzunehmen, wie wir es uns gewünscht haben, als wir diese Kontrolle begrüßt haben.
Der SSW hätte sich gewünscht, dass man bei der institutionellen Reform noch mehr Entscheidungen so nah wie möglich am Bürger dezentral verankert hätte. Denn nur vor Ort können die Bürgerinnen und Bürger von der europäischen Zusammenarbeit überzeugt werden. Auch der neue Vertrag bringt nur wenig mehr Klarheit in der Frage, wofür in Zukunft die EU verantwortlich ist und wofür die nationalen Parlamente und die Kommunen die Verantwortung tragen.
Mein Fazit ist daher, dass der Vertrag sicherlich einige Defizite weggeräumt und auch technokratische Hürden der europäischen Zusammenarbeit überwunden hat. Die Probleme, die viele Politikerinnen und Politiker mit den bisherigen EU-Institutionen hatten, sind also zum Teil gelöst worden. Aber das entscheidende Manko der bisherigen EU-Politik, die mangelnde Bürgernähe, bleibt auch in Zukunft bestehen. Deshalb müssen wir weiterhin hart daran arbeiten, dass das Ringen um politische Lösungen aus den geschlossenen Räumen in Brüssel wieder in den Bundestag und in die Landtage zurückkehrt. Nur so haben die Menschen die Chance, politische Konflikte und Kompromisse nachzuvollziehen und nur so wird die Akzeptanz der EU insgesamt verbessert werden können.
Ich danke der Abgeordneten Spoorendonk und möchte mit Ihnen eine weitere Besuchergruppe auf der Tribüne begrüßen. Es sind Mitglieder des Inner Wheel Clubs Kiel. - Herzlich willkommen!
Für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält nun der Herr Abgeordnete Rolf Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anke Spoorendonk, ich stimme Ihnen in der Rede und in der Bewertung zu 99 % zu. Ich möchte nur diesen Punkt der Volksabstimmung noch einmal ansprechen, weil er jedes Mal aufgerufen wird und weil ich gleich begründen werde, warum ich dagegen bin und ich auf Podien deshalb immer ganz schlecht aussehe. Natürlich macht es sich gut, dafür zu werben, dass alle Menschen abstimmen sollen, und zu sagen, dass wir es jetzt so machen. Dabei bekommt man sehr viel Applaus und die Leute freuen sich.
Dadurch wird nur das Argument nicht richtiger. Jeder weiß - und auch Sie wissen es -, dass wir in der Bundesrepublik die Möglichkeit des Volksentscheides gar nicht haben. Jetzt könnte man erklären, wir ändern das Grundgesetz mit einer Zweidrittelmehrheit, aber dann muss man auch so ehrlich sein und sagen, dass wir es nicht nur für die Volksabstimmung zur Europäischen Verfassung ändern, sondern dass wir generell darüber reden, ob wir Volksabstimmungen wollen oder nicht.
Dieser Prozess wird aber ein bisschen länger dauern als die Zeit, die wir haben. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere Jurist auch etwas dazu zu sagen hat. Eine oder mehrere Doktorarbeiten werden zu dieser Frage wahrscheinlich in Auftrag gegeben. Damit werden wir die Frage der europäischen Verfassung aber nicht lösen, sondern wir schieben sie mit großer Wahrscheinlichkeit sehr weit hinaus. Denn es gibt ja - das haben wir an der Frage der plebiszitären Elemente in unserer eigenen Landesverfassung gesehen - einen eminenten Bedarf an Diskussionen zu so einer grundsätzlichen Frage.
Und wenn ich noch eines hinterherschieben darf, weil es mich auch immer ärgert: Wenn wir denn über die Verfassung abstimmen könnten, wenn wir denn wollten und dürften und sollten, dann müssten wir natürlich auch eine EU-Verfassung haben. Wir haben im Moment aber keine Verfassung. Wir haben eine Grundrechtecharta und wir haben einen Katalog, der eine Art Geschäftsordnung ist; wenn man so will, beschreibt er eine Institutionenverflechtung. Man kann doch nicht ernsthaft hingehen und sagen: Wir wollen eine Volksabstimmung über doppelte Mehrheiten, über komplizierte Verfahren, die ja - wie ich zugebe - letztlich nur wenige Leute
Es geht also im Kern nur um die Grundrechtecharta. Wenn wir ehrlich sind, dann brauchen wir hier - so glaube ich - keine Volksabstimmung, denn die Inhalte der Grundrechtecharta sind Teile unseres Grundgesetzes. Damit sind wir doch alle einverstanden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 16/1801 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Der Tagesordnungspunkt ist mit der Berichterstattung der Landesregierung erledigt. Es ist keine Ausschussüberweisung beantragt worden.
Antrag der Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1816 (neu)
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki hat das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Sonntag ist der Wahlkampf in Hessen vorbei. Das Ergebnis ist bekannt. Der noch amtierende Ministerpräsident Koch hat eine dramatische Niederlage erlitten, auch wenn die CDU im Land noch stärkste Fraktion ist. Im Endspurt des Wahlkampfes hat eben dieser Ministerpräsident versucht, mit einer zweifelhaften Kampagne zur Verschärfung des Jugendstrafrechts noch Stimmen für die hessische CDU zu ergattern. Was er mit seiner politischen Stimmungsmache allerdings erreicht hat, war, den Wählerinnen und Wählern, die gar nicht mehr wussten, warum sie sich für die SPD entscheiden sollten, einen Grund hierfür zu liefern. Jede Stimme für die SPD war eine Stimme für die Abwahl von Ministerpräsident Koch. Das hat er erreicht. Das Ergebnis kennen Sie.
auf der einen Seite gegen eine scheinbar immer weiter ansteigende Jugendkriminalität wettert, auf der anderen Seite aber bei den Einrichtungen Gelder und Personal streicht, die sich dieses Problems in der Vergangenheit angenommen haben?
In Hessen war aus einem Fachthema ein Machtthema geworden, und es war wohltuend, zu sehen, dass die Vorschläge der hessischen CDU auf den einheitlichen Widerstand der Wissenschaftler, der Fachverbände und der Praktiker stießen.
Die Tatsache, dass die Wahlen in Hessen vorbei sind und dass sich das Thema für die Union als Bumerang erwiesen hat und daher nicht zu erwarten ist, dass sich die gleichen Abgründe in Hamburg auftun, gibt uns in diesem Haus die Chance, auf sachlicherer Ebene über den Stand des heutigen Jugendstrafrechts zu reden. Dazu lassen Sie mich Folgendes feststellen: Die Jugendkriminalität ist in den letzten Jahren bundesweit zurückgegangen. Der Anteil nicht deutscher Tatverdächtiger - diese wurden von Herrn Koch ja immer besonders erwähnt ist in der Altersgruppe von 14 bis 21 hinsichtlich der Gewaltkriminalität in den Jahren 1997 bis 2006 gerade in den westlichen Bundesländern signifikant zurückgegangen. In Schleswig-Holstein ist er zum Beispiel in dem besagten Zeitraum von 24 auf 13 % gesunken.
Das sind die Fakten. Es stellt sich daher die Frage, ob der Anlass für die Diskussion um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts überhaupt bestand. Für jugendliche Gewalttäter unter 18 Jahren gibt es bereits heute die Möglichkeit der Haft durch die Verhängung einer Jugendstrafe. Gewalttäter über 18 werden auch heute wie Erwachsene bestraft, wenn die Richter nicht der Auffassung sind, dass es sich bei der Tat um eine Jugendverfehlung handelt oder dass der Täter in seiner Entwicklung einem Jugendlichen gleichkommt. Für die wenigen Täter, denen nicht mehr mit den erzieherischen Maßnahmen des Jugendstrafrechts beizukommen ist, ist also im Gesetz gesorgt.
Es wäre allerdings fatal, diejenigen Jugendlichen praktisch aufzugeben, die wir mit den erzieherischen Maßnahmen noch erreichen können; und dies nur aufgrund einer öffentlichen Kampagne gegen einen eigentlich geringen Anteil von Tätern. Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts oder die durchgängige Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf alle über 18-Jährigen ist nicht nur sach
widrig, sie wird von uns auch abgelehnt. Erstes Ziel muss es doch sein, Jugendliche, die straffällig geworden sind, künftig von Straftaten abzuhalten und damit im Ergebnis präventiv für mehr Sicherheit zu sorgen. Höhere Strafen schrecken nicht vor Straftaten ab. Bei Jugendlichen gilt eher das Gegenteil. Alle empirischen Untersuchungen zeigen, dass die Rückfallgefahr bei kurzen Freiheitsstrafen besonders hoch ist. Diese Strafen schrecken nicht ab. Dafür aber sind ihre entsozialisierenden Wirkungen sehr hoch. Wer ins Gefängnis kommt, der kommt zumeist auch in das entsprechende Milieu. Die Gefahr eines Abgleitens besteht insbesondere bei noch nicht in sich gefestigten Charakteren, also bei Jugendlichen oder Heranwachsenden, die eben noch nicht die notwendige Reife haben.
Eine Veränderung des Jugendstrafrechts ist also nicht geboten. Geboten ist Unterstützung, wo sie gebraucht wird, und zwar durch eine ausreichende Ausstattung der ambulanten Familienhilfen und der Bewährungshilfe, durch eine ausreichende Ausstattung von Polizei und Justiz, sodass die Strafe auf dem Fuß erfolgen kann, was auch eine erzieherische Wirkung hat, sowie durch eine ausreichende Förderung freier Träger. Wir sollten uns ernsthaft um Schulsozialarbeit bemühen, um auffällige Kinder und Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld vor jeder Straffälligkeit betreuen zu können. Darüber sollten wir wirklich sehr ernsthaft debattieren.