Drittens. Die Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten wird durch die Einführung von Kompetenzkategorien deutlich verbessert. Es gibt drei Kompetenzkategorien: ausschließliche, geteilte sowie Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungskompetenzen der Union. Nicht übertragene Zuständigkeiten verbleiben wie bisher bei den Mitgliedstaaten.
Kommen wir nun zu den institutionellen Reformen. Das wird am meisten diskutiert und wird wahrscheinlich auch ganz besondere Auswirkungen auf die normale europäische Politik haben.
a) Die Befugnisse des Europäischen Parlaments werden erheblich ausgebaut. So wird das Mitentscheidungsverfahren zum Regelfall. Hinzu tritt eine Erweiterung der Haushaltsbefugnisse sowie der Mitwirkungsrechte, zum Beispiel bei der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten, und das Europäische Parlament wird sich künftig bei einer Höchstzahl von 96 Sitzen pro Mitgliedsstaat aus 750 Mitgliedern zuzüglich seines Präsidenten zusammensetzen. Sie wissen alle, welche Diskussionen geführt werden mussten, bis man überhaupt zu diesem Ergebnis gekommen ist. Das war schwierig genug. Ich stelle mir vor, wir hätten solche Regelungen in Schleswig-Holstein. Gott sei Dank ist das nicht der Fall.
b) Der Europäische Rat, der künftig Organstatus besitzt, wird statt der bisherigen halbjährlichen Rotation nun durch einen auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten geleitet. Hierzu wird gerade eine Personaldiskussion geführt, und es wird gefragt, wer möglicherweise dafür in Frage kommt. Der Präsident kann einmal wiedergewählt werden. Der Präsident des Europäischen Rats soll Kontinuität, Zusammenhalt und Konsens im Europäischen Rat fördern.
Die Leitung der Fachministerräte dagegen wird wie bisher rotieren. Das heißt, das bisherige System der halbjährlichen Rotation mit Bildung von Trio-Präsidentschaften wird fortgeführt werden.
c) Die EU-Kommission wird verkleinert. Ihre Mitgliederzahl wird ab 2014 auf die Anzahl verringert, die zwei Dritteln der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht. Das sind bei der gegenwärtigen Anzahl von 27 Mitgliedstaaten 18 Kommissare einschließlich des Kommissionspräsidenten und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Die Verteilung auf die Mitgliedstaaten wird dadurch natürlich erheblich komplizierter. Es gibt in
soweit ein System der strikt gleichberechtigten Rotationen. Dabei soll das demografische und geografische Spektrum der Gesamtheit der Mitgliedstaaten zum Ausdruck kommen. Wie dies geschieht, werden wir sehen. Die Verkleinerung der Kommission hingegen ist zu begrüßen.
d) Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik - „Außenminister“ darf er ja nicht heißen - nimmt zugleich den Vorsitz im Rat der Auswärtigen Angelegenheiten wahr. Er ist zudem Vizepräsident der Kommission und wird von einem europäischen auswärtigen Dienst unterstützt. Dieser Dienst wird sich aus Personal von EU-Kommission, Rat und Mitgliedstaaten zusammensetzen. Damit werden wir eine Antwort auf die berühmte Frage erhalten, die seinerzeit Henry Kissinger gestellt hatte: Wenn ich in Europa jemanden anrufen will, wie ist die Telefonnummer? Damit wollte er darauf anspielen, dass es viele und nicht einen Ansprechpartner gab. Jetzt haben wir demnächst jemanden, der für die Außenpolitik zuständig ist. Es gibt also nunmehr die Telefonnummer für Amerika in Europa.
e) Das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit wird allgemeine Regel im Rat und tritt zum 1. November 2014 in Kraft. Entscheidungen der sogenannten doppelten Mehrheit kommen dann zustande, wenn 55 % der Staaten, die gleichzeitig 65 % der EU- Bevölkerung repräsentieren, zustimmen.
Künftig wird es ein vereinfachtes Vertragsanpassungsverfahren geben, das heißt: Nicht mehr jede Änderung muss ratifiziert werden; vielmehr müssen die nationalen Parlamente widersprechen. Außerdem ist erstmals vorgesehen, dass ein Mitgliedstaat auch wieder austreten kann. Zudem gibt es eine Reihe von Änderungen in Einzelpolitiken. Ich zähle sie jetzt nur auf.
Im Bereich der Verteidigung ist eine verstärkte Zusammenarbeit möglich. Der Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts werden vergemeinschaftet. Es gibt gemeinsame Regeln im Bereich der Energiepolitik, hier insbesondere im Bereich des Klimaschutzes und der Umweltpolitik, eine neue soziale Klausel, die sich mit dem Recht der Gewährleistung eines angemessenen Sozialschutzes
beschäftigen wird sowie des Beschäftigungsniveaus und der Bekämpfung der allgemeinen sozialen Ausgrenzung.
Ich darf ein Fazit ziehen. Die Landesregierung unterstützt diesen Vertrag von Lissabon nachdrücklich. Er ist zwar ein Kompromiss der Europäischen Union, aber auch ein Schritt nach außen, der erforderlich ist. Europa wird weiter zusammenwachsen, und der Vertrag wird die EU sicherlich stärken.
Deswegen begrüßen wir diesen Vertrag. Ich habe Ihnen die Grundzüge dargelegt. Ich hoffe, ich habe das so getan, dass Sie das am späten Nachmittag noch einigermaßen aufnehmen konnten. Es ist immer ein schweres Stück Arbeit, sich mit diesen Verfassungsfragen auseinanderzusetzen. In ihren Auswirkungen sind sie allerdings beachtlich. Deswegen danke ich Ihnen für Ihre Geduld und die Zeit, die Sie mir gegeben haben. - Ich habe sogar noch ein wenig übrig.
Ich danke dem Herrn Minister für seinen Bericht und eröffne die Aussprache. Für die CDU-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zustimmung beziehungsweise Begeisterung über den Vertrag von Lissabon wird sicherlich hier im Hohen Haus von allen geteilt. Es ist das Ergebnis, das erzielbar war, nachdem zuvor zwei Länder dem ursprünglichen Verfassungsentwurf nicht zugestimmt haben.
Aber ehe ich auf den Vertrag von Lissabon eingehe und ebenfalls meine Zustimmung gebe und - das will ich auch sagen - teilweise meine Begeisterung kundtue, ist es mir ein Anliegen, auf einen aktuellen Tatbestand einzugehen, der einen solchen Vertrag etwas relativiert.
Ich meine die Vorgänge in Bochum bezüglich Nokia. Ich stelle mir vor, was ich heute in Düsseldorf, im Landtag von Nordrhein-Westfalen, sagen müsste, wenn ich etwas zur Zustimmung zum Vertrag von Lissabon sagen sollte. Was sollte ich den Menschen über die positiven Inhalte des Lissabon-Vertrages für die Zukunftsgestaltung der Europäischen
Union sagen, was zu bedeutenden Firmen in Europa wie zum Beispiel Nokia, die als Firmengrundsatz bezüglich der sozialen Verantwortung schreiben - ich zitiere -: „Wir möchten zum Wohl der Gesellschaft, in der wir tätig sind, beitragen.“ und - ich zitiere weiter -: „Erfolg hat ein Geheimnis; bei Nokia ist das der Mensch“? Was sollte ich zur Europäischen Union sagen, die eigentlich ein Instrument der Hoffnung sein soll, aber stattdessen in Bezug auf Bochum nicht in der Lage ist, Arbeitsplätze zu sichern, ja sogar Finanzleistungen aus dem Strukturfonds erbringt, die, über welche Wege und Verwendung auch immer, zum Verlust von Arbeitsplätzen führen?
Was sagt die Europäische Union zu diesem Ereignis? Ich bin gebeten worden, dazu nichts mehr zu sagen. Sie begründet das und sicherlich sind diese Begründungen richtig.
Doch jetzt zum Vertrag von Lissabon: Das Erreichte erhält sicherlich - wie bereits betont - Zustimmung von allen hier im Hohen Haus. Die Europäische Union ist unser Europa mit einer verantwortlichen Politik.
Am 13. Dezember 2007 wurde der neue Grundlagenvertrag von den 27 Regierungschefs der Europäischen Union in Lissabon unterzeichnet. Seine Bezeichnung ist: „Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“.
Der Vertragstext ist wegen der ständigen Querverweise auf Änderungen ein schwer zu lesendes Werk auf 287 Seiten. Ich hoffe, dass dieser Vertrag oder der Vertragstext auch bald für Normalbürger in eine leserliche Form gegossen wird. Alle Staaten - es heißt jetzt nicht mehr Länder - und dort meistens die Parlamente, müssen dem Vertrag von Lissabon noch ihre Zustimmung geben und ihn ratifizieren, möglichst bis Ende 2008, damit er rechtzeitig vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Sommer 2009 in Kraft treten kann. Ungarn hat unmittelbar nach der Unterzeichnung diesen Vertrag mit überwältigender Mehrheit ratifiziert.
„Fünfzig Jahre nach den Römischen Verträgen können wir stolz darauf sein, was wir erreicht haben in der Vergangenheit. Jetzt, nach der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon, können wir vertrauensvoll nach vorne schauen auf das, was wir erreichen werden.“
„Die EU schreitet voran“ - so heißt es auch in der Einleitung zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission 2008. Weiterhin heißt es, die EU werde „mit dem ratifizierten Vertrag von Lissabon besser dafür gerüstet sein, die Herausforderungen in Angriff zu nehmen und politische Strategien für das 21. Jahrhundert zu entwerfen.“
Ferner heißt es: „Die Lissabonstrategie für Wachstum und Beschäftigung spiegelt sich in einer verbesserten Wirtschaftsleistung wider.“ Sie bleibt das wichtigste Instrument für die Förderung einer wohlhabenden, umweltverträglichen und sozial integrativen Europäischen Union in Partnerschaft mit den Mitgliedstaaten. Das müssen wir auch für Schleswig Holstein konsequent einfordern.
Im Lissabon-Vertrag ist die Europäische Union eine historische Verpflichtung eingegangen. Sie wird sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen, so wie wir es auch in unserem Land tun. Sie ist die Verpflichtung für die Gewährleistung einer sicheren, wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Energieversorgung eingegangen. Auch hier sind wir hervorragend aufgestellt. Sie fühlt sich wichtigen Partnern ihrer Nachbarschaft und der ganzen Welt verbunden. Auch hier können wir positiv dazu beitragen, besonders durch unsere Nachbarschaft mit Dänemark. Sie will die Globalisierung zu einer Chance für die Bürgerinnen und Bürger machen und sie wird die Aufgaben Justiz, Inneres und Migration
Von besonderer Bedeutung ist auch die bereits am 12. Dezember 2007 in Straßburg unterzeichnete Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Auch wenn es Sonderregelungen für Polen und Großbritannien gibt - der Minister hat es bereits erwähnt -, ist diese Charta der Grundrechte fester Bestandteil des Grundlagenvertrages.
„Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.“
Neben der Präambel gliedert sich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in sieben Titel mit 50 Rechten und Freiheiten. Die Titel sind Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte, Justizgrundrechte und allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta. Diesen Inhalt auch für unser Land einzufordern und lebendig zu gestalten, ist auch eine unserer Aufgaben.
Eines der Hauptziele der Europäischen Union ist es - so betont es die Kommission nach der Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages -, die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt des Projektes Europa zu rücken. Lassen sie uns die Einzelmaßnahmen mit diesem Anspruch konsequent einfordern, verfolgen und mitgestalten.
Zu einigen bedeutenden Bestimmungen, die ich nicht im Detail vorgetragen möchte, weil auch der Minister dazu bereits etwas gesagt hat, nenne ich ganz kurz noch einmal die Überschriften: Die Zustimmung der Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission wird durch das Parlament gegeben. Es gibt eine praktisch volle Mitwirkung des Europäischen Parlaments in der europäischen Gesetzgebung neben dem Rat. Es existiert die doppelte Mehrheit bei Abstimmungen, also mindestens 55 % der Staaten und mindestens 65 % der EU-Bevölkerung. Die Kommission wird von heute 27 auf 18 Kommissare im Jahr 2014 verkleinert. Die zweieinhalbjährige Ratspräsidentschaft ist erwähnt worden. Der Hohe Vertreter für die Außenpolitik, das freiwillige Austrittsrecht und vieles mehr stehen in dem neuen Vertrag.