Dass in dem jetzt geänderten Entwurf diejenigen Kinder ebenfalls erfasst werden, die im Rahmen einer Früherkennungsuntersuchung einem Mediziner außerhalb Schleswig-Holsteins vorgestellt worden sind, ist dabei anzuerkennen.
Damit wird ein grundlegender Kritikpunkt, der im Zuge der Beratungen vorgetragen worden ist, aufgenommen. Durch zwei verschiedene Meldeverfahren sollen Kinder aus Schleswig-Holstein lückenlos erfasst werden können, unabhängig davon, ob sie einem Mediziner in Schleswig-Holstein oder aber in Hamburg zur Früherkennungsuntersuchung vorgestellt werden. Auch wenn die Abwägung, in welchem Verhältnis der mit den Pflichtuntersuchungen und Meldepflichten verbundene Aufwand hierzu steht, in den Hintergrund zu treten hat, muss kritisch die Frage gestellt werden, ob diese Maßnahmen praxisgerecht sind. Wie viele Wochen werden im Zweifel vergehen, bis ein drei Monate altes Kind zur fälligen Früherkennungsuntersuchung U 4 vorgestellt wird?
Wenn statistisch gesehen im ersten Lebensjahr mehr Kinder infolge von Vernachlässigung und Misshandlung sterben als in jedem späteren Alter, muss diese Frage beantwortet werden, insbesondere dann, wenn es darum geht, alle Eltern in ihrer Entscheidungsfreiheit einzuschränken, um eine kleine Zahl von Kindern vor Erziehungsohnmacht, Gewalt und Verwahrlosung zu schützen. Gerade aber dieser kleine Personenkreis, in dem die Problemfälle auftreten, ist Meister darin, vor staatlichen Stellen abzutauchen.
Natürlich ist der Umstand, dass eine Vorsorgeuntersuchung nicht in Anspruch genommen wird, noch kein sicheres Indiz dafür, dass womöglich eine Kindesmisshandlung vorliegt. Aber selbst dies unterstellt - der Datenabgleich in einer zentralen Behörde, die wiederum die dezentral organisierten Gesundheits- und Jugendämter informieren muss, führt zu wesentlichen zeitlichen Verzögerungen. Genau das kann aber nicht gewollt sein, wenn schnelle Hilfe erfolgen soll.
Die Früherkennungsuntersuchung kann deshalb aus unserer Sicht nur ein Baustein sein. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir uns in trügerischer Sicherheit wiegen, mit der Festschreibung der verbindlichen Früherkennungsuntersuchung würden alle Gefährdungen von Kindern lückenlos erkannt. Dies ist dann nicht der Fall, wenn begleitende präventive Maßnahmen fehlen und Netzwerke nicht in dem Maße aufgebaut werden, wie sie notwendig sind. Genau diese Gefahr besteht aber, wenn das Gesetz in die Praxis umgesetzt werden soll. Denn mit der Verpflichtung zur ärztlichen Vorsorgeuntersuchung wird ein bewährtes System zu Kontrollzwecken instrumentalisiert, ohne dass gleichzeitig bei der Untersuchung inhaltlich eine Verbesserung erreicht wird. Stattdessen wird ein hoher Erwartungsdruck in Richtung Jugendämter aufgebaut, ein Erwartungsdruck, dem diese womöglich nicht standhalten können. Wir sollten deshalb aus unserer Sicht frühzeitig nachfragen, ob nach Beschlussfassung über dieses Gesetz die gesteckten Ziele tatsächlich erreicht worden sind. Es muss eine Erfolgskontrolle darüber geben, wie sich die einzelnen Regelungen in der Praxis bewährt haben.
Ich komme nun zum Schluss, meine Damen und Herren. Aus dem, was ich Ihnen vorgetragen haben, möchte ich einen Satz zusammenfassend herauskristallisieren und damit auch unser Abstimmungsverhalten erläutern. Aus dem, was ich gesagt habe, geht hervor, dass wir in dieser Gesetzesvorlage zwar Ansätze zur Verbesserung sehen, allerdings nach wie vor auch eine Reihe von Problemen und Unzulänglichkeiten konstatieren müssen. Deshalb haben wir uns entschlossen, uns in der Abstimmung der Stimme zu enthalten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lange haben wir debattiert. Bereits vor zwei Jahren hat die grüne Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen in den Landtag eingebracht. Dieser Gesetzentwurf wurde im Fachausschuss ausführlich beraten. Es gab eine Anhörung und danach begann ein bisschen das Problem von CDU und SPD. Sie haben das Ganze ge
schoben, haben Arbeitskreise gegründet. Unserem Gesetzentwurf wollten sie nicht zustimmen und einen eigenen hatten sie auch nicht.
Nach eineinhalb Jahren wurde der grüne Gesetzentwurf dann abgelehnt und anschließend wurde erfreulicherweise ein eigener Gesetzentwurf von CDU und SPD präsentiert, das Kinderschutzgesetz. Kern des Kinderschutzgesetzes ist das verbindliche Einladungswesen, das Früherkennungsuntersuchungen für alle Kinder sicherstellen soll. Darüber freue ich mich - auch ganz persönlich. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz einen großen Schritt weiterkommen.
Auch wenn die Beratung sehr lang gedauert hat, auch wenn es jetzt einen komplett anderen Vorschlag gibt, habe ich von Anfang an gesagt, dass meine Fraktion für andere Vorstellungen offen ist. Uns ging es hier tatsächlich darum, ein Ziel zu erreichen und nicht darum, auf einem Weg zu beharren.
Wir werden mit dem Kinderschutzgesetz zwar keine verbindlichen Vorsorgeuntersuchungen beschließen, aber ein verbindliches Einladungs- und Meldewesen. Die Konsequenz ist aus meiner Sicht das Gleiche. Zukünftig wird der Staat Nachfragen und Hilfe anbieten, wenn Eltern nicht dafür Sorge tragen, dass ihre Kinder die Vorsorgeuntersuchung wahrnehmen.
Gerade angesichts der zunehmend entdeckten Fälle von Kindesvernachlässigung Frau Tenor-Alschausky hat darauf hingewiesen - ist dieser Schritt überfällig. In dieser Debatte sollten wir uns auch immer wieder die Zahlen vergegenwärtigen. Die UNICEF-Studie zur Gewalt gegen Kinder in Industrieländern weist nach, dass in Deutschland jede Woche zwei Kinder an den Folgen körperlicher Vernachlässigung sterben.
Das Nationale Zentrum für frühe Hilfen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht von folgenden Zahlen aus: Zwischen 5 und 10 % aller Kinder bis sechs Jahre werden vernachlässigt. 10 bis 15 % aller Eltern wenden schwerwiegende und häufige körperliche Bestrafung an. Die Inobhutnahme von Kindern, der drastische Eingriff in die elterliche Sorge zum Schutz der Kinder - das ist es ja -, hat von 1995 bis 2005 bundesweit um 40 % zugenommen. Uns sind konkrete Einzelschicksale bekannt, die sich hinter diesen nüchternen Zahlen verbergen. Deshalb ist es wichtig, ein
Es lohnt sich, im Rahmen der Präventionsarbeit neue Wege zu gehen und auszuprobieren. Jedes Kind, dem wir damit helfen können, ist ein Erfolg. Jedes Kind hat es verdient, dass wir uns Gedanken machen und dass Konsequenzen gezogen werden.
Ziel des Kinderschutzgesetzes ist es, Eltern zu aktivieren, damit sie gemeinsam mit ihrem Kind Hilfe suchen und Hilfe in Anspruch nehmen. Nehmen Eltern das Recht auf Vorsorgeuntersuchung ihrer Kindern nicht wahr, wird letztendlich das Jugendamt oder auch das Gesundheitsamt auf sie zukommen und nachfragen. Es wird sich darum kümmern, ob und warum Eltern die Hilfe nicht angenommen haben, ob die Kinder in diesen Fällen nicht doch Hilfe brauchen. Es geht um Unterstützung, nicht um Kontrolle. Es geht nicht um Strafe, sondern darum, dass kein Kind durch das Raster rutscht, dass kein Kind unbemerkt verwahrlost oder häuslicher Gewalt ausgesetzt ist.
Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen umfasst auch das Recht eines jeden Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf ein gesundes Aufwachsen. Dies ist bisher noch nicht sichergestellt, auch bei uns nicht. Ich gebe Herrn Klug recht, natürlich werden wir dies nicht lückenlos sicherstellen können. Ich glaube, niemand von uns erhebt für sich diesen Anspruch, sondern das Gesetz ist der Versuch, mit einem weiteren Baustein die Situation für unsere Kinder hier in SchleswigHolstein zu verbessern.
Im Detail gab und gibt es natürlich kritische Anmerkungen und Fragen meiner Fraktion. Wir haben diese im Fachausschuss vorgetragen und uns an einigen Stellen auch der Kritik der Anzuhörenden angeschlossen. So sind wir der Meinung, dass nicht nur den Schulen, sondern auch den Kindertagesstätten eine besondere Erziehungs- und Bildungsfunktion zukommt und dass daraus auch eine besondere Verpflichtung resultiert.
Wir sind auch der Meinung, dass offen über eine personelle Stärkung der Jugendämter nachgedacht werden muss, wenn diese durch das Gesetz zwar keine zusätzliche Aufgaben bekommen, aber im präventiven Bereich wahrscheinlich mehr machen müssen. Es wird jetzt sehr darauf ankommen, wie das Gesetz vor Ort umgesetzt wird, ob mit den Eltern tatsächlich mehr Gespräche in den Familien stattfinden, wo es notwendig ist.
Insbesondere teilen wir die Kritik, dass der Arzt und die Ärztin nicht die richtigen Personen sind, um die Teilnahme an der Vorsorgeuntersuchung nachzuweisen. Denn damit wird das Vertrauensverhältnis zur Patientenfamilie belastet und es entsteht zusätzlicher Arbeitsaufwand für die Arztpraxis. Es ist mir nach wie vor unverständlich, warum sich die Große Koalition einem entsprechenden Änderungsvorschlag meiner Fraktion im Ausschuss nicht angeschlossen hat. Wir wollten schon damals in unserem grünen Gesetzentwurf diese Aufgabe der Meldung den Eltern und nicht den Ärzten zuordnen, um das Vertrauensverhältnis Arzt/Patient auch weiterhin zu schützen.
Andere Änderungsvorschläge von uns, die das Kinderschutzgesetz etwas runder, praktischer, verbindlicher machen sollten, haben CDU und SPD in ähnlicher Form vorgelegt. Sie sind jetzt Bestandteil des Gesetztes. So ist es erfreulich, dass bei den lokalen Netzwerken nachgebessert wurde und der Kreis der Beteiligten erweitert worden ist. Kinder mit Behinderung werden jetzt in gleicher Weise mit einbezogen.
Jugendhilfe, Sozialarbeit, öffentliche und private Gesundheitsfürsorge werden durch die Netzwerke in einem gemeinsamen Arbeitsraum eingebunden.
Ich freue mich, dass wir heute das Kinderschutzgesetz beschließen. Wir wissen, dass damit bei Weitem nicht alle Probleme gelöst sind, sondern dass es „nur“ ein weiterer Baustein im Hilfesystem für Familien ist. Wir wissen, dass der Erfolg des Gesetzes natürlich davon abhängt, wie es umgesetzt wird. Werden die Ärzte die Daten zuverlässig melden? Wird uns die Koordination im Hamburger Rand gelingen, die noch etwas nachjustiert worden ist? Werden die Behörden - Herr Klug hat es angesprochen - schnell genug reagieren, damit auch Eltern und Kinder beispielsweise mit häufig wechselndem Wohnsitz erfasst werden? Wird es gelingen, die Migrantenfamilien so anzusprechen, dass sie die Chance der Vorsorgeuntersuchungen sehen und nutzen? Können die Jugendämter das notwendige Personal und die notwendigen Mittel bereitstellen, damit das Gesetz sein Ziel auch erreichen kann?
Die heutige Verabschiedung des Gesetzes ist also ein erster Schritt. Wir hoffen auf eine gute und konsequente Umsetzung vor Ort. Wichtig dabei ist, dass wir immer jedes einzelne Kind vor Augen haben. Jedes einzelne Kind ist sehr wertvoll. Deshalb lohnt es sich, an den Erfolg des Gesetzes zu glauben und alles dafür zu tun, damit die Ziele des Gesetzes auch Realität werden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der SSW stimmt dem vorliegenden Gesetz zu. Das hat der Kollege Geerdts gerade schon verkündet. Wir sind der Überzeugung, dass SchleswigHolstein mit diesem Vorhaben den richtigen Weg beschreitet, nämlich den Weg hin zu mehr Schutz von Kindern und Jugendlichen. Nachdem wir im Juli den Schutz von Kindern und Jugendlichen als Staatsziel in der Landesverfassung verankert haben, ist das Kinderschutzgesetz quasi die gesetzliche Unterfütterung des Verfassungsanspruchs. Das nenne ich: Nägel mit Köpfen machen. Die fraktionsübergreifende Einigkeit belegt, dass es allen Ernst mit einem effektiven Kinderschutz ist.
Die neueste Studie des Kinderhilfswerks hat in der letzten Woche noch einmal eindrücklich die Dimensionen dieser Aufgabe vor Augen geführt. Die soziale Schere geht jedes Jahr weiter auseinander. Die Kinderarmut verdoppelt sich alle zehn Jahre in Deutschland. Arme Kinder haben einen unzureichenden Zugang zur medizinischen Versorgung, durchschnittlich schlechtere Schulabschlüsse und demzufolge bei der Verteilung von Lebenschancen im wahrsten Sinne des Wortes schlechte Karten. Die Hartz-Gesetze haben in einem so dramatischen Maße in die Schicksale von Millionen von Kindern eingegriffen, wie sich das der damalige rot-grüne Gesetzgeber sicher nicht vorstellen konnte.
Das schleswig-holsteinische Kinderschutzgesetz unterstreicht die Bedeutung, die dem Schutz von Kindern und Jugendlichen in der Vergangenheit zu selten zukam, und ruft dieses Anliegen nachdrücklich ins Gedächtnis. Es kann natürlich aber nicht alle Ungerechtigkeiten bekämpfen. In diesem Sinne erscheinen die einleitenden Paragraphen als sehr anspruchsvolle Ziele. Die staatliche Gemeinschaft will junge Menschen in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen. Konkret bedeutet das, dass Kinder und Jugendliche nach ihren Talenten und Befähigungen gefördert werden und nicht nach ihrer sozialen Herkunft.
Das Kinderschutzgesetz ist lediglich als Auftakt einer nachhaltigen Politik zu verstehen. Es wird sich erst in der Zukunft zeigen, welche Wirkungen das Gesetz tatsächlich hat. Spätestens die nächsten Haushaltsberatungen betrachte ich als Nagelprobe für einen effektiven Jugendschutz. In welcher Höhe werden Jugendarbeit, Präventionsarbeit und familiäre Bildungsarbeit veranschlagt werden? Die weitere Stabilisierung vorbildlicher Projekte wie das „Schutzengel“-Projekt muss Anliegen eines jeden hier bei uns sein, wenn er es denn mit dem Kinderschutzgesetz ernst meint.
Wir werden bei den nächsten Haushaltsberatungen genau hinschauen, welche Mittel in den Haushalt eingestellt werden. Sollten diese gesenkt werden, würden damit all diejenigen Kritiker recht bekommen, die das Gesetz als Sammlung schön getexteter Absichtserklärungen titulieren. Ich bin gespannt und hoffe, dass diese Kritiker nicht recht bekommen.
Doch ich möchte nicht nur die Finanzierung der genannten Maßnahmen ansprechen. Der Teufel liegt, wie immer, auch im Detail. Genauer gesagt: Je konkreter die einzelnen Paragrafen sind, desto mehr zeigen sich Probleme. Ich möchte hier drei Punkte exemplarisch anführen: die Kompetenz der Jugendämter, das Fehlen einer allgemeinen, aufsuchenden Sozialarbeit und die Einrichtung einer Zentralstelle bezüglich der sogenannten U-Untersuchungen.
Zunächst zu den Jugendämtern! Ich begrüße ausdrücklich die klaren Kompetenzen, die das Gesetz den Jugendämtern zuweist. Ich möchte hinzufügen: endlich. Im Jugendamt sollen zukünftig alle Fäden zusammenlaufen, sodass Koordinierungsprobleme gar nicht mehr auftreten können, wenn es denn um das Kindeswohl geht. Wenn wir uns vor Augen führen, dass der Tod des zweijährigen Kevin in Bremen auch dadurch geschehen konnte, weil sich mehrere öffentliche Stellen ohne konkrete Absprache aufeinander verließen, wird die Dringlichkeit einer klaren Kompetenz deutlich. Es liegt einfach auf der Hand, dass Lehrer, aber auch Erzieher oder Kinderärzte ihre Informationen und Beobachtungen einem zentralen Amt mitteilen müssen, wo erfahrene Pädagogen und Sozialarbeiter die angemessenen Entscheidungen zum Wohl des Kindes treffen müssen. Das ist nun einmal das Jugendamt. Dessen Kompetenzen sind jetzt klarer.
der lokalen Netzwerke ist übrigens die Erledigung einer weiteren lang ausstehenden Hausaufgabe. Nun sind Aufgaben und Kompetenzen endlich klar benannt. Das ist ein Riesenvorteil dieses neuen Gesetzes.
Allerdings warne ich davor, dass sich die Landesregierung mit dem Verweis auf die kommunalen Jugendämter oder die Netzwerke aus der Verantwortung zurückzieht. Kommunale Jugendarbeit in den Jugendämtern muss personell solide ausgestattet sein - gerade wenn ihnen noch mehr Aufgaben aufgebürdet werden. Nur so kann man sich für den Einzelfall Zeit nehmen, was schließlich auch der Intention des Gesetzes entspricht.
Zum zweiten Punkt, der aufsuchenden Sozialarbeit! Der SSW hat immer wieder eindringlich eine systematische aufsuchende Sozialarbeit gefordert. Deren Vorteile liegen auf der Hand: Sie diskriminiert niemanden, weil sie alle Familien erreicht, eben auch die wohlhabenden, bei denen es durchaus auch Probleme geben kann. Auf diese Weise erleichtert sie aber auch die Annahme von Unterstützung.
Ein flächendeckendes Netz aufsuchender Sozialarbeit ist allerdings noch in weiter Ferne. Stattdessen setzt das vorliegende Gesetz wieder einmal vorrangig auf Beratung und Information. Ich halte es für mehr als einen redaktionellen Fehler, dass in § 4 zwar Angebote zur Bildung und Beratung genannt werden, aber nicht zur Unterstützung, obwohl das in der Überschrift aufgeführt wird. Gerade bildungsfernen Eltern ist mit einer Beratung, womöglich noch in schriftlicher Form, wenig geholfen. Sie brauchen direkte tatkräftige Unterstützung.
Es gibt Eltern, denen vor einer längeren Busfahrt bange ist, weil sie sich woanders als im gewohnten Quartier nicht auskennen und sich deshalb kaum allein auf den Weg zu einer Beratungsstelle machen, die in einem anderen Stadtteil oder möglicherweise sogar im übernächsten Ort liegt. Eltern, denen jedes behördliche Schreiben erst einmal einen Schrecken einjagt, bevor sie mühsam versuchen, sich durchs Amtsdeutsch zu lesen. Das hat nichts mit Dummheit zu tun, sondern damit, dass man nicht jeden Tag etwas mit Behörden zu tun hat. Broschüren sind deshalb nicht das Mittel der Wahl, wenn es um das Kindeswohl geht. Genau darum ist die Arbeit der Familienhebammen vom „Schutzengel“-Projekt so wichtig und bahnbrechend, weil sie tatkräftig Unterstützung in den Familien leisten, und zwar direkt in den Wohnungen. Die Leute müssen nicht extra zum Amt laufen.
Eltern, die ihre Kinder nur unzureichend unterstützen, sind auf leistungsfähige Institutionen angewiesen, die ihnen unbürokratisch helfen und sie tatkräftig unterstützen. Davon ist im Gesetz nicht die Rede. Ich denke, dass wir hier genau hinschauen müssen, wie sich das Beratungsangebot in der Praxis darstellen wird. Das sollten wir tun, damit es eben gerade nicht zur Inobhutnahme kommen muss.
Das letzte Problemfeld, das ich ansprechen möchte, ist die Einrichtung einer neuen Institution, die die Einhaltung der sogenannten U-Untersuchungen registriert. Ich halte den Aufbau einer neuen Institution beim Jugendamt nur für die zweitbeste Lösung. Wir haben uns hier bereits mehrmals mit der Frage beschäftigt, wie es der Politik gelingen kann, dass alle Kinder von den Vorsorgeuntersuchungen - am Besten freiwillig - profitieren. Eine neue Behörde, die die Nachbarabteilung im Jugendamt über die fehlende Inanspruchnahme der Untersuchungen informiert, ist sicherlich ein gangbarer Weg, aber eben nicht der beste.